Samstag, 12. Mai 2018

"Leaving Berlin": Brecht bleibt und Meier geht

Im Nachkriegsberlin: Bert Brecht auf einer Friedenstagung des Kulturbundes Bild Wiki cc
Seit dem Spätsommer 1944 arbeiteten einige der in die Sowjetunion geflohenen deutschen Schriftsteller, darunter Johannes R. Becher und Willi Bredel, bereits an der Organisation der kulturellen Umerziehung der Deutschen. Mitte 1945 wurde der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ in Berlin gegründet. Er sollte ausdrücklich keine Parteinähe haben, sondern unabhängig und überparteilich sein – was er tatsächlich aber nie war.
 
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Gerade in der Anfangsphase suchte man die großen Namen. Heinrich Mann, den man liebend gerne in die Sowjetisch Besetzte Zone gelotst hätte, blieb lieber in Kalifornien. Erst seine Tochter Leonie, bemühte sich im Jahr des Mauerbaus um die Überführung der Urne über Prag, wo sie wohnte, nach Ost-Berlin. Immerhin Anna Seghers, Bert Brecht, Helene Weigel und Arnold Zweig wurden für den Kulturbund gewonnen und traten immer wieder bei Veranstaltungen auf.

In diesem Umfeld taucht im Roman „Leaving Berlin“, von Joseph Canon in den Jahren 2012 und 2013 geschrieben, ein weiterer Autor auf, die Romanfigur des Halbjuden und Kommunisten Alex Meier, der schnell zu Brecht, von dessen sarkastischer Art angezogen wird und zu Anna Seghers einen guten Draht gewinnt. Gerade mal 1700 Kalorien stehen den Berlinern zur Verfügung, aber die Hofierten des Kulturbundes profitieren von Buffets ohne Lebensmittelkarte, von Wohnungen, von Telefon und für Brecht und Meier steht immer ein Auto zur Verfügung. Und rings herum Schwarzmarkt, Luftbrücke und Spionage.

Alex Meier in einer Phantomzeichnung und das gegenüber der
deutschen Ausgabe aussagekräftigere amerikanische Cover
Meier wird von den Kommunisten und ihrem K5, aus dem später das Ministerium für Staatssicherheit wird, und der CIA zur Spionage mehr erpreßt denn angeworben und hält sich gut in dieser Welt, in der jeder jeden aushorcht und jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muß. So soll Meier seine Jugendliebe Irene als Informantin nutzen, mittlerweile die Geliebte eines Sowjet-Majors. Niemand kann keinem Vertrauen, Verrat ist an der Tagesordnung. Ein lesenswerter Thriller, dessen Lektüre aufgrund des Auftretens unserer „alten Bekannten“ Brecht, Seghers, Becher und Zweig - auch Feuchtwanger und Thomas Mann sind am Rande beteiligt – einfach Spaß macht, aber niemanden die Lösung erahnen läßt.

Joseph Kanon, der Harvard-Student und spätere Verlagsleiter von Houghton Mifflin hat eine ganze Reihe seiner Romane im Nachkriegsberlin angesiedelt.