Miramas-le-Vieux hoch über dem Etang de Berre (c) OTM |
Was lernen wir aus diesem Buch? Zumindest das: Wenn ein Paar sich nichts mehr zu sagen hat, ist ein Tesla das falsche Auto. Nicht einmal ein Motorengeräusch, das das Schweigen auf der siebenhundert Kilometer langen Anreise in die Provence unterbricht. Dafür aber eine um viele Stunden verlängerte Schweige-Qual an den Ladesäulen, unterbrochen allenfalls um einen schlechten Raststätten-Espresso. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin ein entschiedener Befürworter von Elektroautos, etwa wenn man Zigaretten holen muß oder Brötchen. Nur darf man die Investition nicht auf den Brötchenpreis anrechnen.
Tatsächlich zuletzt im Jahr 2009: Schnee in Miramas (c) quentinb.overblog.com und die Chapelle Saint Julien, in der die meisten Dorfbewohner die Christmette feiern, während ein Dreigestirn nebenan ein Grab öffnet . |
Die spannende Geschichte mit einem unerwarteten Ende spielt im tief verschneiten Miramas-le-Vieux, dem winzigen Örtchen hoch über dem Etang de Berre, nicht weit von Marseille. Einige Male sicher wird Rademacher durch die Gassen geschlendert sein, um die Locations für diesen Roman einzuatmen. Wer je dort war, kann den Wegen der Protagonisten durch das Dorf folgen, für alle anderen folgt hier der Stadtplan und der Link zu den wenigen Sehenswürdigkeiten: den Ruinen des Schlosses und der Kapelle Saint-Julien auf dem Friedhof, auf dem sich am 24. Dezember Seltsames tut.
Nicht drei Männer im Schnee, aber drei Personen mit Taschenlampen und Schaufeln… An diesem Heiligen Abend werden keine Weihnachtslieder gesungen, dafür aber ein Grab geöffnet, in dem nicht nur die Leiche desjenigen liegt, dessen Namen man darüber auf der Gruft lesen konnte. Der echte Brad Pitt wurde aber hier nicht gefunden, aber der hätte sicher auch nicht sein Handy am falschen Ort vergessen.
Da irgendwo muß der Sarg sein. Und die Schranke hält mal die Bösen auf und mal die Guten. |
Ich gestehe: Die Bücher von Cay Rademacher - der ja selbst im Midi wohnt und die Atmosphäre aus eigener Anschauung beschreibt - lese ich gerne, vor allem wenn sein Capitaine Roger Blanc ermittelt. Insofern bin ich befangen, wenn ich die „Stille Nacht in der Provence“ hier vorstelle. Doch diesmal ist es Kommissar Jean-Michel Zulesi, der ermittelt. Während Blanc aus Paris in den Midi strafversetzt wurde, wurde Zulesi aus Marseille abgeschoben, weil er einen jungen Drogendealer erschossen hatte. Der verlotterte Zulesi scheint sich aber gar nicht besonders für den verschwundenen Sarg zu interessieren, den Andreas Kantor im tief verschneiten Miramas-le-Vieux hoch über dem Etang de Berre entdeckt hat.
Zeigen kann er seinen Fund allerdings niemand mehr, denn er Sarg, so er denn da war, ist verschwunden. Seine Frau Nicola und die Dorfbewohner glauben ihm kaum bis überhaupt nicht und raten ihm, wie Zulesi, die ganze Sache zu vergessen und sich auf Weihnachten zu freuen. Also versuchen sich die Kantors selbst als Ermittler – unter anderem mit einer im Roman erlaubten, sonst aber eher unwahrscheinlichen Kletterpartie über verschneit-rutschige Dachziegel, die an diesem Tag sogar der Dachdecker abgelehnt hätte.
Verschneite Zypressen und Pinien auf einem dunkelvioletten Nachthimmel mit goldenen Sternchen auf dem Schutzumschlag lassen einen gleich an das Weihnachtsgeschäft denken, das Buchhandel und Autoren in diesem Jahr nötiger haben denn je. Und dazu als Hardcover mit einem silbernen Lesebändchen, damit es etwas hermacht als Geschenk. Das haben die Marketing-Menschen von Dumont sich gut ausgedacht. Das wird funktionieren. Die „Stille Nacht in der Provence“ gehört auf den weihnachtlichen Gabentisch.
Rademachers Provence-Krimiserie ist inzwischen um jährlich einen Band angewachsen:
›Mörderischer Mistral‹ (2014),
›Tödliche Camargue‹ (2015),
›Brennender Midi‹ (2016),
›Gefährliche Côte Bleue‹ (2017),
›Dunkles Arles‹ (2018),
›Verhängnisvolles Calès‹ (2019) und
›Verlorenes Vernègues‹ (2020).
Mal sehen, ob er das (hoffentlich) durchhält.
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