Samstag, 23. November 2019

Sanary: Die "Frauenumgebung" der Exilautoren

Mit besonderer Ehrerbietung oder Höflichkeit wenigstens wurden die Damen in Sanary von den versammelten Dichterfürsten und literarischen Kaisern nicht behandelt. Allenfalls Ironie ließ man ihnen zukommen und Ludwig Marcuse sammelte all das und war damit auch kaum besser als die von ihm unten beschriebene "Auskunftei".

Inzwischen viel lesenswertes Auto- und Biographisches über die "Frauenumgebung"

Sybille von Schoenebeck zum Beispiel, die ihre Vorliebe fürs Britische ständig vor sich hertrug.
„Der Hauptmotor der englischen Gruppe war ein Fräulein von ..., die englisch sprach, als wäre sie auf dem Campus von Oxford geboren, und so highbrow, daß sie sich selbst nur gelegentlich einmal verstand.“
Sie sei ein „großer Snob mit einem guten Herzen“ gewesen und dazu „einer beträchtlichen Portion von Unsicherheit und einer noch größeren Leibesfülle“.

Diese Unsicherheit hinderte sie allerdings nicht daran, in deutschen Flugzeugen lautstark und „mit einer Flut köstlichster englischer Redewendungen“ über die aufgehängten Hakenkreuzfahnen zu schimpfen.

Als Sybille Bedford und Biographin von Aldous Huxley fand sie sich schließlich angemessen britisch. Den neuen Familiennamen hatte ihr nach vielem Drängen Huxley besorgt – in Form eines homosexuellen Engländers in Geldnöten, der die Scheinehe einging und ihr so zur Mrs. Bedford und damit zur britischen Staatsbürgerschaft verhalf.
Vorbild für diese Scheinheirat war die Verheiratung Erika Manns mit dem englischen Dichter Wystan Auden.


Viele andere Damen wurden nicht einmal beim Namen genannt.

„Ich habe zuviele Frauen deutsch-kommunistischer Intellektueller mit eigenen Ohren gehört und die Männer saßen geduckt daneben und die Brandung der Phrasen ging über ihre Köpfe.“
Da könne keiner den Kopf hochhalten, wenn die schrillen Weiblichkeiten modulierten. Einer kam mit einer
„veilchenblauäugigen Dänin“,
ein anderer mit
„der schlanken Tochter irgendeiner Tusnelda“.
Oder das Mädchen,
„deren literarischer Ruhm darin bestand, daß Alfred Kerr ihr in verschollenen Tagen Liebesgedichte geschrieben hatte“,
Marta Feuchtwanger zu Besuch bei Huxley (Bild: Monacensia)und ein Selbstportrait der Karikaturistin
Eva Herrmann (Bild: Exilarchiv) ,die die Ölmalerei einer Allergie wegen aufgeben mußte
der Eva Herrmann, die Freundin des „Fräuleins von...“, deren Beitrag zur deutschen Literatur darin bestand, Karikaturen der Literaten zu zeichnen - das allerdings meisterhaft.
„Sie war sehr rationell und glaubte an Geister.“  

Eva Herrmann lebte mit Sybille Bedford in einem ehemaligen Bauernhof, der „Bastide Juliette“ und wer die beiden besuchen wollte, mußte schon einen langen, steilen Marsch in Kauf nehmen.

René Schickele, der den Weg auf sich genommen hatte, erinnerte sich an Sybilles Stimme „wie eine erkältete Turteltaube“ mit den Bewegungen „eines robusten, wohlerzogenen Gardeoffiziers“. Die stets zögerliche Eva habe sie mit ihren Augen dirigiert,
„Eva, die voller Fragen dasteht und kaum eine davon über die Lippen bringt“.
Und dann gab es noch die
Auskunftei, die geschiedene Frau eines bekannten deutschen Schauspielers.“
Als Beichtmutter konnte sie die Geheimnisse nicht so hüten, wie sie es sicher gewollt habe. „Mit weißen zitternden Lippen gab sie dann eine Portion Geheimnisse her.“ Und eine Minute später, eingeleitet von der rituellen Formel
„Da ich nun schon fast alles erzählt habe ... kam dann erst das Strammste zur Welt.“
 
Aber Ludwig Marcuse schätzte besonders an ihr, daß sie nie boshaft klatschte.

Dienstag, 19. November 2019

Jean Giono: Ich kenne die Provence nicht

Das liebte Jean Giono: Spaziergänge durch die verschneite Hochprovence. Foto Pixabay cc
Fast meint man, Giono sei in der falschen Gegend geboren und geblieben, wenn dieser bodenständige Autor gesteht, daß er die Kälte und den Regen liebt und keinesfalls die Sonne.
„Ich glaube, wenn ich es jemals gekonnt hätte, hätte ich die Provence verlassen.“
Das indes glauben wir ihm nicht. Mehr als dreißig Jahre spielten seine Romane hier, wanderte er auf allen Wegen und schimpfte über die Autoren, die mit ihren romantisierenden Texten immer mehr Besucher in den Süden gelockt hatten.

Nach allem, was er dort lese, müsse die Provence

„ein weißes Pappmaché-Produkt sein, zusammengeschustert mit Pappkleister. Dort gurren Bariton und Tenor herum, Berufspoeten, mit Tambourin und Flöte gerüstet ‚rackern sich’ in regelmäßigen Zeitabständen auf lyrischen Kundgebungen ab“,
 
die näher an der Cholera denn an der Poesie seien. „Es hat den Anschein, als gäbe es eine Provence neuprovenzalischer Dichter. Ich kenne sie nicht.“


Als Giono seinem Freund Lucien Jacques zuliebe das Vorwort für einen Reiseführer in der Reihe „Guides bleus“ schreibt, überlegte er, wie er die Vielfalt dieser, seiner Landschaft ausdrücken könne. Das Ergebnis:
„Und wenn ich auch in diesem Land geboren bin und fast sechzig Jahre darin gewohnt habe: Ich kenne es nicht.“
Meist sind es die starken und pfiffigen Charaktere seiner Landschaft, die Giono faszinieren. Das kann der Deserteur sein oder der Schafhirte.

Das kann aber auch der Bauer sein, der die Subvention für die Zufahrt zu seinem Hof nur unter der Voraussetzung bekommen soll, daß er sein Haus modernisiert und Bad und Toilette einbauen läßt. Ein staatlicher Kontrolleur kommt vorbei.

„Der Ingenieur beschloß, daß der Landtag, der Staat, ja, Frankreich niemals einwilligen würde, auch nur einen Sou zu geben, um einem derart baufälligen, ja sogar gesundheitsschädigenden Gebäude eine Zufahrt zu erlauben. Man gab zu bedenken, daß die Gesundheitsschädlichkeit dem Großvater beschert hatte, immerhin erst mit siebenundneunzig Jahren, der Großmutter mit hundertdrei Jahren zu sterben.“
 
Sein alter Freund, so Giono, sei kein Starrkopf gewesen. Er hat das Badezimmer und die Toilette einbauen lasssen.

Allerdings hatte der Ingenieur übersehen, daß es fließendes Wasser allenfalls nach starken Regenfällen oder dann gab, wenn man es vorher vom Brunnen holte. Und so freute sich der Bauer über seine Zufahrt und schlachtete hin wieder ein Schwein in einer Badewanne, die sonst nur zur Lagerung der Kartoffeln taugte.


Manosque pflegt seinen Autor inzwischen recht ordentlich. Nicht nur mit dem Centre Jean Giono, das sich auf der Rückseite des Office de Tourisme befindet, sondern auch in seinem Haus Lou Parais auf der Colline du Mont d‘Or, in das Giono 1930 einzog und bis zu seinem Tode vierzig Jahre bewohnte.