Freitag, 29. Mai 2020

Vauvenargues: Moralisches aus Picassos Schloß


Vauvenargues von Charles Amadée Colin (19. Jh.)
Luc de Clapiers, der Marquis von Vauvenargues, kam erst spät zu Philosophie und Literatur und hatte nur wenig Zeit seine Moralphilosophie zu zu denken und aufzuschreiben. Mit knapp dreißig Jahren mußte er den Dienst in der Armee quittieren; ihm waren im Polnischen Erbfolgekrieg die Beine erfroren. Und vier Jahre später (1747) war es bereits tot.

Clapiers sagt man den Ausspruch nach, er habe sich erst nach dem Verlust der Beine auf die wesentlichen Dinge konzentrieren können. Und das waren neben der

„Einführung in die Erkenntnisse des menschlichen Geistes“
vor allem die „Maximes“.

Voltaire hat sie sehr geschätzt und daraus Inspiration für manches seiner Bonmots gezogen - um den Begriff Plagiat zu vermeiden. Diese Aphorismensammlung schrieb Clapiers in Vauvenargues, einem Schlößchen ein paar Kilometer außerhalb von Aix, das später Pablo Picasso gekauft hat. Mit dem Gebäude hat Picasso ein riesiges, rund eintausend Hektar großes Gelände erworben, das sich zum Montagne Sainte Victoire hinaufzieht. Der neue Eigentümer habe den Berg Cézannes dann „picassofiziert“, wie eine angesehene französische Zeitung dann nach oberflächlicher Recherche schrieb.


Es bleibt Cézannes Berg. Der Sainte Victoire läßt sich nicht einmal "picassofizieren".Bild D. Fehringer
Zum Beispiel hätte man einfach mal fragen sollen, wie viele Bilder des Berges Picasso denn gemalt habe? Wie immer ließ sich Picasso auch hier von seinen Frauen, Häusern und Landschaften inspirieren: Hier malte er in einem Jahr weit über hundert Bilder von Jacqueline Roque. Eines davon, es heißt „Weiblicher Akt unter Pinie“, zeigt den Berg in einem verschmelzenden Übergang zu Jaquelines Hand, die die steile Westflanke bildet. Aber nie hat er den heiligen Berg alleine gemalt. Wenn Picasso von Cézanne sprach, hieß es immer respektvoll „Monsieur Cézanne“. Und dieser Respekt kam auch darin zum Ausdruck, daß Picasso bei den drei Ansichten des Dorfes Vauvenargues, die er in jener Zeit malte, Cézannes Berg den Rücken zudrehte.
Für Picasso eine Sekundenentscheidung, das Schloß zu kaufen.      Bild CCI Marseille 1957
Das Schloß zu kaufen war für Picasso Liebe auf den ersten Blick. Nur von 1959 bis 1961 hat Picasso in Vauvenargues gelebt - aber seit 1973 liegt er in Vauvenargues begraben. Sechs Tage dauerte es, bis die Grabstelle aus dem harten Fels herausgehauen war. Hier hatte er damals wie jetzt die Ruhe gefunden, die er an der Riviera vermisst hatte, malte nächtelang am offenen Fenster und zum Gesang der Nachtigallen.

Wenn Sie je die Chance haben, das Schloß zu besuchen: Tun Sie es. Fünfzig Jahre nach dem Einzug Picassos, hat Catherine Hutin, Jacquelines Tochter aus erster Ehe, es erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das war, als das Musée Granet in Aix im Jahr 2009 über einhundert Bilder von Cézanne und Picasso ausstellte. Und wenn Sie ganz viel Glück haben, können Sie sogar die Super-8-Filme sehen, die Jacqueline mit und über Picasso gedreht hat.


Zahlreiche Bilder aus dem karg eingerichteten Schloß hat Picassos Freund David Douglas Duncan gemacht. Während des Korea-Krieges war er Kriegsberichterstatter für das US-Magazin "LIFE".