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Die "chinesische Mauer" von Martignargues
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Man kann es aus dem Weltraum nicht sehen, aber das dennoch bedeutendste Bauwerk von Martignargues ist eine gut drei Meter hohe und einen Meter breite Mauer oberhalb des Friedhofs. Sie umschließt auf rund zweihundert Metern Länge den Weinberg des Monsieur Cadounqué, der die Mauer zwischen 1850 und 1895 aus den auf seinem Acker gesammelten Steinen errichtete. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er hier zwischen zwei Zypressen beerdigt. „Jetzt kannst Du ausruhen und Deine Mauer bewachen,“ sagte der Ortsgeistliche bei der Beerdigung.
Martignargues ist ein französisches Dorf im Gard zwischen Vézenobres und Mas Nouguier, malerisch gelegen auf einem Hügel über dem Tal der Droude, aber zehnmal können Sie durchfahren, ohne einem Menschen zu begegnen. Und anderen Autos begegnen Sie nur an den Tagen, an dem die Grundschüler, im Wechsel mit den anderen kleinen Örtchen ringsum, hier ihren Unterricht bekommen und von den Mamas abgeholt werden. Wenn eine von ihnen zu früh da ist, kann sie nur warten.
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Nur das Schild hängt noch.
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Der Ort hat kein Café mehr, Rosalie Polge hat ihres vor Jahren schon dichtgemacht, und auch der Tabakladen von Monsieur Reynaud und die kleine Lebensmittelhandlung von Anna Légal sind längst Geschichte. Und das, obwohl sich in den letzten fünfzig Jahren die Einwohnerzahl verdreifacht hat: Von 150 auf rund 450.
Warum die Einwohner von Martignargues „Engländer“ genannt werden: „Lous Inglès" ? Das geht zurück auf den Hundertjährigen Krieg, als der Ort versehentlich von den Engländern eingenommen wurde, die die Kapelle und die sie umgebenden Privathäuser mit einer Festung verwechselten. Manchen von Ihnen gefiel es hier so gut, daß sie über Generationen blieben ; der Blick ins Einwohnerverzeichnis belegt das noch heute : Born, Butcher oder Roche.
Der Zweite Weltkrieg hat im Ort selbst nicht stattgefunden ; das Dorf wurde nie von der deutschen Wehrmacht besetzt. Anders war das während der Religionskriege zu Beginn des 18. Jahrhundert, als die Truppen Ludwigs XIV. versuchten, die protestantischen Kamisarden wieder auf den rechten, also katholischen Weg zu bringen. Eine der großen Schlachten dieses von beiden Seiten grausam geführten Krieges hat unterhalb des Ortes stattgefunden, die Bataille de Martignargues, an die noch heute ein Gedenkstein erinnert.
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Gedenkstein zwischen Martignargues und
der Ölmühle von Roger Paradis |
Mehr als 500 Soldaten des Königs, die unter der Führung des noch während der Schlacht geflohenen Marquis de la Jonquière standen, wurden getötet. Dem standen nur drei getötete und zwölf verletzte Kamisarden gegenüber. Deren Anführer Jean Cavalier war vier Wochen später der große Verlierer, als er bei Nages, in der Nähe von Nîmes, vernichtend geschlagen wurde. Dazu erreichte ihn die Nachricht, daß den Königstruppen sein wichtigtigstes Nachschublager, das sich in einer auch heute noch zu besichtigenden Grotte oberhalb von Euzet befand, verraten worden war. Cavalier legt die Waffen nieder und geht nach Genf, wo der Herzog von Savoyen sich die Dienste des taktisch versierten Kämpfers sichert. Er kämpft im Spanischen Erbfolgekrieg auf portugiesisch-britischer Seite und wird schließlich rentenberechtigter Gouverneur der Insel Jersey.
Wer das mit Zeit und in französischer Sprache etwas ausführlicher nachlesen will, dem sei die sechsbändige, großformatige Arbeit von Henri Bosc „La guerre des Cevennes“ empfohlen, die zwischen 1985 und 1993 erschienen ist. So um die vierhundert Euro kostet das Werk antiquarisch, wobei sie aufpassen sollten, daß Sie dafür auch eines der numerierten Exemplare (bis Nr. 1300) erhalten. Immer mal wieder rutscht sonst auch ein fotokopierter Band dazwischen; allerdings sind Sie dann schon mit 80 Euro für die sechs Bände dabei.
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