Samstag, 13. Juni 2020

Coles angeblicher Provence-Krimi

Manchmal muß man sich durchquälen. Zum Beispiel durch die mörderischen Machenschaften von Anthony Coles, wo die Geschichte frühestens nach der Hälfte der 363 Seiten etwas Fahrt aufnimmt. Vorher schreibt er einige Dinge über sein Unternehmensberaterleben und wie man mit den immer gleichen Strategie- und Marketing-Plattitüden seinen Kunden den Eindruck vermitteln könne, etwas Neues zu erfahren. Auch sein Privatermittler Peter Smith scheint einige Grundkenntnisse in Betriebswirtschaft zu besitzen und hat zudem das Buch „IT-Verschlüsselungstechnik für Dummies“ gelesen.

In Ulm und Peking könnten die Server stehen, die in diesem Buch gehackt werden.

Ein „Provence-Krimi“ soll es sein. Lokalkolorit allerdings: Fehlanzeige. Auch wenn er aus der eingesessenen Familie Aubanel die Familie Aubernet macht. Auch wenn von der Camargue und einigen Wegen durch Arles, die sich auf die Aufzählung von Straßennamen beschränkt, die Rede ist. Die Beschreibung der Alpilles jedenfalls ist so formuliert, wie es Herr Wikipedia auch machen würde, wenn er einen Roman schreiben sollte und sich nur bei sich selbst informieren dürfte. Dieses Buch könnte auch in Ulm oder Peking spielen - wo Smith die Server vermutet, auf denen sein Gegenspieler seine schmutzigen Geheimnisse versteckt.

Coles scheint im übrigen eher ein Befürworter des Brexit zu sein, weil er von den Abertausenden von Akteuren und Institutionen spricht, die die EU-Millionen auf illegale Weise für sich abzwacken (S. 195). Und politisch ganz links steht er auch nicht, sonst würde er vielleicht nicht von der Zigeuner-Mafia der Camargue sprechen. Und nicht einmal seinem Landsmann Peter Mayle kann er in einem


unpassenden Seitenhieb etwas abgewinnen. Dabei hätte Coles in „Toujours Provence“ wunderbar nachlesen können, wie man den Midi seinen Lesern näherbringt. Jedenfalls nicht mit einer Soße, die Smith vorrangig aus Hartwurst kocht. Damit bestätigt er allenfalls die Einschätzung von Mayle, daß nämlich die Engländer ihre Tiere zweimal töten, einmal beim Schlachten und danach zusätzlich beim Kochen.


Paul Bransoms Illustration
zum "Wind in den Weiden"
„Wenn James Bond im Ruhestand wäre, wäre er wie Peter Smith“ -das hat sich ein Werbetexter einfallen lassen, der entweder noch nie einen Roman von Ian Fleming oder einen aus der Arles-Serie von Anthony Coles gelesen hat. Der Übersetzer Michael Windgassen dürfte seine Schwierigkeiten gehabt haben, das, was für Cole scheinbar britischer Humor ist, ins Deutsche zu übertragen, vor allem wenn das, auch für die Leser, ordentliche Kenntnisse englischen Kinderliteratur voraussetzt. Kenneth Grahames vor über hundert Jahren geschriebener „Wind in the Willows“ wird ja sicher jedem geläufig sein. Dann versteht man auch, was Coles mit dem folgenden Satz auf Seite 160 meint: „Plötzlich überkam ihn einer jener „Wind in den Weiden“-Momente, und wie den Maulwurf aus dem Kinderbuch zog es ihn hinaus, auch wenn er auf den beschwichtigenden Einfluss einer lebenstüchtigen Wasserratte würde verzichten müssen.“ Tatsächlich wollte er nur mit seinem Hund Gassi gehen.

Ganz gegen Ende wird das Buch etwas besser – vor allem, weil es dann zu Ende ist. Diese Bemerkung ziehe ich eventuell als zu gehässig zurück.

Kaufen Sie sich lieber eines der Bücher von Liliane Fontaine, übrigens auch bei Piper erschienen – dann haben sie Südfrankreich und Krimi und Lesefreude pur!

Anthony Coles: Ein Gentleman in Arles: Mörderische Machenschaften. Piper. 10 €

Donnerstag, 11. Juni 2020

Magali's Glücksorte an der Côte d’Azur


Kommunikation und Information comme il faut

Sie wissen nicht, was Ihnen alles entgeht, wenn Sie ohne dieses Buch an die Côte d’Azur fahren. Man merkt: Hier schreibt jemand, die sich auskennt, die dort lange gelebt hat und die Sie nicht einfach an jenen Orten „absetzt“, über die Sie sowieso schon alles in jedem normalen Reiseführer gelesen haben. Wie wichtig solche Informationen aus erster Hand sind, merke ich, als ich Covid-19-bedingt im Midi festhänge und einen Spaziergang zur Anzeigetafel vor der Mairie unseres Dorfes mache. Im Februar ging ein Hund** verloren…aber das war es auch schon. Mit diesem Buch können Sie eine informative Augenreise an die Côte machen, auch wenn Sie in diesem Jahr garnicht hinfahren*.

Natürlich führt dieses sehr persönliche Buch dazu, daß nicht jeder der Glücksorte der Magali Nieradka-Steiner tatsächlich auch für jeden anderen Leser ein Glücksort sein muß. Zum Beispiel das

„Bonheur des Cocottes“ in der Rue Lascaris in Nizza, in dem frau sich mit Bändern, Schleifen und vor allem Hüten, Hüten und Hüten glücklich fühlen kann. Immerhin gibt es dort für das andere Geschlecht Hosenträger in allen Farben und aus vielen Materialien. Zudem können die Männer ihre Phantasie spielen lassen, in diesem kleinen Raum, der dem Boudoir einer eleganten Halbweltdame des 19. Jahrhunderts nachempfunden ist. Natürlich heißt ein solcher Ort heute anders: Das sei ein Retro-Concept-Store, habe ich mir von meiner Madame sagen lassen. Und die Franzosen nennen es einfach einen "Love-Spot" und sehen


darüber hinweg, daß sie normalerweise garnicht der besonderen Freunde der Anglizismen sind.

Beantworten Sie einfach einmal ein paar der folgenden Fragen. Wenn Ihnen das auch nur zur Hälfte gelänge, brauchen Sie das Buch nicht zu kaufen – ansonsten ist es unverzichtbar. Also: Was hat es mit der „Vier-Uhr-Welle“ in Nizza auf sich? Wo hat der Japaner Jasuo Beppo seine Oase der Stille an einem sonst eher dröhnend lauten Ort gestaltet? Wo können Sie in einem Gehege mitten unter Wölfen übernachten? Wo können Sie sich Filmausschnitte mit Roberto de Niro, van Damme und James Bond an den Hauswänden der Drehorte ansehen? Wo können Sie mit der regulären Straßenbahn eine nächtliche Fahrt durch ein durch ein Freilichtmuseum machen? Wo haben sich Renoir, Matisse, Monet und Picasso getroffen? Wieviele richtige Antworten geben Sie mir? Eine oder doch zwei?

Anflug auf Nizza in den Landesfarben.
Über die weißen Alpen, die roten Esterel-Felsen und das blaue Mittelmeer.
Kann trotz "Flugscham" auch ein Glücksort sein
 
Da sehen Sie‘s! Also auf in die Buchhandlung. Nicht nur 80 Fragen, zu jedem Glücksort eine, könnte ich Ihnen stellen, sondern sogar 111, aber dann wäre der Droste Verlag in Köln und nicht in Düsseldorf.
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 * Mit dem vielen gesparten Geld können Sie sich dann leicht zwei weitere Bücher leisten: Nieradka-Steiner's lesenswerte Darstellungen über Thomas Mann (Exil unter Palmen) und Franz Hessel (Der Meister der leisen Töne).
 ** Der Hund ist übrigens wieder da.

Magali Nieradka-Steiner: Glücksorte an der Côte d’Azur. 168 Seiten. Droste Verlag 15 €