Samstag, 27. Mai 2017

Rivesaltes: Der lange Kampf ums Erinnern

 
Das Lager von Rivesaltes wurde 1938 ursprünglich errichtet, um französische Soldaten auf die unwirtlichen Verhältnisse im Wüstenkrieg und den Kämpfen in anderen extremen Klimazonen vorzubereiten. Benannt wurde das Militärlager zunächst nach dem Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Ersten Weltkrieg, Joseph Joffre, der im Örtchen Rivesaltes geboren wurde. Ab 1939 – aus dem Lager wurde ein „Centre d’Herbergement“ wurden hier aber ganz anderen Menschen „aufgehoben“: Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkrieges, dann Sinti und Roma, Juden aus Baden und später, nach dem Algerienkrieg die Harkis, Nordafrikaner, die auf der Seite Frankreichs gekämpft hatten. Einige von denen, die 1962 hierher kamen, verließen das Lager erst 1976.

Wer heute das Wort Rivesaltes hört, denkt vielleicht zunächst an die dortigen Süßweine, aber hier in der Ebene ist das Klima so hart und gegensätzlich, dass nicht einmal die anspruchslosen Weinreben wachsen. Extreme Tageshitze und tiefe Minusgrade in den Winternächten, die Fallwinde der Pyrenäenund und auch die unhygienischen Verhältnisse im Lager verursachte viele Todesfälle. Und genau 2.313 Juden wurden von hier in die Vernichtungslager geschickt.

Es hat Jahrzehnte gedauert, bis der französische Staat seiner Pflicht zum Erinnern nachkam.
„Das Schweigen über das Lager von Rivesaltes war ‚national‘, die Tür für die Erinnerungsarbeit musste erst aufgestoßen werden“,
so die Journalistin Ursula Welter in einem Beitrag für den Deutschlandfunk.
Kurz vor der Eröffnung der Erinnerungsstätte habe ich einen halben Tag im Lager verbracht, zwischen den kaum zerfallenen Baracken, dem Stacheldraht, der überall noch aus dem Boden hervorsticht und den verrosteten Sardinendosen, die an die Insassen regelmäßig ausgeteilt wurden.

Die Aufarbeitung der Lagerzeit durch Zeitzeugen kann hier inzwischen, in Les Milles hat es Jahre zuvor noch geklappt, kaum mehr gelingen. Immerhin gab es örtlichen Vereine, die das lange vor Eröffnung der offiziellen Gedankstätte versuchten. Etwa die „Anciens Combattants Prisonniers de Guerre Combattants d'Algérie, Tunisie, Maroc ( http://www.fncpg-catm.org/) oder die « Fils et Filles de Républicains Espagnols et Enfants de l’Exode » (http://ffreee-retirada.blogspot.fr/ )
Der damalige Staatspräsident Sarkozy ließ sich das Gelände bezahlen, bevor dort die historische Arbeit aufgenommen werden konnte. Der Sozialist Bourquin lässt heute kein gutes Haar an seinem konservativen Verhandlungspartner von einst. Sarkozy habe von einer Gedenkstätte zunächst nichts wissen wollen, erst im Wahlkampf 2012 habe er Rivesaltes für sich entdeckt und für ein paar werbetaugliche Fotos am Rande einer Stippvisite genutzt. "Ich denke, ganz klar, dass er persönlich ein Problem mit Erinnerungsarbeit hat“,
sagte Bourquin im DLF-Interview.

Die 2015 dann doch eröffnete Gedenkstätte lohnt den Besuch. Architekt Rudy Ricciotti hat große Teile in die Erde gebaut; kein Gebäudeteil sollte die Baracken überragen.

Die Homepage, wenn Sie dem Link gefolgt sind, ist hoffentlich aktueller als im Mai 2017, als vorwiegend Veranstaltungen des Vorjahres präsentiert wurden. Und warum das Memorial auch noch mit einer Anzeige in Google wirbt, obwohl man längst als erste Fundstelle angezeigt wird, muss man ja nicht verstehen.