Mittwoch, 10. November 2021

Juan-les-Pins und Hachmeisters Geschichte des "Hotel Provençal"

Habe ich mit Hachmeisters Hotel Provençal nun, wie der Untertitel suggeriert „Eine Geschichte der Côte d’Azur“ lesen können? Nein, und „Die Geschichte der Côte“ erst recht nicht. Dafür aber „Die Geschichte des Hotel Provençal“ in Juan-les-Pins, einem einstigen Luxushotel, das vor 

Die SNCF-Plakate wurden oft von namhaften Künstlern gestaltet

allem in den 1930er und 1940er Jahren zum Treffpunkt mehr der Reichen, manchmal aber auch der Schönen geworden war, von Churchill und Man Rey über Lilian Harvey, die Juan-les-Pins 1968 starb, samt ihrem Willy Fritsch bis zu Gary Cooper, dem Cowboy, der hier das Tauchen lernte, und Charles Chaplin. Letzterer gönnte sich im Provençal zwei Monate Pause, nachdem die Dreharbeiten zu „Lichter der Großstadt“ beendet waren. 

Juan-les-Pins: Schon früh überlaufen

Wie fast in allen mondän gewordenen Orten an der Côte ist man als Autor immer in Gefahr in einem überschwappendem Namedropping den Überblick zu verlieren oder den Leser zu überfordern. Man mag es mir glauben oder nicht. Ich habe zufällig die Seite 173 als allererste überhaupt aufgeschlagen und finde da:

Al Jarreau
Alexandre Barache
Aretha Franklin
Boma Estène
Carla Bruni
Charles Mingus
Chuck Berry
Dizzie Gillespie
Dorothy Burns
Ella Fitzgerald
Elvis Presley
Eric Dolphy
Frank Jay Gould
Herbie Hancock
Keith Jarrett
Louis Armstrong
Marianne Estène-Chauvin
Miles Davis
Nina Simone
Ray Charles
Rosetta Tharpe
Santana
Stevie Wonder und
Sting.

Also 24 Namen in 36 Zeilen. Später habe ich aber dann auch Seiten gefunden, auf denen nur fünf oder sechs Namen verzeichnet waren. Aber lassen wir die Krittelei...

Von 1927 bis 1976, also 49 Jahre wurde das Provençal als Hotel betrieben; fast ebenso lange ist es inzwischen auf dem Weg alles Irdischen, dem Zerfall. Ein Wächter mit seinem Dobermann machte noch lange seine Runden durch das 250-Zimmer-Haus. Später wurde das Haus zur größten Hotelruine der Welt, ein lost place, der wie eine zwischen den Pinien gestrandete „Titanic“ oberhalb des kleinen Städtchens am Mittelmeer lag.

Inzwischen eine von den Pinien gnädig verdeckte Ruine
 




Hachmeister hat seine Spurensuche gut recherchiert und spannend geschrieben. Aus vielen Puzzleteilchen entwickelt sich ein Kaleidoskop aus Luxus, Literatur, Film, Architektur, Tourismus und Bauwahn. 

Es lohnt übrigens nicht nur das Buch zu lesen, sondern sich zunächst einen ersten Überblick mit der für das ZDF und ARTE erstellten TV-Doku auf YouTube (Teil 1 unter https://www.youtube.com/watch?v=DlSxcuB_ydY) zu verschaffen, die Lutz Hachmeister vor etwas mehr als zwanzig Jahren gedreht hat. 

Dem Buch wünsche ich eine schnelle zweite Auflage, damit es auch per Register erschlossen wird und zudem dann auch die sinnvollen Anmerkungen in den Text eingebunden werden.

Lutz Hachmeister: Hôtel Provençal. 239 S., München, C. Bertelsmann 2021, 22€