Freitag, 20. Dezember 2019

Les Baux: Die Steinbrüche des Lichts

So ungefähr sah das hier 1959 bei Cocteaus Dreharbeiten aus
Die ersten, die in den unterirdischen Kathedralen von Les Baux ihrem staubigen und gefährlichen Handwerk nachgingen, waren die Arbeiter dieser Steinbrüche, die vom 13. bis 19 Jahrhundert das Material für die Festung und die Häuser aus dem Fels hauten und sägten. Dann war es nicht mehr wirtschaftlich den Stein in diesem Val d’Enfer, dem Höllental, abzubauen. Und jedermann konnte diese bis elf Meter hohen Hallen mit ihre glatten Wänden aufsuchen und sich im Schein der hoffentlich mitgeführten Taschenlampe in die Zeit der Steinhauer zurückversetzen lassen. 1969 war ich zum erstenmal dort und habe Schritt für Schritt den Rückgang der Temperatur gespürt, von dreißig auf zwanzig und tief im Inneren später auf vielleicht zehn Grad.

Die meisten von denen, die sich heute in die securitykontrollierte Schlange am Eingang stellen, haben in den Prospekten oder im Internet gelesen, daß es sich empfiehlt eine Jacke mitzunehmen. 500.000 Besucher sehen sich die beeindruckenden Installationen und Lichtschauen über Klimt, Van Gogh und Gauguin sowie zuletzt Chagall inzwischen jährlich an.
Bei meinen beiden Besuchen im Sommer 69 war ich jeweils allein dort. Und hatte keine Ahnung davon, daß zehn Jahre zuvor Jean Cocteau hier einige Passagen seines Films "Le Testament d'Orphée" gedreht hatte. Mit Charles Aznavour, Brigitte Bardot, Yul Brynner und Pablo Picasso, um nur einige seiner Darsteller zu nennen. Demjenigen, der Cocteau diese Location vorgeschlagen hat, gebührt noch heute ein Oscar; leider habe ich nicht einmal auf der dafür spezialisierten Homepage ermitteln können, wer das war.

Wie dann Jahre später der Journalist Albert Plécy auf die Idee kam hier die Kunst alter Meister zu zeigen und wie das (siehe oben die Besucherzahlen) zu einem langwierigen Prozeß führte, erzählt Cay Rademacher in seinem Brief aus der Provence vom 29. Februar 2016. Und wo Sie schon dabei sind, lesen Sie auch noch gleich den vom 17. Mai, in dem Capitaine Roger Blanc einen neuen „brennenden“ Fall löst. Natürlich finden Sie in seinem Blog nicht die Auflösung dieses Falles. Wäre ja auch dumm. Also das Buch kaufen.
 


 
Vierzig Minuten dauert die beeindruckende Chagall-Show, die von über einhundert Beamern an die Wände geworfen wird, Kirchenfenster, die Bilder der toten Seelen und die Mosaiken beeindrucken, aber natürlich dürfen die posterbekannten, fliegenden und liegenden Liebenden nicht fehlen. Hier ein erster filmischer Eindruck . Das ganze unterlegt mit einfühlsam ausgewählter klassischer Musik.

Samstag, 14. Dezember 2019

Cevennen: Mann ist Esel und Esel ist selber schuld

Angane vom Mas Nouguier

"Sobald eine Frau aus einem Mann einen Esel gemacht hat, redet sie ihm ein, er sei ein Löwe",
formulierte Honoré de Balzac ohne je mit einer Frau und einem Esel eine Reise durch die Cevennen gemacht zu haben.
Stevensons Weg von Le Monastier bis Saint-Jean-du-Gard ist inzwischen gerade in den Frühjahrs- und Herbstmonaten alles andere als einsam. Die Strategen des touristischen Marketings haben seine Idee perfektioniert. Mehr als zehn Eselsverleihe gibt es inzwischen entlang der Strecke und die exakte Strecke kann nachgegangen werden. Wenn da nur nicht die geschliffene Prospektsprache wäre, bei die sich viele französische Tourismus-Mitarbeiter offensichtlich von Übersetzungsprogrammen beraten lassen.

Der hohe Stellenwert der geistreich-eleganten Formulierungen findet in Frankreich überall da seine Grenze, wo diese Sprache nicht mehr die Französische ist. Manchmal kann der Eindruck entstehen, die fehlerüberfrachteten Prospekte der Tourismuswerbung seien absichtlich so schlecht gemacht. Ob aus Überheblichkeit oder um damit die Eleganz im Umgang mit dem Französischen noch stärker zu unterstreichen? Mag sein. Ein Beispiel:


„Erster Esel oder erste Woche 200 Euro. Sie könne auch ihrigen Mann mit tragen. Wenn Esel verstaucht oder Mann verletzt, Rückfahrt ist 1,50 Euro für Kilometer, sei es Esel ist selber Schuld.“ 

Egal ob jetzt die Frau den Mann tragen soll und egal auch welcher Esel das Gepäck trägt. Aufpassen müssen Sie offensichtlich nur , daß sich ihr Esel nicht verletzt und sie einen einigermaßen trittsicheren Mann haben - oder umgekehrt.


Das nebenstehende Bild stammt übrigens vom Autorenmagazin MAGDA; dort steht das Bemühen um saubere Recherche, gute Texte und einen verantwortungsvollen Umgang mit den beschriebenen Wirklichkeiten im Vordergrund.

Wenn Sie sich den obigen Prospekttext von Google ins französische rückübersetzen lassen, gewinnt er auch nicht unbedingt:

"Premier âne ou première semaine 200 Euro. Vous pouvez également transporter avec leur homme. Si ânes entorse ou le retour de l'homme blessé est de 1,50 euros pour les kilomètres, il est le cul est votre faute ".
Sollte sich Ihr Mann tatsächlich verletzen, bliebe ihm noch die Möglichkeit sich den Coupe Stevenson anzusehen, ein Fußballturnier, zu dem immer auch eigens eine schottische Mannschaft nach Châteauneuf-de-Randon reist. Termine finden Sie hier.

Samstag, 7. Dezember 2019

Cassoulet: Nur echt aus Castelnaudary

Worüber können Franzosen sich am besten echauffieren: Ganz klar über Essen und Wein – wie das Beispiel Cassoulet beweist. Wie bei jedem ursprünglich preiswerten Resteessen, von der Fischsuppe über die Pizza bis zu Paella, sind die Rezepte unterschiedlich, weil natürlich überall unterschiedliche Dinge von den Vortagen übrig geblieben sind.

Beim Cassoulet kommt es zum Streit zwischen drei Städten, einer, wo es tatsächlich herstammt, nämlich Castelnaudary, und zwei Städten, die es irgendwann mal unter Gesichtspunkten des Tourismus-Marketing für sich in Anspruch genommen haben, nämlich Toulouse und Carcassonne. Ganz salomonisch schlichtete der berühmte

Carcassone hat zwar das beeindruckendere Stadtbild, aber das Cassoulet kommt aus Castelnaudary

Koch und Kochbuchautor Prosper Montagné den Streit und formulierte in seinem Buch „Le Festin Occitane“:
„Das Cassoulet ist der Gott der okkitanischen Küche. Ein Gott in drei Personen: Der Vater ist der Gott aus Castalnaudry, der Sohn aus Carcassonne und der Heilige Geist aus Toulouse.“
Wichtigste und unstrittige Bestandteile sind große weiße Bohnen - zum Beispiel die Lingotbohnen aus dem Lauragais oder die etwas länglicheren aus Tarbes - und das immer wieder darübergestreute und immer wieder untergehobene Weckmehl. In Toulouse hält man die Saucisses de Toulouse für unentbehrlich, in Carcassonne gibts eine Edelvariante, bei der Rehühner die Ente oder manchmal auch das Lamm ersetzen. Diese Variante fand erheblich Anklang in der Küchen des Adels, etwa an den Schlössern der Loire, wo man das Gericht aber umbenannte und nicht mehr an die bäuerliche Herkunft erinnert werden wollte: Estouffet oder auch Estofat aux féves hieß es dann.

Am Hafen von Castelnaudary
Anlegestelle am Hotel Le Clos Fleuri

Das erste Cassoulet wurde angeblich 1337 gekocht, als die Einwohner sich mit allen im Dorf befindlichen Resten stärkten, ehe sie die Belagerung der Engländer durchbrachen und Castelnaudary befreiten. Eine schöne Geschichte, die nur zeitlich nicht ganz passt. Denn erst gegen 1530 brachte Kolumbus die Lingot-Bohnen aus Amerika mit nach Frankreich.

Inzwischen bekommen Sie in Sète oder Narbonne sogar ein Cassoulet aux Poissons. Es soll sogar Menschen geben, die ein vegetarisches Cassoulet zubereiten, aber denen sollte man die Benutzung dieses Markennamens verbieten. Bohneneintopf ist doch auch was schönes, wenn man kein Interesse an richtigem Essen hat. Aber dann wäre Frankreich immer noch von den Engländern erobert und im Hexagone würde so gekocht wie auf der Insel.

Das Cassoulet kann zum winterlichen Hochgenuss werden, wenn man sich genügend Zeit es zuzubereiten – stundenlang. Wer es zu schnell kocht, wird merken, daß es nach dem Aufwärmen viel besser schmeckt. Auf ein paar Dinge darf man nicht verzichten. Auf die Entkeulen, eine ordentlich mit Knoblauch versetzte Schinkenlyoner, das Entenconfit mit viel frischem Thymian, Salz der Camargue, Entenschmalz und Cognac.
Wo das wohl steht ? Und was da wohl die Spezialität des Hauses ist ?

Könnten die Hinweise auf den braunen Autobahnschildern den Streit entscheiden, wäre alles längst ganz klar. Dann wäre es Castelnaudary, zwischen den beiden Wettbewerbern gelegen. Denn dort führt eines der Weg in die Hauptstadt des Cassoulet. Das Gericht hat seinen Namen von der Cassole, einem Tontopf, in dem es früher zubereitet wurde. Heute nimmt man am besten einen dieser so teuren Gusseisentöpfe etwa von Le Creuset, den sich Ihre Frau sicher längst zu Weihnachten gewünscht hat. Mein Tip: Kaufen Sie ihn! Wenn die Anschaffungskosten auf einhundert Jahre rechnen, sind es gerade mal 3 Euro im Jahr.

Frisch ist um Klassen besser

Samstag, 23. November 2019

Sanary: Die "Frauenumgebung" der Exilautoren

Mit besonderer Ehrerbietung oder Höflichkeit wenigstens wurden die Damen in Sanary von den versammelten Dichterfürsten und literarischen Kaisern nicht behandelt. Allenfalls Ironie ließ man ihnen zukommen und Ludwig Marcuse sammelte all das und war damit auch kaum besser als die von ihm unten beschriebene "Auskunftei".

Inzwischen viel lesenswertes Auto- und Biographisches über die "Frauenumgebung"

Sybille von Schoenebeck zum Beispiel, die ihre Vorliebe fürs Britische ständig vor sich hertrug.
„Der Hauptmotor der englischen Gruppe war ein Fräulein von ..., die englisch sprach, als wäre sie auf dem Campus von Oxford geboren, und so highbrow, daß sie sich selbst nur gelegentlich einmal verstand.“
Sie sei ein „großer Snob mit einem guten Herzen“ gewesen und dazu „einer beträchtlichen Portion von Unsicherheit und einer noch größeren Leibesfülle“.

Diese Unsicherheit hinderte sie allerdings nicht daran, in deutschen Flugzeugen lautstark und „mit einer Flut köstlichster englischer Redewendungen“ über die aufgehängten Hakenkreuzfahnen zu schimpfen.

Als Sybille Bedford und Biographin von Aldous Huxley fand sie sich schließlich angemessen britisch. Den neuen Familiennamen hatte ihr nach vielem Drängen Huxley besorgt – in Form eines homosexuellen Engländers in Geldnöten, der die Scheinehe einging und ihr so zur Mrs. Bedford und damit zur britischen Staatsbürgerschaft verhalf.
Vorbild für diese Scheinheirat war die Verheiratung Erika Manns mit dem englischen Dichter Wystan Auden.


Viele andere Damen wurden nicht einmal beim Namen genannt.

„Ich habe zuviele Frauen deutsch-kommunistischer Intellektueller mit eigenen Ohren gehört und die Männer saßen geduckt daneben und die Brandung der Phrasen ging über ihre Köpfe.“
Da könne keiner den Kopf hochhalten, wenn die schrillen Weiblichkeiten modulierten. Einer kam mit einer
„veilchenblauäugigen Dänin“,
ein anderer mit
„der schlanken Tochter irgendeiner Tusnelda“.
Oder das Mädchen,
„deren literarischer Ruhm darin bestand, daß Alfred Kerr ihr in verschollenen Tagen Liebesgedichte geschrieben hatte“,
Marta Feuchtwanger zu Besuch bei Huxley (Bild: Monacensia)und ein Selbstportrait der Karikaturistin
Eva Herrmann (Bild: Exilarchiv) ,die die Ölmalerei einer Allergie wegen aufgeben mußte
der Eva Herrmann, die Freundin des „Fräuleins von...“, deren Beitrag zur deutschen Literatur darin bestand, Karikaturen der Literaten zu zeichnen - das allerdings meisterhaft.
„Sie war sehr rationell und glaubte an Geister.“  

Eva Herrmann lebte mit Sybille Bedford in einem ehemaligen Bauernhof, der „Bastide Juliette“ und wer die beiden besuchen wollte, mußte schon einen langen, steilen Marsch in Kauf nehmen.

René Schickele, der den Weg auf sich genommen hatte, erinnerte sich an Sybilles Stimme „wie eine erkältete Turteltaube“ mit den Bewegungen „eines robusten, wohlerzogenen Gardeoffiziers“. Die stets zögerliche Eva habe sie mit ihren Augen dirigiert,
„Eva, die voller Fragen dasteht und kaum eine davon über die Lippen bringt“.
Und dann gab es noch die
Auskunftei, die geschiedene Frau eines bekannten deutschen Schauspielers.“
Als Beichtmutter konnte sie die Geheimnisse nicht so hüten, wie sie es sicher gewollt habe. „Mit weißen zitternden Lippen gab sie dann eine Portion Geheimnisse her.“ Und eine Minute später, eingeleitet von der rituellen Formel
„Da ich nun schon fast alles erzählt habe ... kam dann erst das Strammste zur Welt.“
 
Aber Ludwig Marcuse schätzte besonders an ihr, daß sie nie boshaft klatschte.

Dienstag, 19. November 2019

Jean Giono: Ich kenne die Provence nicht

Das liebte Jean Giono: Spaziergänge durch die verschneite Hochprovence. Foto Pixabay cc
Fast meint man, Giono sei in der falschen Gegend geboren und geblieben, wenn dieser bodenständige Autor gesteht, daß er die Kälte und den Regen liebt und keinesfalls die Sonne.
„Ich glaube, wenn ich es jemals gekonnt hätte, hätte ich die Provence verlassen.“
Das indes glauben wir ihm nicht. Mehr als dreißig Jahre spielten seine Romane hier, wanderte er auf allen Wegen und schimpfte über die Autoren, die mit ihren romantisierenden Texten immer mehr Besucher in den Süden gelockt hatten.

Nach allem, was er dort lese, müsse die Provence

„ein weißes Pappmaché-Produkt sein, zusammengeschustert mit Pappkleister. Dort gurren Bariton und Tenor herum, Berufspoeten, mit Tambourin und Flöte gerüstet ‚rackern sich’ in regelmäßigen Zeitabständen auf lyrischen Kundgebungen ab“,
 
die näher an der Cholera denn an der Poesie seien. „Es hat den Anschein, als gäbe es eine Provence neuprovenzalischer Dichter. Ich kenne sie nicht.“


Als Giono seinem Freund Lucien Jacques zuliebe das Vorwort für einen Reiseführer in der Reihe „Guides bleus“ schreibt, überlegte er, wie er die Vielfalt dieser, seiner Landschaft ausdrücken könne. Das Ergebnis:
„Und wenn ich auch in diesem Land geboren bin und fast sechzig Jahre darin gewohnt habe: Ich kenne es nicht.“
Meist sind es die starken und pfiffigen Charaktere seiner Landschaft, die Giono faszinieren. Das kann der Deserteur sein oder der Schafhirte.

Das kann aber auch der Bauer sein, der die Subvention für die Zufahrt zu seinem Hof nur unter der Voraussetzung bekommen soll, daß er sein Haus modernisiert und Bad und Toilette einbauen läßt. Ein staatlicher Kontrolleur kommt vorbei.

„Der Ingenieur beschloß, daß der Landtag, der Staat, ja, Frankreich niemals einwilligen würde, auch nur einen Sou zu geben, um einem derart baufälligen, ja sogar gesundheitsschädigenden Gebäude eine Zufahrt zu erlauben. Man gab zu bedenken, daß die Gesundheitsschädlichkeit dem Großvater beschert hatte, immerhin erst mit siebenundneunzig Jahren, der Großmutter mit hundertdrei Jahren zu sterben.“
 
Sein alter Freund, so Giono, sei kein Starrkopf gewesen. Er hat das Badezimmer und die Toilette einbauen lasssen.

Allerdings hatte der Ingenieur übersehen, daß es fließendes Wasser allenfalls nach starken Regenfällen oder dann gab, wenn man es vorher vom Brunnen holte. Und so freute sich der Bauer über seine Zufahrt und schlachtete hin wieder ein Schwein in einer Badewanne, die sonst nur zur Lagerung der Kartoffeln taugte.


Manosque pflegt seinen Autor inzwischen recht ordentlich. Nicht nur mit dem Centre Jean Giono, das sich auf der Rückseite des Office de Tourisme befindet, sondern auch in seinem Haus Lou Parais auf der Colline du Mont d‘Or, in das Giono 1930 einzog und bis zu seinem Tode vierzig Jahre bewohnte.



Samstag, 9. November 2019

Aix-en-Provence: Verführung und Verbrechen in alten Stadtpalästen

Immer beeindruckend - von Westen wie von Osten: Montagne Sainte Victoire.              Bilder Dominik Fehringer
Wer Aix besuchen will, hat es sehr einfach: Er fährt einfach auf Cézannes Bergkette, die Montagne de Sainte Victoire, zu und parkt sein Auto in der Nähe des Cours Mirabeau. Südlich dieser Allee
kommen Sie an einer ganzen Reihe alter Stadtpaläste und Brunnen vorbei. Gleich neben dem Museum etwa am Hôtel de Villeneuve d‘Ansouis und dem Hôtel de Boisgelin, nach ein paar Schritten an der Fontaine des Quatre Dauphins des Bildhauers Jean-Claude Rambot. Tagelang könnte könnte man den Erinnerungen dieser Stadtpaläste zuhören und sich mit den Schicksalen ihrer Bewohner beschäftigen.
Cours Mirabeau      Bild Georges Seguin cc
Im Hôtel des Princes am Cours Mirabeau beispielsweise
„wohnten nacheinander der Sultan von Maissour, Tippou Sahib geheißen, darauf Bonaparte nach seiner Rückkehr von Ägypten; im Abstand von zwanzig Jahren folgte Papst Pius VII. und endlich 1840 die Ex-Königin Christina von Spanien, nach welcher der Infant Don Charlos kommen sollte“.
Weiter unten, im Hôtel der Familie Cariollis wurde Madelaine, die Tochter des Gerichtspräsidenten geboren, die in jungen Jahren zur Witwe geworden war und die den Schriftsteller François de Malherbe heiratet. Dem Herzog Henri von Angoulême, der Gouverneur der Provence geworden war, folgte der Jurist Malherbe nach Aix. Erst spät, nach Angoulêmes Tod, wurde Malherbe geadelt und fand einen Mäzen in Heinrich IV. und dessen zweiter Frau, Maria de Medici.

Im Hôtel de Perrin wohnte der Verleger der Briefe der Madame de Sévigné und gleich nebenan der Fastenprediger Honoré Gaillard, von dem beeindruckt, die Marquise immer wieder in ihren Briefen berichtet.

In der parallel zum Cours Mirabeau laufenden Rue de Mazarine lebte Emilie de Covet-Marignane, eine reiche Erbin, auf die der Graf Mirabeau aus genau diesem Grund eine Auge geworfen hatte. Daß Emilie verlobt war, hinderte ihn nicht, sich um die Dame zu bemühen. Schon damals war allerdings sein Ruf so ruiniert, daß er nicht einmal zum Vater vorgelassen wurde.


Er fing dann eine Affaire mit einem der Dienstmädchen des Hauses an, kam so an die Schlüssel und stand eines schönen Morgens in Socken und Nachthemd auf dem Balkon des Schlafzimmers der jungen Dame – mal heißt es auch, er habe seinen Auftritt in Unterhosen und mit offenem Hemdkragen zelebriert. Das ist nun letztlich wirklich nicht
Stadtpaläste in Aix                                   Bilder Office de Tourisme
entscheidend; so oder so kam es zu einem Menschenauflauf, erst recht, als Mirabeau in allen Einzelheiten davon zu erzählen begann, wie ihn die vergangene Nacht mit Emilie beglückt habe. Daß die nicht einmal im Haus gewesen war, tat nichts zur Sache. Die Verlobung wurde gelöst und, eine Frage der Ehre, der Graf zum neuen Hochzeiter. Der Schwiegervater aber hielt die Finanzen beisammen, es gab kein Geld für das Paar und als die Schulden hoch genug waren, ließ Covet den Grafen ins Château d’If, die Gefängnisinsel vor Marseille, werfen.

Später dann in Aix in einem aufsehenerregenden Prozeß, der den zahlreichen Zuschauern aller Stände die ganze rhetorische Kraft Mirabeaus vorführte, die Scheidung. Alfred Schirokauer hat das in einem biographischen Roman nachempfunden.



Les deux Garcons                                                                      Bild Wiki cc
Beschließen können Sie den Rundgang in der Mejanes-Bibliothek oder im Spiegelkabinett des Café Les Deux Garcons, das ganz einfach davon lebt, daß jeder Besucher nicht nur glaubt, einmal dort gewesen sein zu müssen, sondern tatsächlich hingeht. Die steif gestärkten, blütenweißen Schürzen und Hemden der Ober bezahlen Sie natürlich ebenso mit wie deren schwarze Westen und korrekt gebundene Fliegen. 

Freitag, 1. November 2019

Pont flavien bei Saint-Chamas


Das Wappen der kleinen Gemeinde von Saint-Chamas erklärt sich leicht. Es zeigt die alte Römerbrücke.


Vor rund 2000 Jahren hat Donnius Flavus, der als Priester zu den Hütern des Heiligen Feuers gehörte – es gibt in der Literatur allerdings noch andere Auslegungen zu seinem Namen und dem Amt -, jedenfalls hat er in seinem Testament verfügt, diese Brücke und die beiden Pfeiler von den Baumeistern Donnius Vena und Attius Rufus errichten zu lassen.

Pont flavien aus dem 1. Jahrhundert nach Christus
Noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg folgte die spätere Departementsstrasse D10 der Trassenführung der römischen Via Julia Augusta. Luftaufnahmen zeigen dies auch heute noch.

1945 wurde einer der beiden Pfeiler von amerikanischen Fahrzeugen bei der Überquerung des Flüßchens Touloubre zerstört; es dauerte vier Jahre, bis er wieder aufgebaut wurde. Dabei fanden auch die Brückenlöwen, die kurz vor der französischen Revolution von Jean Chastel restauriert worden war, wieder ihren angestammten Platz; seit 1840 ist die Brücke in der Liste der historischen Monumente von Merimée erfaßt.
 
Die ganze Tour um den Etang de Berre können Sie HIER im VIDEO von Ocaneides ansehen
 
Überall im römischen Gallien (gallia narbonensis), von der spanischen bis zur italienischen Grenze stoßen Sie auf Brücken, unbekannte kleine, die kurz vor dem Verfall stehen, wie dieses Brückchen bei Uzes (links) bis hin zum Weltkulturerbe Pont du Gard, der ursprünglich gar keine Brücke war, sondern nur die Wasserleitung von der Quelle der Eure nach Nîmes führte; dort gelangte sie in den Verteiler des Castellum aquae (rechts). An den Pont du Gard wurde erst im Mittelalter eine Brücke drangebaut.
 
Suchen Sie einfach im Blog nach weiteren Beiträgen über den Pont du Gard
Helga Botermann hat die Geschichte des römischen Galliens in ihrem Buch "Wie aus Galliern Römern wurden" sehr anschaulich beschrieben. HIER ein Blick auf die Karte.
 

 
 


 
 
 
 
 

 

 

Samstag, 26. Oktober 2019

Languedoc für Feinschmecker und Ausprobierer

Genießen gehört zum Languedoc einfach dazu. Zu Beispiel bei einem Sternekoch, der seine Gäste zu sich nach Hause einlädt, bei einem neuen Markthallen-Konzept in Montpellier und bei einer Kräuterfee aus Orgibet – weit, sehr weit weg von allem.
Les Halles du Lez
 
Sie sehen aus, als gäbe es sie schon einhundert Jahre, aber sie wurden erst im Sommer 2019 eröffnet: Les Halles du Lez in Montpellier. Markthalle einmal anders, denn sie vereint lokale Produzenten, Läden und Restaurants unter einem Dach. Les Halles du Lez sind täglich von vormittags bis Mitternacht geöffnet. Bières artisanales, regionale Weine und raffinierte Probiererle, viele auf Bio-Basis, erlauben einen gastro-kreativen Tag oder Abend.
Die Blüten- und Pflanzenvielfalt  im Departement Ariège-Pyrénées, veranlassten Karine sich intensiv mit wilden Pflanzen zu beschäftigen. Das Ergebnis ist eine leckere Alchemie aus Blättern, Kräutern und Blüten, die Gaumen und Augen erfreuen. Ihr Restaurant „Noste Courtiu" in Orgibet ist gleichzeitig auch Epicerie, Café und das Kulturzentrum des Dorfes. Danke an Caroline Ducasse und Ralph Schetter für den Tip.

Chefkoch Yannick Delpech lädt sich immer bis zu 12 Personen nach Hause ein.. Die Mahlzeiten bereitet er vor den Augen seiner Gäste zu. Bei einem Diner gehören zum Sechs-Gänge-Menü auch der Apéro und von Yannick ausgewählte Weine. Zu diesen Mahlzeiten werden die Gäste in das Anwesen des Chefkochs bei Gaillac im Departement Tarn eingeladen, die Adresse erfahren sie jedoch erst 48 Stunden im voraus. "Cuisine sans Dépendances" gibt im Web weitere Informationen. Das Abendessen mit Getränken kostet 100 €.










Samstag, 19. Oktober 2019

Mit Süskind und Parfum nach Grasse

Ursprünglich eine Stadt der Gerber, wurde die Basis für die Parfumherstellung im 16. Jahrhundert gelegt, als parfümiertes Leder zur Mode wurde. Patrick Süskinds „Parfum“ kulminiert hier in Grasse, der „unumstrittenen Produktions- und Handelsmetropole für Duftstoffe, Parfumeriewaren, Seifen und Öle“.

Grenouille in Baldinis Werkstatt                 Bild aufgenommen im Filmmuseum Lyon von ΛΦΠ
 
Im Musée International de la Pafumerie genauer gesagt gewinnt man einen guten Überblick und liest mit dem neuen Wissen Süskinds Roman mit ganz neuer Nase. Die Enfleurage, die Gewinnung des Öls aus besonders zarten Blüten, oder die Destillierung nichtpflanzlicher Stoffe werden im Museum anschaulich präsentiert; Menschenhaut ist allerdings nicht dabei.
Alle haben hier irgendwie mit Parfum zu tun. Ein paar Schritte entfernt befindet sich das Haus des Parfumfabrikanten Maubert, einem Cousin des Hofmalers Jean-Honoré Fragonard, der das nur geworden war, weil er aus der Familie eines damals nicht besonders erfolgreichen Parfumherstellers stammte.
 
Der geniale Portraitmaler hatte zudem das Pech, daß ihn die Französische Revolution viele seiner adeligen Auftraggeber beraubte. Im heute nach ihm benannten Musée Fragonard hängen zwar noch einige seiner Originale, doch die berühmtesten Bilder gibt es hier nur in Kopien von Labrelie. Es geht um eine Serie damals als erotisch eingestufter Bilder, die er um 1770 für Madame Du Barry, die Mätresse Ludwigs XV. gemalt hatte; heute würde man die Serie aus „Liebesbrief“ und „Heimlichem Treffen“ jederzeit im sonntäglichen Kinderfernsehen zeigen können, wenn man wollte, daß die lieben Kleinen gelangweilt zu einem anderen Sender zappen.
Wertvolle Lizenzen hinter imposanten Eingangstüren                     Bild  Etienne Valois
Die Originale sind nicht mehr auf dem Markt und können in der Henry Clay Frick Collection in New York angesehen werden. Der hatte sie aus dem Büro des Londoner Bankiers J. Pierpont Morgan gekauft.

Klaus und Erika Mann - in ihrem "Buch von der Riviera" - finden die Stadt Grasse „schön und alt“ und fast nur ohne Auto zu besichtigen. „Beruhigend zu wissen, daß H. G. Wells, der einen Teil des Jahres in Grasse lebt, diese Wohlgerüche und zudem die gesunde Luft so mühelos zur Verfügung hat.“ Der englische Autor Wells, der aus seinem Roman „Die Zeitmaschine“ beträchtliche Honorare bezog, hatte sich die Villa „Lou“ Pidou erbauen lassen. Acht Winter verbrachte er mit seiner Freundin Odette Keun hier in den Bergen.

Auf dem Weg ins Zentrum balgen sich die Großflächenwerbungen von Molinard in Lavendelblau und Fragonard in lichtem Ocker um die Besucher, ein Kampf, der unentschieden endet. Den Besuch einer Parfumfabrik empfehlen schon die Manns; was sich auch heute noch lohnt, obwohl deren Anzahl sich immer weiter reduziert. In der Produktion allerdings steht oft schon nicht mehr das Endprodukt Parfum im Mittelpunkt, sondern die Erzeugung von Grundstoffen, die anderswo viel günstiger weiterverarbeitet werden. Und natürlich hat man sich auf die Suche nach neuen Geschäftsfeldern gemacht. Die Entwicklung von Geschmacksstoffen für Lebensmittel gewinnt weiter an Bedeutung, wobei aber immer wieder betont wird, daß die französischen Produkte solche Zusätze natürlich nicht nötig hätten.


Grasse: Eine Stadt, für die man das Auto nicht braucht                                Bild Ivan Matthieu

Auch der belgische Nobelpreisträger Maurice Maeterlinck verbrachte einige Jahre in Grasse. „Eine Art alte, kleine provenzalische Burg inmitten der herrlichsten Landschaft der Welt, im Land der Blumen, Berge und azurblauen Buchten“. Kaum hatten ihm die Zahlungen des Nobel-Komitees die Mittel gegeben , zog er allerdings von Grasse nach Nizza.

Photos: Merci à Ivan Matthieu, LFP et Etienne Valois.

_____________________________________________________________________________

Viel mehr zu Grasse und dem Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende.

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“

Samstag, 12. Oktober 2019

Jack Kerouac: Langeweile in Avignon






Jack Kerouac                         Bild von Tom Palumbo
Jim Irsay hat viel Geld für das mehr als 30 Meter lange Manuskript "On the road" von Jack Kerouac ausgegeben: fast 2,5 Millionen Dollar, mehr Geld als der Autor in seinem ganzen Leben verdiente. Kerouac hatte Papierblätter zugeschnitten, aneinander geklebt und darauf in drei Wochen seinen Bestseller geschrieben. Oft kann man noch lesen, es sei eine Rolle Fernschreiberpapier gewesen. Der Schluß der Geschichte mußte allerdings rekonstruiert werden. Ein literarisch interessierter Hund hatte den letzten Meter gefressen.

Avignon war eine langweilige Stadt für ihn. „Was kannst du an einem Sonntag Nachmittag in Avignon tun? In einem Café sitzen und in der Zeitung vom Comeback eines einheimischen Clowns lesen und die Steinfiguren aus dem Museum in dir nachwirken lassen.“


Papstpalast in Avignon: Lichtschau und "natur"
Kerouac kam aus dem Musée lapidaire, der ehemaligen Jesuitenkirche aus dem 17. Jahrhundert,
„ein Museum voller Bildhauerarbeiten in Stein aus den Tagen Benededikt XIII., und auch mit einer prächtigen in Holz geschnitzten Darstellung des Abendmahls mit zusammengedrängten Jüngern Kopf an Kopf und trauernd, Christus in der Mitte mit erhobener Hand, und plötzlich wirst du von einem der Köpfe hinten im Relief direkt angestarrt, und es ist Judas!“
Das war ihm aber dann auch schon genug Kultur und er bestätigte sich lieber noch ein wenig seine Vorurteile, die er gegenüber dem Süden
Frankreichs hatte. Nirgends sei die Stimmung so trostlos wie während

Weltbestseller "On the road"                              Bild Wiki CC-Lizenz
eines sonntäglichen Mistralsturmes im „armen alten Avignon“. Er beobachtete „junge Burschen, die wie heranwachsende Kriminelle aussahen“, dreizehnjährige Mädchen, die „einfältig in hochhackigen Schuhen grinsten“ und ein kleines Kind, das „im Dreckwasser der Gosse mit dem Gerippe einer Puppe“ spielte. Und plötzlich habe er verstanden, was das sei, der französische Provinzialismus, über den sich auch die französischen Dichter beklagten:
„Den trüben Provinzialismus, der Flaubert und Rimbaud in den Wahnsinn trieb und der Balzac zum Grübeln brachte.“
Wenn man die Vorgeschichte kennt, weiß, wie Kerouac nach Südfrankreich kam, und daß für ihn Frankreich gleichbedeutend mit Paris war, dann versteht man seine negativen Schilderungen des Midi besser.
Von Tanger war er auf einem Postschiff, und, um fünf Dollar zu sparen, in der vierten Klasse, gemeinsam mit zurückbeorderten französischen Algerien-Soldaten nach Marseille gereist. Es gab keine Koje mehr für ihn und seine Bestechungsversuche gegenüber den Stewards wurden nur mit einem Achselzucken beantwortet:
„Nicht unbedingt ein gallisches Achselzucken, sondern ein großes weltmüdes lebensmüdes allgemein-europäisches Achselzucken“.
Und plötzlich tat es ihm leid, daß er
„die ziemlich träge, aber echte Aufrichtigkeit der arabischen Welt verließ“.
Als er in Marseille ankam, wollte er nur eines: Schnell wieder weg. Daß mit Arthur Rimbaud einer der französischen Autoren, die Kerouac, die gesamte Beat-Literatur und schließlich Bob Dylan und Patti Smith stark beeinflusst haben, in Marseille elendiglich an Knochenkrebs zugrunde gegangen ist, wird er gewusst haben - schließlich hatte er ein Buch über ihn geschrieben. An sich wäre Rimbaud jemand gewesen, dessen wenige Spuren in Marseille er hätte suchen müssen, wenn er schon seine europäische Spurensuche betrieb. Auch hatte er lange ein Rimbaud-Zitat in seinem Arbeitszimmer:
„When shall weg go, over there by the shores and mountains, to salute the birth of new work, the new wisdom, the flight of tyrants, and of demons, the end of superstition to adore…the first ones!”

Die zahlreichen Romane, die Kerouac in den fünfziger Jahren schrieb, blieben lange unveröffentlicht, sind es zum Teil noch heute und liegen in einem Bankschließfach, das seine Erben bewachen. Immerhin könnten Sie sich ein Zazzle-Teashirt mit den Namenszügen von Rimbaud und Kerouac kaufen und auf die nächste Veröffentlichung hoffen.



>>>> 
Viel mehr zu Avignon und dem Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende.

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“

Samstag, 5. Oktober 2019

Fabre in Sérignan: 14 Jahre Mistkäfer beobachtet

Mit den Mistkäfern hat alles angefangen; über sie schrieb Jean-Henri Fabre seine erste Veröffentlichung. Dann folgten die geliebten Sandwespen, die Gottesanbeterin und zahlreiche Schmetterlinge.
Ausführliche und einfühlsame Biographien schreibt er und ist den Objekten seiner Begierde so lange so nah wie selten ein Biograph. Stundenlang liegt er mit seinem Markenzeichen, der Lupe, auf dem Bauch, beobachtet und spricht auch mit seinen Insekten. Seine Beschreibungen sind so verständnisvoll, daß er manchmal sicher nur aufschreibt, was seine Tiere ihm erzählen.

Fabre: Immer mit seiner Lupe unterwegs und hier mit Blick auf das Café de Commerce,
die inzwischen geschlossene Stammbar des deutschen Malers Werner Lichtner-Aix
Mit Menschen ging er weniger verständnisvoll um, zum Beispiel mit Charles Darwin, mit dem er in Briefwechsel stand und dessen Theorie über die Entstehung der Arten er rundweg für ein Hirngespinst hielt.
„Ich glaube nicht an Gott, ich sehe ihn“,
war Fabres feste Überzeugung.

Zeitlos, besser gesagt mit unendlich viel Zeit, hat Fabre geforscht und experimentiert. Der erste, der das Experiment in der Biologie systematisch anwandte. Über vierzehn Jahre hinweg hat Fabre immer wieder den Mistkäfer beobachtet, mit dem er seine Veröffentlichung auch beginnt. Um die Intelligenz des Skarabäus, des heiligen Pillendrehers aus Ägypten, ranken sich viele Mythen. Insbesondere der schon von den griechischen Geschichtsschreibern überlieferte Mythos, daß der Skarabäus sich Hilfe holt, wenn das Gelände so schwierig wird, daß er eine von ihm gefundene Mistkugel nicht mehr allein fortbewegen kann. Bis ins 19. Jahrhundert hatten selbst ernsthafte Wissenschaftler diese Theorie ungeprüft übernommen.

Und auch Fabres Ansatz war es zunächst, eine Bestätigung für diese These zu erlangen. Er umgrenzte die Kugel mit unüberwindlichen Steinwällen, hob Gräben aus, fixierte sie mit Nadeln und ließ sich eine Reihe weiterer Erschwernisse einfallen, aber nie, nie holte der Mistkäfer Hilfe. Im Gegenteil. Wenn die Artgenossen feststellten, daß jemand „Hilfe“ brauchte, hielten sie dies für Schwäche und die Aufforderung zu Kampf und Raub. Das war es also, wenn mehrere Käfer sich um eine Kugel versammelten.

Alle Vorgänger Fabres hatten aus einer Ansammlung der Tiere ihre im wahrsten Sinne des Wortes voreiligen Schlüsse gezogen. Der Berliner Matthes&Seitz Verlag hat die „Erinnerungen eines Insektenforschers“ in einer mehrbändigen Reihe und mit den Zeichnungen von Christian Thanhäuser schön ausgestatteten Ausgabe verlegt. HIER können Sie sich das im VIDEO ansehen.



Zeichnung von Christian Thanhäuser aus
dem angesprochenen Buch
Fabre selbst hat allerdings deutlich naturnäher gezeichnet. Es gibt auch ein hörenswertes CD-Set von Peter Steinbach: Die wunderbare Welt des Jean-Henri Fabre.

Nach der Besichtigung des Hauses - HIER alle Informationen und Öffnungszeiten; Mittagspause im Juli und August übrigens von 12.30 bis 15.30! - schlage ich noch einen Spaziergang durch den botanischen Garten am Fabre-Haus und dann hinaus zum Friedhof vor, wo er im Familiengrab beerdigt ist.

„Diejenigen, die wir verloren glauben, sind uns nur vorausgeschickt.“
Diesen Ausspruch Senecas hat sich Fabre für seinen Grabstein ausgesucht.

Hier auf dem Friedhof finden Sie auch das Grab des deutschen Maler Werner Lichtner-Aix, der seit dem Ende der sechziger Jahre in Sérignan wohnte und dessen Atelier auch heute noch zu besichtigen ist.


Bei der Gelegenheit möchte ich Sie auf die Website der französischen Friedhöfe von PHILIPPE LANDRU hinweisen, eine wahre Fundgrube. Auch ein Bild des Fabres-Grab finden Sie da.



>>>>  Viel mehr zu Sérignan, Fabre, Ventoux und dem Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende.

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“