Montag, 2. Oktober 2023

Mit Kurzeck durch Uzès und Garrigue: Ein Erinnerungsbuch aus dem Wunderhorn Verlag

Wer die Autobiographie als literarische Form schätzt, der kommt natürlich an einem Mann nicht vorbei, den man schon als Radikal-Autobiographen charakterisieren muß, Peter Kurzeck also. Wir haben uns einige Male in Uzès getroffen, im „Oustal“ am Marktplatz und sind von dort die paar Schritte über den bunten Samstagsmarkt in seine Wohnung gegangen. Da war ihm dann gerade wieder mal etwas eingefallen, was er unbedingt in einem Text noch ändern musste.

Manchmal schrieb er kurze Stichworte auch nur auf die Rückseite der Tee-Rechnung des „Oustal“. Dass er das vor Jahren meiner Frau beim „Hausacher Leselenz“ versprochene Buch über seine Zeit im südfranzösischen Uzès nicht abgeliefert hat, hat sie mit viel Geduld und bis zu seinem Tod ausgehalten. Zum Glück, aber als leider viel zu wenig umfangreichen Ersatz, haben nun Günter Kämpf und Vilma Link-Kämpf im Heidelberger Wunderhorn Verlag das Büchlein „Peter Kurzeck in Uzès. Begegnungen, Geschichten, Bilder“ herausgegeben. Gerade mal 80 Seiten und ergänzt um einen zwanzigseitigen Anhang mit Briefen und Bildern aus dem Archiv von Kurzecks Tochter Carina. Der Journalist und Kurzeck-Kenner Norbert Schmidt hat mich darauf aufmerksam gemacht.

 Kurzeck nachdenkend spazierend und nachdenkend kurz vor einer weiteren Korrektur.sw-Foto aus dem Buch

Kämpf, der Gründer des Anabas Verlages hatte mit seiner Frau lange in einem kleinen Örtchen in der Nähe von Uzès gelebt. Die privaten Fotos im Buch zeigen sie als Kurzecks Freunde und, im wörtlichen Sinne, Weggefährten bei Spaziergängen durch die Stadt und in die Garrigue. Mehr von Kurzeck in Uzès hört, wer sich noch irgendwo die CD „Für immer“ besorgen kann, auf der er gut eine Stunde von Leben und Arbeiten in dem südfranzösischen Provinzstädtchen erzählt. Nachdem Kurzeck gestorben war, haben Kämpfs dessen Wohnung aufgelöst. Inzwischen ist ein Psychoanalytiker im Haus eingezogen.

Die Erinnerungen an den Autor sind aber nicht nur etwas für Kurzeck-Freunde und -Spezialisten, sondern bieten auch dem nicht literarisch Reisenden viele Anregungen. Es lohnt sich nicht nur wegen des beschriebenen Zusammenhangs zwischen dem Herzoghaus in Uzès und der Champagner-Dynastie Cliquot. Wer das Buch der Kämpfs gelesen hat, sollte dann mit Kurzecks Buch „Der vorige Sommer und der Sommer“ fortfahren; Lektürebeginn aber erst auf Seite 99. Es ist ein Werk, in das man immer wieder versinken kann, bestens mit einer Flasche Rosé an einem heißen Augusttag mit Blick auf die Ausläufer der Cevennen. Wer dieses Sommerbuch nur einmal liest, überliest zuviel. Denn da entsteht, anhand der x-fach überarbeiteten und dann endlich zum Druck freigegebenen Notizen des großen Romanciers, ein Bild des Midi, wie wir es vielleicht selbst schon einmal gespürt haben, es aber nicht aufschreiben oder ausdrücken konnten. Und doch kommt einem alles so bekannt vor.

Nicht jeder empfindet Spaß an einer Kurzeck-Lektüre und manche haben sich erst beim zweiten oder dritten Buch in seinen unverwechselbaren Stil eingelesen oder lassen es dann spätestens ganz. Ist ja auch viel Arbeit, wenn man die vielen Worte, die er weglässt, dazu denken muß, hätte Kurzeck schon nicht mehr geschrieben. Querlesen gilt nicht. Ehrlich ist er ja, der Autor, wenn er seine Freundin Sibylle sagen läßt: „Eigentlich schreibst du deine ersten Kapitel, um die Leser abzuschrecken!“ Das nicht, antwortet er, „nicht direkt. Aber sollen wissen worauf sie sich einlassen.“

Kurzeck, der 2013 mit siebzig Jahren und viel zu früh - vor allem für sich selbst und sein noch abzuarbeitendes Pensum - starb, war kein Schnellschreiber. Manchmal, so gesteht er uns, brauchte er eineinhalb Tage, um einen angefangenen Satz überhaupt zu Ende zu schreiben.

Hier ein Zitat, das sich so im Buch nicht findet, sondern auf fünf ganz unterschiedlichen Seiten verteilt ist. „Ich muß einen Moment beschreiben, auch wenn ich zehn oder zwanzig Jahre dafür brauche. Ich schreibe auf Papierservietten, Bierdeckel, Zigarettenschachteln, Tesafilm, Packpapier, Käseschachteln aus Spanholz und Schmirgelpapier. Lesen, korrigieren, umschreiben, dann Notizen sortieren und auf bessere Zettel übertragen. Nach und nach wird aus den Zetteln ein Anfang. Lesen, ändern, dazu schreiben, bis man es kaum noch lesen kann und nächstens bald wieder abtippen muß. Manchmal muß ein Freund mit einer Lupe meine Notizen entziffern. Jeden Abend eine neue Reinschrift.“ 

Mit dem Buch der Kämpfs in der Hand (oder schon im Kopf) erschließen sich Uzès und dessen Umgebung ganz anders, als man das von den üblichen touristischen Reiseführern gewohnt ist.


Günter und Vilma Kämpf: Peter Kurzeck in Uzès - Die Stadt und die Wohnung, Begegnungen, Geschichten, Bilder. Wunderhorn, Heidelberg 2023, 20 Euro








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