Samstag, 21. April 2018

Lunel: Das alte Restaurant und der neue heilige Krieg

Im 17. und 18. Jahrhundert geriet Lunel in die Reisebeschreibungen und Briefwechsel wegen eines renommierten Restaurants, heute gerät es in die Schlagzeilen, weil überpropotional viele Jugendliche aus diesem Städtchen in den sogenannten heiligen Krieg ziehen.


Das "Pont de Lunel": Früher einem Umweg wert.     Bild: Hotel
Im Herbst 1737 kam Jean-Jacques Rousseau nach Lunel und hoffte auf einige kulinarisch anregende Tage in einem der berühmtesten Gasthäuser der damaligen Zeit, dem „Pont de Lunel“.
„Dies Wirtshaus, das geschätzteste in Europa, verdiente damals seinen Ruf. Die Besitzer hatten seine glückliche Lage auszunutzen gewußt, und es war mit reichlichen und gewählten Vorräten versehen. Aber das Pont de Lunel behielt nicht lange diese Qualität, und dadurch, daß es seinen Ruf mißbrauchte, verlor es ihn gänzlich.“

Heute ist es ein eher gängiges Restaurant, das die Bewohner der Umgegend für ihre Familienfeiern nutzen und in dem auch schon mal eine "Miss Lunel" gewählt wird. Man sitzt schön über dem Fluß auf der Terrasse, muß aber über den selbst während der Mittagszeit kaum abreißenden Autolärm der Route Nationale hinweg hören. Ideal also, wenn man sich mit seiner Frau einmal nicht unterhalten will.

Lunel: Früher wie heute kein Blick hinter die Fassaden
Wenn man weiterfährt in die Innenstadt, kommt man an der Moschee vorbei, kaum erkennbar, weil die Stadtverwaltung das Minarett nicht genehmigte. Was bringt den jungen Franzosen Houssem dazu mit seiner schwangeren Freundin Maeva in den sogenannten Heiligen Krieg zu ziehen? Und warum schmeißt der Informatik-Student Laurent sein Studium hin, um ihm zu folgen? Laurent ist bei einem Bombenangriff auf das IS-Computerzentrum im syrischen Deir-Ez-Zor umgekommen. Alle drei stammten aus Lunel.

In der armen Kleinstadt nahe Montpellier spielen arabische Namen eine große Rolle; meist allerdings nur am Sonntag, wenn man sich zur Course Camarguaise in der Arena trifft. HIER gibt es einen kurzen FILM dazu.



Dann stehen Sabri Allouani, Adil Bénafitou, Katif und Lahcène Outarka im Mittelpunkt. Das hat sich seit November 2013 geändert. Bis Juni 2015 haben sich zweiundzwanzig Jugendliche in den Krieg nach Syrien begeben; käme nur einer aus Lunel wäre das im Verhältnis zur Bevölkerung schon über dem Durchschnitt. Acht von ihnen sind jetzt tot.

Sie kämpfen in der mit al-Quaida verbundenen Front Al Nusra oder direkt für den Islamischen Staat. Axel Veiel, Frankreich-Korrespondent zahlreicher deutscher Tageszeitungen, hat sich in Lunel auf die Suche gemacht. Hier lesen Sie den ganzen Artikel.

Lunel, und davon würde ich viel lieber erzählen, war im 12. und 13. Jahrhundert eine Hochburg jüdisch-arabischer Gelehrsamkeit. Viele Übersetzungen arabischer Werke ins hebräische sind hier entstanden.

Und heute? Lunel ist konservativ und von der Front National geprägt, obwohl rund ein Drittel der Einwohner Muslime sind. Die Arbeitslosenquote liegt über zwanzig Prozent, die der Jugendlichen noch weit darüber. Sechzig Prozent der Einwohner müssen aufgrund ihrer geringen Einkommen keine Steuern bezahlen. Offensichtlich ein guter Nährboden für die Werber des Dschihad.


Mit dem Sozialarbeiter Tahar Akermi, dem Leiter des „Hauses der Jugend und der Kultur“ hat Veiel gesprochen oder dem Rechtsanwalt Jean-Robert Phung. Letzterer hat im Auftrag der Eltern eine Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet: Wegen der Anstiftung der Teilnahme an einem terroristischen Unterfangen. Der Anwalt weiß, daß dies nichts bringen wird. Die Eltern hoffen, daß doch.

Das Jugendzentrum wurde mittlerweile geschlossen. Der Bürgermeister

Graffiti am Jugendzentrum
spricht nicht mit Journalisten. Sein Stellvertreter: „Die Dschihadisten kommen praktisch aus ganz Lunel und aus allen sozialen Schichten“. Die Front National beantragt die Schließung der Moschee. Ein IS-Aussteiger berichtet an der Schule, an der fast alle Jugendlichen unterrichtet wurden, von Folterungen und Enthauptungen. Begangen von Muslimen an Muslimen. Und trotzdem werden weitere Jugendliche werden in den Heiligen Krieg ziehen.

Die Kinder unserer marokkanischen Nachbarn haben wir aufwachsen sehen. Die beiden Söhne sind im vergangenen Jahr nach Lunel gezogen.