Mittwoch, 16. Dezember 2020

Provence-pur: Den Midi in den Schwarzwald geholt

„Kannst Du uns nochmal von dem tollen Olivenöl mitbringen? Und den Wein von dieser Domaine…wie hieß sie noch gleich?“ Wer kennt das nicht, wenn man viel in Südfrankreich unterwegs ist. Und auf der Rückfahrt ist der Kofferraum voll von den vielen Dingen, die man den Freunden mitbringt. Irgendwann, genauer gesagt im Jahr 2002 hat Heidi Schwanhäuser daraus einen kleinen, aber feinen Online-Versand  entwickelt. Was man ihrem Namen nicht anmerkt: Sie ist Halbfranzösin, geboren in Blois an der Loire, in dessen Schloss hoch über der Stadt sich insgesamt siebzehn französische Königinnen und Könige aufgehalten haben.

Aber es brauchte erst eines Deutschen, ihres Mannes Peter, der in ihr die Liebe zur Provence entfachte. Mindestens einmal im Jahr sind die beiden im Midi unterwegs und besuchen von Suzette aus, einem kleinen Dorf in der Nähe von Beaumes-de-Venise ihre Lieferanten. Wobei Lieferant das falsche Wort ist, die meisten sind zu Freunden geworden ihre Winzer, Imker, Nougatiers, Tapenadiers und Seifenmacherinnen. Alle Produkte werden vor Ort ausgesucht, verkostet oder ausprobiert und von Sankt Georgen im Schwarzwald aus verschickt.


Und sogar die deutsch-französische Freundschaft wird hier in ein Vesperpräsent verpackt: Eine Flasche Côtes du Rhône von der Domaine de Verquière zusammen mit gerauchten Bratwürsten und natürlich Schwarzwälder Schinken. Verquière in Sablet, heute kümmert sich Thibaut Chamfort um die Domaine, ist bereits seit vier Generationen im Familienbesitz. Seine Großvater Louis hat wesentlich mitgeholfen, daß 1974 die Appellation Côtes du Rhône Villages eingeführt werden konnte.

Zu den weiteren Produkten von Provence-pur gehören Lavendel- und Rosmarinhonig, Nougat und Tapenaden sowie Aleppo-Seifen für Allergiker oder zertifizierte Bio-Seifen. Seit einigen Jahren wird in der Provence Eselsmilch zur Veredelung von Seifen wiederentdeckt. Eselsmilch gleicht in ihrer Zusammensetzung der menschlichen Muttermilch und wurde jahrhundertelang in Waisenhäusern statt der Muttermilch verabreicht. Heute wird sie meist kosmetisch eingesetzt; sie soll besonders hautverträglich sein und besitzt eine außergewöhnliche Kombination von Vitamin A, E und Omega-3- und -6-Fettsäuren. 

Die Tugenden der Eselsmilch sind seit der Antike bekannt, man denke nur an die regelmäßigen Bäder von Cleopatra. Das wäre heute kaum zu realisieren, denn eine Eselin gibt bei täglich drei Melkgängen maximal zwei Liter Milch und das auch nur in Anwesenheit ihres Jungen.

Wie wäre es denn zu Weihnachten oder dem Geburtstag mit einem Duo aus Eselsmilch und Lotusblüten für Ihre Cleopatra zuhause? Heidi Schwanhäuser schickt Ihnen das gerne.

Samstag, 28. November 2020

Bardou: Ein verlassenes Dorf wieder zum Leben erweckt

1967 noch ein völlig zerfallenes und verlassenes Dorf. Bilder von Rainer Kanzleiter.

Wenn Sie mal so richtig cevenolisch wohnen möchten können Sie auf gut Glück nach Bardou fahren. Besser auf alle Fälle, vorher bei Elizabeth Nolan anrufen (0033.467.97.72.43 oder 0033.6.83.13.87.14), denn meist hat sie gar keinen Platz mehr. Der Hameau de Bardou gehört zu Mons-la-Trivalle, das wiederum zu Olargues. Ohne Navi rechnen Sie am besten mal zwei Stunden, mit Suchhilfe fahren Sie einfach hierher: 43°35‘40.76“N und 2°56‘27.77“O.

Cevennenwinter. Schnee gehört dazu. Bild Friedl.


 

Dann ein paar Schritte und Sie stehen in 577 Metern Höhe mitten auf dem Hauptplatz von Bardou. Der heisst auch deshalb so, weil es bei gerade mal dreizehn Häusern keinen weiteren gibt. Mit Google Earth von unterwegs schon einen ersten Eindruck gewinnen zu wollen, ist vergebliche Mühe. Die Bilder der sogenannten Straße enden an einem Parkplatz außerhalb des Dorfes.

1965 haben auch hier Klaus Erhardt und seiner amerikanische Frau Jean gestanden. Sie sahen ein paar Mauerreste, Brombeerbüsche, die durch die Fenster nach außen wuchsen, zerfallene Dächer und Ginster auf den wenigen freien Flächen. Sie verliebten sich in den Ort und wollten ihn kaufen. Mehrere Erbengemeinschaften und Einzelpersonen waren die Eigentümer, denen die Ruinen plötzlich mehr Wert zu sein schienen und die dafür sorgten, daß die Verhandlungen sich rund drei Jahre hinzogen. Aber eines Tages waren die Erhardts Eigentümer eines ganzen Dorfes samt einiger kleiner steiniger Felder und den umliegenden dreihundert Hektar Ödland. Über den damals gezahlten Betrag von dreißigtausend Euro würde man heute eher lächeln. 

Authentischer Wiederaufbau aus alten Baumaterialien

Was, Du warst noch nie in Bardou, wurde ich vor vielen Jahren von unserem Pfarrer gefragt, der immer noch aussieht, wie man sich einen Alt-68er so vorstellt, nur daß er inzwischen tatsächlich alt ist. Er sprach in einem Tonfall, als hätte ich behauptet, Maria Kleophae, Maria Salome und Maria aus Magdala seinen mit ihrer Dienerin Sara-la-Kâli in Saint Tropez und nicht in Les Saintes Maries an Land gegangen. 1968, das sind für ihn natürlich die Pariser Studentenunruhen im Mai.

Wenn sie nicht damals soviel Arbeit mit dem Wiederaufbau des Dorfes gehabt hätten, wären Jean und Klaus Erhardt sicher auch in Paris zu finden gewesen. So aber ging die Arbeit vor. „Es war ein beglückendes Erlebnis für uns Stein für Stein auszugraben, das ganze Dorf war ein Gesamtkunstwerk, das nach und nach von uns entdeckt wurde. Unsere Euphorie verstärkte sich von Monat zu Monat“ schrieb Erhardt später in einem Buch, das er mit Werner Friedl zusammen für den Anabas-Verlag gemacht hat. Eine Euphorie, die darüber hinwegsah, daß es weder Strom, noch Wasser oder Toiletten gab. Immerhin eine Quelle gab es im Dorf, die aber in besonders trockenen Jahren versiegte. „Dann mußten wir etwa einen Kilometer über den Col de Grousset bis zum Ruisseau de la Roque laufen“, um Wasser herbei zu schaffen. 

Normalerweise wäre das ja über Pumpen gut zu regeln gewesen, doch es dauerte bis zum Jahr 1994, bis nach einem ermüdenden Kampf gegen die französische Verwaltung endlich eine Stromleitung gelegt war. Schon früh kamen erste Besucher, darunter, in noch stromloser Zeit Ursula Merz, die dreißig Jahre später, da waren Klaus Erhardt und seine Frau schon gestorben, wieder hinfuhr und in der ZEIT eine Reportage über die Reise in diese Vergangenheit schrieb. „Klaus Erhardt ähnelte in meinen Augen einem preußischen Junker; sehr groß, sehr blond, sehr aufrecht. Jean glich in ihrer Anmut ein wenig Meryl Streep. Sie trug weite, bunte Röcke und große Wolltücher um die Schultern.“ Das Paar verkörperte für Merz einen Mix aus romantischer Zivilisationsabkehr und hartem Pioniergeist.



Wer mindestens vier bis sechs Stunden am Tag mitarbeitete, durfte umsonst in Bardou wohnen. Manche packten mit an, andere taten nur so und die Aufgabe von Ursula Merz war es, vor allem die amerikanischen Hippiehelfer mittags aus dem Bett zu werfen und ihnen zu erklären, daß körperliche Arbeit nicht nur im Bett geleistet werden sollte. Von der Arbeit ausgenommen waren die Mitglieder des Orchesters Sinfonietta Bardou, die mit ihren Konzerten ordentliche Einnahmen generierten. Diese Auftritte finden bis heute statt.
 

Freitag, 30. Oktober 2020

Boule mit Magneten und Erdbeermarmelade


 
Boule mit Erdbeermarmelade ist unehrenhaft...und Wasser geht garnicht
Boule-Regeln sind kompliziert, wenn man dieses einfache Spiel zu ernst nimmt. Boule-Regeln sind einfach, wie eine Kurzfassung beweist, die der Wirt der Bar du Midi – siehe Ziffern zwei, drei und vier! – formuliert und mit Reißzwecken am Fensterladen festgemacht hat:

1. Wer am nächsten dran ist hat gewonnen, es sei denn die Mitspieler kommen einvernehmlich zu einer anderen Entscheidung.

2. Pastis und Wein sind die offiziellen Wettkampfgetränke.

 
3. Wasser wird nur auf ärztliches Attest ausgegeben.

4. Getränke mitbringen ist nicht ehrenhaft!

5. Es ist ein Spiel der Ehre!


Ein höchst einsichtiges und auch für Nichtjuristen nachvollziehbares Regelwerk.

Dennoch eine Erläuterung. Ziffer 4 bezieht sich auf eine „Boule farcie“, eine Boulekugel, die genau da liegenbleibt, wo sie runterfällt, weil sie nämlich mit Quecksilber gefüllt ist. Und das ist unehrenhaft, solange nicht alle ihre „Boule farcie“ dabei haben. Die an der Bar und nach Mitternacht aufgestellte Theorie, daß eine Füllung aus Erdbeermarmelade oder Quittengelee noch wirkungsvoller sei, als die mit Quecksilber, konnte bis zur Morgendämmerung nicht widerlegt werden.

In dieser Nacht habe ich dann auch noch eine Vorlesung in der Regelkunde für sehr Fortgeschrittene erhalten. Ob ich jetzt auch noch über die Härtegrade Bescheid wissen wolle? Für die Noch-nicht-ganz-Spezialisten habe ich es notiert.

„Normalerweise liegen sie zwischen 130 und 155 Kilopond pro Quadratmillimeter gemessen nach dem Brindell-Verfahren.“

Bei der Weltmeisterschaft in Vézénobres wird ganz ernsthaft nach den 38 Paragraphen der Wettkampfordnung gespielt; mit einer Ausnahme. Die Kugeln sind weder aus Metall noch rund, sondern aus Holz und eckig. Alles andere wird korrekt berücksichtigt: Falls beim Aufschlagen eine Kugel in mehrere Teile springt, fließt deren größtes als ganze Kugel in die Wertung ein.


Wenn Sie mal garnicht mehr weiter wissen können Sie die Fédération Internationale de Boules in Macon anrufen:0033 358 195117. Oder Sie einigen sich nach Ziffer 1 des Patrons.

Jetzt können Sie sich ein Boulespiel kaufen, in den größeren Supermärkten finden Sie das überall, wobei ein Liter Pastis in der Regel deutlich billiger ist als die sechs Boule-Kugeln; aber Sie brauchen ja eh beides. Eine gute Investition sind die 2 Euro für einen Magneten am Schnürchen, der Ihnen das Bücken erspart. Und ein Beutel mit Cochonnets, den Schweinchen, wie die kleinen Zielkugeln traditionell genannt werden, lohnt ebenso. In alter Zeit und als noch alles verwertet wurde, sind diese Kugeln aus Schweineknochen hergestellt worden.

Und HIER ETWAS ÜBER BOULE IN MARSEILLE ,diesmal mit "runden Kugeln" und 200.000 Zuschauern.





 

Freitag, 23. Oktober 2020

Heinrich Hansjakob, Schwarzwaldpfarrer mit einer Vorliebe für die Frauen des Südens


Ein Glas Wein  von Valérie Bèguy, der schönsten Frau Frankreichs
im Jahr 2008 hätte Heinrich Hansjakob gerne angenommen Bild oe24
Der aus Haslach im Schwarzwälder Kinzigtal stammende Pfarrer Heinrich Hansjakob war, als er kurz nach dem Krieg von 1870 mit seinem Heidelberger Freund Lindau nach Frankreich reiste, eine Erscheinung, nach der man sich auf den Straßen vor allem im Süden umdrehte. Zwei Meter zwanzig maß er mit seinem immer getragenen schwarzen Hut. Vielleicht war es zu der Zeit ganz gut, daß er fast überall für einen Engländer gehalten wurde.

Die Reise nach Frankreich trat er auch an, weil er gerade zwei Gefängnisaufenthalte hinter sich hatte: Einmal wegen aufrührerischer Reden und kurz darauf wegen Beamtenbeleidigung. Beide Verurteilungen machten ihn stolz. Hansjakob war immer eher dagegen als dafür und polterte in seinen vielen Büchern und Predigten gegen Bischöfe, Militärs, Juden, Leser der Romane von Walter Scott, Bartträger und kapitalistische Ausbeuter und natürlich gegen das „schweinsmäßig grunzende, Landschaft verhunzende“ Automobil sowie emanzipierte Frauen.
Hansjakob: 2 Meter 20 mit Hut

Die anderen fand der Pfarrer schon deshalb gut, weil er vom Zölibat nichts hielt und mehrfacher Vater war. Ein Brauer aus Waldshut soll sich erschossen haben, weil ihm ausgerechnet ein Priester die Frau ausgespannt hatte. Auch in Südfrankreich ließ er seine Augen
Tartarin hätte sich
mit Hansjakob verstanden
schweifen, etwa auf die Frauen in Tarascon: „Große und schlanke Figuren mit ganz blassen Gesichtern und ganz antiken Profilen“. Lange dunkle Gewänder „und schwarze Kopfbinde lassen die feine Blässe noch vorteilhafter hervortreten“. Immer wieder wurde er „von den Schönen“ wegen seiner Statur angesprochen und zu einem oder mehreren Gläsern Wein eingeladen.

Immer wieder auch ärgerte er sich über die kaum besuchten Gottesdienste. In Béziers fanden sich gerade mal siebzehn Frauen in einer Messe ein, die von fünf Priestern im Ornat gehalten worden.

„Voilá la France réligieuse!“

kommentierte er. Ähnliches wird er über die Bischöfe von Maguelone gedacht haben, die ihre Münzen jahrhundertelang mit der Aussage „Allah ist groß“ umrandeten. Selbst der Versuch eines Papstes, das zu unterbinden, war erfolglos, schließlich befördere das den Handel mit Nordafrika und Arabien.

Danke an Hans F. Ringwald aus Ohlsbach für den Hinweis auf Hansjakob in Südfrankreich.

Freitag, 16. Oktober 2020

Maria Magdalena und Fannys nackter Hintern


Ehrenvoller Kompromiß mit Maria Magdalena

Komplikationen rief in den fünfziger Jahren der 13-zu- Null-Sieg des protestantischen Geistlichen über seinen katholischen Kollegen hervor. Den ganzen Abend wurde heftig diskutiert, wie man denn nun die Einlösung bei Fanny bewerkstelligen solle. Darf ein katholischer Pfarrer einer Frau den Hintern küssen? Was heißt dürfen, er mußte.

Die Auffassung der Egalité, also vom gleichen Recht für alle, setzte sich im Land der Revolution durch. Aber eine ganz konsequente Umsetzung wäre vielleicht nicht südfranzösisch genug gewesen. In öffentlicher Diskussion einigten sich die beiden Geistlichen darauf, daß die Ehrenschuld auch mit einem Kuß auf die Rückseite der Statue von Maria Magdalena abgeleistet sei.

Die zweite der Marien, die damals in Les-Saintes- Maries-de-la-Mer den französischen Boden betreten hatte, kam auf diese Weise zu einer im christlichen Jahreskalender nicht vorgesehenen Prozession, denn selbstverständlich fand die Zeremonie auf dem Bouleplatz statt.

Maria Magdalena von Tizian      c WikiCom
Als erste Zeugin der Auferstehung - und nicht wegen der Dämonenaustreibungen, die Jesus der Sage nach an ihr vornahm - hat die aus Magdala am See Genezareth stammende Maria in der katholischen Kirche eine ganz besondere Bedeutung. Als "Apostola apostolorum" und damit auf einer Stufe mit den Aposteln wird diese Frau genannt, die aber auch immer wieder, etwa im Philippus-Evangelium als "Gefährtin Jesu" auftaucht. Ingrid Maisch hat im Freiburger Herder Verlag ein die Thematik gut zusammenfassendes Buch darüber geschrieben: "Maria Magdalena zwischen Verachtung und Verehrung". Mal als Sünderin, mal als Prostituierte weckte sie die Phantasie der Maler. Ob zu Beginn des 16. Jahrhunderts die von Tizian, der sie als halbnackte Büßerin malte, bis hin zu Jules-Joseph Lefebvre, der sie ganz nackt in eine Grotte legte.

Ganz sittsames Boule gibt es im Beitrag der Deutschen Welle über den Petanque-Weltmeister Fernand Moraldo: HIER EIN VIDEO.

Wie die Boule-Kugeln hergestellt werden lesen und sehen Sie HIER.





















Freitag, 9. Oktober 2020

Fabre: Der Mann, der die Insekten liebte

Jean-Henri Fabre vor der Kirche von Sérignan: Ein Denkmal, das er nie gewollt hat.
Von der Ausfahrt Orange-Nord braucht man nur ein paar Minuten bis nach Sérignan-du-Comtat; gerade zwei, drei Kilometer auf der N 7 nach Norden und dann gleich rechts rein. Nach fünf Minuten, am Ortseingang, rechts hinter der hohen Mauer, befindet sich der Harmas von Jean-Henri Fabre ( 0033 490 305762). Lange war es so: Wer sich Sérignan auf diesem Weg näherte, fuhr zunächst wie selbstverständlich am Haus von Fabre vorbei. Das Hinweisschild war so sehr von Efeu umrankt, daß man meinen konnte, Fabre selbst achte immer noch darauf, daß seine Sandwespen nicht gestört werden. Inzwischen führen einen, kaum daß man die N 7 verlassen hat, große Schilder ins „Pays de Fabre“, er selbst sitzt überlebensgroß am Straßenrand und eine Gottesanbeterin schmückt den Kreisverkehr vor dem Ort.


Ohne Fabre geht gar nichts mehr in Sérignan und Umgebung.
Sandwespe, Gottesanbeterin und Mistkäfer waren seine Lieblingstiere
Keine Schande, den Namen Fabre noch nie gehört zu haben, in Deutschland jedenfalls. In Frankreich sind Jean-Henri Fabre und sein Haus - das er Harmas nannte, nach dem provenzalischen Wort Ermès (Ödland) - und der verwilderte Garten verbreitetes Schulwissen. Und das nicht nur wegen der zahlreichen naturwissenschaftlichen Schulbücher, die Fabre verfaßte. Um den Harmas kaufen zu können, mußte er sich von seinem Freund John-Stuart Mill, dem englischen Philosophen, Nationalökonomen und einem der geistigen Begründer des Liberalismus, dreitausend Francs leihen. Erst nach Veröffentlichung seines dreißigsten Buches konnte Fabre das Darlehen zurückzahlen.
Fabres Haus in Sérignan: Besuchenswert

Als Fabre begann, dort seine Lieblingstiere, die Sandwespen, zu beobachten, in der Umgegend Versteinerungen zu sammeln und Aquarelle von Pilzen zu malen, lag das Anwesen außerhalb des Ortes. Heute hat der Ort es geschluckt und an der Mauer vor dem Haus parken die Busse mit den japanischen Touristen, von denen manche allein wegen Fabres Pilz-Aquarellen eine Europareise buchen; alle seine Zeichnungen finden Sie in dem wunderschönen Buch „Pilze“, das die mehrfach von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnete Judith Schalansky für den Matthes&Seitz Verlag herausgegeben hat.

Diese Bilder versuchte schon 1908 der eben gekürte Literatur-Nobelpreisträger Frédéric Mistral zu erwerben, um sie in seinem Provence-Museum in Arles zu zeigen. Doch der „Homer der Insekten“, wie Victor Hugo ihn genannt hatte, lehnte ab, obwohl das Geld gut hätte brauchen können. „Mein liebliches Stück Eden“ nannte Fabre seinen verwilderten Garten. Hier gedenke er „künftig im Zwiegespräch mit den Insekten“ sein Leben zu verbringen.

„Ich studiere meine Tiere lebend, ich mache, daß man sie lieb gewinnt, ich arbeite unter der blauen Himmel beim Gesang der Zikaden. Ihr unterwerft die Zelle den Reagenzien.Ich beobachte den Instinkt in seinem erhabensten Ausdruck. Ihr erforscht den Tod, ich erforsche das Leben,“ kritisierte er die Laborforscher.

Fabre in seiner Studier-Experimentier-Schreibstube.           Foto: Harmas. Merci.
Den Dorfbewohnern blieb Fabre fremd, obwohl er seinen Akzent der Gegend angepaßt hatte. Als „kerzengerade, trocken und mager“ wie ein hundertjähriger Baumstamm beschrieb ihn sein Biograph Yves Delange. Mit den langen schwarzen Haaren und dem stechenden Blick lag Fabre oft stundenlang auf dem Boden, um seine Insekten zu beobachten. Manche Bauersfrau bekreuzigte sich vorsorglich im Vorübergehen, so wie man es machte, wenn man einem Wahnsinnigen oder einem Hexenmeister begegnet.

Den Nobelpreis hat Fabre nie bekommen, obschon er dreimal auf der Vorschlagsliste der Akademie gestanden hatte. Diesen Preis hätte er sicher angenommen. Ansonsten hielt er nichts von öffentlichen Ehrungen. Als er von den Plänen der Gemeinde, ihm ein Denkmal zu errichten, hört, sagte er zu dem blinden Dorfschreiner Guigue: „Ach, gottverdammt, Guigue, wenn man eine Statue von mir macht und ich noch am Leben bin, dann werde ich sie mit Fußtritten demolieren.“

Heute gibt es eine ganze Reihe von Fabre-Statuen und Gedenktafeln, eine natürlich auf dem Marktplatz zwischen der Bar und der Mairie von Sérignan – natürlich mit der Lupe in der Hand. Und neben den Denkmälern die ehrenvoll gemeinten Berufungen. Die Légion d‘Honneur in Person des Erziehungsministers Victor Duruy beauftragte ihn mit dem Aufbau der naturwissenschaftlichen Studiengänge der Abendschule in Avignon. Das entwickelte sich auch bestens, bis zu dem Zeitpunkt, als Fabre in einer seiner biologischen Vorlesungen, zu denen, damals noch nicht selbstverständlich, auch Frauen zugelassen waren, sehr plastisch die Befruchtung bei Pflanzen erklärte. Das wurde zum Anlaß genommen, ihn zu suspendieren.

Seine weltweite Bekanntheit hat Fabre seiner insektenkundlichen Forschung zu verdanken, die als „Souvenirs Entomologiques“ erschienen, Studien über den Instinkt und die Sitten der Insekten - so der Untertitel.


Ganz Sérignan im Blick: Fabre, Lichtner-Aix, die Kooperative und nach Marseille zu OM ist's auch nicht weit

Die Cave coopérative in Sérignan, Sie finden sie am Ortsausgang in Richtung Camaret macht einen Fabre-Wein, den sie Cuvée de l’Harmas nennt – ordentlich, aber nichts Besonderes. Wegen des Etiketts und natürlich wegen Fabre und seiner Lupe habe ich zwei Kartons mitgenommen. Und den geschmacksstarken Nuß-Senf nicht zu vergessen.

Event in Sérignan
Ansonsten tut sich nichts in Sérignan, das Dorf entwickelt mehr und mehr seinen toten Charme. Die Bar ist zu verkaufen, die Museen selten offen, im ehemaligen Office de Tourisme befindet sich heute die Gendarmerie und es gehört zu den ganz großen Events, wenn der Dorfpolizist einmal die Platanenblätter aus dem Abflußrohr des Brunnens entfernt. Dieses Glück hatten wir.



Dienstag, 29. September 2020

Weinaromen wie Bleistift, Marzipan, Rauchfleisch und Saint-Exupéry

Heute gehört es natürlich dazu zum Weinverkauf: Das Storytelling. Selten sind allerdings immer noch Geschichten, in denen ein Buch oder ein Schriftsteller eine Rolle spielen. So gibt es seit längerem eine Cuvée Racine als Rosé von der Kooperative in Bourdic oder den nach Anselme Mathieu benannten Roten aus Châteauneuf und seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch einen Wein von der Domaine Gayda aus Brugairolles.

Hier gibt es den Chemin de Moscou, an dessen Ende einst der berühmte Moskauer Baum gestanden hat, der sich genau in nordöstlicher Richtung über dem Horizont abzeichnete. An ihm haben sich die Postflieger, unter ihnen Antoine de Saint-Exupéry, orientiert, wenn sie, aus  Nordafrika kommend, kurz darauf in Carcassonne landen wollten.

 
Wer von hier immer geradeaus fliegt, landet in Moskau, sagten die Piloten. Im Dorf wird allerdings erzählt, es sei ein Russe gewesen, der den Baum gepflanzt habe. Bis zur Französischen Revolution hätten hier die Gerichtstage und Gemeindeversammlungen stattgefunden. Wie dem auch sei, eine schöne Geschichte, bei der offensichtlich niemand so genau, was dahintersteckt. Weniger poetisch ist es einfach der alte Flurname, der sich auch heute noch im Grundbuch findet.

Nachdem zwei Engländer die Domaine gekauft hatten, Anthony Record und Tim Ford, der sie managt, holten sie im Jahr 2004 Vincent Chansault als Kellermeister dazu. Eine offensichtlich sehr gute Entscheidung, wenn man die Entwicklung der Weine betrachtet. Der rote Spitzenwein hat natürlich den Namen „Chemin de Moscou“ erhalten. 

Aus den Rebsorten Syrah, Grenache und Cinsault gewonnen, wird er über 21 Monate im Barrique ausgebaut. Der Syrah stammt unter anderem aus Parzellen in Latour de France, St. Martin de Fenouillet und Brugairolles. Der Grenache aus Tautavel und La Liviniere, der Cinsault aus La Livniere. 

Die Beschreibung des deutschen Importeurs ist mir etwas zu ausufernd. „Aromen von Brombeeren, Kirschen, Pflaumen, Himbeeren, Rauchfleisch, Kakao, Mokka, Bleistift, Zimt, Kardamom, Lebkuchen, Nelken, Pfeffer, Rosmarin, Marzipan, Veilchen und Lavendel“, heißt es da. Bleistift? Bei einer Weinprobe können Sie also sagen, was Sie wollen; es ist immer irgendwie richtig oder auch nicht oder wie oder was.


Freitag, 25. September 2020

Rademacher’s „Stille Nacht in der Provence“


Miramas-le-Vieux hoch über dem Etang de Berre (c) OTM


Was lernen wir aus diesem Buch? Zumindest das: Wenn ein Paar sich nichts mehr zu sagen hat, ist ein Tesla das falsche Auto. Nicht einmal ein Motorengeräusch, das das Schweigen auf der siebenhundert Kilometer langen Anreise in die Provence unterbricht. Dafür aber eine um viele Stunden verlängerte Schweige-Qual an den Ladesäulen, unterbrochen allenfalls um einen schlechten Raststätten-Espresso. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin ein entschiedener Befürworter von Elektroautos, etwa wenn man Zigaretten holen muß oder Brötchen. Nur darf man die Investition nicht auf den Brötchenpreis anrechnen. 

Tatsächlich zuletzt im Jahr 2009: Schnee in Miramas (c) quentinb.overblog.com und die Chapelle Saint Julien, in der die meisten Dorfbewohner die Christmette feiern, während ein Dreigestirn nebenan ein Grab öffnet .

Die spannende Geschichte mit einem unerwarteten Ende spielt im tief verschneiten Miramas-le-Vieux, dem winzigen Örtchen hoch über dem Etang de Berre, nicht weit von Marseille. Einige Male sicher wird Rademacher durch die Gassen geschlendert sein, um die Locations für diesen Roman einzuatmen. Wer je dort war, kann den Wegen der Protagonisten durch das Dorf folgen, für alle anderen folgt hier der Stadtplan und der Link zu den wenigen Sehenswürdigkeiten: den Ruinen des Schlosses und der Kapelle Saint-Julien auf dem Friedhof, auf dem sich am 24. Dezember Seltsames tut.


Nicht drei Männer im Schnee, aber drei Personen mit Taschenlampen und Schaufeln… An diesem Heiligen Abend werden keine Weihnachtslieder gesungen, dafür aber ein Grab geöffnet, in dem nicht nur die Leiche desjenigen liegt, dessen Namen man darüber auf der Gruft lesen konnte. Der echte Brad Pitt wurde aber hier nicht gefunden, aber der hätte sicher auch nicht sein Handy am falschen Ort vergessen.

Da irgendwo muß der Sarg sein. Und die Schranke hält mal die Bösen auf und mal die Guten.


Ich gestehe: Die Bücher von Cay Rademacher - der ja selbst im Midi wohnt und die Atmosphäre aus eigener Anschauung beschreibt - lese ich gerne, vor allem wenn sein Capitaine Roger Blanc ermittelt. Insofern bin ich befangen, wenn ich die „Stille Nacht in der Provence“ hier vorstelle. Doch diesmal ist es Kommissar Jean-Michel Zulesi, der ermittelt. Während Blanc aus Paris in den Midi strafversetzt wurde, wurde Zulesi aus Marseille abgeschoben, weil er einen jungen Drogendealer erschossen hatte. Der verlotterte Zulesi scheint sich aber gar nicht besonders für den verschwundenen Sarg zu interessieren, den Andreas Kantor im tief verschneiten Miramas-le-Vieux hoch über dem Etang de Berre entdeckt hat. 

Zeigen kann er seinen Fund allerdings niemand mehr, denn er Sarg, so er denn da war, ist verschwunden. Seine Frau Nicola und die Dorfbewohner glauben ihm kaum bis überhaupt nicht und raten ihm, wie Zulesi, die ganze Sache zu vergessen und sich auf Weihnachten zu freuen. Also versuchen sich die Kantors selbst als Ermittler – unter anderem mit einer im Roman erlaubten, sonst aber eher unwahrscheinlichen Kletterpartie über verschneit-rutschige Dachziegel, die an diesem Tag sogar der Dachdecker abgelehnt hätte.

Verschneite Zypressen und Pinien auf einem dunkelvioletten Nachthimmel mit goldenen Sternchen auf dem Schutzumschlag lassen einen gleich an das Weihnachtsgeschäft denken, das Buchhandel und Autoren in diesem Jahr nötiger haben denn je. Und dazu als Hardcover mit einem silbernen Lesebändchen, damit es etwas hermacht als Geschenk. Das haben die Marketing-Menschen von Dumont sich gut ausgedacht. Das wird funktionieren. Die „Stille Nacht in der Provence“ gehört auf den weihnachtlichen Gabentisch.

Rademachers Provence-Krimiserie ist inzwischen um jährlich einen Band angewachsen: 

    ›Mörderischer Mistral‹ (2014), 

    ›Tödliche Camargue‹ (2015), 

    ›Brennender Midi‹ (2016), 

    ›Gefährliche Côte Bleue‹ (2017), 

    ›Dunkles Arles‹ (2018), 

    ›Verhängnisvolles Calès‹ (2019) und 

    ›Verlorenes Vernègues‹ (2020). 

Mal sehen, ob er das (hoffentlich) durchhält.

 

Samstag, 12. September 2020

Nr.1: Das Olivenöl aus dem Gard

Gepflegter Olivenhain in der Nähe der "Großen Mauer" von Martignargues
Als Racine nach Südfrankreich kam und bei seinem Onkel nahe Uzès wohnte, konnte er sich nicht vorstellen, daß man mit Olivenöl kochen könne. Für ihn durfte es nur Butter sein, aber die Köchin des Onkels hat ihn schnell bekehrt und er schrieb dann sogar über den „wunderbaren Geschmack“ des Olivenöls. Mehr dazu in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs".




Die geschützten Ursprungsbezeichnungen (siehe Karte) gab es damals natürlich noch nicht, aber die französischen Olivenöle gehörten schon damals zu denen, mit denen sich der Adel und die reichen Bürger eindeckten.

Heute existieren strenge Regeln für den Anbau und die Produktion und die Rückverfolgung der Oliven; auch sind nicht alle Olivensorten für die Herstellung des Öls zugelassen. Das allerdings interessiert die privaten Ablieferer, die ihre 10 oder 20 Kilo Oliven im Januar zur Mühle bringen herzlich wenig; da wird bunt gemischt. Für seine 20 abgelieferten Kilogramm bekommt man hinterher 3 Liter Öl.

 
In Frankreich gibt es entgegen vielleicht allen Vermutungen nur sehr wenige Olivenbäume. Der Verband spricht von 1,3 Millionen Bäumen, von denen in der Provence und dem Languedoc rund 5.000 Tonnen Öl
gewonnen werden. Das ist sehr wenig und reicht gerade einmal für die Abdeckung von 4 Prozent des in Frankreich verbrauchten Öls. Alles andere kommt aus Spanien, Italien und Griechenland; und gelegentlich soll es auch aus EU-geförderten Olivengärten kommen, die tatsächlich gar nicht existieren. Nicht mal 2 Prozent der gesamten Produktion stammen aus Frankreich.

Jeder hat seine besonderen Vorlieben für ein bestimmtes Olivenöl aus einer bestimmten Ölmühle. Manche schwören auf die Öle aus Nyons oder Les Baux- für die ein sehr gutes Marketing gemacht wird. Für mich geht nicht über die Öle von Paradis in Martignargues und Soulas in Collorgues (auf der Karte im "grünen Gebiet" um Nîmes), beide gerade mal ein paar Kilometer voneinander entfernt. Vor ein paar Jahren hat eine Tochter von Soulas nach einem Streit mit ihrem Vater einmal ein paar ihrer Oliven an Paradis gegeben. Sie können sich ausmalen, daß darüber nicht in aller Stille gesprochen wurde.

Roger Paradis und sein Sohn Christophe sind spezialisiert auf die Sorte Picholine. Bei Soulas werden auch Négrette, Coille und Cul-Blanc verarbeitet. Vieles hier ist Handarbeit und entsprechend sind die Preise: knapp 20 Euro kostet der Liter.


Christophe Paradis mit seinem Lieblingsbaum
und danke an Caroline Ducasse und Ralph Schetter
für ihre Bilder.

Samstag, 5. September 2020

Jean-Pierre Chabrol's Themen: Widerstand und Cevennen

In Chamborigaud, tief in den Cevennen ist Chabrol geboren, einem Städtchen das einmal 1000 und heute viel weniger Einwohner hat. Im ersten Stock der Mairie kam er zur Welt, das war damals die Dienstwohnung des Lehrers. Und gleich neben der alten Brücke, die in seinen Büchern und Filmen immer wieder


auftaucht, so in „Ma Jeanette et mes copains“, wo die Dorfkinder dort ihre Badestelle hatten. 
 

Lesungen bei der Fahrt über das Viadukt zwischen Genolhac und Chamborigaud
 Gegenüber seinem Geburtshaus wird heute von Marie Tholimet in einer kleinen Ausstellung an den Schriftsteller erinnert. Und auch daran, wie er bis zu seinem Tod im Jahr 2001 immer wieder Lesungen in Eisenbahnwaggons anbot, wenn der Zug zwischen Genolhac und Chamborigaud verkehrte.

Mit seinem Großvater ist er schon als Junge immer wieder in den Cevennen unterwegs gewesen, durch die Kastanienwälder und hoch zum Mont Lozère. Diese Landschaft hat sein Leben und Schaffen geprägt, war Quelle seiner Inspiration: Der Widerstand der Kamisarden wie der Résistance, die Kämpfe der Minenarbeiter um bessere Arbeitsbedingungen und die vergessenen Bauern und später aufgegebenen Bauernhöfe in der Region. Auch in selbst hat es schon mit 19 Jahren im Frühjahr 1944 als Mitglied der kommunistischen FTP (France Tireurs et Partisans) in die Résistance gezogen.


Kurz nach dem Krieg hat er Noëlle Vincensini geheiratet, eine korsische Widerstandskämpferin, die aus dem Konzentrationslager Ravensbrück während der Todesmärsche im Mai 1945 geflohen war. 1953 erschien mit „Die letzte Patrone“ sein erster und teilweise autobiografisch geprägter Roman über die Widerstand in den Cevennen. 1961 erschien mit „Die Narren Gottes“ sein erfolgreichster Roman, der auch verfilmt wurde. Von Chabrols Büchern ist kaum eines in deutscher Sprache erschienen.

Lange Jahre arbeitete Chabrol als Redakteur bei der von Jean Jaurès gegründeten kommunistischen Zeitschrift L’Humanité.

Sein Grab befindet sich, wie bei Protestanten in den Cevennen oft, auf einem Grundstück der Familie, dem Mas du Gravas, in Pont-de-Rastel bei Genolhac.



Samstag, 29. August 2020

Canal du Midi: In Le Somail geht der Lesestoff nicht aus

Was mit der Einweihung des Canal du Midi im Mai 1681 begann, wurde im 19. Jahrhundert mit dem Garonne-Seitenkanal vervollständigt: Ein Wasserweg vom Mittelmeer zum Atlantik, der schon in der Antike ein lang gehegter Traum war. Heute ist der Kanal UNESCO-Welterbe und ein beliebtes Revier für Hausboote. Die ehemaligen Treidelpfade sind ideale und autofreie Fahrradwege.

Danke an Caroline Ducasse und Ralph Schetter für die Bilder
Um die genialen Baumaßnahmen von Pierre-Paul Riquet zu verstehen, muss man zum Ursprung gehen. Und der liegt unter dem Stausee St. Ferréol. Die größte Schwierigkeit beim Bau des Canal du Midi im 17. Jahrhundert bestand in einer ausreichenden Versorgung des Kanals mit Wasser, um die Wasserscheide von Naurouze zu überwinden. Mit dem Bau eines Stausees in der Montagne Noire und der Ableitung durch einen Zuflusskanal war das Problem gelöst. Allerdings erforderte die Zuführung eine Regulierung entsprechend der Niederschlagsmengen. Das im Maison de l'Ingénieur eingerichtete Musée du Reservoir erklärt das gigantische Werks Riquets. Beim Besuch der Galerie unterhalb des Stausees lässt sich anhand der riesigen Leitungshähne die technische Leistung von vor fast vier Jahrhunderten ermessen. 

Ist die Schleusentreppe von Fonseranes schon am Tage eine Attraktion, so bietet sie mit großartigen Beleuchtungseffekten nachts einen einzigartigen Anblick.
Die von Pierre-Paul Riquet erdachten neun Schleusenkammern ermöglichen seit dem 17. Jahrhundert Lastkähnen und Booten den enormen Höhenunterschied bei Bezièrs problemlos zu überwinden. Das Meisterstück von Riquet erwies sich zuverlässiger als eine später installierte technische Einrichtung, die längst nicht mehr in Betrieb ist. Die gesamte Anlage ist am Tage ein beliebtes Ziel um Freizeit-Kapitäne beim Schleusen zu beobachten und abends wird die Esplanade zur Flaniermeile. Im Maison "Coche d'eau" kann man sich das Werk von Riquet erklären lassen oder im Restaurant "Le 9" ein Essen mit lokalen Produkten und Blick auf die Schleusen genießen. Nach 241 Kanalreise und 73 Schleusen später ist man am Atlantik. Auf der Rückfahrt landet man bei Marseillan wieder im Etang de Thau.

Unterwegs einen Besuch wert:
Moissac, romanische Abtei und Brückenkanal Cacor,
das Schiffshebewerk Montech,
der Stausee St. Ferréol und das Musée du Réservoir und

das Antiquariat Le Somail mit seinen mehr als 50.000 Büchern.

Samstag, 22. August 2020

Kasperski's Frauen von Camaret

Camaret-sur-Mer: Rund um den Vauban-Turm
ein Paradies für Schiffswrack-Liebhaber
Gabriela Kasperski liebt die Bretagne und scheinbar noch mehr die Menschen dort, zum Beispiel Nadège, Vivienne, Ayala, Magalie und Aileen. Natürlich sind auch ein paar Männer im Spiel, eher am Rande; die machen dann Komplimente, benehmen sich daneben oder sind wenigstens handwerklich einzusetzen. Aber insgesamt würde ich dem Buch einen anderen Titel geben: „Die Frauen von Camaret“ – und den Hinweis, es sei ein Kriminalroman,


weglassen. Scheinbar war der Verlag sich dabei auch nicht ganz sicher, denn das Wort findet sich auf dem ur-bretonischen Titelmotiv ziemlich klein zwischen Gicht und Wolken. Das Bild zeigt übrigens den Leuchtturm vor der Landspitze Pointe du Raz auf einem Felsen, der La Vieille, „die Alte“ heißt. Die französische Post hat ihn briefmärklich verewigt.

Manchmal wochenlang mußten die beiden Leuchtturmwärter auf La Vieille aushalten, ehe eine Ablösung möglich war.
Meine Frau fragte mich nach der Lektüre: „Warum sollte ich eigentlich diesen Frauenkrimi lesen?“ Ja, genau deshalb! Ihr hat er gefallen, mir nicht, was aber nichts gegen das angenehm zu lesende Buch und seine Protagonistin Tereza Berger, die Petite Suisse, sagt, die in Camaret-sur-Mer ein Haus geerbt hat und innerhalb weniger Tage sich ein funktionierendes Frauen-Netzwerk aufbaut, so gut, daß sie beschließ dort zu bleiben und – was sehr sympathisch ist – eine deutsche Buchhandlung zu gründen. Drücken wir ihr die Daumen, daß das in diesem kleinen Örtchen funktioniert, das seit 1975 eine ständig sinkende
Steilküsten und Sandstrände in der Umgegend von Camaret-sur-Mer
Einwohnerzahl hat; gerade mal zweieinhalbtausend sind es noch. „Die alten Säcke“ der Groupe des Anciens versuchen die kleine Schweizerin aus dem Ort zu ekeln, was aber natürlich nicht gelingt. Da passt dann schon „Morwen et sa soif pour les hommes“ auf, die Sindarin, die die Jüngeren aus dem Herrn der Ringe kennen. Kasperski erzählt im Buch die ganze Sage von Gwenach’ram, dem Leuchtturmwärter und neunfachen Vater von Mädchen…

Alles in allem eine leicht und locker geschriebene Strandlektüre, bei der es für den Fortgang der kriminalistischen Handlung kaum etwas ausmacht, wenn der bretonische Wind einmal ein paar Seiten weiterblättert.

Gabriela Kasperski: Bretonisch mit Meerblick. Emons Verlag, 12 Euro

 

Freitag, 14. August 2020

Rainer Zweig: Allerhöchst eigenhändig gezeichnet


Rainer Zweig mit Dorade (?)
Vor mehr als dreißig Jahren hatten wir beruflichen Kontakt, beide natürlich schon damals südfrankophil angehaucht, uns dann aus den Augen verloren und nun sind wir gegenseitig Besitzer unserer Bücher über den Midi, die sich sogar in den Titeln ähneln: Rainer Zweigs „Unterwegs in den Süden Frankreichs“ und mein „Durch den Süden Frankreichs“.
Und dennoch sind die Unterschiede und die Herangehensweise gewaltig anders. Ich kann nur schreiben, aber Zweig kann zeichnen zum neidisch werden. Entsprechend hat er sich mit Aquarellkasten und Skizzenbuch auf den Weg gemacht. Durch Burgund und das Tal der Rhône ans Mittelmeer nach Les Saintes und dann nach Westen, nach Sète, Agde und Collioure und zurück durch die Cevennen, dort, wo sie so wunderbar einsam sind. Oder haben Sie schon von Gravières oder Les Vans gehört?

Zweig ist stilistisch nicht festgelegt, das macht sein HundertSeitenBuch so spannend und läßt jeden nach Gusto seine Parallelen entdecken. Von Landschafts-Comics über schnell skizzierte oder fein ausgearbeitete Blätter. Die Panoramaansicht von La-Voulte-sur-Rhône hätte Vincent mit seiner Rohrfeder wahrscheinlich sehr ähnlich gezeicnet. Dabei bewegt sich Zweig auf den Spuren der Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts, die ihre Reisen in individuellen Reisebeschreibungen dokumentierten.

Nicht alle zeichneten selbst, Goethe etwa ließ sich von Tischbein malen, aber viele, wie Humboldt oder Alexander Graf von Monts und sogar der Kaiser von Österreich-Ungarn zeichnete als Fünfzehnjähriger sene Reise nach Dalmatien: „Album enthaltend 6 Blatt Reise-Erinnerungen aus Dalmatien 1845, allerhöchst eigenhändig gezeichnet und lithographirt von Sr. Majestät Kaiser Franz Joseph I.“ Auch seine Fischerin aus Sète hätte vor 175 Jahren entstanden sein können und ebenso der Blick in die Gassen von Les Saintes Maries - statt der Telefonleitungen denken wir uns die Wäscheleinen.


Es war nicht immer so einfach an die Standorte für die Bilder zu gelangen. Vor allem die Bilder aus dem Tal der Ardèche haben ziemlich schweißtreibende Klettertouren erfordert, ebenso wie an der Felsenküste um Collioure. Aber die Ergebnisse sind es wert.


Rainer Zweig: Unterwegs in den Süden Frankreichs. Eine Reise von Burgund bis in die Pyrenäen mit Zeichenblock und Stift und Pinsel. 102 Seiten. www.atelierzweig.de , Rhodt in der Weinstraße 11.