Samstag, 21. Januar 2017

Les Baux: Morgners weiblicher Troubadour

Irmtraud Morgner
Gab es auch Troubadourinnen? Für die DDR- Schriftstellerin Irmtraud Morgner (1933 bis 1990; Bild: Bundesarchiv, Ausschnitt)) keine Frage. Ihre Trobadora Beatriz wird nach einem achthundertjährigen Schlaf sehr rüde aufgeweckt - in der DDR. „Dieser Roman, der so lächelnd schon im Titel verspricht, uns in eine ferne Provence des Mittelalters zu entführen, spielt heute“, warnte der Luchterhand Verlag seine westdeutschen Leser schon auf dem Umschlag der Taschenbuchausgabe.

Der Roman „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“ erschien 1974. Da wurde sie bereits von ihrem Mann, dem Lyriker und Drehbuchautor Paul Wiems für das Ministerium für Staatssicherheit bespitzelt. 1977 ließ sich Morgner von Wiems scheiden.

Der erste Satz:

„Natürlich ist das Land ein Ort des Wunderbaren.“
Da hat Irmtraud Morgner sich gründlich geirrt, sollte sie tatsächlich die DDR als das gelobte Land der Emanzipation der Dichterinnen und Schriftstellerinnen gemeint haben; obwohl man das bei nicht weiß, schließlich war sie dort im Vorstand des Schriftstellerverbandes.  Oder hat sie ihn ironisch beschrieben, diesen Staat, in dem ideologische Bewertungen entschieden, wer schreiben durfte, wer gedruckt und gelesen werden durfte. Ein bürokratisch kontrolliertes System der Literaturgewährung für die Leser. Die für mich nachvollziehbarste Deutung bezieht diesen Satz auf das Land, in dem die Trobadora eingeschlafen ist, auf die Provence, auf Les Baux.
Übergangslos: Stadt Fels Ort.                                         Bild Oleg Znamenskiy cc
„Sie brannte auf das Wiedersehen mit der einzigartigen Stadt, die in wilder Felsenlandschaft hoch aus einem Monolith gehauen war, ohne sichtbare Übergänge vom Fels zum kunstvollen Gemäuer. Diese knochenähnlich verwitterten Felsenformen, die nackt und gewaltig in Kräutern stehen, steil.“
Dann trifft sie einen Autofahrer, der ihr erklärt, daß statt des Bauxit heute die Touristen ausgebeutet werden, und sie in die tief in die Felsen gehauenen Weinkeller von Sarragan schickt.

Immer die ideale Temperatur.                Bild:Cave
Genießen Sie im Sommer einen Temperaturunterschied von meist mehr als zwanzig Grad und gönnen Sie sich hier Ihren Apéro in Form von ein zwei Gläschen Rosé, der aber wirklich nur hier schmeckt. Alles andere als ein großer Wein und denken Sie an die Trobadora und die Ausbeutung. Mit dem Bauxit, das ihm seinen Namen gab, hat Les Baux heute gar nichts mehr zu tun. Das kommt heute aus Brignoles, im Landesinneren zwischen Marseille und Toulon an der A 8 gelegen. Zwei Millionen Tonnen dieses Ausgangsmaterials zur Aluminiumherstellung werden hier gewonnen.

Wer mehr über die Agententätigkeit von Wiems nachlesen will, dem sei das Buch „Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik“ von Joachim Walther ans Herz gelegt, das 1999 bei Ullstein erschien. Zu den vom bespitzelten Autoren gehörten Heinrich Böll und Günter Grass, aber auch Jurek Becker und Wolf Biermann, sowie Andrej Sacharow und Lew Kopelew.