Sonntag, 25. Dezember 2016

Kurt Tucholsky: Der aufgehörte Deutsche

Kurt Tucholsky hat nach 1924 viel Zeit in Frankreich verbracht, bevor er sein endgültiges Exil in Schweden fand. Man kann ihn aber
nicht den besonders engagierten Exilliteraten zurechnen. Zu früh hat ihn seine spitze Feder verlassen. "Worte sind Waffen" hatte er einmal formuliert, das aber dann vergessen wollen.

Dennoch blieb Deutschland die Heimat, um die er sich sorgte. Schon früh und immer wieder warnte er vor Hitler. Erich Kästner formulierte das so:

„Er wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten.“
Pyrenäental bei Rialp
Über den Südwesten Frankreichs hat Tucholsky „Ein Pyrenäenbuch“ geschrieben – auch heute noch lesenswert als Reisenachbereitung.

"Der erste Eindruck der Dörfer und der ganz kleinen Städte in den Pyrenäen ist: tot. Das macht, die Leute halten die Fenster mit Holzläden geschlossen, die mitunter aus zwei groben Planken bestehen, der Fliegen wegen, des Lichts wegen, damit die Luft auf den Plätzen frisch bleibt ... ich weiß nicht...

Unter den abendlichen Bäumen warte ich das Menü ab. Ich weiß schon, was da aus den offenen Fenstern herausschmurgelt: eine Suppe mit welchem Brot, ein Scheibchen Wurst als hors und ein Scheibchen Sardelle als d'oeuvres, gebratene Fische, Rindfleisch, Huhn, meist beides nacheinander; wenn man dann dem Ersticken nahe ist, eine kräftige Schüssel Gemüse, und ein bißchen Käschen, Obstchen, Nachspeischen und Kaffeechen. Dazu, wenns schief geht, rauchende Salpetersäure; sonst einen angenehmen Landwein."


Tucholskys französischer Presseausweis, 1928.     c DLA
1925 besuchte er Aix-en-Provence. Mitten im Winter erlebte er den Frühling und schrieb seine Zeitungskolumnen in der Farbsprache van Goghs. 



„Die meisten Bäume waren kahl, aber mit einem hellen grünlichen Schimmer um die Spitzen. Der Himmel war weißlichblau, es spritzte nur so vor Licht.“
Damals konnte Tucholsky noch kämpferisch, kritisch und ironisch sein. Ein paar Jahre später bezeichnete er sich in Briefen, unter anderem an seinen Freund Walter Hasenclever, als
„aufgehörten Deutschen und aufgehörten Dichter“.

Tucholsky (li) und Hasenclever. Beide begingen Selbstmord.                 c DLA

Hasenclever gehörte mit zu den zahlreichen deutschen Exilanten, die als unerwünschte Ausländer ins Sammellager Les Milles in der Nähe von Aix-en-Provence gebracht worden waren.

An Carl von Ossietzky schrieb Tucholsky reichlich deprimiert, daß er gerade ihm ja kaum sagen müsse, „daß unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat. Und daher werde ich erst einmal das Maul halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.“ Auch den zahlreichen Bitten, sich doch wenigstens in den Publikationen der Exilpresse zu beteiligen und hier Flagge zu zeigen, kam er nicht nach.

Gegenüber Mary Gerold glaubte er fast sich rechtfertigen zu müssen.
"Ich habe über das, was da geschehen ist, nicht eine Zeile veröffentlicht - auf alle Bitten hin nicht. Es geht mich nichts mehr an. Es ist nicht Feigheit - was dazu schon gehört, in diesen Käseblättern zu schreiben. Aber ich bin au dessus de la mêlée, es geht mich nichts mehr an. Ich bin damit fertig.“


Viel mehr über "Tucho" im  DLA in Marbach, aus dem auch die Bilder dieses Beitrags stammen.