Samstag, 29. Juni 2019

Porquerolles: Spaziergang mit einer Dinosaurierin

Camille Bondy 1934 und 2005. Fotos Walter Bondy und Manfred Hammes.
Sie sei der „Dinosaurier“ von Porquerolles, sagte Camille Bondy von sich. Sie war fast neunzig Jahre alt, als ich sie zu einem Spaziergang traf - es waren nicht mehr ein paar Schritte. Ganz hätte sie den Weg um „ihre“ gut sieben Kilometer lange und maximal drei Kilometer breite Insel nicht mehr geschafft, dafür war sie inzwischen doch zu zittrig. Es war im November und dann leben vielleicht dreihundert Menschen auf der kleinen südfranzösischen Insel östlich von Marseille.
Fast jeden hat sie gekannt, alle Älteren mit Namen und man spürte den Respekt, den die ihr entgegenbrachten. Nicht selbstverständlich gegenüber jemanden, der sich 1932, da hieß sie noch Berton, in einen dreißig Jahre älteren deutschen Maler verliebte. Mit Walter Bondy arbeitete sie als Fotografin und Malerin in Sanary-sur-Mer, als der Ort von Ludwig Marcuse zur „Hauptstadt der deutschen Literatur“ gemacht wurde. Heinrich Mann, René Schickele, Feuchtwanger, Brecht, Zweig und viele andere hat sie da kennen gelernt - und die meisten Geschichten für sich behalten. Nur eines hat sie bis zu ihrem Tode geärgert, dass ihr Mann nämlich die zwei van Gogh-Gemälde, die er ganz früh und sehr preiswert bei einem Wirt in Meulan an der Seine gekauft hatte, viel zu früh und viel zu preiswert wieder abgegeben hat. An wen? Sie lächelt, wie nur eine alte Frau lächeln kann, die diese Antwort garantiert nicht geben wird. Nur noch: „Und ich weiss, wo die Bilder jetzt hängen.“

Porquerolles um 1930
Porquerolles war lange eine Fraueninsel. Für Madame Fournier war sie das Hochzeitsgeschenk ihres Mann François Joseph, der mit seinen Schürfrechten an mexikanischen Goldminen reich geworden war. Fournier machte aus Porquerolles ein kleines Königreich, engagierte italienische Landarbeiter, die Weinberge und Olivenhaine anlegten, Orangen und Mandarinen und pflanzten, und holte einen Arzt, Lehrer und Nonnen auf die Insel. Den Abend konnte man damals wie heute (nicht ganz preiswert) im „Mas de Langoustier“ verbringen, der Lélia Le Ber gehörte, einer der sechs Töchter der Familie Fournier.


Terrasse des Mas de Langoustier
Ausgerechnet Lélia, die so eine Art schwarzes Schafe der Familie gewesen war. „Ich sehe schwarz für dich“, sagte die Gouvernante zu ihr, „du bist dumm, du bist häßlich, aus dir wird nichts.“ Später gehört Lélia nicht nur der „Mas du Langoustier“, in den man sich aus Cannes, Antibes oder Monaco mit dem Hubschrauber hinbringen lässt, sondern ringsum auch noch ein, wie sie sagt, „Gärtchen“ von 180 Hektar.

Ähnlich verliebt in die Insel wie Lélia war George Simenon, mit dem sie als Mädchen noch Basketball auf dem abfallenden Platz am Hafen spielte Simenon fühlte sich wohl auf der Insel und war noch produktiver als sonst: «Wasser und Himmel wirkten auf mich wie ein Feuerwerk, dessen Funken durch die Augen in meinen Kopf eindrangen.» Insgesamt sechszehn Romane schrieb er auf Porquerolles. „Mein Freund Maigret“ ist meine Lieblingsgeschichte, weil Sie deren Spuren noch heute auf der Insel folgen können. Wie Maigret können Sie Ihr Hauptquartier gleich am Hafen im «Arche de Noé» aufschlagen, können den Tatort am Hafen noch einmal auf Spuren untersuchen und in Simenons bevorzugter Bäckerei einkaufen. Ob den Spuren Simenons tatsächlich vollständig nachgegangen werden soll, bleibt jedem selbst überlassen. Denn dann müssten auch die ihm nachgesagten Bordell-Besuche in Giens oder Hyères dazu gehören. Wenn Maigret, Simenon und die Tagestouristen alle wieder weg sind, hat man die Hafenmole für sich alleine. Eine junge Frau flickt die Netze; aus der Ferne sieht sie aus wie Camille Berton.

Camille ist 2009, Lélia sechs Jahre später gestorben. Erbschaftsstreitigkeiten brachten einen Großteil der Insel in den Besitz des französischen Staates, der ein absolutes Bauverbot aussprach. Heute lohnt der Besuch des Museums der Stiftung Carmignac. Darüber lesen Sie HIER.

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