Freitag, 22. Dezember 2017

La Roque-sur-Pernes : On parle allemand

Übernachten mit Überblick im Château von La Roque
La Roque ist auch heute nichts als ein kleines Felsennest in der Nähe von Carpentras. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war das Dorf mit seinen verwilderten Weinbergen und Olivenhainen, wie andere auch, fast ausgestorben. Angeblich habe es hier noch zwanzig Männer, der Jüngste gut über siebzig, und fünf Hunde gegeben. Zehn Jahre später waren die Felder bestellt, neues Land gerodet und zahlreiche junge Familien hatten für eine Wiederbelebung gesorgt. Nur die Sprache hatte sich geändert. Aus dem harten Französisch der Provenzalen war ein breites, osteuropäisch angehauchtes und mit schwäbischen Worten versetztes Deutsch geworden. Sieht man auf die Briefkästen, soweit überhaupt vorhanden, stehen da Namen wie Willer, Hockl oder Landmann.

In einem Beitrag für die ZEIT vom September 1974 beschrieb Charlotte Ujlaky, wie plötzlich aus einer Tür eine kräftige Männerstimme rief:


     „Nix to. Ihr pleipt.“

Und dann die einer Frau:
"Jetzt esse rm mol a gudes Hinglpoprikasch un trnoch kumme tr Willi un tie Mireille zum Kaffee."
Und dann wurde im Türrahmen eine alte Frau mit strengem schwarzem Kopftuch und langem schwarzem Rock sichtbar. Hier ein kurzes zeitgenössisches Video, das den Sprachton wiedergibt. Und wie heute auch oft bei Flüchtlingen: Die Kinder müssen für die Eltern übersetzen.
 

Wer da zum Hühnchen-Paprika-Gulasch rief, war eine Frau aus dem Banat, der Gegend, die heute im Dreieck von Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Im September 1944, nach dem Frontwechsel der Rumänen, hatten sich von dort viele Deutschstämmige auf der Flucht vor der der Roten Armee auf den Weg nach Westen gemacht. Im Winter blieben die meisten in Niederösterreich hängen, obwohl sie ursprünglich aus Lothringen und dem Elsaß stammten und nicht ganz richtig als „Banater Schwaben“ genannt wurden.

Johann Lamesfeld, Landwirt aus dem Banat, rumänischer Finanzminister und später Deutschlehrer in Avignon, schrieb um Hilfe an den französischen Premierminister Robert Schumann. Der antwortete:

„Ich habe ihren Brief erhalten. Ich als Lothringer kenne die Geschichte der Banater, und ich werde dafür sorgen, dass sie – meine Banater Landsleute – eine neue Heimat in Frankreich finden.“
Und so zogen die Banater ab November 1948 in Kehl über den Rhein. Viele fanden wieder Arbeit in den Gruben in Lothringen, aber zahlreiche Familien zog es in das verlassene La Roque-sur-Pernes in der Provence.

Zu der Zeit schrieb Edouard Delebecque, der Bürgermeister gerade den Nachruf auf La Roque:

„Un village qui séteint“ (Ein Dorf verlischt).
Als das Büchlein tatsächlich 1951 erschien, war diese Geschichte überholt und das Dorf zu neuem Leben erwacht. Innerhalb weniger Jahre hatte sich die bewirtschaftete landwirtschaftliche Fläche von 50 auf knapp eintausend Hektar vervielfacht.




Triptychon von Lorin in der Ortskirche

Wer heute hierherfährt, sollte das Dorf mit seinen inzwischen 450 Einwohnern zu Fuß erkunden und im Maison de l’Histoire locale anfangen, dem kleinen Heimatmuseum in der Rue du Portail haut. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es nicht, aber wenn Sie Leila auf dem Handy anrufen (0033.613.18.79), dann wird es schon klappen mit der Besichtigung.

Danach vielleicht in die kleine Pfarrkirche; dort hängt ein großformatiges Bild von Marie-Louise Lorin, das die Geschichte der Banatais unter dem Schutz der Gottesmutter darstellt. Danke an Peter-Dietmar Leber für das Foto und hier seine Geschichte der Banater Schwaben sowie an Klaus Heinrichs, der diesen Beitrag über La Roque angeregt hat. Sehr luxuriös können Sie im Schloss (Bild oben)übernachten. Chantal und Jean Tomasino haben das Gebäude über vier Jahre hinweg renoviert und im Laufe der Zeit über 500 Tonnen Schutt und alte Baumaterialien bewegt. Auf der Homepage können Sie detailliert die Geschichte des Gebäudes nachlesen, wie die Grafen von Toulouse ihre Besitzungen an der Rhone an den französischen König und den Papst verlieren.

Sie können aber, sehr authentisch, auch in einem stilvoll renovierten Gutshof aus dem 18. Jahrhundert übernachten, der gerade mal 2 Kilometer vom Dorf entfernt liegt. Auch das Restaurant der „Domaine de la Grange Neuve“ ist empfehlenswert. Da haben Sie dann Provence pur.

 




Samstag, 16. Dezember 2017

Stéphane Hessel: EMPÖRT EUCH !


1948, mit einunddreißig Jahren, hatte er drei Konzentrationslager, eines in Frankreich und zwei in Deutschland, überlebt. Frankreich, dessen Staatsbürger der gebürtige Berliner noch nicht einmal zehn Jahre lang war, schickte ihn als Diplomat zur UNO, wo er mithalf, die Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen zu formulieren; die Artikel konnte Stéphane Hessel noch sechzig Jahre später auswendig hersagen.

Mit über neunzig Jahren wird er unerwartet Bestsellerautor. Im Oktober 2010 verlegte Sylvie Crossmann eine 32seitiges Heftchen mit dem Titel „Empört Euch“ in einer Auflage von mutigen 8.000 Exemplaren in ihren Kleinverlag in Montpellier. Vier Monate später war fast die Million erreicht und die Rechte weltweit verkauft. Stéphane Hessel hatte rund zehn Jahre nach dem Erscheinen seiner weitgehend unbeachtet gebliebenen Memoiren „Tanz mit dem Jahrhundert“ den Nerv der Zeit getroffen.
"Das Grundmotiv der Resistance war die Empörung. Wir Veteranen rufen die jungen Generationen dazu auf, das Erbe der Resistance und ihre Ideale lebendig zu erhalten und weiterzugeben.“ 
Die größte Herausforderung sieht Hessel im immer weiter wachsenden Abstand zwischen arm und reich, global wie auch auf die einzelnen Staaten bezogen.
„Aber wie kann heute das Geld fehlen, da doch die Produktion seit der Befreiung beträchtlich gewachsen ist, während Europa damals in Trümmern lag“,
 
fragt er und liefert die Antwort gleich mit.
„Das ist nur möglich, weil die von der Resistance bekämpfte Macht des Geldes niemals so groß, so anmaßend und egoistisch war wie heute und bis in die höchsten Ränge des Staates hinein über eigene Diener verfügt.“ 
Hier, im Café de Lyon von Sanary, traf sich eine kleine
Trauergemeinde nach der
Beerdigung von Franz Hessel
Hessel weiß, wovon er spricht. Als kurz nach der Entlassung aus dem Lager von Les Milles sein Vater Franz Hessel in Sanary-sur-Mer stirbt, wird Stéphane Mitglied der Resistance. Lissabon, den Weg dorthin kennt er aus der Arbeit mit Varian Fry, und London, wo er de Gaulle kennenlernt, sind seine ersten Stationen. Ab März 1944 besteht seine heikle Aufgabe darin, die Kommunikation zwischen und zu den Widerstandsgruppen neu und sicher zu installieren.

Im Juli wird er in Paris verraten, geht der Gestapo in eine Falle. Er überlebt Buchenwald und Mittelbau-Dora, weil der mit Aufsehertätigkeiten beauftragte Mithäftling Arthur Dietzsch ihm im Oktober vor der Hinrichtung die Identität eines bereits an Typhus gestorbenen Lageerinsassen zukommen läßt, der dann als Stéphane Hessel verbrannt wird. Hessel ist nun Michel Boitel, kann im April 1945 bei der Evakuierung des Lagers fliehen, kämpft noch einige Tage mit amerikanische Truppen und findet sich Ende 1945 als Diplomat in französischen Diensten.

Stéphane Hessel starb 2013 im Alter von 95 Jahren. Das Portrait Stéphane Hessel stammt aus wiki cc.


 

Samstag, 9. Dezember 2017

Marseille: Albert Hirschmann ist Beamish, der Strahlemann

Eine den Nationalsozialisten ganz wichtige Klausel im Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich sah die Auslieferung aller von der deutschen Regierung benannten Personen vor. Und die Deutschen hatten lange Listen.

Mit Hilfe unter anderem von Thomas Mann, Hermann Kesten und Hans Sahl ergänzte auch Varian Fry seine Listen der Personen, die zu retten waren.
Mit seiner Truppe machte er sich in Marseille vom Hotel Splendide (Bilder Fry Archiv)aus tatkräftig an die Arbeit. Dieses Hotel, in der Nähe des Bahnhofs Saint Charles gelegen, entwickelte sich langsam zum Zentrum der Unterstützung von Flüchtlingen. Vor Fry hatte bereits Frank Bohn hier Quartier bezogen; Bohn kümmerte sich im Auftrag der American Federation of Labour vor allem um gefährdete Gewerkschaftsmitglieder.

Frys wichtigster Mitarbeiter war ein völlig mittelloser Berliner,

„sehr intelligent, und immer gutmütig und fröhlich. Ich nannte ihn Beamish (Strahlemann), wegen seiner schelmischen Augen und seines ewigen Schmollmundes, der sich in Sekundenschnelle in ein breites Grinsen verwandeln konnte.“


Trotz aller scheinbaren Unbeschwertheit nahm er seine Aufgabe im Komitee ernster als andere. Einmal verglich er seine Aufgabe mit der Pflicht des Soldaten die verwundeten Kameraden nicht auf dem Schlechtfeld zurückzulassen.
„Er muß sie retten, auch wenn es das eigene Leben kostet. Einige werden trotzdem umkommen. Einige werden ihr Leben lang Krüppel bleiben. Aber rausholen muß man sie alle. Zumindest muß man es versuchen.“
Und so beschaffte er Geld und Papiere, manchmal falsche, und hielt die Kontakte zur Polizei wie zur Unterwelt, um an die Aufenthaltsorte der Exilanten heran zu kommen.Und wenn es dann gelungen war, die gefährdeten Exilanten über Spanien oder Nordafrika in die USA zu bringen, erwartete die dort ein ziemlicher Kulturschock, wie die Anzeigen in den
 
 
deutschsprachigen amerikanischen Zeitungen beweisen: Vom „Witz-Kontest“ über „Reizende Girls“ bis zu John Kolischer, dem „KOMIKER der Komiker, der Millionen zum Lachen brachte“. Die Shows im Revuetheater „Old Europe“, die helfen sollten, das alte Europa zu verdrängen oder zu vergessen.

Nach seiner Flucht aus Deutschland studierte Beamish an der Ecole des Hautes Etudes Commerciales in Paris, später in London an der

School of Economics und promovierte in Triest. Und nachdem er Marseille verlassen mußte, konnte man Albert Hirschman(n), wie er richtig hieß,als Professor in Harvard, Yale und Princeton (Bild in seinem Büro dort)wiederfinden. Hirschmann hatte im Spanienkrieg auf seiten der Republikaner gekämpft, dann für die französische Armee, von wo er einen Entlassungsschein als „Albert Hermant“ besaß. Das war nur eines von seinen
„zu vielen guten falschen Papieren“.
Eine Geburtsurkunde aus Philadelphia hatte er noch, ein Soldbuch und die Mitgliedskarte eines von ihm gegründeten Automobilclubs mit dem surrealistischen Titel „Club der Clublosen“. Eines Tages müsse er ja verhaftet werden, meinte er, das sei ja
„fast wie bei einem Verbrecher, der zu viele unterschiedliche Alibis hat“.






 

Samstag, 2. Dezember 2017

Port Bou: Walter Benjamin - gerade gerettet - begeht Selbstmord

 
Um ihre Zusammenarbeit auf eine rechtlich sichere Grundlage zu stellen, schlossen das Deutsche Reich und die Vichy-Regierung einen Auslieferungsvertrag. Wen die Gestapo haben wollte, den mußten die Franzosen ausliefern. Diese Regelung veranlaßte den 48jährigen Walter Benjamin, sich mit einer Überdosis Morphium umzubringen; und
das nur Stunden, nachdem er von der österreichischen Widerstandskämpferin Lisa Fittko über die Pyrenäen nach Spanien, und damit in Sicherheit, gekommen war. Lisa Fittko und ihr späterer Mann Hans arbeiteten mit Varian Fry's Emergency Rescue Committee bei der Fluchthilfe zusammen.

Benjamin war einer der drei Flüchtlinge, die Lisa Fittko bei ihrer allerersten Tour über die Berge nach Spanien mitnahm; neben Benjamin noch Henny Gurland und deren 16jährigen Sohn José.
„Ich habe Benjamin nicht rübergenommen, weil er der große berühmte Philosoph war. Ich kannte ihn, und er war einer von denen, die heraus mußten aus dem halb besetzten Frankreich.“
In ihren Erinnerungen hat Fittko das plastisch aufgezeichnet.

Mit dem „alten Benjamin“, wie Fittko ihn nannte, hatte sie gleich einen der eigenwilligsten Kandidaten. Umständlich, kurzatmig langsam, obwohl er inzwischen aufgehört hatte zu rauchen, nicht
bereit, auch nur einen Meter umzukehren - aber immer überaus betont höflich. „Gnädige Frau“ begann er, als er Lisa in Port Vendres in einer kleinen Dachwohnung aufsuchte,
„gnädige Frau, entschuldigen Sie bitte die Störung. Hoffentlich komme ich nicht ungelegen. Ihr Herr Gemahl sagte, Sie würden mich über die Grenze nach Spanien bringen.“ 
Die "gnädige Frau machte sich später immer wieder über Benjamins „spanisches Hofzeremoniell“ lustig.

Über einen Gewerkschafter im Hafen von Port Vendres hatte Lisa Fittko Kontakt zu Monsieur Azéma, den Bürgermeister von Banyuls, bekommen.

Bessere Unterstützung hätte Lisa Fittko nicht finden können. Azéma hatte Fittko dann in einem stundenlangen Gespräch alle Einzelheiten eines Fluchtweges eingebläut, der nach einem steilen Anstieg weit weg von der Küste einen Bogen nach Port Bou in Spanien machte. Inzwischen heißt der Weg „Chemin Walter Benjamin“; vom Fittko-Denkmal führt er in fünf bis sechs mühsamen Wanderstunden nach Port Bou.

Der Weg führte oft durch die Entwässerungsgräben
Sie solle sich anpassen, riet ihr der Bürgermeister, morgens mit den Weinbauern den Weg aus Banyuls hochgehen, Espadrilles tragen, möglichst kein Gepäck mitnehmen und „surtout pas de rucksack“, für die Zöllner ein untrügliches Kennzeichen deutscher Flüchtlinge. Walter Benjamin trug zwar keinen Rucksack, dafür aber eine schwere Aktentasche.
„Diese Aktentasche ist mir das Allerwichtigste. Ich darf sie nicht verlieren. Das Manuskript muß gerettet werden. Es ist wichtiger als meine eigene Person.“
Das Manuskript ist bis heute verschwunden.

Nach dem unbemerkten Grenzübertritt kletterten die Flüchtlinge nach Port Bou hinunter. Im damaligen Hôtel de Francia fanden die Flüchtlinge Quartier. Plötzlich sollten sie nun aber ein französisches Ausreisevisum vorlegen. Als sich weitere Schwierigkeiten mit der Anerkennung der Papiere abzeichneten, hat Benjamin, wie sich Henny Gurland erinnert, eine Überdosis Morphium, die er schon seit langem bei sich trug, eingenomme. Er hat sie auch gebeten, alle ihn kompromittierenden Briefe und Schriften zu vernichten.



Heute erinnert ein Denkmal von Dani Karavan an diesen überflüssigen frühen Tod.


 

Samstag, 25. November 2017

Zwei Languedoc-Kriminalromane von Silke Ziegler: 1000 Seiten Strandlektüre

Das kleine Städtchen Argèles-sur-Mer, bei Perpignan kurz vor der spanischen Grenze gelegen, hat heute im Sommer meist mehr als sechzigtausend und im Winter knapp zehntausend Einwohner. Hier ist die Welt in Ordnung, scheint es, solange jedenfalls, bis man zu den Argèles-Krimis von Silke Ziegler greift.

Die vielen Gäste am Strand sind gewollt - heute jedenfalls. 1939 war das anders.Das Ende des spanischen Bürgerkrieges hatte allein 400.000 Flüchtlinge - mehr als doppelt so viele, wie das Departement Pyrénées-Orientales damals Einwohner besaß – in die Gegend kommen lassen. Der französische Premierminister Édouard Daladier hatte die Grenzen geöffnet und gehofft, daß man es irgendwie schaffen könne, die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Weit gefehlt: Mehr als 75.000 Menschen wurden am Strand von Argèles hinter Stacheldrahtverhauen untergebracht und nur so notdürftig versorgt, daß viele von ihnen starben.


Ein Deutscher, der auf Seite der Republikaner im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hatte, beschreibt das in seinen Erinnerungen aus dem Jahr 1941: „Wir kamen in zusammengefallenen Hütten an, halb verhungert und durchnässt, der Regen tropfte durch die undichten Holzdecke. Die Strohmatten waren nass und voller Fliegen. Wasser wurde aus zwei Meter tiefen Löchern geschöpft. 30 Männer starben in zwei Monaten. Erst als Typhus nachgewiesen wurde, wurden die Toiletten verbessert. Die französische Lagerleitung rechtfertigte ihre Untätigkeit mit der Niederlage Frankreichs und der allgemeinen Knappheit. Immerhin gab es ausreichend Früchte und Gemüse zu essen.“  Norbert Flörken hat das dokumentiert.

Blick vom Tour de Madeloc auf die Cote Vermeille
Für die meisten Besucher von Argèles-sur-Mer ist der kilometerlange Sandstrand von Argèles-Plage das Ziel. Dabei hat das Städtchen und vor allem die Umgebung einiges zu bieten. Zum Beispiel  den Tour de Madeloc, den einen weiten Rundblick auf die Cote Vermeille bietet, die sehenswerte Kirche Saint-Laurent-du-Mont im Wald von Valmy ein paar Kilometer südlich der Stadt und dort auch den Strand von Le Racou. Hier gibt es die kleinen Strandhäuser, die nicht von den Hochhaus-Bausünden erdrückt werden und in denen man sich wie auf einem Schiff fühlt. Die Restaurants sind nicht ausschließlich auf touristische Einmalbesucher ausgerichtet, sondern achten auf ein ordentliches Verhältnis zwischen Preis und Leistung. Das gilt etwa für das „La Table au Coin“ gerade für Fisch und Meeresfrüchte oder „La Casa Loca“ für katalanische Küche. Außerdem beginnt hier trifft die Felsenküste, die beim Tauchen und Schnorcheln eine ganz andere Abwechslung bietet. Und: Sie sind nur eine kleinen Spaziergang von Collioure entfernt, der Malerstadt des Fauvismus mit ihrer beeindruckenden Wehrkirche (auch auf dem Titel von „Im Schatten des Sommers“), die ins Meer hinaus gebaut wurde.

Der Strand von Argèles: Tatort im Roman und Internierungslager
 Das alles findet in den (trotzdem lesenswerten) Kriminalromanen von Silke Ziegler für mich viel zu wenig statt, um gleich mit meinem kritischen Punkt zu beginnen. Mit „Im Schatten des Sommers“ hat sie im Dortmunder Grafit-Verlag einen Newcomer-Erfolg gefeiert und sich mit „Im Angesicht der Wahrheit“ schon eine beachtliche Stammleserschaft erschrieben. Und das, obwohl sie auf das Lokalkolorit Südfrankreichs gerade im ersten Band weitgehend verzichtet. Beide Bücher Zieglers (Jahrgang 1975) leben von einer durchdachten Konstruktion und vor allem von den Dialogen. Sie sind in Argèles-sur Mer angesiedelt, könnten aber genauso gut in der Eifel spielen. Dort hat Jacques Berndorf (Jahrgang 1936) vorgemacht, wie man Menschen und eine Landschaft in einem Krimi verwebt.
Ohne zuviel zu verraten, worum geht’s in den beiden Büchern?
Im Angesicht der Wahrheit: Estelle hat in Argèles die kleine Pension ihrer Großmutter geerbt. Aus dem Ort ist sie kurz nach ihrem Schulabschluss nach einem traumatischen Erlebnis weggegangen. Und nun werden ihre ehemaligen Klassenkameraden einer nach dem anderen umgebracht. Ob Estelle die Mörderin ist? Schnell wird klar, daß sie es nicht ist, aber die Auflösung und die Motive des Täters sind spannend herausgearbeitet.
Im Schatten des Sommers: Vor zwanzig Jahren sind die Eltern von Sophia in einen Supermarkt gegangen und nie wieder aufgetaucht. Jetzt findet die Polizei eine neue Spur. Ein Mann, Unfallopfer, hat ein Foto dabei: Die Frau darauf ist Sophias Mutter. Und Kommissar Nicolas Rousseau verhält sich anfangs nicht so, daß Sophia Vertrauen in die Polizeiarbeit fassen kann. Eine Mischung zwischen Krimi und Romanze mit Horror-Passagen.
Wenn Sie die beiden Bände mit in den Urlaub nehmen, sind Sie und vor allem Ihre Frau mit zusammen 1.000 Seiten gut versorgt. Aber Vorsicht bei der Lektüre am Strand: Nach mehr als 100 Seiten, und die werden es leicht, wenn man sich erst einmal eingelesen hat, droht ein ordentlicher Sonnenbrand.

Samstag, 18. November 2017

Kesten und Heinrich Mann: Gleichgesinnte


Von New York aus organisierte Kesten, tatkräftig
unterstützt von seiner Frau Toni die Flucht
zahlreicher Exilautoren, Musiker, Maler und
Wissenschaftler. Bild: Nimbus Verlag aus der
Kesten-Biographie von Albert M. Debrunner.
Den Ort, an dem Hermann Kesten im Januar 1900 zur Welt kam, werde ich mir nie merken können. Also nur für Sie: Als er noch zu Galizien gehörte, hieß er Podwoloczyska, heute, zur Ukraine gehörig, heißt er Pidvolochysk. So wichtig ist es aber auch nicht, denn Kesten selbst hätte sich immer eher als Berliner, Pariser, Römer oder sogar New Yorker gesehen. Nach dem Tod des Vaters, der einer Verwundung gegen Ende des Ersten Weltkriegs erlag, studierte Kesten Juristerei und Ökonomie, was er ebensowenig abschloß, wie die späteren Studien der Philosophie und Geschichte und auch die Dissertation über Heinrich Mann, in die er anfangs soviel Zeit und Willen gesteckt hatte, blieb unvollendet.
Immer wieder kreuzten sich die Wege von Kesten und Heinrich Mann, aber auch die mit vielen anderen späteren Exilanten. In München arbeitete er gemeinsam an dem Theaterstück „Bourgeois bleibt Bourgeois“, das Ernst Toller und Walter Hasenclever nach Manns „Bourgeois Gentilhomme“ geschrieben hatten. Die Texte der Chansons stammten von Kesten, die Musik von Friedrich Holländer.

Toller (li) und Hasenclever. Bild: Uni Düsseldorf
Später bemühte sich Kesten um Manuskripte von Mann, aber der, sehr arriviert schon, kam nicht einmal mehr selbst zur anberaumten Besprechung. Er schickte einen
„Herrn Dunin, der wie ein armenischer Waffenhändler oder wie ein Gastwirt aus Marseille aussah und davon lebte, daß er als der literarische Agent von Heinrich Mann auftrat“.
Die letzte Begegnung vor dem Wiedersehen in Südfrankreich fand Anfang 1933 unter konspirativen Umständen in Berlin statt -
„eine makaber komische Zusammenkunft“
nannte Kesten das Treffen, an dem neben Mann auch Johannes R. Becher, Leonhard Frank und Ernst Gläser teilnahmen. Brecht war auch da, gab sich kämpferisch, wollte Aufrufe und Theaterstücke gegen Hitler verfassen. Die kommunistische Partei, die Rote Hilfe oder die Gewerkschaft müsse ihm allerdings eine Leibwache stellen,
„vier oder fünf faustfeste, schußbereite“
Kerle. Drei Tage später waren die ersten aus der Runde im Exil.

Als Kesten, während er sich in Nizza aufhielt, die Nachricht vom Einmarsch der deutschen Truppen in der Tschechoslowakei erfuhr, schrieb er einem Freund:
"Manchmal meine ich, man sollte nicht mehr schreiben, sondern schreien oder sich völlig in die verzauberte Stille abgelegener Zeiten flüchten. Es ist ein Spott und ein Jammer, dass unser Leben von den dümmsten und brutalsten Bestien unserer Epoche ausgefüllt und geformt wird. Wir führen das Leben von Bettlern und haben die Sorgen von Ministern und Feldmarschällen. Was für ein dummer Scherz!"

Samstag, 11. November 2017

Sanary: Für das FBI so eine Art Kiautschou

Als Ludwig Marcuse (Bild: Monacensia) in den Vereinigten Staaten eingebürgert werden sollte, wurde er, wie andere auch, von den US-Diensten ausgefragt:
„Please tell us something about the German colony Sanary.“
Den Amerikanern mußte Sanary so etwas sein wie Togo oder Deutsch- Ostafrika oder das chinesische Pachtgebiet Kiautschou, Kolonialgebiet jedenfalls. Es kostete Marcuse einiges an historischer Nachhilfearbeit und Überzeugungskraft,
„für die freundlich-neugierigen Investigatoren klarzustellen, daß wir Deutsche selbst in Hitlers bester Zeit Sanary nicht zu jener ‚Kolonie‘ des Vaterlands gemacht hatten“.  
Auf der Briefmarke zum 100sten Geburtstag
fehlte der "Geheimreport"
Wesentlich detaillierter hatte sich Carl Zuckmayer für die Amerikaner ans Werk gemacht. Sein "Geheimreport" verzeichnet rund 150 Portraits von Kulturschaffenden, natürlich Theater- und Filmschauspielern, vielen Journalisten und Literaten bis hin zu Kabarettisten.

Der Autor des „Hauptmann von Köpenick“ erhielt größtes Lob von seinen Auftraggebern:
„Ihre Arbeit ist so gut. Wenn Sie nicht schon berühmt wären, könnten Sie es damit werden“,
schrieb ihm Emmy Rado, seine Führungsoffizierin vom Office of Strategic Services. Und ähnlich bewerteten es fast sechzig Jahre später auch die deutschsprachigen Feuilletons. Dabei hatte Zuckmayer in Einzelfällen einen ziemlichen Spagat unternehmen müssen, schrieb auch über Kollegen, die er viel zu wenig kannte und bewegte sich, mit dem Versuch allen gerecht zu werden, trotzdem entlang der Grenze zur Denunziation. Da mußte er seine ehemaligen Kollegen klassifizieren und schuf die Widerstrebend-Zuverlässigen, die Nutznießer, den verhuschten Selbstsüchtigen, den geldgierigen, bekennenden Feigling und zu allerletzt „die Kreaturen“, wie er die „Nazipublizisten“ verachtungsvoll bezeichnete. Filmleute in erster Linie - wie Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, Theo Lingen -, aber auch Autoren wie Benn, Ernst Jünger, Kästner oder Edschmid. Hilfreich kommentiert ist das Buch erst 2002 in Deutschland erschienen.

Samstag, 21. Oktober 2017

Ernst Moritz Arndt: Auswirkungen der französischen Revolution in Marseille

Ernst Moritz Arndt,1769 auf Rügen geboren und sein leblang auf der Seite der Freiheit kämpfender Abgeordneter, Hochschullehrer und politischer Schriftsteller, mußte nach dem Sieg Napoleons über Preußen ins Exil nach Schweden flüchten, weil er sich zu aktiv gegen die französische Besetzung engagiert hatte. 

Als Arndt zehn Jahre nach der Revolution im Rahmen einer Bildungsreise Marseille besuchte, war er den Freiheitsgedanken der Revolutionäre noch sehr nah. Und dennoch war er schockiert vom
Rathaus von Marseille: Französische Revolution und
die Zerstörungen der Wehrmacht überstanden
Zustand der Stadt.
Unter den sehenswerten Gebäuden waren lediglich das Rathaus und die Börse der Zerstörungswut entgangen.

„Von anderen öffentlichen Gebäuden und Werken läßt sich nun nichts mehr sagen. Die Kirchen sind entweiht und ihre Zierraten und Kunstwerke verschleppt, ja selbst die Gräber hat man aufgewühlt.“
Schiffe lägen „entmastet und entleert“ da und

„fast an allen Türen und Fensterläden liest man: à vendre und à louer. Wie sollen auch die Menschen bleiben, wenn ihnen alle Mittel zu leben abgeschnitten sind, wenn die Schiffahrt liegt und die Revolutionssense die ersten Häuser niedergemäht hat.“ 

Wer heute sich bewundernd über den Hafen äußere, bekomme nur zu hören:
„Vor der Revolution, oh vor der Revolution, da war Marseille noch etwas. Jetzt sind wir arm und haben über ein Drittel unserer Menschen verloren.“
Ernst Moritz Arndt Bild: Wiki cc
Ihren Namen immerhin hatte die Stadt behalten, obschon sie nach dem Willen der Revolutionsführer nur noch „Stadt ohne Namen“ heißen sollte. Denn Marseille war lange alles andere als revolutionäre Stadt, sie war Hafen- und Handelsstadt und wollte das auch bleiben, so sehr, daß die Stadtoberen sogar englische Truppen gegen die Revolution zu Hilfe riefen. Die allerdings landeten in Toulon und wurden aufgerieben, bevor sie Marseille erreichten.

Wer Arndts Reisebeschreibungen liest, der kann sich kaum vorstellen, daß seine weltanschaulichen Schriften ihn mal als Demokraten ausweisen, mal als antisemitischen Demagogen und mal als deutsch-nationalen Franzosenhasser.
„Wenn ich sage, ich hasse den französischen Leichtsinn, ich verschmähe die französische Zierlichkeit, mir mißfällt die französische Geschwätzigkeit und Flatterhaftigkeit, so spreche ich vielleicht einen Mangel aus, aber einen Mangel, der mir mit meinem ganzen Volke gemein ist.“  
Und das nur wenige Jahre nach einer begeistert beschriebenen Reise durch Frankreich, nach angenehmen Tagen in Marseille, dem „reizenden Erdfleck“, nach „frohen und elyseischen Tagen im Paradies Frankreichs“ und „den feinen Blumenmädchen“ auf dem Markt, die er alle Morgen eine halbes Stündchen beobachtete und sich „königlich dabei ergötzte“.

Samstag, 14. Oktober 2017

Brecht, Feuchtwanger, Mann: Nebensächliches und Nonsinniges

Nicht allen Exilanten in Sanary und den umliegenden Badeorten waren der Alkohol und die immer wieder gleichen Gespräche in kaum einmal wechselnden Besetzungen in den Bars am Hafen genug. Als Bertolt Brecht für ein paar Tage bei Marta und Lion Feuchtwanger wohnte, stand sein Urteil schnell fest:
„Hier am Mittelmeer ist es langweilig. Heinrich Mann imitiert Victor Hugo und träumt von einer zweiten Weimarer Republik.“
Feuchtwanger und Brecht fiel immer wieder etwas ein, um der Langeweile zu entfliehen. Und wenn sie das Kommunistische Manifest in Gedichtform brachten. Solche Fingerübungen schienen Brecht zu liegen. Als er kurz nach der Hochzeit mit Helene Weigel am Strand von Le Lavandou stand, dichtete er nonsinnig:

„Hier standen die alten Mauren
Und schauten aufs Meer hinaus

Und sagten, nun kann’s nicht mehr lange dauern
Und dann ist’s mit uns aus.


Bar de la Marine: Einer der ständigen
Treffpunkte der deutschen Exilautoren
Und damit hatten die Mauren recht,
Denn mit ihnen ist’s jetzt aus

Und da, wo sie standen, steht jetzt der Brecht
Und schaut aufs Meer hinaus.“

Auch wenn man die Tagebücher von Thomas Mann liest, ist nicht alles „zauberergemäß“, wiederholen sich die Nebensächlichkeiten, wie überhaupt die Mückenplage, der Wind, die Wassertemperatur und das Schicksal der Möbel aus der Münchener Villa die beherrschenden Themen seines Sommers in Sanary waren. Für Klaus und Erika Mann dagegen war Sanary der erklärte Treffpunkt der „pariserisch-berlinisch-schwabingerischen Malerwelt“ sowie der angelsächsichen Bohème.

Und erst recht hoch ging es her, wenn dann Jules Pascin, „der Abgott von Montparnasse“ auftauchte, wie üblich „leicht schwankend, die Zigarette zwischen den genusssüchtigen Lippen, den Hut schief über den melancholisch-lasziven Augen, umgeben von ein paar Damen, die auch nicht mehr nüchtern“ waren. Anfang des Jahrhunderts hatte Pascin in München mit Purrmann, Slevogt und Kandinsky mit expressionistischem Überschwang die bayerische Gasthausgemütlichkeit durcheinander gebracht. Später in Paris wusste man, wenn man dem Comic von Joann Sfar Glauben schenken will, immer, wo man Pascin finden konnte:

"Entweder in seinem Atelier oder einem Bordell."

Samstag, 7. Oktober 2017

Schloss und "griechischer Tempel" zwischen Pont du Gard und Uzès

Verwunschener Ort ein paar Meter neben der Straße
Die Platanen stehen nur noch auf einer Seite der Straße zwischen Remoulins und Uzès und das leider auf der falschen, nämlich der nach Norden gerichteten, spenden also dann, wenn sie es sollten, keinen Schatten. Manch einem huscht auf dieser Straße auf der Höhe von Argilliers ein romanisches Portal mit einigen so gar nicht dazu passenden Säulen durch den Rückspiegel. Wenn Sie das Gespür durchzuckt, hier etwas versäumen, dann fahren Sie gerade die nächste Straße rechts nach Argilliers rein, am Friedhof vorbei und dann rechts in den Chemin du Baron de Castille hinein.

Der Asphalt hört nach ein paar Metern auf und soweit es nicht gerade geregnet hat, bereitet der Fußweg durch die Weinberge keine Probleme. Plötzlich sehen Sie linker Hand eine halbkreisförmige gut erhaltene Kolonnade; der zweite Halbkreis ist den Zeitläuften zum Opfer gefallen, die Sockel sind teilweise noch zu erkennen. Andere sind, wie die umgestürzten Säulen auch, vom Efeu umwuchert.


Das Château de Castille in Uzes
Als der Baron de Castille sich kurz vor der Französischen Revolution dieses Schlößchen erbaute und dabei der zeitgängigen Italien-Sehnsucht nachgab, konnte er noch nicht ahnen, daß ihm dieses Refugium nur kurz vergönnt sein würde. Als Gabriel Joseph de Froment d’Argilliers kam er 1747 in Uzès zur Welt. Mit seiner Hochzeit mit Hermine Aline Dorothée de Rohan heiratete er später klug in eine der einflußreichsten Familien Frankreichs. Etwas mehr über die Geschichte der Familie finden Sie MIT DIESEM LINK . Das noch heute nach ihm benannte Stadtpalais in Uzès zeigt seine Vorliebe für Säulenvorbauten ebenso wie der Pavillon Racine auf der Rückseite des heutigen Gerichtsgebäudes und früherem Bischofssitz.

Das Schloß von Argilliers befindet sich heute in einem ordentlichen Zustand, was wesentlich zwei englischen Kunsthistorikern, darunter dem exzentrischen Douglas Cooper zu verdanken ist. Er hatte es Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts erworben und stilgerecht restauriert. Seine Einwohnerzahl hat der Ort seit jener Zeit vervierfacht, von 50 auf 200. Zu besichtigen ist das Schloß selbst nicht, es sei denn, Sie möchten es kaufen; unten mehr. Aber schon der Garten, der Säulengang und der auf der anderen Straßenseite hinter einer nur nach vorne abschirmenden Mauer befindliche Friedhof mit einem Tempel, der eine kurzbeinige Akropolis assoziiert, versetzen uns in eine ganz andere Zeit.

Die Liebe zur Antike auf dem Friedhof des Château d'Agilliers



2016 wurde das Schloss von Sotheby's Immobilien zum Verkauf angeboten. Die 8,9 Millionen Euro, die es inklusive der großformatigen Picasso-Fresken kosten sollte, waren sicher nicht überzogen. Noch weitere Wandgemälde aus der Sammlung Coopers sind im Schloss vorhanden. Die 560 Quadratmeter Wohnfläche und den zwei Hektar großen Park gibt es zur Kunst dazu. Und viel wilde Geschichten von und über Cooper, von denen sich einige schon in Wikipedia finden. Viel mehr aber in John Richardson Buch The Sorcerer's Apprentice: Picasso, Provence and Douglas Cooper, das 1999 bei University of Chicago Press erschienen ist. Wie er viel Geld gewonnen und verloren hat, als französischer Spion in England verhaftet wurde und sich mit Picasso über den Verkauf des Schlosses stritt; hergegeben hat er es damals nicht.

Freitag, 29. September 2017

Sanary: Thomas Mann und Lion Feuchtwanger als "Clan-Chefs"


Zwei „Haupt-Clans“ hat es in Sanary-sur-Mer, dem Örtchen, das für ein paar Jahre die "Hauptstadt der deutschen Literatur" geworden war, wie Ludwig Marcuse sich in seinem Buch "Mein zwanzigstes Jahrhundert" erinnerte, gegeben.
„Der eine, die Haute Culture, drehte sich um Thomas Mann, um den Zauberer, wie seine Kinder ihn nannten. Der andere wurde von Lion Feuchtwanger beherrscht. Komischerweise waren es kommunistische Neigungen und oder finanzieller Erfolg, die Feuchtwanger und seine Satelliten zusammenhielten.“
Nicht feindlich, viel schlimmer, gönnerhaft und überheblich ging es
Ziemlich beste Feinde: Feuchtwanger und Thomas Mann
zwischen den Lagern Feuchtwanger und Mann zu. Während Mann und Feuchtwanger später in Hollywood , wie Hermann Kesten meinte, „gut Freund“ miteinander waren, war dies in Sanary noch anders. Den
„kleinen Meister“
nannte Thomas Mann seinen Kollegen herablassend. Eleganten Abstand zu seinem Bruder fanden Heinrich Mann und seine Frau Nelly Kröger. Heinrich hätte den auch viel besser in den Kreis von Brecht und Feuchtwanger gehört und sicher wäre er kreativ dabei gewesen, als die beiden das "Kommunistische Manifest" in einer einzigen Nacht in Gedichtform brachten.
 Und nur, wenn man gemeinsam über die Briten herzog, bestand ein Grundkonsens zwischen den Gruppen, und das
„mit einem Hochmut, der eines de Gaulle würdig gewesen wäre“.
Dieser kleine gemeinsame Nenner wurde regelmäßig im Vorgarten des Amerikaners Seabrook überprüft und erneuert. Nur ihm gelang es, sie alle auf sein neutrales Gelände einzuladen:
Die haute volée des deutschen Geistes mit seinen Geistinnen. Die Herren im Besten, was sie hatten, die Damen sogar mit Hütchen, aus längst verblühten Tagen.“
Nur Seabrook fiel mit Badeschlappen, alten Fischerhosen und blankem Oberkörper erwartungsgemäß aus der Rolle.

Im Alter hatte sich die anerkennende Abneigung zwischen Thomas Mann und Feuchtwanger gelegt und war respektvollen Seitenhieben gewichen. Sogar noch in der Festschrift zu Feuchtwangers 70stem Geburtstag stellte Mann nicht den Schriftsteller in den Vordergrund.
„Ein Lebenskünstler, behaglich in der Arbeitsamkeit“, wisse der „Lion seinem harten Fleiß überall die angenehmsten Bedingungen zu sichern“.


 

Samstag, 16. September 2017

Marseille: Pilgerrefugium in der Rue du Refuge

Wer heute in Marseille ankommt hat die Wahl zwischen einer kostenlosen Übernachtungsmöglichkeit oder einer, die gut eintausend Euro kosten kann. Jacky Halter ist Fotograf und lebt in der Rue du Refuge im Panier-Viertel, im Herzen Marseilles also, in einem der alten Häuser, die von der deutschen Wehrmacht nicht weggesprengt wurden. 


Die kostenlose Pilgersuppe des Jacky Halter...
Papst Johannes XXIII. hat ihn für eine wirklich einzigartige Initiative ausgezeichnet. Jeder Pilger auf dem Jakobsweg darf in seinem Haus übernachten - kostenlos - und bekommt eine spezielle Pilgermahlzeit serviert: Die Soupe à l’ail, eine ausgesprochen kräftige Knoblauchsuppe, von der man auch am nächsten Tag noch etwas hat - „Die reinigt den Magen“ - und hinterher die Plat des Pélerins, bestehend aus Ei, Speck und Kartoffeln. Dazu gibt es einen frischen Rosé oder manchmal auch ein Hoegarden-Weissbier, wenn etwas zuviel Knoblauch in der Suppe war.
Nur Bier hilft gegen den Knoblauch, keine Milch
Wem das zu rustkal ist, der kann direkt vor dem Haus im „Ossety“ essen, einem sehr einfachen und sehr guten russischen Restaurant, dem zu wünschen ist, daß es sich noch lange hält. Spezialität sind Tontöpfchen mit Lamm- oder Hühnerfleisch und allerhand frischem Gemüse; ebenso gut die gefüllten Pfannkuchen und dazu ein eiskaltes russisches Flaschenbier.

Wo bei Halter die kostenlose Pilgermahlzeit dazu gehört, ist dies bei Gérald Passédat nicht der Fall. In seinem sternebekrönten Restaurant „Le Petit Nice-Passédat“ stehen Fischgerichte im Vordergrund, von der Galinette und dem Chapon bis zu seinem berühmten Loup Lucie.


Nicht ganz kostenlos bei Passedat...Bild Wiki cc TouN

Wenn Sie einmal ausprobieren wollen, wie ein „Sterne-Pain-Bagnat“ schmeckt, so eine Art französischer kalter Hamburger, dann können Sie das im Restaurant des „MUCEM“ machen, dem 2013 eröffneten Museum der Mittelmeerkulturen, in dem der Koch ein weiteres Standbein hat. Immerhin das erste nationale Museum Frankreichs, das nicht in Paris errichtet wurde.

Sonntag, 10. September 2017

Saint-Césaire-de-Gauzignan: Die Domaine des Luces und einige Parallelen zum Château d’Yquem

Wenn ein Winzer die Holzfässer des Château d’Yquem kauft und seine Weine – und gerade auch die Roten, die es bei Yquem ja garnicht gibt – darin lagert, dann spricht das für seinen Ehrgeiz oder es ist nur ein Marketing-Gag. Michael Bourrassol und seine Frau Séverine (Facebook: https://www.facebook.com/severinebourrassol/) haben mit Marketing bisher sehr wenig am Hut, sind also ehrgeizig und haben das schon im ersten Jahr des Bestehens der Domaine des Luces mit hervorragenden Weinen untermauert.

Yquem ist eine französische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 224.640 Euro. Wohl etwas mehr, vermute ich,  haben Michael und Sévrine in die Domaine investiert.Einen ziemlichen
Unterschied gibt es noch bei den Verkaufspreisen: 7 Euro kostet der derzeit teuerste Wein der Domaine des Luces, über 100.000 Euro wurden kürzlich für einen Yquem des Jahres 1787 gezahlt – für die Flasche, nur damit keine Zweifel aufkommen. Dafür hätte der amerikanische Käufer über 14.000 Flaschen bei Michael Bourrassol bekommen und damit ein Mehrfaches von dessen Produktion des ersten Jahres aufkaufen können.

Ganz billige Yquem hat übrigens Lidl vor einigen Jahren angeboten: Den 2011er für 349 Euro und den 1998er als halbe Flasche für 99 Euro. So preiswert ginge das heute nicht mehr.
Mich würde einmal interessieren, welche Ratschläge Sandrine Garbay, die Kellermeisterin von Yquem, die ihren Abschluß am renommierten Institut d’Oenologie de Bordeaux gemacht hat und ‚nebenbei‘ promovierte Biologin ist, den Beiden in Saint-Césaire geben würde. Eingeladen haben sie sie noch nicht.

Vielleicht würde sie auch sagen, daß es da garnicht mehr soviel zu verbessern gibt. Das wäre nicht nur für Michael Bourrassol ein Kompliment, sondern auch für seinen Oenologen Nicolas Berger, der auch die renommierte Domaine Saint-Firmin in Uzès berät. Immer am Donnerstag und Sonntag
fährt er die halbe Stunde raus nach Saint-Césaire. Derzeit ist man dabei die Produktion auf Bio umzustellen. Herbizide werden nicht mehr eingesetzt, statt dessen Rasen- und Mohnblumensamen ausgesät. Die Einzelheiten, auch zur Bodenbearbeitung, erzählt Ihnen Michael gerne.
Die Bourrassols haben ihren ersten Weine schöne Namen gegeben, deren Geschichten dazu man gut behält. Storytelling nennen das dann die Marketingstrategen, eine Kunst, die übrigens auch die Gestalter der Homepage von Iquem perfekt beherrschen; sie nennen das Anekdoten, in denen man etwa erfährt wie der japanische Kaiser plötzlich seine Vorliebe für die Süßweine aus Sauternes entdeckte. Wesentlich bodenständiger und familiärer geht das in Saint-Césaire zu. Daß die „Caprice de Lilou“ die Späße und Launen der kleinen Tochter Lilou wiedergeben, darauf hätte man noch kommen können. Nicht aber auf die Auflösung der „Balade d‘ amoureux“. Diese verliebten Spaziergänge machen die Eltern  der Winzer noch immer mindestens an fast jedem Wochenende. Nur hinter die Geschichte der
„Influence“, meines Lieblingsweines bin ich nicht gekommen. Wer hat hier wen beeinflußt?  Oder ist es der gute Einfluß, den die vier Rebsorten der Cuvée aufeinander haben? Syrah, Grenche, Petit verdot und Carignan sind perfekt aufeinander abgestimmt. Bei Lilou sind es übrigens Viognier und Roussane, eine Rebsorte, die vor allem im Rhônetal angebaut wird; deren Säure gibt dem eher pfirsischfruchtigen Viognier den richtigen Pfiff.

Für eine Weinprobe rufen Sie einfach an : 0033 611 39 44 84. Gegenüber der stillgelegten Kooperative geht’s die schmale Straße runter bis zum Ende und dann auf dem unbefestigten Weg noch ein paar Meter bis zum Weinkeller. Und am besten nehmen Sie auch gleich ein paar Kisten Wein mit, solange die Preise noch nicht auf Yquem-Niveau sind.




Samstag, 2. September 2017

Banyuls: Die selbstverständliche Fluchthilfe von Lisa und Hans Fittko

Der äußerste Süden Frankreichs war wichtige Durchgangsstation für viele Flüchtlinge, die im Zweiten Weltkrieg über Frankreich nach Spanien und weiter nach Portugal fliehen wollten.

Vielen halfen Flüchtlingsorganisationen wie das das „Emergency Rescue Committee“ unter der Leitung des amerikanischen Journalisten Varian Fry, der von Marseille aus arbeitete. Über ihn gibt Dokumentarfime und Ausstellungen, Straßen sind nach ihm benannt und ein vielbeachtetes Buch hat er geschrieben: „Auslieferung auf Verlangen“, in dem er die Rettung vieler europäischer Interlektueller schildert. Und dennoch ist er weitgehend unbekannt gebliebe.

Ebenso kann auch mit den Namen von Hans und Lisa Fittko kaum jemand etwas anfangen. Und das trotz Lisas Büchern „Mein Weg über die Pyrenäen“ und „Solidarität unerwünscht", trotz des daraus entstandenen Theaterstücks von Christoph Hein und trotz zahlreicher Film- und Radio-Dokumentationen. Erst 1985, zwanzig Jahre vor ihrem Tod hat sie mit dem Schreiben angefangen.

Teilweise auf allen Vieren suchten die Flüchtlinge den Weg über die spanische Grenze.
Auch mit guter Kondition eine anstrengende Tour - oft bei schattenlosen 35 Grad. Bis zu dreimal in
der Woche waren die Fittkos unterwegs.
Fry hat übrigens immer ein wenig den Anschein erweckt, als seien die beiden Teil seiner Organisation, Lisa Fittko dagegen legte Wert auf die Unabhängigkeit ihrer Hilfsaktionen. Bei aller Unterstützung des „Emergency Rescue Committee“ war die Distanz zwischen Fry und den Fittkos noch größer geworden, als aufgrund eines sprachlichen Mißverständnisses Fry den Eindruck gewann und auch kommunizierte, die beiden arbeiteten nur als Schleuser gegen Bezahlung; das war nicht der Fall.

Erst im Jahr 2001 wurde in Banyuls-sur-Mer eine schwer zu entziffernde
Gedenktafel enthüllt, die diese Arbeit im Verborgenen würdigte:

„Es war das Selbstverständliche.
Dem Andenken
von Lisa und Hans Fittko
und den vielen anderen.
Von September 1940 bis April 1941
führten sie - selbst bedroht -
Verfolgte des Nazi-Regimes über
die Pyrenäen.
Ihre tapfere Tat rettete
vielen Menschen das Leben.“

Heute beginnt dort, weit ab von allen Orten, an die ein Tourist in Banyuls je von alleine kommt, der „Boulevard des Evadés de France“, der Weg der Flüchtlinge in die steilen Weinberge.

Wie Heinrich Mann gerettet wurde und warum Walter Benjamin nach dem Weg über die Pyrenäen Selbstmord beging, ein einem weiteren Blogbeitrag.