Samstag, 3. März 2018

Johannes R. Becher: Stalin im Schwarzwald

Seine Jugendliebe, die Zigarettenverkäuferin Franziska Fuß, hat er erschossen. Der geplante Doppelselbstmord wurde es aber nicht. Und der jähzornig-dominante Vater, damals Amtsrichter und später Präsident des Oberlandesgerichts in München, ließ es nicht zu einem Prozeß kommen, weil der Sohn in einem psychiatrischen Gutachten nach § 51 des Strafgesetzbuches als unzurechnungsfähig erklärt wurde. Also sollte er Offizier werden. Statt dessen wurde er Morphinist in ständiger Geldnot und lebte seine Bisexualität aus, wurde Dichter, gläubiger Kommunist und Parteisoldat, ein Verharmloser Stalins und nach dem Krieg SED-Kulturminister. Als
"Johannes Erbrecher"
wurde der Johannes R. Becher immer wieder mal tituliert.

Als die die Nationalsozialisten ihn 1934 ausbürgerten, war er schon fast ein Jahr in der Sowjetunion, arbeitete für Radio Moskau und reiste mit einem Auftrag der Komintern, in der sämtliche kommunistischen Parteien weltweit zusammengeschlossen waren, durch Europa und suchte speziell in Frankreich die deutschen Exilautoren in einer literarischen Einheitsfront zu vereinen. Gemeinsam mit
André Gide organisierte er einen Schriftstellerkongreß „zur Verteidigung der Kultur“ in Paris. Mit den Mann-Brüdern hatte er gesprochen, mit Brecht, Seghers und Robert Musil; wer alleine nur diese Namen liest, der weiß, daß seine Unternehmung nicht erfolgreich sein konnte. Erst bei seinem Tod, den die SED entgegen Bechers Willen, mit großem Zeremoniell inszenierte, standen unter anderem Anna Seghers, Arnold Zweig, Stefan Heym und Erwin Strittmatter um seinen Sarg. Und mit Heinrich Mann verbindet Becher die letzte Ruhestätte auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof; hier liegen sie Seite an Seite.

Seine Dichtkunst sollten wir von den politischen Aktivitäten getrennt sehen. Döblin und Thomas Mann äußerten sich ausgesprochen positiv über seine Veröffentlichung „Der Glücksucher und die sieben Lasten“, die, wie sechs weitere Gedichtbände, in der VEGAAR, der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ ,
erschienen waren. "Ich muß Ihnen sagen, wie schön und echt ich diese Gedichte finde", schrieb ihm Döblin und Mann, wahrscheinlich war es wieder Katia, die Thomas Mann antworten ließ, hielt es „für ein großes Buch und wahrscheinlich ist es das repräsentative Gedichtbuch unserer Zeit und unseres schweren Erlebens und wird einmal als das lyrische Zeugnis dafür angesehen werden“.

Da mußte Becher jedenfalls anders gereint haben als in seinem Nachruf auf Stalin:
„Dort, wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
der Apfelbäume an dem Bodensee.
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
und winkt zu sich heran ein scheues Reh.“