Freitag, 22. Dezember 2017

La Roque-sur-Pernes : On parle allemand

Übernachten mit Überblick im Château von La Roque
La Roque ist auch heute nichts als ein kleines Felsennest in der Nähe von Carpentras. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war das Dorf mit seinen verwilderten Weinbergen und Olivenhainen, wie andere auch, fast ausgestorben. Angeblich habe es hier noch zwanzig Männer, der Jüngste gut über siebzig, und fünf Hunde gegeben. Zehn Jahre später waren die Felder bestellt, neues Land gerodet und zahlreiche junge Familien hatten für eine Wiederbelebung gesorgt. Nur die Sprache hatte sich geändert. Aus dem harten Französisch der Provenzalen war ein breites, osteuropäisch angehauchtes und mit schwäbischen Worten versetztes Deutsch geworden. Sieht man auf die Briefkästen, soweit überhaupt vorhanden, stehen da Namen wie Willer, Hockl oder Landmann.

In einem Beitrag für die ZEIT vom September 1974 beschrieb Charlotte Ujlaky, wie plötzlich aus einer Tür eine kräftige Männerstimme rief:


     „Nix to. Ihr pleipt.“

Und dann die einer Frau:
"Jetzt esse rm mol a gudes Hinglpoprikasch un trnoch kumme tr Willi un tie Mireille zum Kaffee."
Und dann wurde im Türrahmen eine alte Frau mit strengem schwarzem Kopftuch und langem schwarzem Rock sichtbar. Hier ein kurzes zeitgenössisches Video, das den Sprachton wiedergibt. Und wie heute auch oft bei Flüchtlingen: Die Kinder müssen für die Eltern übersetzen.
 

Wer da zum Hühnchen-Paprika-Gulasch rief, war eine Frau aus dem Banat, der Gegend, die heute im Dreieck von Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Im September 1944, nach dem Frontwechsel der Rumänen, hatten sich von dort viele Deutschstämmige auf der Flucht vor der der Roten Armee auf den Weg nach Westen gemacht. Im Winter blieben die meisten in Niederösterreich hängen, obwohl sie ursprünglich aus Lothringen und dem Elsaß stammten und nicht ganz richtig als „Banater Schwaben“ genannt wurden.

Johann Lamesfeld, Landwirt aus dem Banat, rumänischer Finanzminister und später Deutschlehrer in Avignon, schrieb um Hilfe an den französischen Premierminister Robert Schumann. Der antwortete:

„Ich habe ihren Brief erhalten. Ich als Lothringer kenne die Geschichte der Banater, und ich werde dafür sorgen, dass sie – meine Banater Landsleute – eine neue Heimat in Frankreich finden.“
Und so zogen die Banater ab November 1948 in Kehl über den Rhein. Viele fanden wieder Arbeit in den Gruben in Lothringen, aber zahlreiche Familien zog es in das verlassene La Roque-sur-Pernes in der Provence.

Zu der Zeit schrieb Edouard Delebecque, der Bürgermeister gerade den Nachruf auf La Roque:

„Un village qui séteint“ (Ein Dorf verlischt).
Als das Büchlein tatsächlich 1951 erschien, war diese Geschichte überholt und das Dorf zu neuem Leben erwacht. Innerhalb weniger Jahre hatte sich die bewirtschaftete landwirtschaftliche Fläche von 50 auf knapp eintausend Hektar vervielfacht.




Triptychon von Lorin in der Ortskirche

Wer heute hierherfährt, sollte das Dorf mit seinen inzwischen 450 Einwohnern zu Fuß erkunden und im Maison de l’Histoire locale anfangen, dem kleinen Heimatmuseum in der Rue du Portail haut. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es nicht, aber wenn Sie Leila auf dem Handy anrufen (0033.613.18.79), dann wird es schon klappen mit der Besichtigung.

Danach vielleicht in die kleine Pfarrkirche; dort hängt ein großformatiges Bild von Marie-Louise Lorin, das die Geschichte der Banatais unter dem Schutz der Gottesmutter darstellt. Danke an Peter-Dietmar Leber für das Foto und hier seine Geschichte der Banater Schwaben sowie an Klaus Heinrichs, der diesen Beitrag über La Roque angeregt hat. Sehr luxuriös können Sie im Schloss (Bild oben)übernachten. Chantal und Jean Tomasino haben das Gebäude über vier Jahre hinweg renoviert und im Laufe der Zeit über 500 Tonnen Schutt und alte Baumaterialien bewegt. Auf der Homepage können Sie detailliert die Geschichte des Gebäudes nachlesen, wie die Grafen von Toulouse ihre Besitzungen an der Rhone an den französischen König und den Papst verlieren.

Sie können aber, sehr authentisch, auch in einem stilvoll renovierten Gutshof aus dem 18. Jahrhundert übernachten, der gerade mal 2 Kilometer vom Dorf entfernt liegt. Auch das Restaurant der „Domaine de la Grange Neuve“ ist empfehlenswert. Da haben Sie dann Provence pur.

 




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