Barjac verfügt über enge Gassen, historische Bauten aus der Renaissance und schattige Plätze, auf denen immerzu Boule gespielt wird. Er unterscheidet sich wenig von anderen, ebenso idyllischen Städtchen in der Provence, gäbe es in seinem Umkreis nicht einen phantastischen Erinnerungsort, den der weltweit berühmte Künstler und Maler deutscher Mythen Anselm Kiefer zwischen 1993 und 2008 geschaffen hat.
Fragt man in Barjac, in der Metzgerei oder der Apotheke am Markt, nach Anselm Kiefers Atelier und Wohnhaus, erhält man kaum eine hilfreiche Antwort. Genaueres weiß niemand, fast scheint es so, als wolle man über diesen deutschen Dunkelmann nicht reden. Nach längerer Suche und einigen Irrwegen stehen wir endlich doch, zwei, drei Kilometer von Barjac entfernt, vor Kiefers erhöhtem Freiluftatelier und Privatmuseum „La Ribaute“, einer ehemaligen Seidenfabrik; ein 35 Hektar großes Gelände, von Feldern und Weinbergen umgeben und für niemanden zugänglich. Der Künstler selbst hat den Ort bereits 2008 Richtung Paris verlassen.
Rathausbrunnen in Barjac Bild ccWiki |
Schließlich übersteige ich ein kameraüberwachtes Seitentor, bewaffne mich mit einem Knüppel, um mich der eventuell auftauchenden Hunde zu
Türme der Himmelspaläste von Michael Buselmeier fotografiert. Nur gut zu sehen, wenn man über den Zaun klettert. |
erwehren, und mache mich auf in Kiefers geheimnisvolle Stadt, die er „Türme der Sieben Himmelspaläste“ getauft hat. Als der Künstler Anfang der 90er Jahre hier ankam, fand er eine Tundra-Landschaft und ein paar Gebäude in ruinösem Zustand vor. Mit der Planierraupe wurden Straßen und Wege angelegt, die alten Häuser restauriert, und neue Bauten aus Glas und Beton, weit über dreißig, entstanden. Das Areal ist von einem weitläufigen Tunnelsystem durchzogen, das die verschiedenen Gebäude verbindet. Es gibt magische Räume unter der Erde und windschiefe Türme, die zum Himmel hin offen sind. Einer der Gänge endet an einem riesigen Amphitheater mit einer Krypta - eine fremdartige Geisterstadt aus Architektur, Installation, Malerei und der südlichen Landschaft, von Leere und Stille überformt.
Es ist ein kleines Abenteuer, das ich hier erlebe. Der Weg führt mich zunächst an einem großen Hangar vorbei, in dem Baufahrzeuge, Bagger und Kräne bereit stehen. Und schon habe ich auch die aus groben Betonteilen gefertigten und schief aufgeschichteten babylonischen Türme im Blick. Sie wirken wie riesige Kartenhäuser, die im nächsten Moment einstürzen könnten; verwirrende, halbreale Gebilde. Wie einem Traum entsprungen, stehen sie einsam und schutzlos im Wind, einer steht sogar im Wasser. Zwischen den Türmen liegen Betonteile verstreut, vielleicht Trümmer gesprengter Bauten, die das Vorwärtskommen erschweren, Fragmente, etwa ein gestrandetes Boot, Treppen, die ins Nichts führen. Aus einem der Türme ragen Sonnenblumen aus Aluminium hervor. Eine eindrucksvoll geborstene Kunst-Landschaft.
Doch Trümmer, sagt man, waren häufig der Ausgangspunkt von etwas Neuem. Sie sind, meint Kiefer im Gespräch mit Klaus Dermutz (erschienen im Suhrkamp Verlag, 2010), „an sich Zukunft. Weil alles, was ist, vergeht.“ Und er zitiert Jesaia:
„Über euren Städten wird Gras wachsen.“Auch im verlassenen „La Ribaute“ wuchert das Unkraut, und vielleicht sollte man es auch gewähren lassen, bis alles Menschenwerk wieder in die gleichgültige Natur zurückgenommen ist. Dieses begehbare Kunst#-reich am Fuß der Cevennen, all die Türme, Häuser, Grotten, Bunker und die kilometerlangen unterirdischen Gänge sind ja keine Spielerei, sondern heiliger Ernst, ein modernes Labyrinth, entstanden aus metaphysischer Not und bedrängenden(Kriegs-)Erfahrungen, die hier in radikale Bilder umgesetzt wurden.
Beim Weitergehen bemerke ich drei mächtige Glashäuser, in der Sonne blitzend. Sie dienten wohl der Aufstellung von Kiefers in Barjac entstandenen Werken: Installationen, Regale mit Bleibüchern, Gemälde und Materialbilder größten Formats. Es gab auch eine reich bestückte Bibliothek, aus der sich der besonders an philosophischen und theologischen Fragen interessierte Künstler bediente. Als ich mich den Gewächshäusern zuwende, heult ein schwerer Motor auf, die Stille zerreißend, es ist ein grüner Bulldozer, der sich mir nähert. Man hat mich entdeckt. Der Wachmann steigt herab und brüllt mich an, zeigt auf die allgegenwärtigen Kameras und droht mit der Polizei, ich schreie zurück, behaupte, ein Bekannter von Kiefer zu sein, doch alles nützt nichts, und ich muss wieder zurück über den Zaun klettern.
So habe ich manches nicht gesehen und doch einen Eindruck gewonnen von diesem grandiosen und hochfahrenden „Gesamtkunstwerk“ (durchaus im Sinn Richard Wagners, dessen Musikdramen Kiefer bewundert). Was aber soll mit den „Türmen der Sieben Himmelspaläste“ fortan geschehen?
Kiefer hat sein Werk verlassen und wird nicht mehr zurückkehren, scheint aber noch im Besitz des Geländes zu sein. Im Gespräch mit Klaus Dermutz sagt er:
„Vielleicht kommt jemand nach Barjac, der das dann zu Ende führt.“Doch die wenigen Besucher, die der verborgenen Anlage wegen von weit her anreisen, stehen vor geschlossenen Toren, und niemand erklärt ihnen, warum das so sein muss. Und die Einwohner von Barjac haben keine Ahnung, was für ein Schatz sich auf ihrer Gemarkung befindet.
Im Internet ist zu lesen, dass Kiefer im Jahr 2011 vorgeschwebt hat, diesen poetischen Ort der Trümmer den Staaten Frankreich und Deutschland zu schenken, um daraus eine Stiftung zu machen - für Südfrankreich und besonders Barjac eine einmalige Chance. Auch die Guggenheim-Stiftung soll ein vages Interesse an „La Ribaute“ gezeigt haben. Mehr ist nicht zu erfahren. Und geschehen ist jedenfalls nichts.
Vielleicht wäre es am besten, die Zäune niederzureißen, die Überwachungskameras abzubauen und das Gelände sich selbst, der wuchernden Natur und den Kunstfreunden zu überlassen, die aus aller Welt nach Barjac pilgern würden, um sich die unter- und überirdischen Himmelspaläste zu erwandern.
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