Freitag, 26. Juli 2024

Rainer Ehrt's "Café des Exilés"

Mit Freude am Detail, manchmal mit Ironie, manchmal freundschaftlich, aber auch mit kritischer Distanz hat der Künstler Rainer Ehrt die bekannten Gesichter der deutschen Exilliteratur gezeichnet: Von Heinrich Mann, über Roth, Brecht und Anna Seghers bis hin zu Toller und Feuchtwanger.


Natürlich denkt man in erster Linie an Wien, wenn der Begriff des „Caféhausliteraten“ fällt. Aber die aus Nazi-Deutschland geflüchteten oder ausgewiesenen Schriftsteller standen den Wiener Autoren wie Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus oder Alfred Polgar um nichts nach. Und Autoren wie Joseph Roth und Franz Werfel waren zunächst in den Wiener Cafés und später dann in Paris zu finden.

Wenn dazu noch wir Anna Seghers „Transit“ und Ludwig Macuses „Mein Zwanzigstes Jahrhundert“ lesen, dann gewinnt man den Eindruck, als hätten alle Exilanten ihre Tage hauptsächlich in den Cafés von Marseille und Sanary-sur-Mer verbracht.

Und da ist tatsächlich was dran. Das Thema war Hermann Kesten sogar ein ganzes Buch wert: „Dichter im Café“. So etwas wie eine zweite Heimat waren die Cafés geworden.

Er habe einen Gutteil seines Lebens in den Cafés verbracht, beichtet Hermann Kesten und tritt auf den 433 Seiten seines Buches „Dichter im Café“ den Beweis an.

Den Exilanten waren die Kaffeehäuser zu ihren Arbeits- oder Wohnzimmern geworden, in denen sie ihre glücklicherweise selbstzahlenden Freunde empfingen, in denen sie schnell ihre Stammplätze oder gar Stammtische hatten und auch bei wenig Verzehr gerne gesehen waren: die Bohème als kostenlose Werbung für die vielen, die gerne dazu gehört hätten und dennoch kamen und nur sehen wollten. Diesen
„Müßiggang der anderen betrog ich mit meiner Arbeit“
formulierte Kesten schadenfroh und machte sich regelmäßig auch über die einzelne Dame lustig, die es in jedem Café gebe und die aussähe,
„als habe nicht ein einzelner Mann sie versetzt, sondern das ganze männliche Geschlecht“.
Die Cafés waren den Exilanten sogar mehr als Haus und Heimatersatz, waren „Kirche und Parlament“, wurden „zur Wiege der Illusionen und zum Friedhof“.


Angefangen hat Rainer Ehrt, Jahrgang 1960, nach seinem Studium an der Hochschule für Kunst und Design Halle/Burg Giebichstein als Plakat-Illustrator und gleich die ersten Auszeichnungen bekommen: 1998 in London für den »Best political Cartoon« bei der New Statesman Cartoon Competition und 2004 »Best of 2003 Illustration« des 3x3 magazine in New York. Viele seiner Arbeiten befinden sich inzwischen im Besitz von Museen, Bibliotheken oder privaten Sammlungen.

Einen Überblick über seine Arbeiten finden Sie HIER, darunter auch die Grafik "Überfahrt", die sich Intellektuellen, Komponisten und darstellenden Künstlern widmet.




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Viel mehr zu den Künstlern und Autoren des Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende. Mail an manfred.hammes@web.de

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“



Freitag, 12. Juli 2024

Sanary: Die "Frauenumgebung" der Exilautoren

Mit besonderer Ehrerbietung oder Höflichkeit wenigstens wurden die Damen in Sanary von den versammelten Dichterfürsten und literarischen Kaisern nicht behandelt. Allenfalls Ironie ließ man ihnen zukommen und Ludwig Marcuse sammelte all das und war damit auch kaum besser als die von ihm unten beschriebene "Auskunftei".

Inzwischen viel lesenswertes Auto- und Biographisches über die "Frauenumgebung"

Sybille von Schoenebeck zum Beispiel, die ihre Vorliebe fürs Britische ständig vor sich hertrug.
„Der Hauptmotor der englischen Gruppe war ein Fräulein von ..., die englisch sprach, als wäre sie auf dem Campus von Oxford geboren, und so highbrow, daß sie sich selbst nur gelegentlich einmal verstand.“
Sie sei ein „großer Snob mit einem guten Herzen“ gewesen und dazu „einer beträchtlichen Portion von Unsicherheit und einer noch größeren Leibesfülle“.

Diese Unsicherheit hinderte sie allerdings nicht daran, in deutschen Flugzeugen lautstark und „mit einer Flut köstlichster englischer Redewendungen“ über die aufgehängten Hakenkreuzfahnen zu schimpfen.

Als Sybille Bedford und Biographin von Aldous Huxley fand sie sich schließlich angemessen britisch. Den neuen Familiennamen hatte ihr nach vielem Drängen Huxley besorgt – in Form eines homosexuellen Engländers in Geldnöten, der die Scheinehe einging und ihr so zur Mrs. Bedford und damit zur britischen Staatsbürgerschaft verhalf.
Vorbild für diese Scheinheirat war die Verheiratung Erika Manns mit dem englischen Dichter Wystan Auden.


Viele andere Damen wurden nicht einmal beim Namen genannt.

„Ich habe zuviele Frauen deutsch-kommunistischer Intellektueller mit eigenen Ohren gehört und die Männer saßen geduckt daneben und die Brandung der Phrasen ging über ihre Köpfe.“
Da könne keiner den Kopf hochhalten, wenn die schrillen Weiblichkeiten modulierten. Einer kam mit einer
„veilchenblauäugigen Dänin“,
ein anderer mit
„der schlanken Tochter irgendeiner Tusnelda“.
Oder das Mädchen,
„deren literarischer Ruhm darin bestand, daß Alfred Kerr ihr in verschollenen Tagen Liebesgedichte geschrieben hatte“,
Marta Feuchtwanger zu Besuch bei Huxley (Bild: Monacensia)und ein Selbstportrait der Karikaturistin
Eva Herrmann (Bild: Exilarchiv) ,die die Ölmalerei einer Allergie wegen aufgeben mußte
der Eva Herrmann, die Freundin des „Fräuleins von...“, deren Beitrag zur deutschen Literatur darin bestand, Karikaturen der Literaten zu zeichnen - das allerdings meisterhaft.
„Sie war sehr rationell und glaubte an Geister.“  

Eva Herrmann lebte mit Sybille Bedford in einem ehemaligen Bauernhof, der „Bastide Juliette“ und wer die beiden besuchen wollte, mußte schon einen langen, steilen Marsch in Kauf nehmen.

René Schickele, der den Weg auf sich genommen hatte, erinnerte sich an Sybilles Stimme „wie eine erkältete Turteltaube“ mit den Bewegungen „eines robusten, wohlerzogenen Gardeoffiziers“. Die stets zögerliche Eva habe sie mit ihren Augen dirigiert,
„Eva, die voller Fragen dasteht und kaum eine davon über die Lippen bringt“.
Und dann gab es noch die
Auskunftei, die geschiedene Frau eines bekannten deutschen Schauspielers.“

Als Beichtmutter konnte sie die Geheimnisse nicht so hüten, wie sie es sicher gewollt habe. „Mit weißen zitternden Lippen gab sie dann eine Portion Geheimnisse her.“ Und eine Minute später, eingeleitet von der rituellen Formel

„Da ich nun schon fast alles erzählt habe ... kam dann erst das Strammste zur Welt.“
  Aber Ludwig Marcuse schätzte besonders an ihr, daß sie nie boshaft klatschte. 

 

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Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“


Freitag, 5. Juli 2024

Von Anduze zur Moulin de Corbès

 
Markt immer donnerstags
Anduze lebt in der Vergangenheit, nicht von ihr. Eine Vergangenheit, die das Städtchen durch den einträglichen Tuch- und Seidenhandel glanzvoll und reich gemacht hatte. Einen kleinen Eindruck davon bekommt auf dem Place Couverte, dem teilweise überdachten Marktplatz, auf dem seit dem 17. Jahrhundert ein aufwändig gestalteter Ziehbrunnen mit bunten Dachziegeln steht. Am besten fahren Sie donnerstags, also am Markttag, hin. Der Markt wird auch noch von vielen Selbstvermarktern (Producteurs) beschickt; im Herbst finden Sie hier die frischesten Esskastanien und Steinpilze.
 
Die alte Mühle von Corbès im Gardontal.
Das Örtchen selbst, ein paar Häuser nur, liegt auf der Höhe. Der Weg dorthin lohnt sich.
  
In eine andere Welt tauchen Sie in, wenn Sie Anduze auf der rechten Gardonseite in Richtung Corbès verlassen. Nach sechs, sieben Kilometern geht es vor einer Linkskurve steil bergab. Unten fahren Sie auf einer etwas abenteuerlichen Brücke über den Gardon und können, wenn es nicht gerade ein hochsommerlicher Badetag ist, meist gleich rechts parken. Hinter sich sehen Sie dann die alte Papiermühle, die Moulin de Corbès mit dem immer noch funktionstüchtigen hölzernen Wasserrad. Wenn Sie ein paar Schritte dem Gardonlauf folgen - allerdings sollten Sie schon hinter das Stauwehr gehen -, finden Sie ruhige und idyllischste Plätze zum Baden und für ein Picknick.

Heute nutzlos, aber noch in Betrieb

Vorsorglich haben Sie sich ja auf dem Markt mit allem notwendigen eingedeckt: Baguette, Rosé (der im Fluß schön kühl bleibt), Tomaten, eine Wildschweinsalami, etwas Ziegenkäse. Zwei Gläser, bloß keine Plastikbecher!, und ein Laguiole-Messer (alles über das berühmte Messer hier), ganz wichtig eines mit Korkenzieher, haben Sie ja hoffentlich ohnehin immer im Auto. Wenn Sie zu den Männern gehören, die ihre Taschenmesser immer verlieren oder irgendwo liegenlassen, kaufen Sie sich gleich zwei oder drei im Zeitschriftenladen, da wo Sie dann in die Altstadt hochgehen.

Wenn Sie nur so, also ohne Picknick und Messer, unterwegs sind, bleibt die Empfehlung für das Restaurant "La Rocaille" direkt auf dem Marktplatz;hier ein 2-Minuten-VIDEO über den schnellsten Ober der Welt
. Ob es dann danach noch zu einer auch noch so kleinen Wanderung kommt, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Bleiben noch die bis zu Vasen zu erwähnen, die ein Töpfer namens Boisset im 16. Jahrhundert auf dem Markt in Beaucaire sah; allerdings gelang es ihm nicht, die Medici-Vase eins zu eins zu kopieren. So entstanden die Boisset-Vasen, die noch heute in Anduze hergestellt werden. Ludwig XIV. hat die Boisset-Originale, die immer wieder als Fälschungen angeboten werden, in zahlreichen Orangerien und Zitronengärten seiner Schlösser aufstellen lassen.

 

 

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Freitag, 28. Juni 2024

Stevenson: Eine störrische Eselin und fluchende Damen


Stevenson auf einem Gemälde von John Singer Sargent, 1887
Der extrem harten Winter von 1709 ließ in den Cevennen nahezu alle Kastanienbäume erfrieren ließ sich viele Bauern für die schnell wachsenden Maulbeerbäume entscheiden. Als Robert Louis Stevenson seine „Reise mit dem Esel durch die Cevennen“ machte - so der Titel seines Buches -, wanderte er kilometerlang an Maulbeerbäumen vorbei.

Heute haben die Kastanien wieder etwas an Bedeutung gewonnen. Manche der im 17. und 18. Jahrhundert mühsam terrassierten Anbauflächen in Höhen zwischen 400 und 800 Metern werden zu neuem Leben erweckt. Selbst die Schilder, daß das Sammeln bei Strafe verboten sei, werden schon wieder häufiger.

Cevennen im Frühjahr
Einsam sind die Cevennen, ein ideales Wandergebiet, das sich der Schotte Stevenson auch aussuchte, um seinem Liebeskummer zu entfliehen. 1878 begann er seine Wanderung von Monastier nach Saint Jean. Zwei Jahre zuvor hatte der spätere Autor der „Schatzinsel“ und von „Jekyll und Hyde“ Fanny Osbourne kennen gelernt. Zunächst hatte sich Stevenson für deren achtzehnjährige Tochter interessiert, die ihm altersmäßig auch näher stand als die Mutter. Doch wie es so geht...Die verheiratete Amerikanerin war nun auf dem Weg in die Vereinigten Staaten, um sich scheiden zu lassen. So ganz glaubte Stevenson nicht daran, daß sie für ihn zurückkehren würde.

Die schöne Salomé (rechts)
Sein Frauenbild während der 14tägigen Wanderung wird geprägt von der Eselin Modestine und den scheinbar ständig fluchenden Bauers- und Wirtsfrauen.
„Meine Wirtin, die jung und hübsch war, sich wie eine Dame kleidete und das Patois wie eine Schwäche mied, wendete sich an ihr Kind im Sprachgebrauch eines betrunkenen Bauernlümmels.“

Andere könnten trotz ihrer Frömmigkeit fluchen wie Sir Toby Belch, der es darin in Shakespeares „Nacht der Könige“ schon zu einiger Meisterschaft gebracht hatte.

Stevenson hatte sich eine Eselin für die Reise ausgesucht, weil er das Pferd „unter den Tieren für eine Art feine Dame“ hielt,

„kapriziös, scheu, wählerisch beim Fressen und von zarter Gesundheit“.
Nicht bedacht hatte er dabei den starken Willen der Eselinnen oder besser deren Starrsinn. Nur mit Schlägen bekam er das Tier in den ersten Tagen voran, aber
„als würdiger Engländer ging es mir gegen den Strich, meine Hand roh gegen ein Frauenzimmer zu erheben“.
Es ging aber offensichtlich nicht anders.
Alles vom Brotbaum der Cevennen: Mehl, Sirup,
Marmelade, Mehl, Brot
„Das Geräusch meiner eigenen Hiebe machte mich ganz krank. Als ich ihr einmal ins Gesicht sah, hatte sie eine leise Ähnlichkeit mit einer Dame meiner Bekanntschaft, die mich einst mit Güte überschüttet hatte.“
Und das trug noch zur Steigerung seines eh schon schlechten Gewissens bei.

Nach 14 Tagen hatte Stevenson seine Wanderung in Saint Jean du Gard beendet, viele seltsame Menschen kennen gelernt und für ihn das Wichtigste: Fanny kam ein paar Monate später zurück – geschieden.

Die schöne Salomé können Sie, hier der Link, im Hameau Le Luziers, das gehört zu Mialet, überzeugen, daß sie eine Tour mitmachen soll;
sie ist allerdings auch kapriziös und wählerisch.

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Freitag, 21. Juni 2024

Jack Kerouac: Langeweile in Avignon


Jack Kerouac           Bild von Tom Palumbo
Jim Irsay hat viel Geld für das mehr als 30 Meter lange Manuskript "On the road" von Jack Kerouac ausgegeben: fast 2,5 Millionen Dollar, mehr Geld als der Autor in seinem ganzen Leben verdiente. Kerouac hatte Papierblätter zugeschnitten, aneinander geklebt und darauf in drei Wochen seinen Bestseller geschrieben. Oft kann man noch lesen, es sei eine Rolle Fernschreiberpapier gewesen. Der Schluß der Geschichte mußte allerdings rekonstruiert werden. Ein literarisch interessierter Hund hatte den letzten Meter gefressen.

Avignon war eine langweilige Stadt für ihn. „Was kannst du an einem Sonntag Nachmittag in Avignon tun? In einem Café sitzen und in der Zeitung vom Comeback eines einheimischen Clowns lesen und die Steinfiguren aus dem Museum in dir nachwirken lassen.“


Papstpalast in Avignon: Lichtschau und "natur"
Kerouac kam aus dem Musée lapidaire, der ehemaligen Jesuitenkirche aus dem 17. Jahrhundert,
„ein Museum voller Bildhauerarbeiten in Stein aus den Tagen Benededikt XIII., und auch mit einer prächtigen in Holz geschnitzten Darstellung des Abendmahls mit zusammengedrängten Jüngern Kopf an Kopf und trauernd, Christus in der Mitte mit erhobener Hand, und plötzlich wirst du von einem der Köpfe hinten im Relief direkt angestarrt, und es ist Judas!“
Das war ihm aber dann auch schon genug Kultur und er bestätigte sich lieber noch ein wenig seine Vorurteile, die er gegenüber dem Süden
Frankreichs hatte. Nirgends sei die Stimmung so trostlos wie während

Weltbestseller "On the road"                              Bild Wiki CC-Lizenz
eines sonntäglichen Mistralsturmes im „armen alten Avignon“. Er beobachtete „junge Burschen, die wie heranwachsende Kriminelle aussahen“, dreizehnjährige Mädchen, die „einfältig in hochhackigen Schuhen grinsten“ und ein kleines Kind, das „im Dreckwasser der Gosse mit dem Gerippe einer Puppe“ spielte. Und plötzlich habe er verstanden, was das sei, der französische Provinzialismus, über den sich auch die französischen Dichter beklagten:
„Den trüben Provinzialismus, der Flaubert und Rimbaud in den Wahnsinn trieb und der Balzac zum Grübeln brachte.“
Wenn man die Vorgeschichte kennt, weiß, wie Kerouac nach Südfrankreich kam, und daß für ihn Frankreich gleichbedeutend mit Paris war, dann versteht man seine negativen Schilderungen des Midi besser.
Von Tanger war er auf einem Postschiff, und, um fünf Dollar zu sparen, in der vierten Klasse, gemeinsam mit zurückbeorderten französischen Algerien-Soldaten nach Marseille gereist. Es gab keine Koje mehr für ihn und seine Bestechungsversuche gegenüber den Stewards wurden nur mit einem Achselzucken beantwortet:
„Nicht unbedingt ein gallisches Achselzucken, sondern ein großes weltmüdes lebensmüdes allgemein-europäisches Achselzucken“.
Und plötzlich tat es ihm leid, daß er
„die ziemlich träge, aber echte Aufrichtigkeit der arabischen Welt verließ“.
Als er in Marseille ankam, wollte er nur eines: Schnell wieder weg. Daß mit Arthur Rimbaud einer der französischen Autoren, die Kerouac, die gesamte Beat-Literatur und schließlich Bob Dylan und Patti Smith stark beeinflusst haben, in Marseille elendiglich an Knochenkrebs zugrunde gegangen ist, wird er gewusst haben - schließlich hatte er ein Buch über ihn geschrieben. An sich wäre Rimbaud jemand gewesen, dessen wenige Spuren in Marseille er hätte suchen müssen, wenn er schon seine europäische Spurensuche betrieb. Auch hatte er lange ein Rimbaud-Zitat in seinem Arbeitszimmer:
„When shall weg go, over there by the shores and mountains, to salute the birth of new work, the new wisdom, the flight of tyrants, and of demons, the end of superstition to adore…the first ones!”

Die zahlreichen Romane, die Kerouac in den fünfziger Jahren schrieb, blieben lange unveröffentlicht, sind es zum Teil noch heute und liegen in einem Bankschließfach, das seine Erben bewachen. Immerhin könnten Sie sich ein Zazzle-Teashirt mit den Namenszügen von Rimbaud und Kerouac kaufen und auf die nächste Veröffentlichung hoffen.



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Viel mehr zu Avignon und dem Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende. Mail an manfred.hammes@web.de

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“

Dienstag, 18. Juni 2024

Lagrasse: Kaffee und Kloster

Wer auf dem Weg von der Küste nach Carcassonne mal einen oder mehrere wirklich gute Cafés probieren möchte, dem sei das Örtchen Lagrasse empfohlen. In der Promenade Boulevard Nummer 11 hat William Arnaud seine Kaffeerösterei eingerichtet, die er einfach Le Kiosque nennt.

Riesige Auswahl bei William Arnaud. Bild Ducasse-Schetter

Wenn Arnaud seine Arme übereinander schlägt, sieht man, daß er bisher so ganz unsportlich nicht gelebt haben kann. Viele Jahre hat er sein Geld im professionellen Rugby-Sport verdient - in Frankreich. "In Italien allerdings ist der Café besser", sagt er. Inspiriert von dort  startete er seine zweite Karriere als Kaffeeröster. William hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt und absolvierte eine Ausbildung bei einem Kaffeeröster seltsamerweise in Saint-Malo und nicht in Italien. Heute macht er alles selbst: Von der Auswahl der Kaffeesorten über die Zusammenstellung, das Rösten bis hin zum Servieren für die Verkostung. Sein Sortiment setzt sich zum Teil aus seltenen Kaffeesorten kleiner Produzenten zusammenzusammen. Wer eine Café-Probe machen möchte, kann sich Zusätze wie unter anderem Mandelmilch, Vollmilch und reinem Kakao auswählen.

Ob Sie die kurze Tour durch den Ort mit dem obligatorischen Foto von den neuen hin zur alten Brücke vor oder nach dert Caféstunde machen, bleibt Ihnen überlassen. Nicht dagegen, ob Sie die ehemalige Benediktiner-Abtei Sainte-Marie de Lagrasse besuchen: Die muß man einfach - allein schon wegen Ihres Alters, sie stammt aus der Zeit Karls des Großen - besichtigt haben.


Das Kloster wurde das erste religiöse Zentrum im Languedoc und stand unter dem besonderen Schutz des Kaisers, der viele Schenkungen initiierte. Die Besitzungen der Abtei reichten von Albi bis Saragossa und machten Lagrasse zu einem der reichsten Klöster im Süden.




Freitag, 14. Juni 2024

Cassoulet: Nur echt aus Castelnaudary

Worüber können Franzosen sich am besten echauffieren: Ganz klar über Essen und Wein – wie das Beispiel Cassoulet beweist. Wie bei jedem ursprünglich preiswerten Resteessen, von der Fischsuppe über die Pizza bis zu Paella, sind die Rezepte unterschiedlich, weil natürlich überall unterschiedliche Dinge von den Vortagen übrig geblieben sind.

Beim Cassoulet kommt es zum Streit zwischen drei Städten, einer, wo es tatsächlich herstammt, nämlich Castelnaudary, und zwei Städten, die es irgendwann mal unter Gesichtspunkten des Tourismus-Marketing für sich in Anspruch genommen haben, nämlich Toulouse und Carcassonne. Ganz salomonisch schlichtete der berühmte

Carcassone hat zwar das beeindruckendere Stadtbild, aber das Cassoulet kommt aus Castelnaudary

Koch und Kochbuchautor Prosper Montagné den Streit und formulierte in seinem Buch „Le Festin Occitane“:
„Das Cassoulet ist der Gott der okkitanischen Küche. Ein Gott in drei Personen: Der Vater ist der Gott aus Castalnaudry, der Sohn aus Carcassonne und der Heilige Geist aus Toulouse.“
Wichtigste und unstrittige Bestandteile sind große weiße Bohnen - zum Beispiel die Lingotbohnen aus dem Lauragais oder die etwas länglicheren aus Tarbes - und das immer wieder darübergestreute und immer wieder untergehobene Weckmehl. In Toulouse hält man die Saucisses de Toulouse für unentbehrlich, in Carcassonne gibts eine Edelvariante, bei der Rehühner die Ente oder manchmal auch das Lamm ersetzen. Diese Variante fand erheblich Anklang in der Küchen des Adels, etwa an den Schlössern der Loire, wo man das Gericht aber umbenannte und nicht mehr an die bäuerliche Herkunft erinnert werden wollte: Estouffet oder auch Estofat aux féves hieß es dann.

Am Hafen von Castelnaudary
Anlegestelle am Hotel Le Clos Fleuri

Das erste Cassoulet wurde angeblich 1337 gekocht, als die Einwohner sich mit allen im Dorf befindlichen Resten stärkten, ehe sie die Belagerung der Engländer durchbrachen und Castelnaudary befreiten. Eine schöne Geschichte, die nur zeitlich nicht ganz passt. Denn erst gegen 1530 brachte Kolumbus die Lingot-Bohnen aus Amerika mit nach Frankreich.

Inzwischen bekommen Sie in Sète oder Narbonne sogar ein Cassoulet aux Poissons. Es soll sogar Menschen geben, die ein vegetarisches Cassoulet zubereiten, aber denen sollte man die Benutzung dieses Markennamens verbieten. Bohneneintopf ist doch auch was schönes, wenn man kein Interesse an richtigem Essen hat. Aber dann wäre Frankreich immer noch von den Engländern erobert und im Hexagone würde so gekocht wie auf der Insel.

Das Cassoulet kann zum winterlichen Hochgenuss werden, wenn man sich genügend Zeit es zuzubereiten – stundenlang. Wer es zu schnell kocht, wird merken, daß es nach dem Aufwärmen viel besser schmeckt. Auf ein paar Dinge darf man nicht verzichten. Auf die Entkeulen, eine ordentlich mit Knoblauch versetzte Schinkenlyoner, das Entenconfit mit viel frischem Thymian, Salz der Camargue, Entenschmalz und Cognac.
Wo das wohl steht ? Und was da wohl die Spezialität des Hauses ist ?

Könnten die Hinweise auf den braunen Autobahnschildern den Streit entscheiden, wäre alles längst ganz klar. Dann wäre es Castelnaudary, zwischen den beiden Wettbewerbern gelegen. Denn dort führt eines der Weg in die Hauptstadt des Cassoulet. Das Gericht hat seinen Namen von der Cassole, einem Tontopf, in dem es früher zubereitet wurde. Heute nimmt man am besten einen dieser so teuren Gusseisentöpfe etwa von Le Creuset, den sich Ihre Frau sicher längst zu Weihnachten gewünscht hat. Mein Tip: Kaufen Sie ihn! Wenn die Anschaffungskosten auf einhundert Jahre rechnen, sind es gerade mal 3 Euro im Jahr.

Frisch ist um Klassen besser

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Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“