Samstag, 8. Oktober 2016

Klaus Mann besucht André Gide: Homosexualität nicht thematisiert

Als noch sehr junger Mensch, er war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, hat Klaus, der Sohn von Thomas Mann, die Bekanntschaft des damals schon berühmten André Gide machen können.

André Gide (Bild von Bourdil, Tunis 1934) und Klaus Mann (US-Army-Foto Italien 1944)
Ausgestattet war er mit einem Empfehlungsschreiben und guten Ratschlägen des Heidelberger Romanisten Ernst Robert Curtius: „Sie müssen etwas diplomatisch mit ihm sein, besonders zu Anfang. Vor allem fragen Sie ihn nicht nach seinen literarischen Plänen. Das ist so eine seiner Eigentümlichkeiten: Er schreibt immer nur über sich selbst und spricht nur über andere. Sowie von seinen eigenen Arbeiten die Rede ist, wird er wortkarg und verlegen.“

Eine Empfehlung bekam Klaus Mann von Curtius noch mit auf den Weg: „Und daß Sie mir nicht auf all den blöden Literatenklatsch hereinfallen, der in Paris über Gide im Umlauf ist! Wenn so eine Kaffeehausgröße daherkommt und Ihnen erzählen will, mein Freund Gide sei ein wahrer Teufel in Menschengestalt, voller Tücken und Laster - dann lachen Sie dem Kerl einfach ins Gesicht!“


Gide war eine imponierende Erscheinung. „Das Gesicht ist ausdrucksvoll und sensitiv, mit einer hohen, edel gebildeten Stirn, schmalen asketischen Lippen und seltsam mongolisch geschnittenen Augen, die unter dunkelbuschigen Brauen aufmerksam, oft beinah listig blicken“, beschreibt ihn Klaus Mann.
Kirche Saint Etienne, links das Geburtshaus von Charles Gide

In Uzès stößt man an vielen Orten auf den Namen Gide. Das Geburtshaus seines Onkels Charles steht gleich gegenüber der Ende des 20. Jahrhunderts dezent und stilgerecht renovierten Kirche Saint Etienne. Am 28. Juni 1847 wurde Charles Gide geboren; exakt einhundert Jahre später erhielt sein Neffe den Nobelpreis.

 Charles Gide

 Das Haus von Charles Gide ist ein guter Ausgangspunkt, um in die Stadt einzutauchen. Der Der Poet, Schriftsteller und Kunsthistoriker Walter Aue, der ein paar Jahre in einem Dorf nebenan wohnte, beschreibt Uzès als gewachsene Provinzstadt, in der noch, außer am Samstag, die Bewohner den Ton angeben, ein „Ort, um innezuhalten“. Umgeben von einem „literarischen Platanenkreis, der in Herzform das Innerste von Uzès umschließt“. Die Platanen, die der geschleiften Stadtbefestigung folgen, sind im Sommer ein „schattendurchtränktes, grünes Gewölbe, in dem man die Zeit vertrödelt. In Läden einkaufen geht oder einfach die Zeitung liest und seinen Pastis trinkt. Ein Idyll, das nicht trügt. Eine Atmosphäre für Neuankömmlinge, die eine solche Poetologie der Langeweile zu schätzen wissen.“ 
Der Platanenkreis um Uzès
Gides Homosexualität wurde nur selten thematisiert, wie Stefan Schmid in der „Untersuchung seiner Männlichkeit anhand von Stirb und Werde“ festgestellt hat. Der Bekanntschaft mit Oscar Wilde verdankte er es, daß er sich schließlich traute, seine Neigung etwas offener auszuleben. Als er Wilde in Paris kennenlernte, war ihm das zunächst peinlich. Zufällig wohnten beide im gleichen Hotel. An einer großen Tafel neben der Rezeption waren die Gästenamen verzeichnet. „Mechanisch begann ich sie zu lesen. Ich selbst bildete den Anfang der Liste. Dann eine Anzahl mir unbekannter Namen. Und plötzlich tat mein Herz einen Sprung: die beiden letzten Namen waren die von Oscar Wilde und Lord Alfred Douglas. In einem ersten Impuls nahm ich einen Schwamm und wischte meinen Namen weg. Dann bezahlte ich meine Rechnung und machte mich zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof.“

Kaum dort angelangt, machte er jedoch kehrt und schrieb sich wieder im Hotel ein. „Eine Depressionskrise“, analysierte er, während der er sich selbst zuwider war. Dann schleiche „ich wie ein kranker Hund die Mauern entlang und suche mich zu verstecken“. Gide beschreibt das Getratsche der Pariser literarischen Kreise um Wilde. „Es ist erstaunlich, wie schwer es den meisten Franzosen fällt, Gefühle, die sie nicht teilen, für aufrichtig zu halten.“