Samstag, 22. Februar 2020

Sanilhac: Die Einsiedelei des Veredemus und die Grotte de la Baume

Pilgerziel seit mehr als eintausend Jahren: Grotte und Kapelle von Saint Vérédème

Wer wirklich sehen will, wie ein Einsiedler im achten Jahrhundert in den Schluchten des Gardon gelebt hat, der braucht heute vor allem eines: Eine Taschenlampe. Denn ohne haben Sie den Weg - je nach Kondition 
immerhin zwischen zwei und drei Stunden - umsonst gemacht; die mehr als 150 Meter tief in den Fels gehende Grotte liegt nach gut zwanzig Metern vollständig im Dunkeln. Veredemus hat sie zwar genutzt, aber nicht gegraben. Schon in der Altsteinzeit war sie bewohnt und lange später auch noch, wie Keramikfunde beweisen, die sich im Museum in Nîmes befinden.

Ordentliche Schuhe für die teilweise in den Fels gehauene Steigungen und mindestens ein Liter Wasser sollten ebenfalls zur Ausrüstung gehören. Kurz vor der Grotte befindet sich die einfache Kapelle, die Vérédème errichtete und die zu den ältesten christlichen Gebäuden des Languedoc gehört.

Mit viel Freude und viel Wissen:
Pauline Bernard, mit Schlüsselgewalt, und Cyril Soustelle
Natürlich kann man die Wanderung auf eigene Faust unternehmen und folgt dann einfach den gelben Kennzeichnungen. Wenn man aber das Glück hat mit Pauline Bernard und Cyril Soustelle unterwegs zu sein, wird es ein ganz besonderer Tag. Sie ist die Conservatrice der Reserve Naturelle Gorges du Gardon, er, im Dorf geboren, arbeitet dort als Ranger; beide haben auf jede Frage ein Antwort und kennen jeden, dem wir unterwegs begegnen.

Wir beginnen die Tour mit einem kurzen Rundgang durch Sanilhac. Schon sind zwei Stunden vorbei, denn da ein längeres Schwätzchen, hier ein kurzer Händedruck, dort drei Küsse links, rechts, links und dann noch kurz zum Bäcker zum Einkaufen der Marschverpflegung und natürlich viele Informationen über heutige und ehemalige Bewohner. Alle haben Zeit.

Literarisch hat der Ort immerhin Albert Roux zu bieten, einen Felibre Sanilhacois, der Landwirt war und Dichter in okzitanischer Sprache wurde.


Ein wenig roch Albert Roux immer nach Petroleum
Seinen langen Bart hat er sich gegen die kleinen Kribbeltierchen alle zwei Tage mit Petroleum eingerieben, was darauf hindeutet, daß er kaum verheiratet gewesen sein kann. Also hatte er viel Zeit, lange Spaziergänge zu machen, dem Dorf die Flurnamen zu geben, die bis heute gelten und sich auch noch archäologisch zu betätigen.

Ein paar Schritte weiter kommen wir am Schloß vorbei. Es soll verkauft werden, wie andere Häuser im Ort auch. Die Nähe zu Uzès hat die Preise ins Astronomische wachsen lassen. Und kaum einer der Engländer oder Schweizer, die hier gekauft haben, weiß, daß sich einige der aus bröseligem Sandstein gebauten Häuser langsam regelrecht auflösen. Sie wundern sich, daß in den Gewölben im Erdgeschoß jeden Morgen der Boden gefegt werden muß und daß Fenstersimse einfach abbrechen. Ein Spaziergang mit Cyril hätte vorher Klarheit geschaffen.

Pauline Bernard hat die Schlüssel dabei. So kommen wir in die Kirche des Heiligen Laurent, dessen Statue links neben dem Altar steht.
Veredemus (re) und Laurent in der Saint-Laurent-Kirche in Sanilhac
Gleichberechtigt gegenüber steht Saint Vérédème, - Veredemus, wie er bei uns heißt - in einer nicht ganz zeitgemäßen Franziskanerkutte und einem Totenschädel in der rechten Hand.

Um das Jahr 700 ist er aus Griechenland nach Südfrankreich gekommen, die Rhone und den Gardon hinauf gefahren und in Sanilhac an Land gegangen. Er war vielbesuchter Einsiedler und hatte in kurzer Zeit, auch durch Wunderheilungen, einen Ruf erlangt, daß er zum Bischof von Avignon ernannt wurde. Aber auch in dieser Funktion hat er sich immer wieder längere Auszeiten in seiner Grotte de la Baume genommen.

Fast eintausendzweihundert Jahre haben die Bewohner der Region mit ihm gelebt und ihn in einer jährlichen Prozession zu seiner Grotte um Regen angefleht. Seit 1962 tun sie das nicht mehr. Die zu trockenen Jahre mehren sich; natürlich nicht deswegen, aber so ein Jahr wie 2017 ohne Regen seit März, Waldbränden und einer um ein Drittel geringeren Traubenernte und entsprechenden Verdienstausfällen möchte hier niemand wieder haben. Im Dorf spricht man schon davon, die Fürbitten an Veredemus wieder aufleben zu lassen. Auch die Schafhirten der Crau verehrten Vérédème als ihren Schutzheiligen.Dort regnet es noch weniger.

La Baume gibt es gleich zweimal in Sanilhac, natürlich Grotte, die wir gerade besucht haben, dann aber auch das gleichnamige Restaurant. Der Besuch von beiden ist empfehlenswert.



Allerdings ist die Reihenfolge der Besuche vorgegeben. Wer gegen elf Uhr dreißig einen Blick auf das Tagesmenue wirft und dann zu dem Schluß kommt, die halbe Stunde bis Mittag könne doch gut mit einem Apéro überbrückt werden, der hat schon verloren.

Man sitzt unter Olivenbäumen, an der Lavendelhecke und blickt über die Weinberge zum Mont Ventoux. Mehr Provence geht nicht. Und wenn nach dem Essen die Flasche Wein noch nicht ausgetrunken ist, ist man geneigt, den Nachmittag hier ausklingen zu lassen. Oder man ist besonders willensstark. So jemanden hat der Chef de Cuisine, eine besonders stattliche Koch-Erscheinung, aber noch nicht kennen gelernt. Und wir wollten seinen Erfahrungsschatz nicht widerlegen.

Stoff für nachmittägliche Gespräche gibt es zuhauf. Warum wir wieder die letzten im Restaurant sind und warum der Schmetterling die Sahnesoße des wunderbar rosé geratenen Bratens bevorzugt, statt der Sahne des Nachtischs und warum die Katze auf dem Nachbartisch nur herüber schaut, aber nicht bettelnd um unsere Beine streicht. Wenn das erst einmal alles geklärt ist, bliebe immer noch Zeit genug, die Wanderung nicht anzutreten.

Die Straße übrigens, die nicht weit von Sanilhac ins Gardontal führt, mag älteren Kinobesuchern bekannt vorkommen. Hier fuhr 1952 Yves Montand den mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in „Lohn der Angst“.