Samstag, 7. August 2021

Tauroentum – noch ein Atlantis im Mittelmeer?

Die Überreste von Tauroentum am Strand von Saint Cyr. Postkarte von 1910.

Normalerweise denkt man eher an die Kykladeninsel Santorin, wenn von einem Atlantis im Mittelmeer die Rede ist. Doch auch die Geschehnisse und Funde um Tauroentum regen immer wieder die Phantasie an. Wer von Marseille nach Osten fährt, am besten immer so nah der Küste wie möglich, kommt erst durch La Ciotat und dann nach Saint-Cyr-sur-Mer, wo man in der Route de la Madrague Nummer 131 auf ein Museum stößt, das ausschließlich einer Stadt gewidmet ist, von der zunächst sogar Historiker der Auffassung waren, es habe sie nie gegeben. Dieses Gallo-Römische Museum von Tauroentum steht indes genau auf den Überresten dieser Stadt.

In den älteren Nachschlagewerken findet sich der Begriff Tauroentum, einer Kolonie der Phokäer aus Marseille am „Golfe du Lion“, die von den Truppen Caesars zerstört worden sein soll. Warum der Konjunktiv? Weil dieses Tauroentum später für ein Sagengespinst gehalten wurde, für eine Legende, die sich ein Pfarrer und ein Soldat ausgedacht hätten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. 1755 hatte der Theologe Barthélemy am Strand und in den Dünen Mosaikteile und Münzen gefunden. Knapp dreißig Jahre später war es der Marineoffizier François-Louis-Claude Marin aus La Ciotat, der Säulen, Grabsteine, Fresken, Teile der Stadtmaue und ein ganzes Theater fand. So schnell er die Dinge ausgrub, so schnell wurden sie von den Anwohnern der Gegend wieder gestohlen. Das Ergebnis seiner Recherchen stellte er am 25. April 1781 in einer öffentlichen Vorlesung an der Académie de Marseille vor. Ein Jahr danach erschien der Text als Buch.


 
Die Bücher von Marin 1782 und  Giraud 1853

Der Abbé Magloire Giraud veröffentlichte Mitte des 19. Jahrhunderts sein Buch „Mémoire sur l’ancien Tauroentum ou Recherches archéologiques, topographiques et historiques sur cette colonie phocéenne“, das an sich letzte Zweifel an der Realität einer Stadt hätte ausradieren müssen.

Karten und Fundstücke von Giraud

Aber Wind und Wellen deckten die Ausgrabungen so schnell wieder zu, daß einige Jahre später der Archäologe Méry das Ganze als nie gesehen verspottete. In einem Brief an Alexandre Dumas schrieb er: Was sehen wir denn in Tauroetum? Drei abwesende Tempel, zwei nicht anwesende Bäder, zwei nicht existierende Promenaden, einen unauffindbaren Zirkus und ein verschwundenes Prätorianerlager.“

Für die Schriftsteller, ob Historiker oder Geographen, aus der römischen und griechischen Zeit stellte sich die Frage nach der Realität von Tauroentum nicht. Strabon, Ptolemäus Pomponius Mela und Apollodorus von Ephesus beschrieben den Ort mit seinem Hafen und den Befestigungen und benutzen Begriffe wie portus, castellum und oppidum. Diese ganzen Fundstellen hatte Marin in seinem Vortrag weggelassen, um das Publikum nicht zu langweilen.

Für die Römer hieß der Ort Taurentum, manchmal auch Taurentium. Und es hat dort eine Villa maritima gegeben, das Landhaus eines reichen Römers, das sich durch eine etwa achtzig Meter lange Terrasse mit direktem Zugang zu Strand und Meer auszeichnete. Der Ort soll im 1. Jahrhundert vor Christus rund zweitausend Einwohner gehabt haben. Auch Julius Cäsar erwähnt die Stadt in seinem Buch „De bello civili“ als „Tauroenta, quod est castellum Massiliensum“. Nicht weit von der Küste fand im Jahr 49 vor Christus eine der größten Seeschlachten der Antike statt. Rom siegte und da Taurentum sich seiner Mutterstadt Marseille und damit der falschen Seite angeschlossen hatte, wurde der Ort auf Befehl Caesar von Decimus Junius Brutus zerstört. Immer wieder auch aus späterer Zeit noch Münzen am Strand gefunden, die darauf hindeuten, daß Taurentum mindestens noch bis ins 4. Jahrhundert bewohnt war.

Eher einer Legende zuzuordnen ist sicher die Version der Gründungsgeschichte, nach der ein griechisches Schiff mit einem Stier an Bord hier in Seenot geriet, strandete und den Ort nach dem Tier benannte, also Tauros. Anderen Geschichten zufolge soll das Schiff mit einem Stierkopf als Galionsfigur geschmückt gewesen sein. Die Gründungszeit wird mit dem fünften oder sechsten vorchristlichen Jahrhundert angegeben. Dreihundert Jahre später sei die Stadt vollständig zerstört worden. Wohl so eine Art ein Kollateralschaden in einer Auseinandersetzung zwischen Poseidon, dem Gott des Meeres, und seinem Neffen Minotauros, einem Mischwesen mit Stierkopf und menschlichem Körper. Das Grollen des Poseidon habe ein Erdbeben mit einem anschließenden Tsunami ausgelöst, der die Stadt so vollständig ins Meer gespült habe, daß nichts mehr übriggeblieben sei.

Nun sind ja die heutigen Provenzalen nicht minder begabte Geschichtenerzähler als die alten Griechen; und so haben die Fischer aus Saint-Cyr und Les Lecques die Legende weitergesponnen. Noch heute würden sie regelmäßig Amphoren in ihren Netzen finden, wenn sie vor Tauroentum fischten. Sehr gut können man das Straßenmuster der Stadt auf dem Meeresboden erkennen und der ein oder andere ist sich sicher, sogar ein versunkenes Schiff mit einem riesigen Stierkopf am Bug gesehen zu haben. Dieser Stier komme auch gelegentlich an Land, um die Trauben aus den Weinbergen zu stehlen.

Wer das Ganze als Spinnerei abtut, sollte einfach das Museum in Saint-Cyr besuchen und sich zudem die Satellitenaufnahmen der Nasa dieses Küstenstreifens ansehen. Die Bilder zeigen, dass zwischen der Küstenlinie und der vorgelagerten Insel Hinweise auf Straßenmuster, eingestürzte Säulen und Wälle zu finden sind. Zudem lässt sich nachweisen, daß die Klippen der Küstenlinie stellenweise eingestürzt sind. Also könnte doch etwas dran sein an der Geschichte von diesem kleinen Atlantis im Mittelmeer.

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