Freitag, 29. Mai 2020

Vauvenargues: Moralisches aus Picassos Schloß


Vauvenargues von Charles Amadée Colin (19. Jh.)
Luc de Clapiers, der Marquis von Vauvenargues, kam erst spät zu Philosophie und Literatur und hatte nur wenig Zeit seine Moralphilosophie zu zu denken und aufzuschreiben. Mit knapp dreißig Jahren mußte er den Dienst in der Armee quittieren; ihm waren im Polnischen Erbfolgekrieg die Beine erfroren. Und vier Jahre später (1747) war es bereits tot.

Clapiers sagt man den Ausspruch nach, er habe sich erst nach dem Verlust der Beine auf die wesentlichen Dinge konzentrieren können. Und das waren neben der

„Einführung in die Erkenntnisse des menschlichen Geistes“
vor allem die „Maximes“.

Voltaire hat sie sehr geschätzt und daraus Inspiration für manches seiner Bonmots gezogen - um den Begriff Plagiat zu vermeiden. Diese Aphorismensammlung schrieb Clapiers in Vauvenargues, einem Schlößchen ein paar Kilometer außerhalb von Aix, das später Pablo Picasso gekauft hat. Mit dem Gebäude hat Picasso ein riesiges, rund eintausend Hektar großes Gelände erworben, das sich zum Montagne Sainte Victoire hinaufzieht. Der neue Eigentümer habe den Berg Cézannes dann „picassofiziert“, wie eine angesehene französische Zeitung dann nach oberflächlicher Recherche schrieb.


Es bleibt Cézannes Berg. Der Sainte Victoire läßt sich nicht einmal "picassofizieren".Bild D. Fehringer
Zum Beispiel hätte man einfach mal fragen sollen, wie viele Bilder des Berges Picasso denn gemalt habe? Wie immer ließ sich Picasso auch hier von seinen Frauen, Häusern und Landschaften inspirieren: Hier malte er in einem Jahr weit über hundert Bilder von Jacqueline Roque. Eines davon, es heißt „Weiblicher Akt unter Pinie“, zeigt den Berg in einem verschmelzenden Übergang zu Jaquelines Hand, die die steile Westflanke bildet. Aber nie hat er den heiligen Berg alleine gemalt. Wenn Picasso von Cézanne sprach, hieß es immer respektvoll „Monsieur Cézanne“. Und dieser Respekt kam auch darin zum Ausdruck, daß Picasso bei den drei Ansichten des Dorfes Vauvenargues, die er in jener Zeit malte, Cézannes Berg den Rücken zudrehte.
Für Picasso eine Sekundenentscheidung, das Schloß zu kaufen.      Bild CCI Marseille 1957
Das Schloß zu kaufen war für Picasso Liebe auf den ersten Blick. Nur von 1959 bis 1961 hat Picasso in Vauvenargues gelebt - aber seit 1973 liegt er in Vauvenargues begraben. Sechs Tage dauerte es, bis die Grabstelle aus dem harten Fels herausgehauen war. Hier hatte er damals wie jetzt die Ruhe gefunden, die er an der Riviera vermisst hatte, malte nächtelang am offenen Fenster und zum Gesang der Nachtigallen.

Wenn Sie je die Chance haben, das Schloß zu besuchen: Tun Sie es. Fünfzig Jahre nach dem Einzug Picassos, hat Catherine Hutin, Jacquelines Tochter aus erster Ehe, es erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das war, als das Musée Granet in Aix im Jahr 2009 über einhundert Bilder von Cézanne und Picasso ausstellte. Und wenn Sie ganz viel Glück haben, können Sie sogar die Super-8-Filme sehen, die Jacqueline mit und über Picasso gedreht hat.


Zahlreiche Bilder aus dem karg eingerichteten Schloß hat Picassos Freund David Douglas Duncan gemacht. Während des Korea-Krieges war er Kriegsberichterstatter für das US-Magazin "LIFE".




 



Samstag, 16. Mai 2020

Resistance-Kämpfer und Dichter René Char: Der Tod des Freundes

In Isle-sur-Sorgue ist René Char 1907 zur Welt gekommen und in seiner Heimatregion kämpfte er als sehr frühes Resistance-Mitglied als „Capitaine Alexandre“ gegen die deutschen Besatzungstruppen. In seinem Werk verarbeitete Char immer wieder Begebenheiten aus seiner Zeit im Widerstand, so auch den Tod seines Dichterfreundes und Mitkämpfers Roger Bernard. Bernard wurde auf dem Weg zu Char erschossen. In „Hypnos“, seinem bekanntesten Buch, vermacht uns Char letzte Texte seines Freundes:

„Dann plötzlich betrachtet
der verstümmelte Kopf den Boden,
und die Sonnenblume stirbt,
und frisches Schluchzen zerfällt in Kristalle.“

Und Char beklagt:
„Dies ist der Dichter, den wir verloren haben.“

Zuvor hatte Char erfreut gesehen, wie der junge Drucker Bernard sich vom Leser zum Schreiber entwickelte.

„Begierig, ans Werk zu gehen, sich zu vervollkommnen verbringt der Heranwachsende lange Abende über die Bücher gebeugt, vertraut mit dem Unbezwingbaren, das er schließlich darstellen kann; daher rührte auch eine frühzeitige Schwäche seiner sehr blauen Augen, die in eine Legierung von Nordsee und Lavendel getaucht schienen.“

Char als Held der Resistance                 Bild Vimeo


Zwischen zwei Sabotageakten habe Bernard ihm neue Gedichte vorgelesen.

„Als Kurier auf dem Weg zum Kommandoposten von Céreste fällt er am 22. Juni 1944 den Deutschen in die Hände. Da er sich weigert, auf die ihm gestellten Fragen zu antworten, wird er wenig später auf der Landstraße erschossen. Ein Maulbeerbaum und ein zerstörter Bahnhof sind die nächsten Zeugen seines Todes.“


Freitag, 1. Mai 2020

Collioure: Immer noch Post für den toten Dichter Antonio Machado

Das Grab Antonio Machados mit dem Briefkasten hinten rechts
und der republikanischen Flagge. Bild Marc Meurrens Wiki cc.
Ein Rätsel bleibt weiter ungelöst. Auf dem alten Friedhof von Collioure befindet sich das Grab des spanischen Lyrikers Antonio Machado, der kurz vor dem Ende des spanischen Bürgerkrieges gemeinsam mit seiner Mutter über die verschneiten Pyrenäen nach Frankreich geflohen war. Kurz darauf und nur drei Tage vor dem Tod seiner Mutter starb er in aller Einsamkeit, die auch das zentrale Thema seines Werkes war. Sein Erstlingswerk aus dem Jahr 1903 war bereits mit dem Titel Soledades, Einsamkeiten, überschrieben. Machado schrieb reduzierte Gedichte, etwa über das Spiel der Kinder auf dem Dorfplatz:

„Die Kinder sangen harmlose Lieder
von einem vorbeiziehenden Etwas,
das niemals am Ziel ist.
Wirr die Geschichte,
klar nur das Lied.“


„Nach der Wahrheit gibt es nichts Schöneres als die Phantasie“, schrieb er einma. Im katalanischen Bewußtsein ist er als Dichter, Philosoph und Lehrer verwurzelt. In der viele Jahre später, 1970 erst, gehaltenen Totenrede von Ambrosi Carrion, hier der ganze Text, zitiert dieser die letzten Worte, die Machado seinem Lehrer Francisco Giner de los Rios mit auf den Weg gab: „Und zu einem anderen, reineren Licht brach der Bruder der Morgendämmerung auf.“

Auf dem Grab, wie zufällig abgestellt, aber fest installiert befindet sich ein Briefkasten, in den immer noch Post seiner zahlreichen Verehrer hineingeworfen wird. Was es damit auf sich hat und ob die Post vielleicht sogar von höherer Stelle beantwortet wird, das können selbst die Dauergäste des Friedhofs nicht beantworten. Das Grab Machados schmückt auch heute noch eine verschlissene, wie achtlos über den Grabstein gelegte, aber alle paar Jahre erneuerte Fahne der spanischen Republik.

Samstag, 25. April 2020

Les Baux-de-Provence: Yves Brayer und sein Museum

Im Hôtel des Porcelets in Les Baux–de-Provence befindet sich das in ganz Südfrankreich beworbene Museum von Yves Brayer. Vor allem seine Bilder aus Italien sind hier ausgestellt, obwohl der Künstler lange in Les Baux lebte und auch hier begraben liegt.
Brayers  Les Baux aus dem Jahr 1963 und der Eingang zum Museum. Bilder Museum
Viele seiner provenzalischen Motive sind immer noch im Kunsthandel zu erwerben und liegen preislich inzwischen im unteren fünfstelligen Bereich. Die Galerie 26 in Paris, an der Place des Vosges, an der Simenons Maigret so gerne gewohnt hätte, ist hier eine gute Adresse.

Dreißig Jahre zuvor waren Brayers Bilder auf Flohmärkten noch für 500 Francs zu haben, wenn es denn echte waren, denn Brayer gehört sicher zu denen, die sich leicht kopieren lassen. Das ist ein weites Feld, denn in der Juristendenke kann ein „falsches“ Bild „echt“ sein und auch die „Fälschung“ ein „Original“. 


Hier ein originaler van Gogh, also ein selbstgemalter, von irgendwem in China.
Preis inklusive Rahmen 25 Dollar, also voraussichtlich kein echter.
 Als Gauguin nach Arles kam, um Vincent van Gogh zu besuchen, zeigte der ihm die unsignierte Kopie eines Bildes von Jean François Millet. Auf die Frage, ob es ein Original sei, antwortete Vincent voller Überzeugung:

„Natürlich, ich habe es ja selbst gemalt!“
 Die Episode könnte so stattgefunden haben, könnte aber auch nur eine plausible Geschichte sein.

Dies als Warnung oder Anreiz, wenn Sie vorhaben, sich als Mäzen einer der zahlreichen Straßenkünstler der Region zu engagieren. Einen Überblick über Ausstellungen und Events bietet zuverlässig, und in den Bewertungen erfrischend subjektiv, die an vielen Stellen kostenlos ausliegende Zeitschrift „l‘Art...Vue“. 


Auch wenn Sie weiter im Südwesten unterwegs sind, können Sie sich in Cordes-sur-Ciel im Departement Tarn im dortigen Musée d'Art Contemporain et Moderne einen Saal mit Brayer-Bildern ansehen - HIER im VIRTUELLEN RUNDGANG.


Yves Brayer: Pinienallee in Saint Paul de Mausole, 1946. Bild Museum


 

Samstag, 11. April 2020

Blauzac am Ostermontag: Ein Dorf voller Flohmarkt

Was für Richerenches und seinen Trüffelmarkt der erste Samstag nach dem 15. November bedeutet, das ist in Blauzac der „Lundi de Pâques“, der Ostermontag, an dem das Dörfchen überquillt von lauter Flohmarkt-Ständen - jedenfalls in "normalen" Jahren. Egal, ob Sie Samstag zuvor auf dem Markt in Uzès sind, in Alès oder Remoulins spazieren gehen oder den Pont du Gard besuchen: Wenn Sie zurückkommen klemmt der gelbe Handzettel hinter dem Scheibenwischer, der Sie nach Blauzac einlädt.
In der Regel kaum Profihändler und vergleichsweise günstige Preise: 25 Euro für ein Set Kupfertöpfe
Und offensichtlich kaum jemand, der dieser Einladung nicht folgt. Scheint die Sonne, kann es sein, daß Sie drei Kilometer außerhalb parken müssen, wenn Sie nicht den Mut haben auf der beidseitig zugeparkten Departementsstraße ins Dorf zu fahren, um dort eine Einfahrt zu blockieren. In Blauzac, und da achtet die Mairie ansatzweise streng darauf, sind Neuwaren und professionelle Händler verboten. An sich. Denn die Duellpistolen für 4.600 Euro sahen nun nicht nach einem privaten Allerweltsstand aus. Und auch den ein oder anderen Händler kenne ich von den Brocantes in Uzès oder Anduze – beide übrigens an jedem Sonntagmorgen. Kaum jemanden gibt es, der nicht beladen mit seinen Occasionen zum Auto zurückpilgert.

Bar du Progrès: Einmal im Jahr überlaufen. In diesem Jahr nicht.
Manche Besucher - und zu denen zähle ich mich auch - nehmen den Weg vor allem auf sich, um sich einen der roten Plastiksessel vor der „Bar du Progrès“ zu erkämpfen, seine Herzallerliebste ins Getümmel zu schicken und dann dort das Panoptikum der Vorüberziehenden zu beobachten. Nationalitäten raten ist ein ebenso beliebtes wie meist auch einfaches Spiel, weil die meisten Besucher die Stereotypen ihres Landes perfekt spielen, vor allem die zahlreichen Engländer, die aus ihrer Hochburg Uzès angereist kommen.

Nach einem bis höchstens drei Pastis gibt’s hinterher die traditionelle Paella. Paella vom Steingutteller und den Rosé nachgegossen in den gleichen Plastikbecher, in dem schon der Pastis serviert wurde. „Für die Umwelt“, wie der junge Mann erklärt, der vom Ansturm hoffnungslos überfordert ist, andererseits auch jenen „Bon appétit“ wünscht, die sich Ihr Essen von anderswo mitgebracht haben und nicht einmal etwas zu trinken wünschen.

Wenn Sie Wert darauf legen die Getränke einigermaßen zeitgleich mit dem Essen zu bekommen, gehen Sie einfach in die Bar und tragen Ihren Rosé selbst raus. Wein oder das Bier gibt es dann mit einigem Verhandlungsgeschick sogar im Glas. Dann hätten Sie es soweit geschafft wie die Stammkunden der Bar, denn deren Getränke werden natürlich in Gläsern serviert und übrigens auch mit einem frischen für jedes neues Getränk.

Samstag, 4. April 2020

Font Ségugne: Die Gründung der Félibrige

Von 1880 an veränderte sich die Sprachsituation in Südfrankreich erheblich: 1881 wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Im Unterricht und auf dem Schulgelände wurde ausschließlich das Französische zugelassen und per Prügelstrafe durchgesetzt; die als Patois degradierten Regionalsprachen blieben strikt untersagt. So war der Gebrauch des Okzitanischen allein dem Privatleben vorbehalten. Die Generation allerdings, die diese diskriminierende Schulzeit erlebt hatte, wollte ihren Kindern oftmals die Spötteleien von Lehrern und Mitschülern ersparen, gab ihre Sprache nicht weiter und redete auch zu Hause Französisch.

Diese Entwicklung war vorauszusehen, aber bei weitem nicht allen recht. Auf halbem Weg zwischen Avignon und L'Isle-sur-la-Sorgue


Hier müssen Sie schon selbst herfahren. Streetview-geschützt (siehe untere
Bildhälfte) liegt dasSchloß in einem wunderschönen Park.  Bild Patrick Le Thorois
befindet sich das kleine Örtchen Châteauneuf-de-Gadagne. Im dortigen Schloß Font Ségugne, auf dem Landgut der Familie Giéra, trafen sich bereits am 21. Mai 1854 sieben überzeugte Provenzalen: Frédéric Mistral, Joseph Roumanille, Théodore Aubanel, Jean Brunet, Rémy Marcellin, Anselme Mathieu und schließlich Paul Giéra als Gastgeber.

1854: Überzeugte Provenzalen im Garten des Château
Die Renaissance der provenzalischen Kultur und Sprache hatten sie sich auf die Fahnen geschrieben. In der Folge gab begeisternde Auftritte etwa von Mistral in der Arena von Arles, es gab Auftrieb durch den Nobelpreis des Jahres 1904.

In der Laudatio der Kommission hieß es, Mistral habe den Preis verdient „in Bezug auf die frische Ursprünglichkeit, das Geistreiche und Künstlerische in seiner Dichtung, die Natur und Volksleben seiner Heimat getreu widerspiegelt, sowie auf seine bedeutungsvolle Wirksamkeit als provençalischer Philologe“.

Doch die Außenwirkung blieb bescheiden. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Mehr Aufmerksamkeit als Wirkung. Die Félibrige konnte dem Okzitanischen nur sehr beschränkt den Rang einer Literatursprache verleihen. Interne Eifersüchteleien behinderten die Arbeit. So wurde von Mistral und Roumanille ein Wörterbuch mit grammatikalischen Regeln erstellt, das sich allein auf den Dialekt der unteren Rhone bezog und damit für andere okzitanische Mundarten nicht brauchbar war.


Frédéric Mistral in Arles. Ausschnitt einer Postkarte aus dem Jahr 1900
Im ersten Statut der Félibrige, das erst acht Jahre nach der Gründung formuliert wurde, war man sich über Raum und Aufgabe noch einig. Man wolle „der Provence ihre Sprache, ihre Farbe, ihre Freiheit auf Wohlstand, ihre nationale Ehre und ihren hohen Rang intellektuellen Geistes“ bewahren. Und das im ganzen „Süden von Frankreich ganz und gar“. Der Gedanke auch einer politischen Autonomie wurden sehr schnell fallen gelassen.
Statue der Mirèio in Les Saintes Maries
Mistrals „Mirèio“ wurde 1859 in Avignon erstmals gedruckt, nicht bei Aubanel, sondern bei Seguin in der Rue de la Bouquerie. Ausgerechnet der Lyriker Hugo von Hofmannsthal konnte mit dem berühmten provenzalischen Versepos, das wesentlich zur Verleihung des Nobelpreises an Mistral herangezogen worden war, überhaupt nichts anzufangen. Für ihn ein
„Idyll in preziösen künstlichen Strophen, ein viel zu langes Gedicht, in dem die wunderschönen Dinge der Vergangenheit steif und tot herumstehen, wie in einem ungemütlichen Provinzmuseum“.

Freitag, 27. März 2020

Banyuls: Die Tristesse des Emmanuel Bove


So schön Banyuls und seine Umgebung sind, so negativ und apokalyptisch hat sich Emmanuel Bove über den Ort geäußert. Der russisch-französische Schriftsteller, sein Vater hieß Bobobnikoff, wurde in Deutschland erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Übersetzungen von Peter Handke bekannt. Im Mai 1928 hat Bove es gerade mal eine einzige Stunde in Banyuls ausgehalten.
„Banyuls war einmal, so meinen zahlreiche Leute, ein kleines Paradies. Stellen Sie sich eine unendliche Moorlandschaft vor, eine trostlose Ebene, verlassene Hütten und über all dem eine Art Nebel, bestehend aus Myriaden von Mücken. Kaum habe ich den Bahnhof von Banyuls verlassen, werde ich von Gendarmen nach meinen Papieren gefragt. Ich gehe in die Stadt. Sogleich taucht unvorstellbarer Dreck auf. Und noch immer kein Baum.“

Er trifft auf eine Gruppe schwarzgekleideter, betender Frauen.

„Das Ganze ist absolut malerisch, aber auch von einer bestürzenden Tristesse. Irgendwelche Kasernen und Fabriken versperren einem den Weg dahin. Ich frage um Auskunft, bekomme keine Antwort. Fassungslos reise ich eine Stunde später wieder ab.“


Manchmal auch auf allen Vieren. Deshalb 2 Stunden für 6 Km einplanen


Port Vendres mit den Augen von Jürg Treichler.
Hier geht es zu seiner Homepage
Bove hätte diese Stunde auch besser nutzen können, als sich wieder einmal in eine depressiven Stimmung hineinzuschaukeln. Ein Marsch direkt an der Küste entlang bis nach Port Vendres hätte bleibende und positive Eindrücke hinterlassen.

Von vielen seiner Kollegen gesch
ätzt - ganz früh schon von Colette und nach dem Krieg vor allem von Beckett - bietet sich die Lektüre von Boves Romanen auch nicht gerade zur Einstimmung auf den Urlaub an. Enttäuschungen, Resignation und Darstellungen des sozialen und seelischen Elends beherrschen ihn und sein Werk.

„Ich verstehe jetzt, weshalb ich bei allem, was ich unternommen habe, gescheitert bin.“

Als Bove sich 1942 in der Gegend von Lyon und dann an der Drôme und der Ardèche aufhielt und in „Ein Mann, der wußte“ diese Zeilen schrieb, wollte kein Verleger das Buch haben. Da nützte auch die Freundschaft mit Philippe Soupault nichts, der zeitweise sein Lektor war. Geschichten über verpaßte Gelegenheiten aus dem kleinen Milieu wollte niemand lesen.
Algier zur Zeit Boves. Eine alte Postkarte aus dieser Quelle.
Und Bove wollte nicht in einem besetzten Frankreich veröffentlichen und flieht nach Nordafrika. In Algiers Vorort Bouzaréah mietet er sich ein Zimmer. Und dann hat er doch einmal Glück. Die Rue Charras hatte sich zum Zentrum des intellektuellen Exilantentums entwickelt: Die Bar „Coq-Hardi“ und noch wichtiger die Buchhandlung des jungen Verlegers Edmond Charlot. „Les Vraies Richesses“ hatte er sie nach Jean Gionos Buch „Vom wahren Reichtum“ genannt. Charlot hatte ein gutes Gespür für kommende Autoren - immerhin war er der erste, der einen Titel von Albert Camus verlegte – und dann auch Bove.

Bove nutzte seine ungewollte Freizeit zum Schachspiel mit berühmten Partnern, mit André Gide, der gerade von Tunis aus nach Algier gereist war, und mit dem Schriftsteller und Piloten Saint-Exupéry. Bove spielte gut, schlug Gide regelmäßig; die meisten anderen ließen den großen Meister allerdings lieber gewinnen.

Freitag, 20. März 2020

Anduze: Mittagessen im Marktgetümmel


Wenn Sie sommers schon um zehn auf dem Donnerstags-Markt in Anduze - alle touristischen Infos gibt es hier - sind, sollte der erste Weg zum Patron des Restaurants „La Rocaille“ führen, er lehnt dann wahrscheinlich an der Eingangstür. Dieses einfache, aber meist komplett besetzte Restaurant ist eine Institution im Ort.
 
Wenn Sie viel Glück haben, nimmt er Ihre Reservierung an...
Zu der Zeit haben Sie noch die Chance einen Terrassenplatz für den Apéro um halb zwölf und das anschließende Mittagessen zu reservieren; manchmal lehnt der Patron aber Reservierungswünsche auch einfach ab. Sie sitzen mitten im Marktgetümmel, können manchmal sogar die Füße in einen der benachbarten Stände ausstrecken. HIER EIN VIDEO, das unter anderem den schnellsten Ober wahrscheinlich nicht nur in ganz Frankreich zeigt. 

Mittagessen in einer Institution
Mit dem Marktende um Punkt zwölf sollten Sie die Füße dann allerdings einziehen, weil die Marktleute den Platz für ihre Lieferwagen brauchen; aber da kommt ja auch schon der erste Gang Ihres Menus. Im Rocaille dürfen Sie nichts Großartiges erwarten - wie auch, das teuerste Menu kostet um die 10 Euro. Im Verhältnis zum Preis ist das aber mehr als ordentlich; der „rapport qualité prix“, wie die Franzosen dazu sagen, der stimmt also. Die Trip-Advisor-Bewertungen schwanken zwischen „supergenial“ und „schlechtem Kantinenessen“.

Was bekommen Sie? Erst einmal etwas Salami mit Oliven und Gurken, dann eine Paté de campagne, die Sie sich, je nach Appetit, aus der großen Terrine herausschneiden können, dann ein Kräuteromelette meist zusammen mit einer großen Schüssel grünem Salat mit Radieschen, dann ein Steak(oder Würste oder ein Hühnerschlegel) mit Pommes frites und hinterher ein Stück Camembert oder, wer das vorzieht einen Nachtisch, manchmal ist das ein hausgemachter Apfelkuchen, oft allerdings nur ein abgepacktes Eis.
Das Rocaille als Zeichnung eines Gastes und "in echt"

Alles in allem eine Erfahrung, die Sie unbedingt machen sollten, wenn Sie schon einmal donnerstags in Anduze sind. Das Risiko für zwei Personen liegt inklusive Apéro, Wein und Café bei rund 30 Euro – ist also eingehbar. Und mit dem ganzen Drumherum ist es das auch wert. Es muß ja nicht jeden Donnerstag sein.


Samstag, 14. März 2020

Tucholsky: Viel Spott über Saint Tropez

Kurt Tucholsky auf Briefmarken der DDR-Post und der Deutschen Bundespost
Vergleiche mit der Heimat waren vielgeübtes Stilmittel  von Literaten.  Robert Louis Stevenson hielt die Cevennen im Prinzip für eine schottische Landschaft, "nur nicht so großartig". Für den Märchendichter Hans Christian Andersen waren Nîmes und das Languedoc im großen und ganzen "sehr dänisch". Und Kurt Tucholsky spottete über die Werbeplakate von Saint-Tropez: 
„Die Stadt steht auf allen Karten als Winterkurort aufgemalt. Bei aller Liebe - dann aber schon lieber Neuruppin.“
Statt Neuruppin könne es aber auch Eberswalde sein. „Nur ist es an der Riviera um eine Kleinigkeit teurer, dafür ist aber das Essen in Eberswalde besser.“ Und je schlechter das Essen im Süden Frankreichs, „desto lieblicher der Maître d‘Hôtel“.

Wenn es in Eberswalde eine dünne Suppe, bejahrten Fisch und ein bejammernswertes Huhn gäbe, würde die Bedienung einem vor lauter Scham keine Speisekarte reichen. An der Riviera sei sie fein gedruckt und man lese dann in Gold etwas von



Dieser letzte Plural sei eine Übertreibung. Und Tucholsky wünschte sich vom lieben Gott den Mut, nur ein einziges Mal den Oberkellner mit der Gabel in den Bauch zu pieken, wenn der sich mit der Standardfrage wie über ihn „wie einen Kranken beugt: Ob es mir denn schmecke und ob es mir munde“.

Kurz und gut: Wer hierher fahre, mache „krampfhaft ein vergnügtes Gesicht“ und wage es nicht sich einzugestehen, „daß es an hundert andern Küsten schöner, weiter, kräftiger und naturhafter ist“.

Überall habe er das Gefühl in einer Filmkulisse zu stehen: „Kein Mensch glaubt daran, die einheimischen Komparsen nicht, die Fremden eigentlich auch nicht.“ Und ansonsten stünden verirrte, unglückliche Palmen herum und blühten afrikanisch und unentwegt vor sich hin, weil sie sich nicht mit den anderen Bäumen unterhalten könnten. Und auch in den Hotelhallen „Palmen und vielhundertjährige Engländerinnen“ über deren „Herumwirtschaften“ er sich wunderte: „Wer arbeitet eigentlich in England für all diese Frauen?“


„Die Riviera liegt da und sieht aus.“
Mehr brachte Tucholsky trotz aller Liebe zu Frankreich und seines Engagements für den deutsch-französischen Ausgleich über die Riviera nicht zusammen. „Der kleine dicke Berliner“, wie ihn Erich Kästner in seiner „Begegnung mit Tucho“ charakterisierte, der mit seiner
Tucholskys Presseausweis 1928                                 Bild cc Wiki
Schreibmaschine eine Katastrophe verhindern wollte, hielt sich 1924 und 1928 im Rahmen von Reportagereisen in Südfrankreich auf und schimpfte:

„Dort, wo freie Plätze und Sanatorien für arbeitende Menschen stehen sollten, liegen Privatbesitzungen, die Gott im Zorn geschaffen hat.“
Zum Beispiel das Hotel Regina in Nizza.                    Bild Stadtarchiv Marseille
Tucholsky hätte sich, was Saint-Tropez angeht, eine Generation später gut mit Wolfgang Koeppen verstanden.

„Ein Fischernest, in das ein Goldregen fiel. Noch sind die Häuser festungsartig, dickwandig, natürlich-sonnenfeindlich, aber selbst das kleinste, kühlste Loch ist für mehr als den Erlös vermietet, den der Jahresfischfang eines Bootes einbringt. Man geht barfuß und in Lumpen und läßt durch die Löcher des Hemdes die Eitelkeit schimmern. Rudimente des Verstandes stammen von Sartre oder vom reichen Vater. Infantilismus ist Trumpf.“

Samstag, 7. März 2020

Aubagne: Auf den Spuren von Marcel Pagnol

Die Wasser der Hügel: Ugolin und Papet                                     Bild rbb-online
Fangen wir mal sehr persönlich an: Mit meinem Lieblingszitat von Marcel Pagnol. In seinem Buch „Die Wasser der Hügel“ hat das der kluge Papet seinem Neffen Ugolin das Leben einmal so erklärt:

„Es gibt drei Arten sich zu ruinieren: Die Weiber, das Spiel und die Landwirtschaft.“
 
Marcel Pagnol   Bild cc wiki 
Das möge jetzt jeder für sich bewerten.

Nur zufällig, weil der Vater dort als Lehrer tätig war, ist Pagnol in Aubagne, nordöstlich von Marseille zur Welt gekommen und nicht, wie alle seine Geschwister, in Marseille selbst. Für Klaus und Erika Mann, als sie Anfang der 30er durch Südfrankreich reisten und ihr oberflächliches „Büchelchen von der Riviera“ schrieben, sind die damals neuen und bis da nur in französischer Sprache erschienenen Stücke Pagnols noch kein Begriff. So ist für sie Aubagne nur „ein Vorort, in dem es nichts zu sehen gibt.“


Heute hat Aubagne sich vielseitig auf Pagnol eingestellt, hat sein Geburtshaus zugänglich gemacht, in einer Santon-Sammlung „Die kleine Welt des Marcel Pagnol“ Szenen aus seinem Leben und den Filmen nachgestellt und einen Wanderweg auf seinen Spuren eingerichtet. Es lohnt sich, das sorgsam restaurierte Geburtshaus zu besuchen. Die Pagnol-Spezialisten dort informieren Sie kenntnisreich und engagiert.

Beginnen Sie mit dem Film über Pagnol; der verschafft eine gute Basis für den anschließenden Rundgang, der die Familiengeschichte der Pagnols und Marcels filmische Arbeit in den Mittelpunkt stellt. Die Räume sind liebevoll, bis hin zur scheinbar gerade abgelegten Brille, ausgestattet, allerdings nicht immer ganz authentisch, was
Die (nachgebaute) Küche in der Bastide Neuve
die Einrichtung des Geburtshauses betrifft. So stammt die Küche beispielsweise aus der Bastide Neuve, dem immer wieder gemieteten Ferienhaus der Pagnols in den Bergen hinter der Stadt.

Das Maison de Tourisme bietet in den Sommermonaten einen „Circuit Pagnol spécial été“ an, der in knapp vier Stunden „ganz Pagnol“ zusammenfaßt. Das schließt auch den Besuch der Quelle von Manon ein, die „Tabac-Alimentation“ von Schpountz in Eoures und die „Bar zu den Vier Jahreszeiten“. Größere Strecken legt man im klimatisierten Bus zurück.

Nicht nur deshalb bietet sich diese Führung an, sondern vor allem auch, weil sie so an die in den Sommermonaten wegen der Waldbrandgefahr öffentlich nicht zugänglichen Plätze gelangen. Ab Mitte September, und selbst dann nur an den Tagen ohne Mistral, können Sie sich aber auch selbst auf eine Suche machen, die Sie nach Stunden und vielen vergeblichen Wegen die Werbebotschaft der Dumont-Reiseführer bestätigen läßt: Man sieht nur, was man weiß. Falls Sie sich verirren, HIER das VIDEO dazu.

Oder, wie der Berliner Flaneur Franz Hessel das schon siebzig Jahre vorher formulierte:
„Nur was uns anschaut, sehen wir.“
Mit dem teilweise sehr ungenauen Faltblatt aus dem Office de Tourisme, werden Sie beim ersten Anlauf die Grotte von Manon ebenso übersehen wie die von Grosibou, die Hundequelle, den Brombeerbrunnen und das Schloß von Buzine kurz hinter dem Industriegebiet.