Samstag, 22. Dezember 2018

Cannes: Selbst Maigret ist alles verboten


Spielen, Surfen, Hunde, auf Stühlen sitzen
und Stöckelschuhe: ALLES VERBOTEN
Klaus Mann hätte seine Freude gehabt an nebenstehendem Bild. Verbote liebte er über alles und berichtete in seinem mit Schwester Erika geschriebenen "Buch von der Riviera" entsprechend spöttisch. Manchmal ruft die Stadt den Eindruck hervor, als bestehe sie vorrangig aus Verbotsschildern. Sogar vor dem wunderschön, gegenüber dem Hafen, und praktisch, gegenüber dem Messegelände, gelegenen Hotel Splendid findet sich ein Schild, daß Boule hier verboten sei. Cannes liegt eben nicht in Südfrankreich, sondern nur an der Côte d'Azur.

Wenn das Boulespiel wegen des lauten Klickens der aneinanderstoßenden Kugeln verboten dann, dann fragt man sich, warum den Engländern während der Gewerbeimmobilienmesse MIPIM, die Tageseintrittskarte kostet mehr als 1.500 Euro, das Trinken in der Bar des Splendid nicht verboten ist. Sie haben die Bar die vor alles tagsüber zu ihrem alkoholischen
Hauptquartier erwählt und - man kann es nicht anders nennen - saufen sich hier schon tagsüber den Messefrust von der Seele. In Fünferreihen, ab 14 Uhr in Zehnerreihen stehen sie bis auf die Straße.

Ähnlich wohl wie sein Kommissar Maigret fühlte sich auch Simenon in Cannes, wo er zwei Jahre in der „Villa Golden Gate“ wohnte. Nach seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten war er froh, sich wieder regelmäßig mit Pagnol, Cocteau und vor allem Henry Miller treffen zu können. Simenon war zum Präsidenten der Jury des Filmfestivals berufen worden, auch Miller war Jury-Mitglied und die beiden waren von Anita Ekberg so begeistert, daß sie ihr für „La Dolce Vita“ die „Goldene Palme“ verliehen. Übergeben wurde der Preis, wie es sich gehört, an Federico Fellini; verdient hatte ihn sich die Ekberg.


Anita Ekberg in einer Fotografie aus dem Jahr 1956.                   Bild Wiki cc

Ob nun Simenon wirklich mit achttausend Frauen geschlafen hat, wie er sexprahlend-senil in einem „Sunday- Times“-Interview erzählte oder ob es nur die eintausendzweihundert Prostituierten waren, die eine seiner Frauen ihm zutraute, spielt weniger eine Rolle. Verbraten hat er diese Geschichten natürlich nicht in den sittsamen Maigrets, über die sich das englische Episkopat allenfalls wegen des übermäßigen Alkoholgenusses des Kommissars beschwerte. Unter dem nicht gerade schwer aufzulösenden Pseudonym Georges Sim veröffentlichte Simenon einige seiner softpornographischen Romane, dann aber auch als La Déshabilleuse, Gom Gut oder Plick et Plock. Auf rund 400 Bücher brachte er es insgesamt, darunter gut achtzig Maigrets.
 






 

Samstag, 15. Dezember 2018

Französische Konzentrationslager: Schlamperei bis zur Grausamkeit


Die Ziegelei von Les Milles bei Aix-en-Provence war Internierungslager für bis zu dreitausend Häftlinge
 
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurden zehntausende deutschsprachiger Flüchtlinge und Geschäftsleute - in Paris sogut wie in Südfrankreich - in Lagern, oft alten Fabriken, wie in Les Milles bei Aix-en-Provence, oder Stadien, wie in Paris und Antibes, interniert. Aus zunächst nur verdächtigen Individuen waren „feindliche Subjekte“ geworden. Ganz Frankreich hatte Angst vor der Unterwanderung durch Hitlers Agenten – und neben ein paar Nationalsozialisten waren es vor allem diejenigen, die vor Hitler geflohen waren, die nun eingesperrt wurden.

Diese französischen Konzentrationslager waren aber nun in keinster Weise mit den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zu vergleichen, obschon auch hier viele Insassen zu Tode kamen; in den meisten Fällen aufgrund schlechter hygienischer Verhältnisse und fehlender ärztlicher Versorgung sowie aufgrund der mangelnden Verpflegung.


Hofgang und Mittagessen in Les Milles      Bild Camp des Milles
Selbst auch in den Autobiographien, Erinnerungen und Briefen der Lagerinsassen spielen skurrile Begebenheiten immer wieder eine Rolle. Vor allem Lion Feuchtwanger hat in seinem Buch „Der Teufel in Frankreich" viele solcher Geschichten aufgezeichnet.

"Kondensmilch, in keinem Restaurant mehr aufzutreiben, war im Lager von Saint Nicolas zu haben oder gebackenes Huhn mit Gurkensalat ab mittags um zwölf neben Zelt 54, neue Füllfederhalter, Schweizer Zeitungen und sogar ein ausgezeichnet nachgemachter polnischer Paß, geeignet für Herren zwischen vierzig und fünfzig, für nur 3000 Franken“.
Die französischen Wachoffiziere hatten es sich abgewöhnt, zum Essen in eines der umliegenden Restaurants zu fahren. Im Lager gab es alles preiswerter, reichlicher und vor allem von deutschen und österreichischen Köchen in ihren improvisierten Küchen einmal ganz anders zubereitet.

Die Kontrollen, gerade in Saint Nicolas, waren meist ausgesprochen oberflächlich. Ausflüge waren zwar nicht genehmigt aber möglich, Besuch durfte empfangen werden, sogar Damenbesuch. Ohne weiteres konnte man sich aus dem Lager entfernen, mal nachmittags zum Schwimmen an den Gard gehen oder sogar einen oder zwei Tage in Nîmes verbringen. „Jeden Tag“ so schrieb der Walter Meckauer in sein Tagebuch, „nahm der Sergeant auch einige Tagesurlauber in die Stadt mit, vorausgesetzt, daß wir ihm die üblichen sieben Francs zahlten“. Und Feuchtwanger nahm den Faden auf: „Hatte man die Stadt einmal erreicht, dann konnte man sich leicht verlieren in der ungeheuren Menge der Flüchtlinge, die von Norden kam. Viele von uns stiegen denn auch hinunter in die Stadt, aßen in einem der guten Restaurants, schliefen in einem guten Bett, gönnten sich ein gutes warmes Bad. Am anderen Morgen dann fuhren sie sehr früh in einer Autodroschke zurück, ließen in der Nähe des Lagers halten, krochen unter dem Stacheldraht her, schlichen sich in ihr Zelt und waren zum Morgenkaffee brav wieder da."

Das Lager, schrieb Feuchtwanger, sei

„ein einziger großer Rummelplatz. Cafés, Verkaufsbuden, eine neben der anderen, säumten die Straßen der Zeltstadt. Hausierer zogen durch diese Straßen von fünf Uhr morgens bis ein Uhr nachts und schrien ihre Waren aus.“
Einige Kilometer vom Lager entfernt, in Collias „in der Nähe einer angenehmen Badestelle fand sich ein ländliches Restaurant von bester französischer Tradition“. Wenn man sich einen Tag zuvor den Tisch reservierte, konnte man sicher sein, „ein mit Sorgfalt und Geschmack zusammengestelltes Mahl zu erhalten“. Zum Beispiel

„vielerlei Hors d‘Oeuvre, dann ein ausgezeichnetes Fischgericht, dazu einen leichten Elsässer, dann gab es Perlhuhn mit Salat und Kartoffeln, dazu einen anständigen Burgunder, dann eine Süßspeise, dazu einen schweren, algerischen Wein, dann vielerlei Obst und eine wohl assortierte Käseplatte, dann Kaffee und alten Kognak“.

Wandmalerei im Lager: Freiheit, Leben, Friede                  Bild Camp des Milles
Feuchtwanger verarbeitete diese Zeit in seinem Buch „Der Teufel in Frankreich“. Zunächst hatte er „Unholdes Frankreich“ als Titel vorgesehen, den er dann in Anspielung an das Sprichwort vom „Leben wie Gott in Frankreich“ und den Bestseller von Friedrich Sieburg „Gott in Frankreich?“ dann änderte.

André Fontaine, einem Deutschlehrer aus Aix-en-Provence, kommt der Verdienst zu, die Geschichte eines der bekanntesten Lager, des Lagers von Les Milles, über mehr als zehn Jahre hinweg gründlichst und weltweit in Archiven recherchiert zu haben. Fontaine besitzt inzwischen eine umfangreiche Samlung von Briefen, Bildern, Fotos, hat die Gespräche mit den damaligen Gefangenen und ihren Bewachern 
Im Speisesaal von Les Milles: Immer Hunger
dokumentiert. Vor allem ist es ihm und dem späteren ersten Direktor der Gedenkstätte, Alain Chouraqui, zu verdanken, daß die von den Gefangenen gemalten Wandbilder im Lager nicht zerstört worden sind.

Lange hat Fontaine gebraucht, um einen Verleger zu finden. Erst mit Unterstützung von Alfred Grosser, der auch ein Vorwort beisteuerte, ist ihm dies gelungen: „Wir lieben es in Frankreich nicht, zuviel


über die negativen Aspekte unserer nationalen Vergangenheit zu wissen. Selbst unsere Geschichtsbücher sind sehr diskret, die Forschung vermeidet diese dunklen Momente, wenn es nicht möglich ist, dafür entweder eine Person oder eine Minorität zu finden, die man als Sündenbock benutzen kann.“

Golo Mann, Sohn von Thomas Mann, der gemeinsam mit Max Ernst und Lion Feuchtwanger, um hier nur zwei zu nennenn, in Les Milles eingesperrt war, hat in seinem Tagebuch die Zeit im Lager zusammen gefaßt: „Erfahrene sagen, daß es schlimmer sei als Dachau; das ist natürlich Unsinn. Wahr scheint mir nur dies: Die Deutschen organisieren die Grausamkeit sauber und genau; die Franzosen können, ohne viel darüber nachzudenken, Schlamperei und Unfähigkeit bis zum Grausamen treiben.“
 

Samstag, 8. Dezember 2018

Ein nur zur Hälfte geglückter Doppelselbstmord

Die Freundin überlebte
Der Schweizer Lyriker Alexander Xaver Gwerder mochte vieles nicht und vieles sehr. Das läßt man ihn am besten selbst aufzählen: «Ich hasse die Kulturschnorrer, die Richtungsrichter, das Militär inklusive Patrioten und Kunststückler – zu lieben bleiben noch: Frauen, Gifte und ihre Erscheinungen, wie Kinder oder Bücher; Pflanzen mit ihrem Anhang dar - unter vornehmlich die Wolken.»

Auf den Spuren des von ihm hochverehrten Vincent van Gogh reiste der knapp dreißigjährige Gwerder 1952 nach Arles, um sich gemeinsam mit seiner neunzehnjährigen Freundin Salomé Dürrenberger umzubringen. Sie überlebte, er wurde zwar noch vom Hotel ins Armenkrankenhaus von Arles eingeliefert, starb aber dort. In seinen Tod ist zunächst viel hineininterpretiert worden. Erst in der 1980er Jahren hat Salomé Dürrenberger die recht simplen Hintergründe geschildert: Gwerders Frau, sie hatten zwei Kinder zusammen, hatte in die Scheidung nicht eingewilligt.
Die Alyscamps in Arles: Der richtige Ort, um Gwerders Gedichte zu lesen.

Etwas bekannter wurde er erst nach seinem Tod, allerdings paßten die Endzeitstimmungen seiner Gedichte nicht gut in das Sonnenland seines Malervorbildes. «Im Gedicht bin ich mir selber am nächsten», hat er in sein Tagebuch notiert.

 

 

Samstag, 1. Dezember 2018

Moritz Hartmann, Sabatier und La Tour de Farge

Der Journalist, Republikaner und in Deutschland steckbrieflich gesuchter Mitstreiter der badischen Revolution, fand in Frankreich ausgerechnet Zuflucht auf einem Schloß, Latour de Farge, das der Familie des adeligen Schriftstellers und Malers François Sabatier d'Espeyran gehörte.

Zum großen Künstlerfreundeskreis von Sabatier gehörte unter anderem der Maler Gustave Courbet, der das Schloß von Norden her durch die Weinberge gesehen malte; viele seiner Bilder finden Sie im Museum Fabre in Montpellier. Von Latour aus also schrieb Hartmann, ähnlich wie Daudet aus seiner Mühle, Briefe aus seinem Schloß, die dann etwa in der Hannoverschen Presse oder der Zeitschrift „Das Museum“ veröffentlicht wurden.


Nach den Beschreibungen Hartmanns werden Sie das Schloß noch heute finden - wenn nicht folgen Sie den Hinweisen auf der HOMEPAGE.
„Wie ein Posten von der ungeheueren Festungsmauer des Cevennengebirges blickt es klug und mutig weit hinaus über die Ebene Niederlanguedocs bis ans Meer. Hundert Schritt gegen Süden und man befindet sich an der Eisenbahn und in der Ebene. Gegen Osten blickt man auf die weingesegneten Ebenen von Lunel.“
Als kleine Hilfe noch - obwohl, eher ist es schon eine große - der Hinweis, daß Sie nur nach dem einzigen Hügelchen in der Petite Camargue Ausschau halten

Tour de Farges, wie die Doamine heute heißt                     Bild: Domaine
müssen, und daß Sie es heute unter La Tour de Farge finden und nicht mehr unter Latour. Und ganz grundlos müssen Sie auch nicht herfahren, schließlich wird heute auf der Domaine ein ebenso

Ein trockener Muscat petit grains wird hier neben dem Vin doux produziert. Bild: Domaine
hochdekorierter wie hochprozentiger Muskatwein produziert, noch handgelesen die Trauben und bei niedrigen Temperaturen fermentiert.

Vom Schloß selbst sind nur noch zwei Türme übrig geblieben, von denen einer schon zu Hartmanns Zeit zum Taubenturm umfunktioniert war. Das rettete ihn davor, während der Französischen Revolution dem Erdboden gleichgemacht zu werden.
Speisesaal               Bild OT Lunel


Der dritte Turm stammt vom Beginn des 19. Jahrhunderts und gehörte zur Telegraphenlinie des Erfinders Claude Chappe. Der hatte sich ein optisches System ausgedacht, ähnlich der Flaggentelegrafie auf See. Alle zehn bis elf Kilometer stand einer seiner Türme mit beweglichen Holz- oder Metallarmen, mit denen man Buchstaben, Worte oder kurze Sätze zum nächsten Turm übertrug. Ein System, von dem vor allem Napoleon profitierte, weil es weit schneller und sicherer war, als die früher ausgesandten Kuriere. Auf eine Geschwindigkeit von bis zu 135 Kilometern in der Minute konnte es ein Zeichen bringen, wenn die Wachmannschaften geübt waren.

In der Schloßbibliothek fand Hartmann eine Ode über die Landschaft des Languedoc, die der Kamisardenanführer Pierre Laporte, genannt Rolland, im Jahre 1703 seinem General Jean Cavalier zur Hochzeit widmete. Cavalier, erst Schäferjunge und dann Bäckergeselle hatte

Die Landschaft des Languedoc vom zerfallenen Schloß Vézénobres aus gesehen. Ganz in der Nähe 
bei Martignargues, hat eine große Schlacht  zwischen Kamisarden und Königstruppen stattgefunden.
 
sich in den Kämpfen durch besondere Verwegenheit hervorgetan, aber auch seinen Kamisarden ein strategisches Verhalten beigebracht, das sie gegen die gut ausgebildeten Königstruppen lange widerstehen ließen. 
„Du findest dort die Milde des Himmels,
die Fruchtbarkeit des Bodens,
die Mannigfaltigkeit der Felder,
des Weingartens, der Wiese,
die Verschiedenheit der Früchte,
die Annehmlichkeiten des Hügels und der Ebene.“ 
 
Wenig später wurde Moritz Hartmann dann auch in Frankreich als „verdächtiges Individuum“ angesehen und für kurze Zeit sogar im Staatsgefängnis Mazas interniert.

Samstag, 6. Oktober 2018

Pont du Gard: Das Wasser fließt bergauf

Domnine Reynert erklärt die dicken Kalkablagerungen
in der abgedeckten Wasserrinne oben auf dem Pont du Gard 
Die Leistungen der römischen Bauingenieure sind beeindruckend: Über fünfzig Kilometer wird das Wasser der Eure von der Quelle bei Uzès bis Nîmes geleitet. Nur gut zwölf Meter beträgt insgesamt das Gefälle, wie Domnine Reynert erklärt, die Pressechefin der Site du Pont du Gard. Fünf Meter weniger, als immer noch in den meisten Reiseführern zu lesen ist. Einige Eindrücke vom Pont du Gard und ein Gespräch mit Zweisternekoch** Jérôme Nutile HIER im VIDEO (etwa ab Minute 20).

An manchen Stellen gelang es den Römern, durch eine Verengung des Kanals das Wasser so zu beschleunigen, daß es bergauf floß. Mit Domnine den Weg durch den Wasserkanal der obersten Arkadenreihe zu machen, ist ein Erlebnis. Von Louis Benoit erzählt sie, einem Schlosser, der den Pont du Gard 1611 bestieg und seine Handwerkermarke, einen Schlüssel, in den Stein einritzte.

Seither haben alle Handwerker, die im weitesten Sinne dem Bausektor zugerechnet werden, vom Zimmermann über den Steinmetz natürlich bis hin zu den Schlossern das Recht, sich hier zu verewigen. Nur allerdings, solange sie sich auf ihrer einjährigen Wanderschaft, ihrer „Tour de France“ befinden.Wen der seltene Vorname von Domnine Reynert an etwas erinnert: Sie stammt aus Sisteron und ja, ihre Eltern haben Sie nach der Romanfigur von Paul Arène getauft.

Lange hielt sich die Legende, die Olivenbäume
am Pont du Gard seien während des Baus gepflanzt worden.
Tatsächlich sind sie ein paar hundert Jahre alt,
kommen aus Spanien und stehen seit gut 60 Jahren hier.
Und auch andere Legenden um den Pont du Gard rückt sie zurecht. Die drei alten Olivenbäume auf dem linken Ufer - kaum jemand kann daran vorbeigehen ohne Frau, Kind, Hund oder wen auch immer darunter zu fotografieren - stammen nicht aus der Zeit um Christi Geburt, wie immer wieder zu lesen ist. Es sind nicht einmal französische Bäume, sondern rund tausendjährige Olivenbäume aus Andalusien, die nach dem großen Frost von 1956 hierher verpflanzt wurden.
Und auch die Geschichte, daß die Römer den Pont du Gard in einem leichten Bogen gebaut hätten, um so ein Gegengewicht gegen den Mistral zu berücksichtigen, ist eine Mär. Tatsächlich haben sie ihn kerzengerade über den Fluß gezogen. Die inzwischen sichtbare Wölbung ist den Sonnenstrahlen zuzuschreiben. Täglich 5 Zentimeter gegen die Steine auseinander, um sich nachts 4,999 Zentimeter wieder zusammen zu ziehen. So entsteht eine jährliche Lücke von 2 Millimetern auf der Sonnenseite, die sich im Laufe von zweitausend Jahren zu einer insbesondere im Wasserkanal deutlich erkennbaren Kurve entwickelt hat.

Obwohl die Bauarbeiten an unterschiedlichen Stellen gleichzeitg begannen, stimmten überall die Anschlüsse. Sogar bergauf ließen die römischen Ingenieure das Wasser fließen, in dem sie die den Kanal enger machten und so die Fließgeschwindigkeit erhöhten. Mehr als tausend Arbeiter waren beschäftigt, über fünfzigtausend Tonnen Stein wurden verbaut. In Nîmes endet der Kanal im Castellum divisorium,


Leicht zu finden: Vom Office de Tourisme gerade mal ein paar Meter den Berg hoch
einem Verteilbecken, aus dem heraus das Wasser durch Bleirohre in die einzelnen Stadtteile geleitet wurde. Mehr darüber HIER AUF DER HOMEPAGE VON NIMES .So jedenfalls konnte die Großstadt Nîmes jahrhundertelang mit täglich zwanzigtausend Kubikmetern frischen Quellwassers versorgt werden: Also rund vierhundert Liter je Einwohner.
Von dieser Seite noch stabil aussehend, aber die andere...siehe Film unten
Vor lauter Pont du Gard wird aber die kurz vor dem Zerfall stehende Römerbrücke an den Stadtgrenzen von Uzes und Blauzac vergessen. Anderswo wäre man froh ein solches Kleinod touristisch vermarkten zu können. Hier aber ist die verantwortliche Stadtverwaltung von Uzes offenbar froh, wenn die Brücke bei den Überschwemmungen der nächsten Jahre endgültig zerstört wird. Jacques Roux hat das im April 2015 in einem Artikel für den "Midi libre" aufgegriffen. Hier EIN FILMISCHER EINDRUCK von dem, was da im wahrsten Sinne des Wortes den Bach runtergeht. Les Seynes heißt das im Sommer harmlose Bächelchen, das sich aber mit den Regen des Spätherbstes in einen bis zu einhundert Meter breiten Strom entwickelt.


 

Samstag, 22. September 2018

Bouillabaisse in Marseille - Les Goudes


Eine Fischsuppe in Marseille. Einmal sollten Sie sich die Bouillabaisse, die überall zwischen 50 und 60 Euro kostet, gönnen. Dann sollte es aber auch eine sehr gute sein.
Bouillabaisse-Kochen für meine Dokumentarfilme
mit Nicolas Pinchinot und Antoine Chosson
 Für mich gibt es genau zwei Orte, an denen ich sie vorbehaltlos empfehlen kann: 1. Bei Didier Tani in der „Grand Bar des Goudes“ in Les Goudes bei Marseille (dazu das folgende einminütige VIDEO ) und 2. bei Christophe Perrier im "Saint Pierre" in Le-Grau-du-Roi. In beiden Restaurants habe ich den Köchen vom Anlanden der Fische über die stundenlange Zubereitung der Bouillon bis zum Einlegen der Edelfische über die Schulter geschaut und natürlich probiert.

Bouillabaisse bei Didier am Hafen von Les Goudes.
Authentischer kann die Umgebung nicht sein
Für beide Restaurants ist das filmisch auch ausführlich  dokumentiert. Sie können sich das das hier für Les Goudes und hier für Le-Grau-du-Roi ansehen; das dauert allerdings je 45 Minuten und umfasst viele weitere Themen.

Manche Restaurants um den Alten Hafen von Marseille weisen auf die Charta der Bouillabaisse hin; das heißt aber zunächst nicht mehr, als daß diese Charta auch draußen hängt. Oft können Sie reinfallen, wobei man es selbst erst merkt, wenn man den Vergleich hat, es also zu spät ist. Sehr gut ist sie im Restaurant „Miramar“, gleich zu Beginn des Quai du Port.


Ebenfalls sehr gut wird die Bouillabaisse in dem alten Traditionsrestaurant von Maurice Brun geköchelt; es befindet sich ziemlich genau gegenüber des „Miramar“ am Quai de Rive Neuve. Wenn Sie hier einen Tisch reservieren, sollten Sie das für die erste Etage tun, von wo Sie einen schönen Blick über den Hafen hinweg auf das Panier-Viertel haben. Nur die Sünden der ersten Häuserzeile, die nach der Sprengung der alten Gebäude durch die deutsche Wehrmacht dort erstellt wurden, sollten Sie übersehen. Wenigstens das Rathaus und ein paar weitere Gebäude wurden verschont..

Wenn Sie die Bouillabaisse in einer Umgebung suchen, in der sie zuhause ist, dann fahren Sie auf der Corniche immer weiter nach Osten, im Prinzip solange es geht und solange „Les Goudes“ auf den Wegweisern steht. Gönnen Sie sich das Vergnügen nicht direkt vor das Restaurant, die „Grand Bar des Goudes“, zu fahren, denn so etwas wie Parkplätze gibt es dort ohnehin nicht. Stattdessen fahren Sie ein paar hundert Meter bis in die Calanque von Callelongue, wo dann jede Straße aufhört, Sie aber vor der Ansammlung alter Fischerhütten leicht und so sicher parken, wie das in Marseille eben geht. So kommen Sie in den Genuß eines viertelstündigen Spaziergangs direkt an den Klippen entlang.


Wenn Sie aus dem Spaziergang eine Wanderung machen möchten, gehen Sie einfach nach Osten weiter und sind dann, wenn alles glatt geht und Sie genug zu trinken dabei haben, in fünf oder sechs Stunden in Cassis. Die Strecke führt entlang der schönsten Calanques. Vielleicht sehen Sie sich aber die Tour erst einmal vom Wasser an - HIER im VIDEO - und entscheiden dann, ob diese Strapaze das richtige für Sie ist.


Hier wartete die deutsche Wehrmacht auf die Landung der Alliierten im Mittelmeer. Heute teure Ferienhäuser.

Eine Besonderheit auf dem Weg nach Les Goudes sind die alten deutschen Bunkeranlagen aus dem zweiten Weltkrieg. Erst sollten sie gesprengt werden, was ziemlich mißlang - zu stabil gebaut. Dann kam die Stadt Marseille auf die Idee, sie zu verkaufen und löste einen regelrechten Run aus. Für wenig Geld konnte man in den siebziger Jahren einen Bunker kaufen, fensterlos zwar, aber immerhin mit einer bewohnbaren Grundfläche von 108 Quadratmetern und oft mit direktem Meerzugang oder unverbaubarer Sicht. Aus manchen wurden komfortable Ferienhäuser oder sie wurden, etwa zu einem Restaurant, umfunktioniert. Die Wände speichern die Wärme so gut, daß im Winter nicht geheizt werden muß. Verkauft werden Sie heute nicht mehr, nur vererbt.


In der Küche von Didier Tani in Les Goudes. Acht Sorten Fisch aber niemals eine Languste.
Das Bild rechts (und die beiden unten) stammt von Didiers Vater, einem Fischer, der seine Bouillabaisse immer am Strand kochte.
Auch Didier Tani, der Patron der „Grand Bar des Goudes“, - jetzt sind wir endlich da - hat sein Restaurant geerbt. Sein Vater hat sein ganzes Leben als Fischer gearbeitet und das Restaurant liegt direkt am Hafen über den Booten. Didier hat festgestellt, daß mit einer ehrlichen und hochqualitativen Bouillabaisse mehr Geld zu verdienen ist, als mit dem mühsamen Fang der Felsenfische für die Bouillon und dem der Edelfische für die Beilage. Ausschließlich mit Fischen, die noch aus dem Mittelmeer kommen und ohne jeden Firlefanz wird die Suppe hier gekocht.

Ursprünglich war es eine Suppe, die sich die Fischer morgens während der Rückkehr in den Hafen schnell selbst kochten und dazu natürlich vor allem die Fische nahmen, die sie erfahrungsgemäß später nicht mehr so gut verkaufen konnten. So wird auch schnell klar, daß die Languste sicher nicht hineingehört. „Das wird trotzdem ab und zu am Alten Hafen gemacht. Man bekommt von dem Geschmack einer Languste nichts mit, aber der Wirt nimmt zehn Euro mehr.“
  
An sich ein langgeübter Trick zur Umsatzsteigerung. In den fünfziger Jahren stellte der Schriftsteller Wolfgang Koeppen fest: Oft erwarte man in Marseille „nur den Strom geldausgebender Touristen, denen man die Bouillabaisse vorsetzt, in der ein einsames Langustenbein schamrot den Preis von 1000 Francs zu rechtfertigen versucht“.

Jeden Morgen liefern die Kollegen, die mit ihren Booten gegen zwei Uhr morgens rausfahren, ihren Fang bei Didier Tani ab. Das können ruhig ordentliche Mengen sein, denn bis zu einhundertmal kommt das Fischgericht täglich aus der Küche.

 
Erinnerungen an Didier Tani's Vater                    Bilder: Tani
Voller Stolz hat Didier zahlreiche Fotos seines Vaters im Restaurant aufgehängt. Sogar Thunfische und Wale hat dieser hier in der Nähe gefangen. Als sein Vater, zunächst an zwei Tagen in der Woche mit dem Restaurant anfing, gab es eine Besonderheit. Statt die Bouillabaisse zu salzen legte er kurz vor dem Servieren einen handgroßen Kieselstein in jeden Teller, über den hinweg die Suppe aufgetan wurde. Die Steine hatte der Vater entlang des Spülsaums gesammelt, wo sie mit einem Meersalzüberzug versehen worden waren. Das wäre heute nicht einmal mehr in Frankreich erlaubt; statt dessen wird mit Fleur de Sel aus der Camargue gesalzen. Didier erzählt solche Geschichten, als hätte er sie vorher bei Alphonse Daudet gelesen.

Noch mehr auf der Homepage des Restaurants: HIER der Link.

Samstag, 8. September 2018

Tarascon, Tartarin und die Hasenjagd und das Nr.1-Restaurant in Beaucaire

"Der Flinke" - dreidimensional
(siehe die Schatten der Ohren) in Tartarins Haus
An einem Sonntag muß Gustave Flaubert Tarascon besucht haben und fand keine Menschenseele vor; sie „gleicht einer Stadt, deren sämtliche Einwohner ausgewandert sind.“ Kein Wunder, denn Sonntag für Sonntag, so beschreibt das Alphonse Daudet in seinem "Tartarin", sonntags greife ganz Tarascon zu den Waffen, „verläßt, den Rucksack auf dem Rücken, die Stadt und begibt sich, das Gewehr auf den Schultern, mit kläffender Meute, Frettchen, Trompeten und Jagdhörnern ins Gelände. Das ist ein herrlicher Anblick - leider fehlt das Wild, es fehlt vollständig.“

Der letzte verbliebene Hase wurde mit dem Beinamen „Der Flinke“ geadelt und unter Naturschutz gestellt. Und dann, was machen diese Heerscharen von Jägern? „Lieber Gott, sie ziehen zwei oder drei Meilen aufs Land hinaus, bilden kleine Gruppen zu fünft oder sechst und strecken sich friedlich im Schatten eines Brunnens, einer alten Mauer oder eines Olivenbaums aus, ziehen aus ihren Jagdtaschen ein schönes Stück geschmortes Rindfleisch, rohe Zwiebeln, Würstchen und eine Büchse Anchovis hervor und beginnen endlos zu frühstücken. Dieses Frühstück begießen sie dann mit einem süffigen Rhônewein, der zum Lachen und Singen anregt.“

Tartarin, in afrikanischer Ausrüstung, auf Hasenjagd vor Tarascon. Postkarte von ca 1930.

Wenn dann dem Wein die Ehre getan ist, begibt man sich auf die Jagd. Und für Daudet und Tartarin heißt das: „Jeder der Herren packt seine Mütze, schleudert sie mit aller Kraft in die Luft und schießt nach ihr mit Fünfer-, Sechser- oder Zweierschrot. Wer die meisten Treffer in seiner Mütze erzielt, wird zum Jagdkönig ausgerufen und kehrt am Abend, die durchlöcherte Mütze auf dem Gewehr, im Triumph mit Hundegebell und Fanfarengeschmetter nach Tarascon zurück.“ Bei allem Schwindel hat der Schwindel aber seine Grenzen: „Es gibt sogar Hutmacher, die den Ungeschickten die Mützen schon durchschossen und zerfetzt verkaufen, aber man weiß nur vom Apotheker, daß er so etwas kauft. Das gilt als unehrenhaft.“

Wenn Sie jetzt drei Stunden, eine Minute und 56 Sekunden Zeit haben: HIER können Sie den kompletten Text hören.

Henry James besuchte Tarascon für gerade mal drei Stunden und „in erster Linie aus Liebe zu Alphonse Daudet“, der gerade eine Neuauflage seines Tartarin auf den Weg gebracht hatte. Ansonsten war er von der Stadt enttäuscht.

 
Sicher, da sei das Schloß, aber besonders auffallend sei eigentlich nur die „lebhafte Schläfrigkeit“ des Ortes, eine andauernde Sieste, bei der sich ein Septembernachmittag bis in den Oktober hinziehe.

Hauseingang von Tartarin
Am Maison de Tartarin fährt man leicht vorbei, weil es völlig untartaringemäß, da unauffällig, am Boulevard Itam liegt. Einzelne Räume, zum Beispiel das Kaminzimmer mit den vergifteten Pfeilen und der Garten, wurden entsprechend den Schilderungen Daudets angelegt.

Der Garten geht allerdings hinaus auf eine Umgebung, wo selbst hochgewachsene Palmen die schon von Wolfgang Koeppen beklagten Betonhäuser nicht verstecken. „Kalt, nüchtern, häßlich und unsagbar trostlos“ fand er Tarascon und befindet sich damit im Widerspruch zu Joseph Roth: „Eine helle, kleine, freundliche, gutmütige, ein bißchen kümmerliche Stadt, ein bißchen komische Stadt. Ihre angesehenen Bürger träumen noch heute von Löwenjagden.“


Zu Mittagessen einmal über die Brücke:
Nach Beaucaire zu Cécile
Wer auf den Spuren von Tartarin hungrig geworden ist, der fährt über die Brücke nach Beaucaire und geht zu "Cécile", deren Restaurant und Lebensmittelgeschäft an einem stillen Platz mit hohen Platanen gleich an der Stadtmauer (Place de la République) liegt.
Fast keine Auswahl, aber ein täglich frisches Menue und ordentlichen Wein zu einem Preis, der unterhalb dessen liegt, was Sie für ein Picknick ausgeben werden. Völlig unscheinbar, aber völlig zu recht von den Trip-Advisor-Bewertern als Nr.1  von sechsunddreißig Restaurants in Beaucaire eingestuft.

Samstag, 1. September 2018

Nîmes: Der Märchendichter und seine "dänische Provence"



Hans Christian Andersen im Jahr 1869.
Foto von Thora Hallager
Ähnlich wie der Pont du Gard wird auch Nîmes von fast all seinen schreibenden Besuchern enthusiastisch gesehen. So auch vom dänischen Märchendichter Hans Christian Andersen (1805-1875):

„Durch die Provence, die mir ganz dänisch aussah, erreichte ich Nîmes, wo die Größe des prächtigen römischen Theaters mich auf einmal nach Italien zurückversetzte. Das sogenannte Viereckige Haus steht noch in seiner ganzen Pracht, wie der Theseustempel bei Athen; Rom hat nichts so Wohlerhaltenes.“ 
 Der römische Süden brachte Andersen wenigstens zeitweise auf andere Gedanken. Ständig waren seine Ängste gegenwärtig, echte wie vermeintliche, die vor Hunden, vor dem Feuer und vor allem die, lebendig begraben zu werden. Das neun Meter lange Seil, das er in Hotelzimmern vorsorglich ans Fenster legte, kann im Museum in Kopenhagen besichtigt werden. „Ich bin nur scheintot“, soll er nicht nur auf Reisen immer einen Zettel auf den Nachttisch gelegt haben.



Eines hatte der Mann, den die meisten von uns nur als Märchendichter kennen, mit Thomas Mann gemein: Die ausdauernde Unbarmherzigkeit, mit der er Tagebuch führte und jede Alltäglichkeit für notierenswert hielt, was nicht so schlimm gewesen wäre, aber auch für veröffentlichungswert hielt. Obwohl es dazu natürlich auch eines Verlegers bedurfte. Mit der gleichen Hartnäckigkeit, mit der Mann das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Stechmücken notierte, schrieb Andersen mit bereits siebenundzwanzig Jahren eine erste Autobiographie, in der er seine ganzen eingebildeten Krankheiten und Unpäßlichkeiten auflistete.

Wenn man sich selbst nur ausreichend wichtig nähme, dann sei man auf dem Weg ein Kunstwerk zu werden, hatte Thomas Mann notiert. Diese These hätte Andersen blind unterschrieben.

 

Samstag, 25. August 2018

Von Anduze zur Moulin de Corbès

 
Markt immer donnerstags
Anduze lebt in der Vergangenheit, nicht von ihr. Eine Vergangenheit, die das Städtchen durch den einträglichen Tuch- und Seidenhandel glanzvoll und reich gemacht hatte. Einen kleinen Eindruck davon bekommt auf dem Place Couverte, dem teilweise überdachten Marktplatz, auf dem seit dem 17. Jahrhundert ein aufwändig gestalteter Ziehbrunnen mit bunten Dachziegeln steht. Am besten fahren Sie donnerstags, also am Markttag, hin. Der Markt wird auch noch von vielen Selbstvermarktern (Producteurs) beschickt; im Herbst finden Sie hier die frischesten Esskastanien und Steinpilze.
 
Die alte Mühle von Corbès im Gardontal.
Das Örtchen selbst, ein paar Häuser nur, liegt auf der Höhe. Der Weg dorthin lohnt sich.
In eine andere Welt tauchen Sie in, wenn Sie Anduze auf der rechten Gardonseite in Richtung Corbès verlassen. Nach sechs, sieben Kilometern geht es vor einer Linkskurve steil bergab. Unten fahren Sie auf einer etwas abenteuerlichen Brücke über den Gardon und können, wenn es nicht gerade ein hochsommerlicher Badetag ist, meist gleich rechts parken. Hinter sich sehen Sie dann die alte Papiermühle, die Moulin de Corbès mit dem immer noch funktionstüchtigen hölzernen Wasserrad. Wenn Sie ein paar Schritte dem Gardonlauf folgen - allerdings sollten Sie schon hinter das Stauwehr gehen -, finden Sie ruhige und idyllischste Plätze zum Baden und für ein Picknick.

Heute nutzlos, aber noch in Betrieb
Vorsorglich haben Sie sich ja auf dem Markt mit allem notwendigen eingedeckt: Baguette, Rosé (der im Fluß schön kühl bleibt), Tomaten, eine Wildschweinsalami, etwas Ziegenkäse. Zwei Gläser, bloß keine Plastikbecher!, und ein Laguiole-Messer (alles über das berühmte Messer hier), ganz wichtig eines mit Korkenzieher, haben Sie ja hoffentlich ohnehin immer im Auto. Wenn Sie zu den Männern gehören, die ihre Taschenmesser immer verlieren oder irgendwo liegenlassen, kaufen Sie sich gleich zwei oder drei im Zeitschriftenladen, da wo Sie dann in die Altstadt hochgehen.

Wenn Sie nur so, also ohne Picknick und Messer, unterwegs sind, bleibt die Empfehlung für das Restaurant "La Rocaille" direkt auf dem Marktplatz;hier ein 2-Minuten-VIDEO über den schnellsten Ober der Welt
. Ob es dann danach noch zu einer auch noch so kleinen Wanderung kommt, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Bleiben noch die bis zu Vasen zu erwähnen, die ein Töpfer namens Boisset im 16. Jahrhundert auf dem Markt in Beaucaire sah; allerdings gelang es ihm nicht, die Medici-Vase eins zu eins zu kopieren. So entstanden die Boisset-Vasen, die noch heute in Anduze hergestellt werden. Ludwig XIV. hat die Boisset-Originale, die immer wieder als Fälschungen angeboten werden, in zahlreichen Orangerien und Zitronengärten seiner Schlösser aufstellen lassen.

 
Wie Franck Becker aus Cardet, ganz in der Nähe von Anduze, wenn Sie Richtung Vézénobres fahren, seine Vasen herstellt, Stück für Stück auf der Töpferscheibe gedreht, und deshalb winterfest, LESEN UND SEHEN SIE IM VIDEO HIER .
 

Sonntag, 19. August 2018

Magali Nieradka: Exil unter Palmen


Das sind schon gute Voraussetzungen für dieses Buch: Nicht nur der provenzalische Vorname Magali, sondern vor allem die Tatsache, daß die Autorin jahrelang an der Côte d’Azur lebte und forschte und daß sie dort Gelegenheit fand, etwa mit dem Neffen Lion Feuchtwangers zu sprechen oder mit Camille Bondy, die mit ihrem Mann Walter fotografierend und malend zu den wichtigsten Zeugen der Geschichte der deutschen Literatur in Sanary-sur-Mer gehörte. Ludwig Marcuse machte aus dem unbedeutenden und daher für viele der Exilanten noch bezahlbaren Ort auch gleich die „Hauptstadt der deutschen Literatur. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man sich die Liste der Autoren und Maler auf der Gedenkplakette am Hafen ansieht.

Uferpromenade in den 1930er Jahren und die erweiterte Gedenktafel von 2011

Wenn man das Buch, ohne die Autorin zu kennen, in die Hand nimmt, könnten einem schon Bedenken kommen: Eine Verfasserin aus dem akademischen Lehrbetrieb, ein umfangreiches Register, eine

Auswahlbibliographie mit Primär- und Sekundärliteratur sowie knapp 150 Fußnoten…und trotzdem kann man es einfach so und mit Freude lesen. Bei aller inhaltlichen Substanz ein Buch, das Ihnen im Sommerurlaub an der Côte oder in der Provence so gefallen wird, daß Sie nun plötzlich nicht anders können als nach Sanary zu fahren, um dort den Spuren der Maler und Schriftsteller zu folgen, die sich vor allem in den 1930er Jahren hier aufgehalten haben.

Wer konnte, der floh, vor allem in die Vereinigten Staaten, viele mit Hilfe des Teams von Varian Fry, der rund zweitausend Menschen vor der Inhaftierung durch die französische Polizei oder die Gestapo bewahrte. Vor allem in Los Angeles haben sich „die üblichen Verdächtigen“ – von Lion Feuchtwanger über die Manns bis zu Bert Brecht – dann wieder getroffen. Für Feuchtwanger Anlaß genug, dort ein „gigantisches Sanary“ zu sehen.

Wenig bekannt aus Sanary ist die Geschichte des deutschen Soldaten Oswald Hartmann. Obwohl Sanary durch die Nähe zu Toulon in dem von den deutschen Besatzungstruppen erwarteten Landungsgebiet der Alliierten lag, blieb die Stadt weitgehend unzerstört. Zu verdanken hatte sie das Oswald Hartmann, einem Leutnant der Wehrmacht, der im Januar 1944 von der russischen Front ans Mittelmeer verlegt wurde. Hier organisierte er die Verminung von Hafen und Altstadt. Als die Sprengung angeordnet wurde, hat er dann die Verbindung zwischen dem Sprengzünder und den Minen durchtrennt. Hartmann blieb sogar nach dem Krieg in Sanary und half als Leiter eines zivilen Räumkommandos über zwei Jahre hinweg den engen Teppich von über 90.000 Minen wieder zu entfernen.


Nieradka-Steiner mit ihren
Kollegen Azuélos und Wallace im
Galli Theater in Sanary
Das erinnert an einen anderen Befehlsverweigerer, Dietrich von Choltitz, der als Stadtkommandant von Paris die Zerstörung vereitelte. "Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen", so lautete der letzte Satz des Führerbefehls vom 23. August 1944, exakt dem Tag der Befreiung Sanarys. Die dreihundert deutschen Soldaten, die sich an diesem Tag noch in der Stadt befanden, ergaben sich. Dreißig Jahre später, da gab es längst eine Städtepartnerschaft mit Bad Säckingen wurde Hartmann „als erster Mann der Versöhnung“, wie Bürgermeister Bernhard es formulierte, mit der Ehrenmedaille der Stadt geehrt.

Magali Nieradka-Steiner: Exil unter Palmen. Theiss/WBG, Darmstadt 2018.

 

Samstag, 4. August 2018

Sète: Hai-Angriff im Hafen

Delphine und Haie waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Mittelmeer so zahlreich, daß sie sogar in den größeren Häfen, zum Beispiel in Sète, zu beobachten waren. Johanna Schopenhauer (1766-1838) - die Goethe-Vertraute

Blick vom Friedhof (mit dem Grab von Paul Valéry) auf den Hafen von Séte. Johanna und Adele Schopenhauer auf einem Gemälde von Caroline Bardua
und Mutter des Philosophen Arthur - war während Ihrer Reise durch Südfrankreich sogar von einem Haiangriff erzählt worden.

„Vor mehreren Jahren badete ein englischer Matrose in dem stillen, klaren Wasser, da gewahrten seine Kameraden wie ein großer Hai dicht unter ihm dahergeschwommen kam. Sie warfen ihm ein Seil zu. Schon war der Unglückliche über das Wasser gehoben, da sprang das Ungeheuer hoch aus der Flut, schnappte nach ihm und die Rettung des Lebens war mit dem Verlust eines Beines erkauft.“
Das Mittelmeer gehört auch heute noch zu den allerdings seltenen Jagdrevieren des Weißen Hai, wie sich auf den Karten von „Shark Protect“ ersehen läßt. Zwischen dem Besuch Johanna Schopenhauers im Jahr 1804 und heute hat es
„siebenunddreißig verbriefte Weißhai-Angriffe auf Menschen gegeben, wovon siebzehn tödlich endeten“.
Der letzte dokumentierte Angriff stammt aus dem Jahr 1984.


Weiße Haie: Kaum einmal im Mittemeer  Bild: B. Inalglory, WikiComm
Heute werden noch knapp fünfzig Haiarten im Mittelmeer gezählt, davon rund ein Drittel mit Längen über drei Meter und so auch für Badende gefährlich. Da mag man die statistische Wahrscheinlichkeit als sehr gering errechnen. Aber fragen Sie doch mal den englischen Matrosen.