Donnerstag, 22. März 2018

Kestens "fremde Götter": Aktueller denn je

 
In, wie immer bei Nimbus, sorgsamer
Gestaltung und Ausstattung
Wäre der Roman "Die fremden Götter" , den Hermann Kesten 1948 in New York schrieb, siebzig Jahre später, also jetzt, zum ersten Mal erschienen, wären die Filmrechte längst verkauft und der Film im nächsten Jahr in den Kinos - was sicher auch den Verlag freuen würde. Ende der 1940er Jahre ging das noch nicht, mit dieser tragikomische Farce, in der Freiheit und Toleranz einen schweren Stand haben und die auch deshalb heute aktueller ist, denn je.
"Ich glaube, es wird das erste Mal im deutschen Film sein, dass neben der Tragik oder dem Ernst so nah die Komik steht - übrigens wie es im Leben ja auch ist",
hatte Filmemacher Gerhard Born noch kurz vor der endgültigen Absage an Kesten geschrieben.

In dem Film hätten, ganz am Rande, einige Szenen in einem Konzentrationslager spielen sollen und das glaubten die Produzenten dem noch vom Nationalsozialismus geschädigten Publikum nicht zumuten zu können. Wahrscheinlich hatten sie recht. Denn damals gab es andere Themen für die Filmbranche. In der USA etwa Howard Hawks, der mit Gary Grant „Die männliche Kriegsbraut“ drehte, in Frankreich „Tatis Schützenfest“ und in Deutschland etwa eine Verwechslungskomödie mit Hans Moser und Theo Lingen „Um eine Nasenlänge“.

Aber „Die fremden Götter“, eine religiös-fanatische Auseinandersetzung zwischen Juden, Katholiken und Buddhisten, die sich in einem Teufelskreis gegenseitiger Verkennung hochschaukeln versprachen nicht ausreichend Kinobesucher; und mochte es noch so viele Ansätze für eine Komödie geben. Das Drehbuch hätte ein früher Vorläufer zur Komödie „Monsieur Claude und seine Töchter“ des Regisseurs und Drehbuchautors Philippe de Chauveron werden können. Wobei übrigens der Originaltitel - Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu?/ Was hat man dem lieben Gott nur angetan - dem Film viel gerechter wird.




Hermann Kesten (Bild: Monacensia München)
Der Schweizer Nimbus Verlag hat nun das Wagnis einer (Wieder)Veröffentlichung - in seiner verdienstvollen Reihe „Unbegrenzt haltbar“ - auf sich genommen und im Anhang auch den Schriftwechsel zwischen dem Autor Kesten und dem Produzenten Born veröffentlicht. Erstmals ist das Buch 1948 im Amsterdamer Querido Verlag erschienen. Querido war, neben etwa Allert de Lange, ebenfalls in Amsterdam, Obrecht in Zürich und Graphia in Karlsbad, der Verlag für die vielen Exilautoren, die seit 1933 vor den Nachstellungen der Nationalsozialisten und ihren Bücherverbrennungen geflohen waren.


Die Promenade des Anglais in Nizza: Kurz nach dem Krieg weitgehend autofrei
Das Buch spielt in Nizza, kurz nach Ende des Krieges: Walter Schott und seine Frau haben de façon miraculeuse die KZ-Haft überlebt und sind heimgekehrt in die Stadt, wo sie vor der Deportation ihre Tochter Luise zurücklassen mussten. Sie finden ihr Kind unverhofft wieder – französische Nachbarn hatten das Mädchen in einem Kloster in Avignon versteckt. Luise, dort fromm erzogen und inzwischen 17 Jahre alt, hat sich zur Erz-Katholikin entwickelt. Die Eltern versuchen Luise zum Judentum zurück zu führen. Vergeblich. Dann sollen Onkel und der Sohn des Rabbis es richten. Aber auch Onkel Colombe, ein alternder Lebemann und selbstgefällige Buddhist sowie Théodore, ein aufgeklärter Philosophiestudent, sind erfolglos, wollen aber möglichst auch garnicht erfolgreich werden.
Den Beiden geht es weniger um den elterlichen Bekehrungsauftrag und das Seelenheil des Mädchens. Sie wollen die junge, attraktive Frau für sich gewinnen und sind plötzlich sogar bereit, selbst zum Katholizismus überzutreten. Aber auch Luise ist verliebt, nämlich in den atheistischen Fotografen Henri. Das kann nicht gut gehen, auch wenn alle, im wahrsten Sinne des Wortes, guten Glaubens sind. Sie werden aber blind gegenüber den Folgen ihres Handelns und führen so oft das Gegenteil dessen herbei, was sie an sich beabsichtigen. Aber hier nicht mehr, sonst ist der tempo- und spannungsreiche Inhalt zu sehr vorweg genommen. Manchmal muß man eben selber lesen - und frau auch.

Hermann Kesten: Die fremden Götter. Herausgegeben von Albert M. Debrunner. Nimbus Verlag, Wädenswil/Schweiz, 248 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-03850-045-2.

Der Buchhändler Ihres Vertrauens wartet auf Sie! Im gleichen Verlag ist übrigens auch die gewichtige Kesten-Biographie von Albert M. Debrunner erschienen. Folgen Sie dem LINK.


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