Donnerstag, 4. Mai 2017

Theodor Wolff: Irrfahrt über Nizza, Cannes, Aix-en-Provence und Montpellier

Die Promenade der Engländer heute,
aber scheinbar in der 1930er Jahren. Ein Foto von mue62 und gleichzeitig der Link
zu vielen weiteren beeindruckenden Fotos aus Südfrankreich.
Theodor Wolff, ehemaliger Chefredakteur des Berliner Tageblatts, das bis 1933 die einflußreichste Tageszeitung der Hauptstadt war, hatte Autoren wie Alfred Kerr, Rudolf Olden, Kurt Tucholsky, Joseph Roth und Alfred (und nicht Albert) Einstein für das Blatt gewonnen. Früh mußte er aus dem nationalsozialistischen Deutschland fliehen.
In Nizza hatten sich die Wolffs nach 1938 behaglich eingerichtet. Ein Haus am Meer, einige tausend Bände in der Bibliothek, die alten Möbel und Bilder - zu jedem konnten sie die Geschichte erzählen, wie sie auf einem der Pariser Flohmärkte gefunden hatten und warum sie es dann gekauft hatten – aber auch die vielen Treffen mit freundlichen Menschen hatten sie hoffen lassen,
„nicht wieder hinaus zu müssen, in eine verrückte Welt, in das Chaos und die dunkle Ungewißheit“.

Selbst die wenigsten Journalisten wissen
mit dem Namen noch etwas anzufangen. Bild BDZV
Wolff war angesehen in Nizza, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß einer seiner beiden Söhne auf Seiten Frankreichs in der Fremdenlegion kämpfte. „Sie haben nichts zu befürchten“, hieß es von der Präfektur.

Dann aber doch. Alle Österreicher und Deutschen hatten das Gebiet der 14. Militärzone sofort zu verlassen. Ein letzter Gang durch die Stadt, ein Blick auf die Boulespieler, die das alles nicht interessiert:

„Kleinbürger in Hemdsärmeln messen nach jedem Kugelwurf sachkundig und wichtig die Distanz.“
Abfahrt nach Cannes, im Gepäck die Flohmarktkäufe wie ein kleines Mädchenbild von Gauguin und einen Toulouse-Lautrec. Zwei Tage später ein Hotel in Roquefavour bei Aix; da fallen abends die ersten Bomben und eine alte Engländerin setzt sich mit ihrem Opernglas in den Garten, „um das Schaupiel besser genießen zu können“. Weiter über Arles nach Montpellier und Saint-Gilles, „wo ein anlockendes Plakat die Existenz eines WC verkündet und damit die Vornehmheit“ des Hotels zu erkennen gibt.

Der Krieg, „der dort irgendwo im Norden Frankreichs Schrecken und Unglück erzeugt“, findet hier nicht statt; man liest allenfalls darüber.

„Hier unten, wo weder die Deutschen noch die Italiener die Sonne des Lebens verdunkeln, ist der Krieg eine Angelegenheit des Nordens, im übrigen sogar die Ursache mancher, allerdings taktvoll verschwiegener Vorteile, da er so viele zahlungsfähige Personen in die sonst spärlicheer besuchten Gegenden treibt."
Wolffs Bemühungen, Ausreisepapiere in die Vereinigten Staaten zu erhalten, scheitern mehrfach. 1943 wird er, wieder zurück in Nizza, von der italienischen Besatzungsmacht verhaftet, an die Gestapo ausgeliefert und stirbt noch im gleichen Jahr, nach einer Gefangenschaft im Konzentrationslager Oranienburg, im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.

Den meisten ist Wolff nur als Namensgeber für den Journalistenpreis geläufig, den der Bundesverband der Zeitungsverleger jedes Jahr verleiht.