Samstag, 7. Juli 2018

Mont Ventoux, der Berg, und Steffen Lipp, sein Fotograf

Für den Insektenforscher Jean-Henri Fabre war, wie er sich ausdrückte, ein „Spaziergang auf den Ventoux“ nichts besonderes. Mehr als zwanzigmal hat er den Weg gemacht, je nach Wetter in zehn bis zwölf Stunden. Ihn interessierten vor allem die 
Ganz früher Julimorgen auf dem Berg der Provence        Bild Steffen Lipp 

unterschiedlichen Klimazonen und die dort lebenden Pflanzen und Tiere. Daß der Berg auf ihn manchmal bedrohlich wirkte, können wir aber selbst der Beschreibung des Naturwissenschaftlers entnehmen.
„Frische Matten, fröhliche Bächlein, mit Moos bewachsene Steine, der Schatten hundertjährigeer Bäume – kurz all jene Dinge, die einem Berg etwas liebliches verleihen, sind hier vollkommen unbekannt. An ihrer Stelle haben wir eine nicht enden wollende Decke von Kalksplittern, die beinahe metallisch klirrend unter den Füßen wegrutschen. Rieselnder Steinschlag, das sind die Wasserfälle des Mont Ventoux.“
Von überall her ist der Berg zu sehen,
hier hinter den Ockerfelsen von Roussillon...      Bild Steffen Lipp


Von Malaucène aus, das geht in sechs Stunden, ist auch Steffen Lipp oft hochgegangen, zu jeder Jahreszeit und auf allen Wegen. Der Fotograf und Autor ist mit seinen ausgefeilten Licht-Schatten-Bildern der Ventoux- und Provence-Fotograf schlechthin – und hat mir dankenswerterweise auch die Fotos für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

...hier von Châteauneuf aus...von den Dentelles de Montmirail...und von Le Pin.

Mit Gabrielle hat er eine resolute Ur-Schwäbin, Rahmenkünstlerin und Philosophin an seiner Seite, die nebenbei auch noch genial kocht. Die provenzalischen oder mal fischgefüllten Maultaschen mit einer Sauce aus Bambussprossen und einem Gewürz, das es angeblich nur in Lüdenscheid zu kaufen gibt, sind bei den Freunden geschätzt.

Der ostdeutsche Dichter Günther Kunert hat Lipps Lieblingszeilen über den Berg geschrieben:

„Wind wehte stark. Von hier sah man weit durch den Raum und erst jenseits der fernen und weißen Kuppen, erst hinter der lustvollen Krümmung der Erde fiel mein Blick ermattet vor ihren Füssen zur Boden.“
HIER geht es weiter mit dem „Club der Verrückten“ vom Mont Ventoux, die alle sehr stolz darauf sind, diesem Club anzugehören.

Voraussetzung ist nur "etwas" Kondition.

Und natürlich ein Fahrrad in einem etwas besseren Zustand als dieses nebenan.


Freitag, 29. Juni 2018

Anduze: Vasen nicht nur für den 14ten Ludwig

Die Form ist geblieben seit dem 18. Jahrhundert, die Farben sind vielfältig geworden
Zahlreiche große Töpfereien vor, in und um Anduze – das geht schon, wenn aus Vézénobres kommen, in La Madeleine los und mit Le Chêne Vert weiter – warten auf Sie.

Wenn Sie kaufen wollen, dann aber bitte erst auf der linken Gardonseite zwei Kilometer in Richtung von Saint-Jean-du Gard fahren. In einer Rechtskurve sehen Sie auf der linken Seite die Töpferei Les Enfants de Boisset ( route de Saint-Jean-du-Gard, 0033 466 618086 www.poterie-anduze.fr ). Das sind nicht zwar die Ur-Ur-Ur-Enkel von Boisset, aber doch eine der traditionellen Töpfereien, in denen ich bisher Made in China oder Fabriqué en Maroc oder die Vasen, die gepreßt und nicht auf der Scheibe gedreht werden, kaum gefunden habe.

Ihre Frau wird Sie dann allerdings zurückdirigieren zur Poterie de la Madeleine nach Lézan (Route de Nîmes, 0033 466 616344 www.poterie.com ), wo auch noch vor Ort produziert wird und die Auswahl deutlich größer und die Präsentation wesentlich marketingorientierter ist. Das hängt auch damit zusammen, daß sich Filialen auch in Saint-Tropez, Béziers und Montpellier finden; Immerhin haben Sie jetzt einmal einen Preisvergleich.

Die Vasen, die Ludwig XIV. sich für die Ausstattung der Orangerien von Versailles hat kommen lassen, waren alle 1,05 Meter hoch; eine solche Vase bekommen Sie als Ausschußware bei La Madeleine für 120 bis 250 Euro, was immer noch ein ordentlicher Preis für ein nicht einwandfreies Produkt ist. In gutem Zustand kosten sie dann 800 Euro oder etwas mehr; pro Vase packen Sie sich rund 140 Kilogramm zusätzlich ins Auto. Die angesprochene Fehlerhaftigkeit bei allen Töpfereien beschränkt sich auf Glasurfehler, die die Vasen so oft mit dem Anschein von Gebrauchsspuren versehen. Unsere Erfahrung ist, daß sie dennoch winterfest sind – jedenfalls für das, was man in Südfrankreich so Winter nennt. Neben den tatsächlich fehlerhaften finden sich die Vasen, die der Töpfer in mühsamer Handarbeit „auf alt“ gemacht hat – fragen Sie nach „patine ancienne“ oder „vieilli tradition flammé“.


Wenn Sie sich auf einen der Antiquitätenhändler verlassen wollen, der Ihnen noch eine der Vasen Ludwigs XIV. ganz hinten aus dem Lager und nur für den echten Kenner verkaufen will, können das tun und die Geschichte dann Ihren Freunden weiter erzählen; glaubwürdiger wird sie dadurch nicht.
 
Franck Becker
So viele alte Vasen, wie in Anduze und Umgebung verkauft worden sind, kann der König gar nicht besessen haben.

Wenn Sie sich durchringen könnten, an La Madelaine vorbeizufahren, kommen Sie wenige Kilometer weiter, in Cardet, auf der rechten Straßenseite an die Töpferei von Franck Becker, der seine sämtlichen Vasen noch auf der Scheibe dreht und HIER UND IM FILM erklärt, warum "winterhart" ein dehnbarer Begriff ist und die gepreßten Vasen leichter kaputt gehen.

 

Montag, 25. Juni 2018

Mont Ventoux: Der Club der Verrückten und der Mas des Vignes

Bald achttausend Mitglieder hat der „Club der Verrückten“ weltweit, sogar zweihundertfünfzig Deutsche schmücken sich mit der Mitgliedschaft. Die meisten Mitglieder des „Club des Cinglés du Mont Ventoux“ kommen natürlich aus Frankreich. Mitglied kann nur werden, wer an einem Tag alle drei existierenden Strecken auf den Mont Ventoux hinauf gefahren ist. Das ist schon hart, weniger wegen der Gesamtstrecke von 137 Kilometern, sondern wegen der 4.400 Höhenmeter, die dabei geklettert werden.

Wenn Sie sich anmelden möchten, vielleicht eine der rund vierhundert Frauen werden wollen, die das bisher geschafft haben, dann geht das bei Florence Girard und die Mailadresse UNTEN AUF DIESER HOMEPAGE. Hier finden Sie, auch auf deutsch alle Statistiken rund um diesen seltsamen Club und auch die Abbildungen der Medaillen.


Mit dem Auto hochzufahren ist natürlich außerhalb der Regeln.
Postkarte aus dem Jahr 1911. Hier der Italiener Tangazzi auf Lancia.
Von den drei Strecken auf den Gipfel ist diejenige, die bei Bedoin auf knapp 300 Metern startet, die spektakulärste. Nach gut 21 Kilometern hat man sein Ziel in 1909 Metern Höhe erreicht.

Geschafft...aber noch keine Mitglieder

Wer von Malaucène aus startet, spart sich rund 300 Höhenmeter. Wenn Sie allerdings ein Mountainbike benutzen, gehört es zum Reglement, dass Sie die Forststraßen benutzen und sich am Abend erst nach gut 6.000 Höhenmetern in den Club aufnehmen lassen können. Die Kontrollen werden streng durchgeführt, Jugendliche unter 18 Jahren müssen ein ärztliches Attest vorweisen.

Und so sieht das abgestempelte Dokument dann aus, wenn man es geschafft hat.
Foto von Franz Utz, der seit 2015 Mitglied im Club ist.


Nur einer lächelt über diese Strapaze. Das ist Jean Pascal Roux, der am Fuß des Berges lebt, in Bedoin. Mit Mitte vierzig hat er einmal 24 Stunden auf dem Rad verbracht und ist elfmal den Mont Ventoux rauf und wieder runter gefahren. Ohne Doping, wie er betont. Einmal habe ich mich auch auf die Tour gemacht. Ganz professionell hatte ich mir für die Abfahrt sogar zwei Tageszeitungen, den „Midi libre“ und „Le Provencal“ gekauft. Unter das T-Shirt hatte ich sie stecken wollen, um den kalten Wind bei der Abfahrt abzuwehren.

Wie auch immer, in aller Ruhe habe ich die Zeitungen eine halbe Stunde später weitgehend ungeschwitzt lesen können. Denn nach 5,4 Kilometern bin ich in der berühmten Saint-Estève-Kurve von der schattigen Terrasse des "Mas des Vignes" so sehr angezogen worden,



daß ich dort auch noch den Sonnenuntergang bewundert habe. Damit diese Entscheidung nachvollziehbar wird: Als Vorspeise gab es Saint Jacques Dorées mit einem Kirchererbsen-Zitronen-Hummus und als
Hauptgericht Joues de Cochon (Schweinebacken), geschmort in einem
Die Kunstwerke des Yann de Coëtlogon am besten auf der Terrasse genießen.              Bilder Mas des Vignes

der kräftigen Roten vom Ventoux, mit einer Polenta Crémeuse und frischen Pfifferlingen.

Peinlich war nun nicht, dass ich recht sportlich gekleidet dort saß, sondern dass der Chef, Yann de Coëtlogon, beim Dessert - wen’s interessiert Tartelette aux Pêches Blanche en Crème d’Amandes mit einem Sorbet aus Weinbergpfirsischen - rauskam und mir gratulierte. Denn viele belohnen sich für den bestandenen Aufstieg mit einem Menü im Mas des Vignes. Ich habe mich dann bedankt und im übrigen so getan, als hätte ich ihn nicht verstanden.

Und gelesen habe ich hinterher Ralf Nestmeyers Roman „Die Toten vom Mont Ventoux“, unter denen sich aber zum Glück nur ein Radfahrer befindet. Nestmeyer zeigt hier, daß er nicht nur Reisejournalismus kann, sondern auch Krimi, wobei der Historiker immer mal wieder durchblitzt, wenn es um die Ursprünge der okzitanischen Sprache geht, und der Journalist, wenn es um die Reglements des comptes in Marseille geht. Manchmal setzt er etwas zuviel voraus, wenn er plötzlich Fabio Montale erwähnt und Izzo zwei Seiten vorher.  An sich hätte der Ventoux ja auch aufs Titelbild gehört. Für die nächste Auflage, für die ich die Daumen drücke, sollte es dann ein Foto von Steffen Lipp sein - von wem sonst: oder setze ich da zuviel voraus? Wie viele der besseren Kriminalromane übrigens auch bei Emons erschienen.



Von einem tragischen Aufstieg auf den Mont Ventoux - er endete mit dem Tod - erzähle ich HIER.

Samstag, 16. Juni 2018

Boule-Verbot für Soldaten und Nicht-Adelige

Der Filmemacher Jean-Pierre Saire, „Tosca“ hat er produziert und damit die Oper kinofähig gemacht und in „Die Rückkehr des Christophe Colon" einem kleinen Weiler bei Vézénobres ein Denkmal gesetzt, ist mein Mann für alle Fälle in Fragen der französischen Kunst und Kultur, also Boule, Wein und Austern.
Filme von Jean-Pierre Saire: Aber nicht über Boule


Er hat mich auf Rabelais hingewiesen, der schon im 16. Jahrhundert in seinem Buch Gargantua und Pantagruel Spielarten des heutigen Boule beschreibt. In Frankreich war Boule lange Zeit offiziell verboten. Für Nichtadelige und Soldaten jedenfalls, weil es die einen vom Arbeiten und die anderen vom Exerzieren abhielt. Zu Beginn des Krieges von 1870 erließ das Pariser Hauptquartier für die Nationalgarde in Marseille einen Befehl, der das Boulespiel unter Arreststrafe stellte. Weitergegeben wurde der Befehl von einem weisen Kommandanten aber nur indirekt und erst nach Beendigung des Krieges:
„Boule ab sofort wieder erlaubt“.

Hier die Links zu noch mehr Boule: Was Fannys nackter Hintern damit zu tun hat und wieso schon mal 200.000 Zuschauer dabei sind, lesen Sie HIER. Und unter den beiden folgenden Links: Daß in Marseille Boule mit runden Kugeln gespielt wir, erstaunt vielleicht weniger, dagegen schon die "eckigen Kugeln", die in Vézénobres eingesetzt werden.


Samstag, 2. Juni 2018

Les Baux: Rummelplatz ohne Parkplatz

Wer's mag soll hinfahren. Ein sommerlicher Rummelplatz mit Parkplatznot und Geschiebe durch die engen Gassen. Nach Les Baux fährt man im Winter, wenn Sie also nicht gleich angerempelt werden, wenn Sie für ein paar Sekunden die Fassaden der Renaissance-Palais, etwa die des Hotel de Manville oder die des Hotel de Porcelets, betrachten wollen.

Vorgemacht hat uns das Kurt Tucholsky, der Anfang Dezember 1924 hier war und seinen Beitrag „Tote Stadt und lebende Steine“ als Paul Panter für die Vossischen Zeitung schrieb. Von Paradou aus, nordöstlich von Arles gelegen, war er eine Stunde in die Alpilles - „die Älpchen“- gewandert, kam

„durch ein stilles, weltverlorenes Tal mit wenigen Häusern. Der Blick geht aufwärts und trifft auf ein Wunder. Hier liegt, im Stein, eine tote Stadt. Das ist Les Baux.“
Viertausend Menschen lebten hier bis ins 17. Jahrhundert um die als uneinnehmbar geltende Festung, bis Richelieu sie belagern und
Les Baux-de-Provence von Westen gesehen.                             Bild Wiki cc
schleifen ließ. Heute hat Les Baux-de-Provence gerade mal vierhundert Einwohner, dafür oft aber mehr als viertausend Tagesbesucher. Auch Tucholsky fiel auf:
„Es leben Menschen da. ‚Wir sind sechzig’, sagt ein Mann, ‚sechzig - aber wir nehmen Jahr für Jahr ab.’ Nein hier ist nichts los.“
Nur ein alter Schäfer trieb seine Herde durch das fast verlassene und weitgehend zerfallene Dörfchen.
Kurt Tucholsky begegnete noch den Schafen auf
der Hauptstraße von Les Baux
Fünfzig Jahre später charakterisierte Hermann Schreiber die Felsenfeste als ein „Monster-Capri, das nur dafür da zu sein scheint, möglichst viele Touristen an möglichst viele Läden, Boutiquen, Ateliers und Stände heranzubringen“. Und weiter in Rage:
„Auf den Stufen der ehrwürdigen Eglise Saint Vicent drängt sich der gutsituierte Pöbel so, wie man in Grau-du-Roi und La Grande Motte aus dem Meer stieg, nämlich in Badeanzügen. Ein paar verschwitzte Germanen in Shorts machen das Bild nicht besser."
 
Ob den Herren von Baou oder de Balcio, wie sie ursprünglich hießen, die Lage des Ortes zu Kopfe gestiegen war, mit einer Mischung aus Anmaßung und Sinn für Storytelling führten sie ihren Stamm auf Balthasar zurück, einen der Heiligen Drei Könige. Auf dem Grabmal Raymonds des Baux findet sich die Inschrift: „Der ruhmreichen Familie Les Baux, von der berichtet wird, sie habe ihren Anfang bei den alten Königen Armeniens genommen, welchen sich, von einem Stern geleitet, der Erlöser der Welt offenbaret hat.“ So fand auch der Stern von Bethlehem ins Wappen.
 

Balthasar und der
Stern von Bethlehem
Ebenso pathetisch wie historisch falsch richtete Mistral seine Verse an ein „Geschlecht von Adlern - niemals untertan“ (Raco d‘eigloun, jamai vassalo). Denn immer wieder ist Les Baux zerstört worden oder der Adler abgestürzt, um im Bild des Dichters zu bleiben. Von Ludwig XIII., weil sich die Herren von Baux dem Aufstand seines Bruders Gaston d‘Orleans gegen Richelieu angeschlossen hatten. Oder auch rund einhundert Jahre zuvor, als man wieder einmal auf der falschen Seite stand, diesmal auf der der Reformation.

Samstag, 26. Mai 2018

Resistance-Literatur: "Das Schweigen des Meeres"

Melvilles Film ist sehenswert. Hier der Trailer.                                                             Bild Pinterest
So gut wie nicht jeder Deutsche ein Kriegsverbrecher, so wenig war jeder Franzose in der Resistance. Auch in Frankreich gab es Faschisten, von denen sich mehrere tausend sogar der SS anschlossen und in der Division Charlemagne an der Ostfront und in den letzten Kriegstagen in Berlin am Anhalter Bahnhof und vor dem Reichssicherheitshauptamt kämpften. Zu der Einheit gehörten auch Deutsche Soldaten, so der spätere Konstanzer Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß, mit seinem Spezialgebiet der mittelalterlichen und modernen Literatur Frankreichs. Er berichtet auch von Kriegsverbrechen dieser Division.

Die französische Widerstandsbewegung darf man sich, gerade zu Beginn, nicht als straff organisierte Bewegung vorstellen. Und auch gegen Kriegsende gab es immer noch viele Untergruppierungen und völlig selbstständig agierende Einheiten. Da gab es die Untergrundzeitungen Liberation, Franc-Tireur und Combat, da waren Gruppen wie die Front National von Pierre Villo, das Comité d’Action Socialiste von Pierre Brossolette, die Armée Secrète unter Charles Delestraint und viele andere, von denen die Résistance der Fer der französischen Eisenbahner eine besonders wichtige Funktion erfüllten. Und dann gab es natürlich noch die Exil-Patrioten im Umfeld des noch 1940 weitgehend unbekannten Charles de Gaulle; sein erster Aufruf zum Widerstand, den die BBC verbreitete, blieb weitgehend wirkungslos. Erst drei Jahre später konnte Jean Moulin – Deckname „Max“ oder „Le Maquis“ die unterschiedlichen Bewegungen, die sich in Einzelfällen sogar bei der Gestapo denunziert hatten, koordinieren.
Neben den zahlreichen Sabotageakten war die Literatur der Resistance ein wesentlicher Faktor, der das Zusammengehörigkeitsgefühl der Franzosen bestärkte. Eine der einflußreichsten Veröffentlichungen war die Novelle „Le Silence de la Mer“, die der ehemalige Karikaturist Jean Marcel Bruller unter dem Namen Vercors in der von ihm mitbegründeten „Editions de Minuit“ veröffentlichte; gedruckt wurde das Fünfzig-Seiten-Büchlein allerdings in Genf. Den Namen Vercors hatte sich Bruller nach einem wichtigen Rückzugsgebiet der Resistance in der Nähe von Grenoble gewählt. Dort war es zu brutalen Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht gekommen. Die Tageszeitung „Le Monde“ zählt das Buch zu den wichtigsten einhundert Büchern des 20. Jahrhundert.

Der Offizier Werner von Ebrennac wird bei einem Schreiner und dessen Nichte einquartiert, die mit dem anständigen und an französischer Kultur interessierten Deutschen als Zeichen ihres Widerstandes kein Wort sprechen. Ebrennac kann sich sogar eine deutsch-französische Freundschaft vorstellen. Damit steht er jedoch auch bei seinen Kameraden ziemlich allein. Erst als er sich zum Kampfeinsatz an die Ostfront meldet und das Haus verläßt, spricht die Nichte ihr einziges Wort:


„Adieu!“
Heute ist die Wirkung des Buches schwer nach zu vollziehen. Oft wurde es wegen seines Ansatzes der Völkerverständigung André Gide zugeschrieben. Der russische Schriftsteller und Journalist Ilja Ehrenburg charakterisierte es als ein
„Werk zur Provokation, das bestimmt von einem Nazi geschrieben wurde, um der Manipulation der öffentlichen Meinung unter Führung der Gestapo dienlich zu sein“.
Der Untergrundverlag „Editions de Minuit“ veröffentlichte daneben sehr früh schon Werke der späteren Nobelpreisträger Samuel Beckett und Claude Simon. Die frühe Verfilmung von Melville ist sehenswerter als die späteren Versuche.

 

Samstag, 19. Mai 2018

Saint Césaire de Gauzignan: Domaine CévenCep und andere

Die Silhouette von Saint Césaire de Gauzignan hat sich kaum geändert in den vergangenen einhundert Jahren, auch nicht, daß die Einwohner in erster Linie vom Wein und dem Anbau von Oliven leben.

Die Ölmühle von Roger Paradis produziert regelmäßig auf den großen
Esther und Bruno Schwyter

Messen ausgezeichnete Öle, so das Picholine oder das fruitée à l’ancienne. Während noch vor einigen Jahren fast ausschließlich sich die Kooperativen um den Ausbau und die Vermarktung der Weine
Ölmühle Paradis
kümmerten, entstehen nun immer mehr selbstständige Weingüter. So das von Michael Bourassol (HIER mehr) , das des Bio-Winzers Bruno Schwyter vom Mas Nouguier www.besvins.ch , die Domaine des Vignes Rouges von Raphael et Séverine Dubois und das von Didier und Elisabeth Bonnal, die ihre Weine im Salle Polyvalente einem großen Publikum vorstellten.

Zwei Weißweine, ein Chardonnay und ein Roussane-Sauvignon, beide sehr fruchtig, wurden verkostet, ein Rosé Cinsault aus mittlerweile 40 Jahre alten Reben und die Roten aus den


Traubensorten Grenache, Cabernet und Carignan. Wer nicht dabei war, kann das leicht nachholen, in dem er Didier (06.09.47.68.83) oder Elisabeth (06.19.02.33.91) anruft. Nachholbedarf besteht sicher noch im Marketing; Prospekte und Internetauftritt werden wohl auch kommen, aber im Keller oder dem Weinberg gibt es eben immer Dinge,die gerade erledigt werden müssen.



Wenn Sie alle Weine ausgiebig probiert haben, empfiehlt sich ein Anruf bei Annemarie und Laurent Cogoluègnes (06.15.41.89.04), die in ihrer Gite Isalyne dann hoffentlich noch ein Zimmer für Sie haben.

Als Bischof Césaire das Dorf im 10. Jahrhundert gründete, geschah dies vor allem auch mit Blick auf die leicht hügelige Lage, die gute Weine versprach. Unruhige Zeiten erlebte Saint Césaire während des Kamisardenaufstandes, als zwei Kundschafter der Aufständischen beim Mas Nouguier getötet wurden und die königlichen Truppen die



Kamisarden bei einem Gottesdienst im Clau d’Issoire überfallen konnten. Im Nachbarort Martignargues kam es zu einer großen Schlacht, die die Königlichen verloren. Hier mehr dazu.  

Mit Bürgermeister Frédéric Gras ist vor einigen Jahren eine neue Dynamik in den Ort eingezogen, Neubaugebiete wurden ausgewiesen und die Einwohnerzahl, wie oft in den naturnahen Dörfern des Südens, ist ordentlich gestiegen (von 280 auf 380 in zehn Jahren).

Samstag, 12. Mai 2018

"Leaving Berlin": Brecht bleibt und Meier geht

Im Nachkriegsberlin: Bert Brecht auf einer Friedenstagung des Kulturbundes Bild Wiki cc
Seit dem Spätsommer 1944 arbeiteten einige der in die Sowjetunion geflohenen deutschen Schriftsteller, darunter Johannes R. Becher und Willi Bredel, bereits an der Organisation der kulturellen Umerziehung der Deutschen. Mitte 1945 wurde der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ in Berlin gegründet. Er sollte ausdrücklich keine Parteinähe haben, sondern unabhängig und überparteilich sein – was er tatsächlich aber nie war.
 
277.728 Rosinenbomber: Sehnsüchtig erwartet
Gerade in der Anfangsphase suchte man die großen Namen. Heinrich Mann, den man liebend gerne in die Sowjetisch Besetzte Zone gelotst hätte, blieb lieber in Kalifornien. Erst seine Tochter Leonie, bemühte sich im Jahr des Mauerbaus um die Überführung der Urne über Prag, wo sie wohnte, nach Ost-Berlin. Immerhin Anna Seghers, Bert Brecht, Helene Weigel und Arnold Zweig wurden für den Kulturbund gewonnen und traten immer wieder bei Veranstaltungen auf.

In diesem Umfeld taucht im Roman „Leaving Berlin“, von Joseph Canon in den Jahren 2012 und 2013 geschrieben, ein weiterer Autor auf, die Romanfigur des Halbjuden und Kommunisten Alex Meier, der schnell zu Brecht, von dessen sarkastischer Art angezogen wird und zu Anna Seghers einen guten Draht gewinnt. Gerade mal 1700 Kalorien stehen den Berlinern zur Verfügung, aber die Hofierten des Kulturbundes profitieren von Buffets ohne Lebensmittelkarte, von Wohnungen, von Telefon und für Brecht und Meier steht immer ein Auto zur Verfügung. Und rings herum Schwarzmarkt, Luftbrücke und Spionage.

Alex Meier in einer Phantomzeichnung und das gegenüber der
deutschen Ausgabe aussagekräftigere amerikanische Cover
Meier wird von den Kommunisten und ihrem K5, aus dem später das Ministerium für Staatssicherheit wird, und der CIA zur Spionage mehr erpreßt denn angeworben und hält sich gut in dieser Welt, in der jeder jeden aushorcht und jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muß. So soll Meier seine Jugendliebe Irene als Informantin nutzen, mittlerweile die Geliebte eines Sowjet-Majors. Niemand kann keinem Vertrauen, Verrat ist an der Tagesordnung. Ein lesenswerter Thriller, dessen Lektüre aufgrund des Auftretens unserer „alten Bekannten“ Brecht, Seghers, Becher und Zweig - auch Feuchtwanger und Thomas Mann sind am Rande beteiligt – einfach Spaß macht, aber niemanden die Lösung erahnen läßt.

Joseph Kanon, der Harvard-Student und spätere Verlagsleiter von Houghton Mifflin hat eine ganze Reihe seiner Romane im Nachkriegsberlin angesiedelt.

Samstag, 5. Mai 2018

Collioure: Patrick O'Brian schweigt


Richard Patrick Russ wurde
als Patrick O'Brian erfolgreicher Schriftsteller. Bild Calixus
Schon lange ist Collioure als einer der schönsten Orte an der Côte Vermeille geschätzt. Der Engländer Richard Patrick Russ, der seine Bücher als Patrick O‘Brian schrieb, hat den Ort bereits ein paar Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg für sich entdeckt. Von 1949 an hatte er mit seiner Frau Mary Tolstoy und zunächst auch mit Stiefsohn Nicolai Nikolai Tolstoy-Miloslavsky fast fünfzig Jahre in einem kleinen Haus am Ortsrand in Richtung Elme gewohnt. Wenn überhaupt, dann schrieb er abfällig über den Ort, so, als wollte er alles dafür tun, ihn vor dem Zuzug weiterer Engländer zu schützen. Nicolai hat eine lesenswerte Biographie über O‘Brian geschrieben, der immer größten Wert auf seine Privatsphäre legte und kaum einmal Besucher empfing; außer vielleicht seiner Frau hätte niemand diese Biographie schreiben können.

Nachdem O‘Brian aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Royal Air Force zugelassen wurde, bekam er während des Krieges verschiedenen
Das Grab gleich am Eingang
des Friedhofs von Collioure. Bild ot
Aufgaben beim britischen Geheimdienst und anschließend eine geringe Rente. Sein finanzieller Durchbruch als Autor kam mit der zwanzigbändigen Aubrey-Maturin-Serie, den in napoleonischer Zeit spielenden Geschichten über den Schiffsarzt Stephen Maturin und den Kapitän Jack Aubrey; sie sind inzwischen mit Russell Crowe verfilmt worden. Bis er allerdings von seinen Romanen leben konnte, mußte er sich mit Übersetzungen über Wasser halten, etwa der des „Papillon“ von Henri Charrière . Und auch eine später vielgelesene Picasso-Biographie half ihm zunächst nicht aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten. O’Brian und Picasso hatte sich oft in der „Bar des Sports“ getroffen, wie die „Bar des Templiers“ früher hieß.

 

Samstag, 28. April 2018

Die „schnellen“ Austern vom Etang de Thau und das Restaurant "L' Oasis du Pêcheur"

Bertrand David, in vierter Generation Austernzüchter in Bouzigues, freut sich über seine „schnellen“ Austern. Sie kommen mehr als doppelt so schnell auf den Markt wie diejenigen aus der Bretagne und der Normandie. Der Grund: Ganz einfach die idealen Aufzuchtbedingungen im Etang de Thau, einem 8.000 Hektar großen Salzwasserbecken südlich von Séte, das nur durch einen schmalen Dünenstreifen vom Mittelmeer getrennt ist. Hier das VIDEO.


Vor dem Herbstgewitter am Etang de Thau. Im Hintergrund Sète.
„Im Etang ist die Temperatur immer ein paar Grad höher als im Meer und es ist nochmal deutlich wärmer als im Atlantik. Und weil unsere Austern dadurch mehr Nahrung haben und es außerdem hier fast keine Ebbe und Flut gibt, fressen sie immer und wachsen schneller.“
Immerhin braucht es selbst hier zwei Jahre, bis die Austern geerntet werden können.
„Bis dahin haben wir jede einzelne Muschel mindestens sechsmal in die Hand genommen, vom Aussetzen der ausschließlich japanischen Larven, die später mit Zement an die Schnüre geklebt werden werden, bis hin zum Säubern kurz vor dem Verkauf.“
Der See hat eine mittlere Tiefe von rund 5 Metern und wird, zum Wohl der Muschelzüchter und professionellen Fischer, von einer warmen Quelle - Gouffre de la Vise - aus einhundert Metern Tiefe gespeist. Rund dreitausend Familien finden so ihr Auskommen und wer, wie Bertrand sein Geschäft versteht, auch deutlich mehr als das. „Le Marin“ heisst sein Schiff, mit dem er mehrfach täglich Rundfahrten zu den Austernbänken macht, dort anlegt und das ganze System des Etang de Thau anschaulich und überzeugend erklärt. Im Juli und August ist das Boot, trotz viermaliger Tour immer so übrfüllt, daß es nur wenig Spaß macht, also am besten im Frühjahr oder Herbst und sich dann aber vorher über die Abfahrtszeiten informieren: 0033 603 31 44 90.

Kurz vor Schluß der einstündigen Tour gibt es den Hinweis auf das dem "Imperium" zugehörige Restaurant „Le Marin“, ein paar Schritte von der Anlegestelle. Wer dort durchschnittlich ordentlich, aber, mit Ausnahme der Meeresfrüchte, nicht sehr gut gegessen hat, wird auf die dazugehörende „Vitrine du Marin“ verwiesen, wo man sich die frischen Muscheln und Austern auch preisgünstig mit nach Hause nehmen kann.
Schiffshalt direkt an der Austern- und Muschelzucht
Die Rundfahrt mit Stop an einem der Austernparks ist ein absolutes Muß in Bouzigues. Danach aber nicht ins "Marin", sondern einen Spaziergang entlang der Standpromenade und den Chemin de la Catonnière machen, bis man, nach höchstens fünfzehn Minuten vor einer etwas verwahrlosten Hofeinfahrt steht. Lassen Sie sich von den überquellenden Mülltonnen, von defekten Paletten und dem Toilettenkabuff rechts an der Einfahrt nicht abschrecken. Das ist das vielgerühmte Authentische, das schon Pagnols Ugolin und sein Papet nie verstanden haben.

Dort nämlich, so das Schild, sei die „L’Oasis du Pêcheur“ und genau die ist es dann auch. Sie merken das daran, daß Sie keinen Platz auf der kleinen Terrasse direkt über dem Wasser bekommen. Deshalb am besten vorher anrufen und reservieren: 0033 467 78 31 75. Und dann werden Sie ganz familiär nach Ihrem Vornamen gefragt. Montags ist zu, aber an allen anderen Tagen ist der Besuch dort ein Erlebnis. Eine ganz bodenständige Fischerküche ohne jedes Schnick und Schnack, Muscheln, die frisch aus dem Etang kommen, kein Fleisch und auch keinen Käse hinterher, Familienbetrieb eines Austern- und Muschelzüchters.

Restaurant Oasis: Frischer Genuß auch in den Monaten ohne "R"
Einfach unübertrefflich das Plateau de Fruits de Mer, die Tintenfische, die Messermuscheln oder Palourdes, die mit ihrem Hauch, es ist schon eher Windstärke 4, von Petersilie und Knoblauch auch die Nachbartische entzücken und dabei alles absolut preisangemessen. Nur als Beispiel: Ein Glas Picpoul de Pinet samt einem Probierteller mit sechs Austern, Muscheln und Crevetten und der hausgemachten Aioli gibt es für wenige Euro. Kostenlos dazu gibt es ein freundlicher Gespräch mit den Bedienungen - ich weiss bis heute nicht genau, wer zur Familie gehört und wer nicht - und abends den Sonnenuntergang über dem Etang.
Vorne wird der Blick genossen, hinten in der Miniküche wird gewirbelt


Und manch einer, und ich gestehe, dazu gehöre ich auch, hat das dort ein spätes Mittagessen ausklingen lassen und mit dem Blick auf Séte, die Wolken-, Wasser und Sonnenspiele und mehr oder weniger philosophischen Erörterungen einen frühen Abendimbiß abgewartet. Voraussetzung ist natürlich immer eine gute Fee, die die nächtliche Heimfahrt übernimmt. Es könnte natürlich auch, gendergestreamt, ein guter Geist sein; aber das ist bisher niemals vorgekommen.

Austern mit Aussicht: Und zwar genau dieser obigen