Freitag, 15. Juli 2022

Nîmes: Jardin de la Fontaine und der Dichter-Bäcker Jean Reboul

Besuchen wir den Jardin de la Fontaine in Nîmes. Schon die Schriftstellerin Sidonie Gabrielle Colette, deren Vornamen fast überflüssige Anhängsel waren, immer war sie nur „die Colette“, ließ sich von den Gärten bezaubern.

„Wir stoßen das schwarze, goldverzierte Gittertor auf, und die Welt verändert sich. Ein Frühling empfängt uns, so märchenhaft schön, daß man jeden Augenblick fürchtet, er könnte versinken oder sich in Dunst auflösen. Der Springbrunnen, wo ein herrisches, grünes Wasser braust, klar, dunkel, blauschillernd wie eine Schlange.“ 
Auch Alfred Kerr, der Essayist und Kritiker, ist durch den Garten hoch spaziert zur Tour Magne und findet diesen Blick auf die Stadt weit beeindruckender als den vom römischen Monte Pincio.
Tour Magne oberhalb des
Jardin de la Fontaine
„Bei Nîmes erhebt sich ein Hügel am Rand.
Dort sieht man selig nieder
über versonnenes Sonnenland
mit Judasbäumen, Mimosen und Flieder;
Tourmagne! Was für ein bunter Segen!
Der Pincio ist ein Hund dagegen.“ 
 Von diesem Turm, über dessen Entstehungsgeschichte lange gerätselt wurde, der aber wohl einer der Wachtürme der römischen Stadtbefestigung war, hat man einen weiten Blick auf die andere Seite der Rhone: HIER in einem kurzen FILM von Valpard.

Beinahe wäre es seit 1601 mit der Aussicht vorbei gewesen. Am Turm zeigten sich überall Risse und er drohte einzustürzen. Ein Gärtner und Amateurarchäologe hatte aus Weissagungen des Nostradamus geschlossen, daß im Fundament des Turmes ein riesiger Schatz verborgen sein müsse.

Daraufhin interessierte sich sogar Heinrich IV. für Schatz und Gärtner, erteilte diesem eine Grabungserlaubnis, die allerdings privat zu finanzieren war und der Krone zwei Drittel des Erlöses sicherte. Gefunden wurde jedoch nichts.

Gegenüber dem Tempel der Diana, in dem auf die Namensgeberin nichts mehr hinweist, steht das Denkmal für den Bäcker Jean Reboul, das ihm

Oase inmitten der Stadt mit der Statue des berühmten Bäckers und Dichters
aber nicht für besonders wohlschmeckende Baguettes errichtet wurde. Er wurde durch ein einziges Gedicht berühmt: L‘Ange et l‘Enfant. Viele Nîmes-Reisende, angefangen von Alexandre Dumas über Frédéric Mistral bis hin zu Hans Christian Andersen haben ihn in der Rue des trois Maures wegen seiner Zeilen über den Engel und das Kind aufgesucht.

„In Nîmes wohnt der Bäcker Reboul, der die allerliebsten Gedichte schreibt. Ich fand das Haus, trat in die Bäckerei ein und wandte mich an einen Mann in Hemdsärmeln, welcher eben Brot in den Ofen schob; es war Reboul selbst; ein edles Antlitz, welches einen männlichen Charakter ausdrückte, grüßte mich. Er bat mich, ihn am Nachmittag zu besuchen, dann würde er mich besser empfangen können. Als ich wiederkam, fand ich ihn in einem fast eleganten kleinen Zimmer, das mit Gemälden, Statuen und Büchern geschmückt war, die letzteren nicht nur aus der französischen Literatur, sondern auch Übersetzungen der griechischen Klassiker. Ein Bild an der Wand stellte sein berühmtestes Gedicht, ‚Das sterbende Kind‘, dar. Hatte ich ihn am Morgen als den betriebsamen Bäcker gesehen, so war er jetzt ganz der Poet.“ Soweit Andersen, aber die Besuche müssen immer irgendwie gleich abgelaufen sein.

Auch Alexandre Dumas betrat am Vormittag das Geschäft. „Sie sind doch wohl gekommen, um den Dichter zu besuchen und nicht den Bäcker“, begrüßte ihn Reboul. Und fuhr fort: „Wenn Sie Brot wollen, bleiben Sie, es ist besonders gut, aber wenn Sie Verse wollen, kommen Sie um fünf Uhr wieder, dann kann ich Ihnen ein paar schlechte geben.“


Der Tod seiner Frau, über den er nie hinweg kam, hatte Reboul zum Dichter werden lassen, wie er Dumas gestand. Zu der Zeit hatte Reboul in ganz Frankreich einen Ruf, der jeglichen Adress-Zusatz auf die an ihn gerichteten Briefe überflüssig machte: „À Monsieur Reboul, poète et boulanger“; Dichter und Bäcker, das genügte, nicht einmal Nîmes war mehr erforderlich.

Freitag, 1. Juli 2022

Besonders frisch: Fische mit Glasaugen

Solange der Fischreiher noch auf einen Diebstahl aus ist, ist alles frisch.

Bei den allermeisten Restaurants in Küstennähe müssen wir uns keine Sorgen darum machen, ob die Fische, die auf den Teller kommen, tatsächlich frisch sind; meist werden sie morgens am Hafen, sei es in Sète, in Grau-du-Roi, Marseille oder Antibes angelandet. Wenn man an Markttagen etwas weiter ins Landesinnere kommt, dann gilt es schon eher aufzupassen. Die Hausfrauen wissen Bescheid und suchen nach dem Fisch mit dem „klaren Blick“. In einem der ersten Bücher über „Die Provenzalische Küche“, Jean-Baptiste Reboul hat es geschrieben und schon Frédéric Mistral hielt es in seiner Küche für unentbehrlich. Genauer gesagt hielt er es unentbehrlich für seine Mutter, denn er war alles andere als ein Küchenmann.

Frisch auch immer am Quai des Belges in Marseille
„Gewölbt, klar und sprühend“, so beschreibt Reboul die Augen der Fische, die er selbst kaufen würde. „Eingesunkene, trübe und verschleierte“ Augen verwiesen auf einen „poisson avancé“, mit dem man vielleicht noch seiner Katze eine Freude machen könne oder den Ratten im Dorf. Die klaren Augen waren für den Kochbuchautor so wichtig, weil dieses Merkmal von den Händlern am wenigsten zu beeinflussen sei. Natürlich besprühten diese den Fisch mit Wasser, legen ihn, wenn es gut kommt, auf Eis und geißeln ihn mit Bünden frisch ausgerissener Zitronenmelisse; schon sei der Geruch sei übertüncht.

Ernst Jünger hat einen kreativen Trick des Fischers Riccardo aus Antibes beschrieben. Für Jünger, 1895 in Heidelberg geboren und unter anderem Student der Zoologie, war es beruhigend zu wissen, daß Riccardo seinen Trick nur bei den Feriengästen aus Paris zum Einsatz brachte. Seinen unverkäuflichen Fischen, deren Augen am zweiten Tag weiß und nachmittags milchig wurden, drückte er die Augen aus, setzte ihnen Glasaugen ein und verkaufte sie an die Feriengäste. Etwas aufwendig war nur, dass er jeweils anbieten mußte, die Fische zu liefern und in der Küche der Gäste auch gleich auszunehmen. So nahm er ihnen „beim Ausweiden auch die Augen zu fernerer Verwendung wieder fort. Dessen rühmte er sich beim Wein als einer verdienstvollen Tat und wie ein Mann, der sein Licht nicht unter den Scheffel stellt.“ 

Woraus wir immerhin lernen, daß auch die Augen der Fische wachsam betrachtet, am besten erfühlt werden sollten.

Freitag, 24. Juni 2022

Wieder mal in Izzo's Bar des Maraîchers


Hassan, kurz vor seinem Tod fotografiert von Norbert Schmidt
Auch nach dem Tod von Hassan, das war schon im Jahr 2009, gehört die Bar des Maraîchers zu den angesagtesten Treffpunkten des La Plaine-Viertels. Wer, animiert durch den Namen, an einen Gemüsegärtner denkt, vertut sich. Wer an eine chice In-Bar mit Tapas oder Wein denkt, ist hier ebenso verkehrt wie diejenigen, die auf Rock oder Reggae hoffen, damit man sich nicht unterhalten muß. Hier singt Brassens immer, Brel oft und Ferré manchmal; hier wird Pastis immer getrunken, Bier oft und eine Coca ausnahmsweise.

Links oben wie immer: Ferré, Brel, Brassens
Das Bild aus dem berühmten Radio-Interview der drei Chansoniers , das man heute immer noch überall nachhören oder sogar ansehen kann, hat Hassan ganz zu Anfang an die Wand gehängt. Das hängt es noch immer und führt, wenn der Rahmen leicht zur Seite bewegt wird, quasi den Nachweis, daß die Bar seitdem nicht mehr gestrichen wurde.
Ein Freund von Hassan aus jener Zeit ist Hakim Hamadouche. „Das war schon mutig damals hier diese drei singenden Dichter in den Mittelpunkt zu stellen“, erklärt er Malika Moine, eine Studentin der Marseille Street School, die gerade für ihren ersten Artikel im Nuit Magazine recherchiert. Da sie im Vorfeld ordentlich recherchiert hat, protestiert sie auch nicht gegen den Mauresque, den Hassans Nachfolger Serge ihr ungefragt hinstellt. Das ist etwas zarte Version des Pastis, bei der ein Schuß Mandellikör dazu gegeben wird.

Ein Absinth-Rezept, das die französischen Soldaten nach 1830 und der Eroberung und Kolonialisierung Algeriens aus Nordafrika mitgebracht hatten und dabei aber an etwas ganz anderes dachten. 75 Millionen Francs hatte der Feldzug gekostet. Der


Mauresque heute und die Träume der Legionäre: Jeune Mauresque et femme Kabyle
französische Staat konfiszierte deshalb den Staatsschatz, der fast das Doppelte dieser Summe betrug und schickte Hussein III. Dey, den letzten Herrscher des Osmanischen Reiches, ins Exil.

Der Berliner Islamwissenschaftler und Historiker Ulrich Haarmann hat sich auf die Spur dieses Geldes gemacht. Nur 40 Millionen kassierte der französische Staat, 60 Millionen kamen zwar bis Paris; dort verlor sich ihre Spur. Und 50 Millionen schafften es nicht einmal in die französische Hauptstadt, sondern gingen irgendwo zwischen Algier und Marseille an irgendwen.

Nach der ersten Eroberung Algiers war es vorrangig die 1831 gegründete Légion étrangère, die die von beiden Seiten mit Massakern unter Zivilisten, mit Folter und Vergewaltigungen geführten Guerillakämpfe in Nordafrika im Namen des französischen Volkes bestritten. Seit 1843 bis nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt Sidi-Bel-Abbès der Hauptsitz der Fremdenlegion, der dann nach Aubagne bei Marseille verlegt wurde.

Freitag, 17. Juni 2022

Sauve und Le Vigan: Chamson und Kamisarden

Wenn man weiter in die Cevennen hineinfährt empfiehlt sich ein Gang durch das mittelalterlich Sauve, das uns die Umgehungsstraße geradezu unterschlagen möchte. Die häufigen Hochwasser der Vidourle
Sauve mal ohne Hochwasser
bestimmen den ersten Eindruck von der Stadt, schlanke Häuser auf den Felsen, die ihre unterste Fensterreihe teilweise erst in einer Höhe von zehn Metern haben. Im Haus mit den beiden Rundtürmen lebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Schriftsteller Jean-Claris de Florian, dessen bekanntestes Werk die „Plaisirs d’armour“ sind.

Zwischen Quissac und Sauve befindet sich, ein paar Kilometer in die felsige Garrigue hinein, das Schloß Forian, in dem der Schriftsteller zur Welt gekommen ist. In der Revolution von 1848 wurde es zerstört und später wieder aufgebaut. Das ehemalige Kapuzinerkloster haben die Bewohner des Städtchens ebenfalls zum Schloß erhoben und es nach der russischen Familie, die es im 19. Jahrhundert restaurierte und bewohnte, „Château russe“ getauft.

Das von Pierre Gagnier verfasste Heft über Sauve - für 50 Centimes d’Euro im Offfice de Tourisme - verschafft einen guten Überblick und stellt die zahlreichen Gebäude in ihren historischen Zusammenhängen dar.

Aus Le Vigan stammen die Vorfahren André Chamsons und in den Cevennen verbrachte er auch seine Kindheit. Wir sind jetzt in einer Gegend



unterwegs, in der man sich manchmal bestätigen muß, dass man noch im Süden Frankreichs ist: Hohe Kastanienwälder, Tannen, enge Täler, Schnee bis ins Frühjahr und winterglatte Straßen lassen an den Schwarzwald denken. Im Musée Cevenol werden Leben und Werk von André Chamson in einem eigenen Saal gewürdigt, ähnlich lieblos, wie das Uzès mit André Gide tut. Als Saint-André läßt sich der Ort in Chamsons Werken wiedererkennen. Viele, auch neuere Bücher über die Kamisardenkriege finden sich hier.

In Deutschland sind die eher älteren Datums, wie Ludwig Tiecks Werk „Aufruhr in den Cevennen“ oder Gertrud von Le Forts „Turm der Beständigkeit“. Chamson, der aus einer protestantischen Familie stammt, hat viele Geschichten über den Kampf der Kamisarden gegen die zentralistische Königsgewalt geschrieben. „Castanet, der Kamisarde vom Mont Aigoual“ ist neben „Superbe“, der Großartigen, seine bekannteste Figur.


Freitag, 3. Juni 2022

Cannes: Viele Adelige und der Selbstmörder Klaus Mann

Cannes: Postkartenmotiv der Croisette von 1933
Schon früh wurde die Côte d'Azur ein magischer Anziehungspunkt, vor allem für „le monde“, die Leute von Welt, die sich genau für deren Mittelpunkt hielten. Es gehörte sich einfach, drei, vier Monate des Jahres in Cannes oder Nizza Hof zu halten. Allerdings könnte man den Eindruck gewinnen, als seien die Kranken und die Heiratswilligen in der Überzahl.

„Fürsten, Fürsten, überall Fürsten! Glücklich, wer Fürsten liebt. Kaum hatte ich gestern morgen den Fuß auf die Promenade de la Croisette gesetzt, als ich dreien von ihnen begegnete, einem hinter dem anderen. In unserem demokratischen Lande ist Cannes die Stadt der Titel geworden.“
Guy de Maupassant hatte sich in seinem Tagebuch von 1888, das später unter dem Titel „Auf dem Wasser“ auch in deutscher Sprache erschien, noch vornehm zurückgehalten.

Bei anderen war das weniger der Fall, bei Prosper Mérimée zum Beispiel, den vor allem die Vielzahl der

„unverheirateten und unverheiratbaren englischen Fräuleins“
faszinierte, die sich hier zusammengefunden hätten.
„Eine Ansammlung von flachsblonden Haaren und langen Zähnen.“
Das Carlton
Mérimée wurde in diesenPassagen seiner Briefe zum spöttischen Beobachter vor allem der englischen Kolonie.

Man kam nach Cannes, „weil man die Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten liebt“. Die seien dort fast unter sich und regierten, „in Ermangelung der Königreiche, derer man sie beraubt, friedlich in den Salons, die ihnen treu ergeben sind“.

Die ZANZI-Bar. Einen Tag
vor seinem Selbstmord war
Klaus Mann zu Gast und
suchte seinen Louis.
          Bis zu sechzig Angehörige ausländischer Königshäuser waren zwischen 1880 und 1930 jedes Jahr in Cannes zu finden. „Man begegnet ihnen in großer und kleiner Ausführung, arm und reich, traurig und vergnügt - für jeden Geschmack etwas.“

Kurt Tucholsky ertappte sich dabei, daß auch er beinahe über das „Deauville des Mittelmeers“ geschrieben hätte. „Hier wogen die in leichte Gewänder gekleideten Damen und bewegen sich zierlich...,“ aber um das festzustellen habe die Vossische Zeitung ihn sicher nicht nach Fankreich geschickt, bekommt er gerade noch die Kurve und fragt:
„Wie sieht die Existenz eines Zimmerkellners in der Hochsaison aus? Was denken diese Leute? Wie arbeiten sie? Und unter welchen Bedingungen?“

Die Madonna wacht über der Altstadt und dem Hafen
Und formuliert abschließend eine frühe Anregung an Günther Wallraff.
„Warum nimmt niemals einer von uns für ein paar Monate die Arbeit eines Stewards, eines Kellners, eines Bedienten an und schildert die Welt einmal von da aus?“
Das seien die Bücher, die nicht geschrieben würden.


Sonntag, 29. Mai 2022

(Wieder mal) Pflichtlektüre für Provence-Krimi-Fans: Cay Rademachers „Geheimnisvolle Garrigue“ und „Die Richterin und der Tanz des Todes“ von Liliane Fontaine

Aufführung "Mireille" in der Arena von Nîmes...

Das sind mal Tatorte! Liliane Fontaine lässt ihre Flamenco-Tänzerin auf der offenen Bühne der Arena von Nîmes sterben und Cay Rademacher die Freundin eines Polizisten am Schiffstunnel von Rove verschwinden. Zwei spannende Geschichten, die für die Ermittler aber jeweils mühsam anlaufen. Einmal zu viele, einmal zu wenige Verdächtige – beides gleich schlecht.

...und ein riskanter Besuch im Tunnel von Rove/ Marignane.

An sich müßte ich mich ja für befangen erklären: Der Dumont Verlag zitiert auf der vierten Umschlagseite aus meiner Rezension über Rademacher „Schweigendes Les Baux“ und Fontaine verweist (Seite 59) auf meinen Blogbeitrag über die Pestmauer von Lagnes http://lustaufprovence.blogspot.com/2021/05/eine-pestmauer-quer-durch-die-provence.html

Darf ich jetzt die beiden Titel nicht mehr empfehlen? Doch – und wie! Eine Autorin und ein Autor, die Südfrankreich inhaliert haben und uns in ihren Büchern in den Midi verführen.

Beste Lektüre für die Einstimmung auf den Midi - gerne auch mit Champagner!

Von daher beginne ich gleich mal mit Rademachers Hinweis am Ende des Buches: Suchen Sie diesen Ort bitte nicht auf. Wahrscheinlich würden Sie nicht gerade ermordet, weil kaum jemand sich noch in den Tunnel hineintraut, aber genug Stellen, an denen Sie sich den Hals brechen können, gibt es trotzdem. Wer es dennoch nicht lassen kann, sollte wenigstens keine Zigarette ins Wasser werden, denn giftige Zersetzungsgase wie Methan sind dort in brennbarer Konzentration vorhanden. Es könnte im wahrsten Sinne des Wortes „die letzte Zigarette“ werden.

Dieser längste Bootstunnel der Erde ist heute noch in Teilen zugänglich, aber der 2 Meter schmale Gehweg ist an vielen Stellen eingebrochen. 1927 mit großem Pomp eröffnet, brauchte der damalige französische Präsident Gaston Doumergue auf einem Schnellboot der Kriegsmarine gerade mal 35 Minuten, bis er die Entfernung zwischen Marseille und dem Etang de Berre zurückgelegt hatte. Die französische Presse vergleicht den Tunnelbau mit dem der Pyramiden in Ägypten. Nur, ganz so lange hat er nicht gehalten, 1963 ist der Tunnel auf eine Strecke von 200 Metern eingestürzt.

Rademacher schrieb das Manuskript - für mich etwas zu sehr - unter dem Eindruck der Covid-bedingten französischen Ausgangsverbote. Ärzte, die mit Tauchermasken von Decathlon durch die Krankenhäuser eilen und Desinfektionsmittel, die von der Polizei bewacht werden mußten und die man deshalb im Polizeirevier aufbewahrte. Inzwischen hat Macron Covid in Frankreich ja kurz vor seiner Wiederwahl „abgeschafft“ und damit sicher wesentlich zu seinem Erfolg beigetragen.

Junge Frauen verschwinden, nur ein linker Schuh wird gefunden. Genau wie vor 23 Jahren. Und damals hat man den Täter nicht gefasst. Sind Sie allerdings klaustrophobisch veranlagt oder haben gar eine Tunnelphobie, dann lesen Sie den neuen Südfrankreich-Kriminalroman von Cay Rademacher besser nicht. Für alle anderen: Kaufen, im Midi versinken und sich etwas gruseln. Denn der rund 7 Kilometer lange Tunnel du Rove spielt eine entscheidende Rolle in diesem Buch. Was zu Beginn der Bauarbeiten im März 1911 niemand wissen konnte: Der Tunnel entwickelte sich schnell zu einem ebenso teuren wie überflüssigen Projekt. Fünfzehn Jahre später waren 2,3 Millionen Kubikmeter Felsen von 1.300 Tonnen Dynamit zertrümmert und durch 470.000 Kubikmeter Beton ersetzt worden. 

Liliane Fontaine und Cay Rademacher

Könnten nicht die Richterin Mathilde de Boncourt und der Kommissar Roger Blanc einmal gemeinsam ermitteln und sich so näherkommen? Das wird aber wohl nicht gehen, denn er hat ja seine schöne Nachbarin Paulette und sie ihren Commandanten Rachid Bourraada. 

Außerdem hat Mathilde de Boncourt im Flamenco-Milieu und dem der Gitanes, Tziganes und Manouches, wie die Zigeuner sich im Midi nennen oder genannt werden, genug zu tun. Ist die junge Flamenco-Tänzerin wirklich u so unschuldig wie sie gerne tut und wie sie (fast) alle Kollegen sehen? Nur der schwule Tänzer sicher nicht, den sie um sein Erbe bringt. Machen sie ein paar Nächte mit dem alten Choreografen und die anschließende Hauptrolle in der großen Bühnenshow schon verdächtig? Auch neue Ermittlungsmethoden, wie eine stimmliche Gegenüberstellung führen nicht weiter.

De Boncourt und Bourraada sind so sehr in ihre Ermittlungen eingetaucht, daß sie dabei am liebsten auch noch die Frage geklärt hätten, wer denn nun van Gogh das Ohr abgeschnitten hat und ob sein Selbstmord vielleicht doch ein Mord war. Aber das machen die Beiden dann vielleicht im nächsten Band der Serie „Die Richterin“.

Mehr über das Amphitheater von Nîmes unter https://www.geo.fr/histoire/les-arenes-de-nimes-ou-le-renouveau-dun-amphitheatre-romain-vieux-de-2000-ans-209141 .

Und wenn die Autoren mal wieder ungewöhnliche Locations für die nächsten Romane brauchen, empfehle ich einen Blick auf die Homepage von Vincent Duseigne, http://tchorski.morkitu.org/14/tunnel-rove.htm auf der sich auch zahlreiche beeindruckende Bilder des Tunnels von Rove befinden. Weitere Informationen auch hier: https://www.chasse-maree.com/le-tunnel-du-rove-oublie-de-lhistoire/

Freitag, 27. Mai 2022

Verwunschen: Psalmody

Die Hüter von Psalmody
Das ist mal ein verwunschener Ort: Psalmody, in der tiefsten Camargue gelegen. Heute ragt von dem ehemaligen Kloster nur noch eine Mauer empor, die, wie das gesamte Klostergelände zu einem privat geführten Gutshof gehört. Der Weg dorthin ist meist von einem vier Meter hohen Eisentor verschlossen. Man könnte zwar leicht über eine Wiese zu den Überresten des Klosters gelangen, sollte das aber nur tun, wenn man sich wirklich den Umgang mit drei oder vier freilaufenden und etwas lebhaften Schäferhunden zutraut, die gerne schon einmal mit einer Handtasche oder einem Hosenbein spielen. Manchmal setzen die sich einfach so vor die Autotür, daß man schon zweimal überlegt, ob man aussteigen soll. Selbst wer sich mit Erlaubnis des Eigentümers, den Sie gerne auch russisch oder englisch ansprechen können, auf dem Gelände bewegt, sollte dies vorsichtig tun. Denn die alten Mauerreste, die jahrzehntelang von einem multidisziplinären Team amerikanischer Wissenschaftler unter Leitung des Kunsthistorikers Whitney S. Stoddard (gestorben 2003) freigelegt


Klosteranlage etwa 1960 und 2020. Ober rechts: Der Kunsthistoriker W.S. Stoddard
und erforscht wurden, sind inzwischen fest in der Hand von Vipern. Manchmal ist aber auch nur eine Smaragdeidechse, die da unter den nächsten Stein huscht. Eine Länge von über 70 Metern zeugt von der Bedeutung und Finanzkraft des Klosters. Die Ausmaße lassen sich auf der alten Postkarte gut  erkennen.

1966 hatte Stoddard sein Standardwerk zur mittelalterlichen französischen Kunstgeschichte veröffentlicht: Monastery and Cathedral in France. Später kam dann noch das lesenswerte Werk über die Fassade von Saint Gilles dazu: The Facade of Saint-Gilles-du-Gard: Its Influence on French Sculpture. 


Die Fassade von Saint Gilles, teilrestauriert im Juni 2020
Psalmody war einst ein mächtiges Benediktinerkloster, dessen Chronik auf die insgesamt 24 größeren Gebäude verweist, die die Mönche errichtet hatten. Selbst der französische König Ludwig IX., der nach zahlreichen Kriegen den etwas unpassenden Zusatz „der Heilige“ erhielt, mußte sich beim Abt von Psalmody um ein Stück Land bemühen, weil er seinen geplanten Kreuzzug von Königsland aus beginnen und nicht auf das Eigentum von Vasallen angewiesen sein wollte. So verkaufte ihm der Abt das, was wir heute als Aigues-Mortes kennen, samt dem Zugangsweg, der damals noch unter dem Tour de Carbonnière herführte. Der liegt zwar ganz nahe bei Aigues-Mortes, gehört aber zur Gemeinde Saint-Laurent-d'Aigouze.
 


Wunderschöne, aber schattenlose Spaziergänge durch die Camargue
Der Kreuzzug Ludwigs IX. kam überhaupt nur zustande, weil er während einer Malaria-Erkrankung ein entsprechendes Gelöbnis für den Fall seiner Gesundung abgegeben hatte. Die „bewaffnete Pilgerfahrt“, wie auch dieser Kreuzzug beschönigend genannt wurden, scheiterte bereits in Ägypten.
Geschäftstüchtig waren die Mönche nicht nur gegenüber ihrem König, dem sie diese paar Hektar Salzsümpfe und das damals ärmliche Fischerdorf teuer verkauften. Vor allem den Salzhandel hatte das Kloster fest in der Hand, belieferte aber auch Montpellier, Nîmes und Arles mit frischem Fisch aus dem Mittelmeer und den brackigen Kanälen ringsum.


Liliane Fontaine läßt ihre Untersuchungsrichterin im Kriminalroman „Die Tote vom Pont du Gard hier ermitteln. Die ideale Gegend, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Zuvor sollte man sich aber ordentlich stärken, im Garten des Restaurants Tour Carbonnière.

           


 

Freitag, 20. Mai 2022

Barbegal: Die römische Mühlen

Irgendwie führen alle Wege, in dem Fall zwar nicht nach Rom, sondern nach Barbegal und zu den beeindruckenden Ruinen eines wasserbetriebenen römischen Mühlenkomplexes. Von Arles aus im

Eine über 20 Kilometer lange Wasserleitung speiste neben den Mühlen auch Arles

Stadtteil Pont de Crau schräg links abbiegen in die Route de Barbegal, von Fontvielle aus nehmen Sie die Route des Moulins, die das Örtchen in exakt südlicher Richtung verlässt, und biegen nach ein paar Kilometern in die Route de Acqueduc ab. Wenn Sie von Arles aus fahren hat das den Vorteil, daß Sie am Schloss von Barbegal vorbeikommen, wo Sie nicht nur stilvoll heiraten können, sondern wo man gerne auch einen kleinen Empfang mit Ihren zweihundert engsten Freunden organisiert. In Zeiten von Facebook-Freundschaften wird das Château aber wahrscheinlich viel zu klein sein.

Château Barbegal im Zweiten Weltkrieg

Dieses Château war während des Zweiten Weltkrieges kurz, von 1943 bis zur Landung der Allierten an der Côte d’Azur, das Hauptquartier der 338sten deutschen Infanterie-Division. Aufgabe dieser Truppen war der Schutz der Mittelmeerküste von Sète über Montélimar und die Camargue bis kurz vor Marseille, genau gesagt bis zum Cap de la Vièrge östlich von Carry-le-Rouet. Hier befand sich zu jener Zeit eine zerfallende Kapelle, auf deren Türsturz man heute noch die Jahreszahl 1753 lesen kann. Der vielbesuchte Ort mit einer sitzenden stillenden Madonna Aussicht ist mittlerweile renoviert.

Die Reste der Mühlen-Fundamente sehen eher unscheinbar aus

Das Château hatte während der deutschen Besatzungszeit einen Kommandanten, der, zumindest vom Namen her, bestens in diese feudale Umgebung passte: René de l'Homme de Courbière hieß der Generalleutnant, der die Division am 10. Januar 1944 von Josef Folttmann übernahm. Courbière war ein Enkel von Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière, der einer alteingesessenen protestantischen Adelsfamilie der Dauphiné entstammte, die im 17. Jahrhundert nach Preußen ausgewandert war. Sein Großvater hatte es bis zum preußischen Generalfeldmarschall gebracht und eine Reihe von damals den Offizieren verbotene Duelle überlebt.

Noch im August 1943 hatten erstmals amerikanische B-17-Bombergeschwader in Südfrankreich angegriffen, zunächst die Flughäfen von Istres und Salon de Provence. Am 24. November wurde Bomben auf die Hafenanlagen von Toulon geworfen und vor allem waren es Zivilisten, die umkamen. 450 toten Franzosen standen 50 getötete deutsche Soldaten gegenüber. Ein paar Monate später konnte von ernsthafter deutscher Verteidigung schon nicht mehr die Rede sein. Die Resistance berichtete den Alliierten von Panzerattrappen aus Holz, die um das Schloß von Barbegal herum aufgestellt waren, und die es letzten Endes davor retteten, bombardiert zu werden. Als sich Courbière entschloß, mit seiner Division abzuziehen ging es durch das Rhônetal nach Norden und dann über Belfort ins Elsaß.


Teilweise noch gut erhalten: Die Wasserleitung

Ein industrieller römischer Mühlenkomplex

Von der Terrasse des Schlosses hat man bereits den Blick auf den Hang mit der römischen Wasserleitung und den Ruinen der Mühlen. Wichtig ist der Plural, denn dies ist ein ganz besonderer Ort. Obwohl wir normalerweise mit der englische Tuchproduktion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Beginn der Industrialisierung verbinden, gab es hier bereits einen großen Industriekomplex im 3. Jahrhundert. Die Römer hatten hier einen genialen industriellen Mühlen-Komplex installiert. Insgesamt sechzehn Wasser-Mühlen waren in einer Doppelreihe hintereinandergeschaltet.

Dem Entdecker der Anlage, Fernand Benoit, wurde oberhalb der Mühlen eine Gedenktafel errichtet. Ende der 1930er Jahre fanden hier erstmals archäologische Ausgrabungen und Untersuchungen statt. Wieder einmal bestätigt sich an dieser Stelle: Man sieht nur, was man weiss. Denn die meisten, der allerdings immer noch wenigen Besucher dieses mehr als zwanzig Kilometer langen Doppel-Aquädukts gehen nur die letzten dreihundert Meter entlang der Wasserleitung und vor bis zu dem ziemlich steil abfallenden scheinbaren Ende, werfen noch einen Blick ins Tal und gehen wieder zurück zum Auto. Dabei wird es hier erst interessant.

Der Verlauf der Wasserleitung. Bild A. Chenet

Der berühmte "Knick". Zahlreiche weitere Bilder von Walter Kuhl finden Sie hier.

Hier und unten die doppelte Anlage der Mühlen. Bild: Danke an Walter Kuhl.

Die Rekonstruktion der Anlage durch Professor Cees Passchier von der Uni Mainz. Danke für das Bild!


 

Vier Tonnen Getreide wurden täglich verarbeitet

Die Wasserleitung teilt sich nämlich an dieser Stelle in eine, die in einem rechten Winkel nach Arles führt und in eine, die die Mühlen antrieb. Diese hintereinandergeschalteten Mühlen aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert, so Professor Cees Passchier vom Institut für Geowissenschaften der Universität Mainz, der mir auch die Schemazeichnung der Anlage zur Verfügung stellte, hatten eine beachtliche Kapazität. Mehr als vier Tonnen Getreide konnten hier jeden Tag verarbeitet werden. Was mit dem Mehl geschah, ist unklar. Für die Versorgung von Arles alleine, wäre die Menge viel zu groß gewesen. So wird vermutet, daß aus diesem Mehl auch Schiffszwieback für die römischen Kriegsschiffe produziert wurden, die in Arles und Fos anlegten.

Vom Frühsommer bis zum Herbst stand die Anlage still. Dann versiegten regelmäßig die beiden Quellen von Mollégès und Paradou, die die Leitungen speisten. Dieses technologische Meisterwerk ist sicher einer der am meisten unterschätzten Orte in der Provence.

Freitag, 13. Mai 2022

Werner Lichtner-Aix: Auf der Suche nach dem idealen Licht




Werner Lichtner-Aix in seinem Atelier des idealen, "sensationslosen" Lichts
Wenn Sie von Orange aus nach Sérignan-du-Comtat, fahren Sie rechts am Harmas von Jean-Henri Fabre vorbei, ein paar hundert Meter weiter sehen Sie das Hinweisschild auf das Atelier-Musée von Werner Lichtner-Aix. Das ist aber auch schon alles, was den Besucher auf dieses sehenswerte Museum hinweist. Geöffnet derzeit nur nach Voranmeldung; siehe Homepage.

Auf Nachfrage im Rathaus erklärt ein geschäftiger Herr wortgewaltig und gestenreich den Weg. Ich habe mich gerade auf einen längeren Spaziergang eingerichtet, da stehe ich auch schon vor dem Eingang. Es ist das sorgfältig restaurierte Haus auf der Rückseite des Rathauses. Eine ältere Dame sucht mit jedem der wenigen Besucher das Gespräch. Ob mir der Bürgermeister den Weg auch so kompliziert beschrieben habe?



Lichtner-Aix sah 1961 die Fauves in Paris und begeisterte sich an Rottmann, C.D.Friedrich, 
Purrmann, Turner oder Claude Lorrain.  © aller Bilder in diesem Beitrag bei Monique Lichtner-Lubcke.
Im übrigen aber hielt sie sehr viel von ihrem alten Bürgermeister. Er sei es immerhin gewesen, der Werner Lichtner-Aix nach Sérignan geholt habe. „Damals“, das war Ende der sechziger Jahre, „ hat Monsieur le Maire dem Werner die Ruine des Château zum symbolischen Preis von einem Franc überlassen.“ Zur Auflage sei allerdings gemacht worden, daß das Gemäuer innerhalb von zwei Jahren renoviert werde. Heute ist der Ortskern weitgehend in einem ordentlichen baulichen Zustand.

Die Dame im Musée-Atelier spricht den Namen des Malers mit deutscher Betonung aus. Ehe ich danach fragen kann, erzählte sie, daß sie kurz nach Kriegsende in Deutschland ihren Mann kennengelernt hat. Er war Offizier der französischen Besatzungskräfte. Lange vor Werner seien sie nach Sérignan gekommen; beide sind inzwischen gestorben. 


Monique's Kochbücher haben viel für Werner's Popularität getan.
Sie wundere sich immer, wie viele, gerade der deutschen Besucherinnen, den Namen von Monique Lichtner kennen. Und die wiederum wundern sich dann, daß deren Mann einer der bekanntesten zeitgenössischen Landschaftmaler in Frankreich war. Des Rätsels Lösung: Zwei Kochbücher, die Monique Lichtner für den Weingarten Verlag geschrieben hat und die ihr Mann mit Aquarellen aus provenzalischen Küchen, Kräutergärten und Weinbergen illustriert hat. Ansonsten sind es, neben Landschaften in Blau und Ocker, die Plätze und Häuser in den kleinen Dörfern um den Ventoux, die Lichtner-Aix inspirierten: die Bar mit den Plantanen und dem Brunnen, der Markt, das Tabakgeschäft, das Boulespiel der alten Männer.

Beispiele seiner Provence-Bilder aus dem Museum Lichtner-Aix
Das Atelierhaus - der Besuch lohnt sich - baute Lichtner nach seinen Vorstellungen vom idealen Licht. Obwohl Lichtner schon lange tot ist: Wer sein Atelierzimmer im zweiten Stock des Hauses betritt, hat das Gefühl, er habe den Raum nur gerade für ein paar Minuten verlassen.


...das Atelier gerade verlassen
Die Palette liegt noch auf dem einfachen Maltisch, eine Leinwand auf der Staffelei und an der Fensterscheibe hat er die verschiedenen Ockertöne aus seinem Sinai-Projekt, der letzten Bildserie, die er gemalt hat, ausprobiert und gemischt. Man ist versucht nachzusehen, ob er mit einem Glas Wein in der Hand drüben in der Bar du Commerce steht. Die Vergänglichkeit bringt sich schnell in Erinnerung, wenn man im Hof des Ateliers an seiner Urne vorbei geht.
Die Bar du Commerce steht inzwischen zum Verkauf, wie viele andere Häuser auch. Die Polizei ist in das ehemalige Office du Tourisme eingezogen und es gehört schon zu den besonderen Ereignissen in Städtchen, wenn der Polizist den Abfluß des Dorfbrunnens von den Platanenblättern säubert.



Donnerstag, 5. Mai 2022

Trauboths anregendes Gedankenspiel mit und um Saint-Ex

Wenn wir mal Mao- und sonstige Bibeln aller Couleur vergessen, gehört „Der kleine Prinz“ von Saint-Exupéry zu den weltweit drei meistverkauften Büchern und das mit einer Auflage von irgendwo zwischen 150 und 200 Millionen Exemplaren. Hinzu kommen weitere Romane und Geschichten aus dem Fliegermilieu, die Jörg Trauboth am Ende seiner Buches „Bonjour Saint-Ex“ kurz vorstellt.

Nicht ganz leicht war es für Saint-Exupéry gewesen, überhaupt zu den Fliegern zu gelangen, nicht nur, weil seine Eltern und seine künftige Frau wenig von dieser gefährlichen Angelegenheit hielten. Auch sein Kommandant beim Straßburger Fliegergeschwader war wenig begeistert. Wenn es denn unbedingt sein müsse, könne der Soldat zweiter Klasse ja private Flugstunden nehmen – auf eigene Kosten, versteht sich –, und wenn es mit der Lizenz klappe, auch am militärischen Flugtraining teilnehmen. Einen Fluglehrer fand Saint-Exupéry dann ausgerechnet in Robert Aéby, einem ausgemusterten Piloten der deutschen Luftwaffe.

Ob der adelige Saint-Ex nun ein flugvernarrter Literat oder ein literaturvernarrter Flieger war, wird immer wieder diskutiert und auf dem Cover eines Buches von François Suchel gut wiedergegeben. Wir indes können das Saint-Ex heute nicht mehr fragen. Das hätte aber Fabian Braun, der Protagonist der Novelle „Bonjour Saint-Ex!“, durchaus tun können.


Denn als er die letzte Flugroute des Comte Antoine Marie Jean-Baptiste Roger de Saint-Exupéry nachfliegt - was Trauboth tatsächlich getan hat-, begegnet er seinem Idol in der Luft. Die beiden tauschen sich aus, philosophieren miteinander und finden sich sympathisch. Und das, obwohl der Vater von Trauboths ‚Alter ego‘ Fabian Saint-Ex bei dessen letztem Flug abgeschossen haben will; oder vielleicht sogar hat.

Auch andere deutschen Jagdflieger brüsteten sich mit dem Abschuss. Etwa hat Horst Rippert, ZDF-Sportreporter und Bruder des Sängers Ivan Rebroff, das behauptet und hinterher bedauert. Aber dafür fehlen die Beweise, weil sämtliche Unterlagen beim Rückzug der Deutschen aus dem Mittelmeerraum verloren gingen. Fabian Braun ist eine erfundene Figur, aber, so Trauboth: „In dem Dialog mit seinem Vater habe ich auch mein Vaterverhältnis aufgearbeitet. Wie ich auch Exupérys letzten Flug tatsächlich im letzten Jahr nachgeflogen bin.“

Da ist so vieles nicht geklärt und bis heute werden zahlreiche Vermutungen angestellt. Wollte sich Saint-Ex abschießen lassen? Hat er mal wieder einen seiner Pilotenfehler begangen, die ihn schon vorher des Öfteren haben abstürzen lassen? Stimmen die Auslegungen seiner letzten Briefe, in denen viel Todessehnsucht hineininterpretiert worden ist; war es also Selbstmord? 

Einem Freund hatte er in der Nacht davor geschrieben: „Falls ich abgeschossen werden sollte, verschwinde ich, ohne das zu bedauern.“ Sogar der Bild-Zeitung war Saint-Exupéry einen Beitrag wert: „Zerbrach er am wilden Leben?“, fragt das Blatt und zählt die Selbstmord-Indizien auf: „Schwerer Alkoholiker“ und „der Literat litt unter seiner Impotenz“.

Trauboth verlässt sich auf seine jahrzehntelangen Recherchen und spekuliert entsprechend wenig. Etwa finden sich viele wörtliche Zitate aus den Briefen, die Saint-Exupéry während der Flüge an seine Mutter geschrieben hat. Besonders überzeugend gelingen die Passagen des Buches, in denen um das Fliegerische geht. Kein Wunder, denn, so Trauboth: „In diesem Projekt fühlte ich mich von Anfang an zu Hause, weil ich glaube als Pilot mit über 5000 Stunden Flugerfahrung und als Schriftsteller gute Voraussetzungen für diese Novelle zu haben.“

„Geradeaus kann man nicht sehr weit kommen“ heißt es im „kleinen Prinzen“. Andererseits in der Luft schon. Trauboth hat ein anregendes Gedankenspiel geschrieben, das mit Fakten und Fiktion jongliert, eines, das viele Fragen beantwortet und zum Glück manche offenlässt.
 

Jörg H. Trauboth: Bonjour, Saint-Ex! Ratio-Verlag, Lohmar, 2022, 17 Euro

Wer kennt sein Buch besser als der Autor selbst? Deshalb hier noch der Hinweis auf empfehlenswerte knappe 2 Minuten, die Trauboth auf Youtube eingestellt hat .

 



Freitag, 22. April 2022

Fünfhundert Jahre Protestantismus auf 30 Metern Holz

In Saint-Chaptes, irgendwo im Dreieck zwischen Nimes, Uzès und Ales ist Jean-Pierre Thein gestrandet – nach langer Suche hat er im Mas de Luc nun genug Platz für sein Atelier. Und den braucht er auch, wenn man alleine an sein insgesamt 30 Meter langes Basrelief zur Geschichte des Protestantismus denkt. 

Auf den 50 Tafeln sind fast zweihundert Personen zu sehen. Das Holz dafür, Bubinga, stammt aus Westafrika. Sieben Monate hat er daran gearbeitet und die Geschichte der Reformation geschnitzt, natürlich mit einem Schwerpunkt auf den Süden Frankreichs. 

Ausgehend von Luthers Thesen und der Erfindung der Druckkunst durch Johannes Gutenberg, der die rasante Ausbreitung des neuen Glaubens erst möglich gemacht hatte, macht Thein mit uns einen Streifzug vom Edikt von Nantes und dessen Widerruf über die Gefangenen im Tour de Constance in Aigues-Mortes (oben links) bis zu den französischen Exilanten, die vor allem auch in Preußen und der Schweiz ein gastfreundliches Exil fanden. Und natürlich die Dragonaden, die zwangsweise Einquartierung der katholischen Soldaten Ludwigs XIV. in den protestantischen Häusern der Cevennen. Jedes eroberte Dorf erhielt den dann den Namen des Tagesheiligen als zusätzlichen Namensbestandteil. So wurde aus Cazevielle dann Saint-Maurice-de-Cazevielle oder aus Gauzignan dann Saint-Césaire-de-Gauzignan.

Das Relief ist auf einer Wanderausstellung durch den protestantischen Süden Frankreichs zu sehen. Informationen beim Künstler und auf seiner Homepage: www.jeanpierrethein.fr .

Thein arbeitet aber nicht nur als Holzschnitzer, sondern auch als Sklupteur und Maler. Im Bild die etwa 150 Zentimeter hohen Figuren aus der Serie Ängste, die er aus Schwemmholz und Steinen aus den berühmten Weinbergen von Tavel hergestellt hat.