Sonntag, 20. November 2016

Sanary: Franz Werfel im Sarazenenturm


Sanary um 1930: Hauptstadt der Exilliteraten
Franz Werfel gehörte zu denen, die längere Zeit - bei ihm waren es fast zwei Jahre - in Sanary verbrachten. Er hatte das Glück, daß er beim deutschen Einmarsch in Österreich sich gerade auf Reisen befand, wie Thomas Mann, und wie dieser nicht mehr zurückkehrte. Und wenn es bei Thomas Mann seine Frau Katia war, die sich um so nebensächliche Dinge kümmerte, wo man denn wohnen sollte oder ob es genug zu essen gab, war es bei Werfel seine Frau Alma, die auch in Sanary Quartier machte. Sie mietete oberhalb des Hafens ein Gebäude, das im Ort nur „Le moulin gris“ genannt wurde. Für Alma
Le moulin gris in aktueller Ansicht und mit den 12 Fenstern der 1930er Jahre. C Alina
Mahler-Werfel war es „ein alter Wachturm, den sich ein Maler sehr kultiviert, aber sehr unbequem eingerichtet hatte“. Oben im Turm gab
Franz Werfel. Zeichnung
von Erich Büttner
es ein Zimmer über die gesamte Fläche des Hauses, von dem aus man durch zwölf Fenster einen beeindruckenden Rundblick über den Ort, den Hafen und die Berge hatte. Gleich nach dem Krieg zog der französische Filmemacher und Meeresforscher Jacques Cousteau im Turm ein.

Als der Literaturhistoriker Wilhelm Herzog ihn dort oben „im Sarazenenturm“ besuchte, überreichte Werfel ihm sein druckfrisches Buch „Gedichte aus dreißig Jahren“ mit einer Anspielung an „alte gemeinsame Kampfzeiten. Franz Werfel in der VII. Woche des zweiten Krieges unseres Lebens.“ Alma Mahler-Werfel zauberte ein kleines

Diner, das „sie mit sachkundiger Liebe herzustellen wußte“. Herzog glaubte, sie „wolle die Bitterkeit dieser Tage durchbrechen mit kleinen materiellen Genüssen, an denen Franz Werfel eine besondere Freude zu haben schien“.

An diesem Abend diskutierten die beiden einen Festakt zu Ehren von Emile Zolas einhundertstem Geburtstag. Dies sollte ein konzertierter Auftritt der deutschsprachigen Exilliteratur werden. Wie so viele dieser Projekte verlief es im Sande, was aber auch vielleicht ganz gut war. Denn besonders hoch angesehen waren die Exilautoren nicht, galten in weiten Kreisen der Bevölkerung als Nazi-Spione und wurden ständig beobachtet und kontrolliert. Als Werfel eines nachts, Verdunkelung war angeordnet, in seiner Turmstube mit der Taschenlampe nach einem Manuskript suchte, war wenig später die Polizei da. Warum er den Deutschen Lichtsignale gebe?
Alma und Franz Werfel im Galli-Theater in Sanary
In seinem Buch „Jakobowsky und der Oberst“ hat Werfel die Wirrnisse der Flucht von Sanary über Paris, Lourdes und Marseille nachgezeichnet. Werfel und Herzog trafen sich fast täglich und „alle unsere Gespräche drehten sich um den Krieg und seine mutmaßliche Dauer“. Alma Mahler-Werfel beteiligte sich impulsiv, heftig und, wie Herzog mal sagte, „immer liebenswürdig“ an diesen Diskussionen. Ganz ehrlich war sie allerdings nur ihrem Tagebuch gegenüber. „Ich lebe hier momentan in einem jüdisch-kommunistischen Klüngel, zu dem ich nicht gehöre. Manchmal reißt mir die Geduld und ich sage laut meine Wahrheit.“