Samstag, 11. Juli 2020

Rosé, Platanen, Lavendel und ...

Schatten weg, Gläser leer
Frischkalter Rosé im beschlagenen Glas und das Klicken der Boule-Kugeln unter lichtem Platanenschatten … das reicht doch für den Anfang. Wer schon mal an der Côte d’Azur sonnengebadet hat, war noch nicht in Südfrankreich. Aber auch nicht, wer auf dem Weg nach Spanien in irgendeinem der austauschbaren Novotel, Mercure, Ibis oder - ganz billig und einzig auf den Zweck des einmal Übernachtens ausgerichtet - Formule 1 übernachtet hat.
"Man sieht wenig von der Welt, wenn man nur die eigene Langeweile durch fremde Länder trägt“,
so der Schriftsteller Cees Nooteboom. Einen umfassenden Überblick über das Werk des Niederländers, der zwar durch Südfrankreich gereist ist, aber meist auf den Balearen lebt,  bekommen Sie im Kulturmagazin "Perlentaucher" und über diesen LINK. Mit inzwischen über achtzig Jahren ist er immer noch gut in Form und hat seine Reporter-Neugier behalten.
"Als Reporter erlebte er Weltgeschichte, als Autor teilt er mit uns den Außenseiterblick aufs Überflüssige, aufs Rauschen der Zeit und das Vorübergehende der Menschen."
Dies schrieb ihm Dirk Schümer im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ 31.7.2013) zum Geburtstag.

Wenn wir dagegen den Spuren der Literaten folgen, findet sich alles andere, was den Midi ausmacht, wie von selbst. Pastis, Boule und Bouillabaisse, Sonne, frischkalter Rosé im beschlagenen Glas und lichter Platanenschatten, Stiere, Thymian und Lavendel (HIER im VIDEO) und was einem an Assoziationen so sonst noch einfallen mag zu einer Region und einem Klima, die Kurt Tucholsky deshalb so beneidenswert fand, weil sie „den lieben Herrgott um seine Jahreszeiten betrügen“.


Alles Betrüger ?
Gelegentlich wird natürlich auch beim Boulespiel betrogen. Was Erdbeermarmelade und Quecksilber damit zu tun haben, lesen Sie in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (erschienen bei Nimbus, 700 Seiten, 1.000 Bilder, 32 €)

Sonntag, 5. Juli 2020

Orange: Das Tor zur römischen Provence


Einfahrt nach Orange: Früher drunterher, heute drumrum
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (1906-1996) betritt die Provence in Orange und durch den römischen Triumphbogen, was man zu seiner Zeit noch mit dem Auto, heute nur noch zu Fuß machen kann:
„Die schönste und zugleich die abweisendste Pforte zum Süden, zur lateinischen Welt.“
Dieser Eindruck entsteht durch das alles andere als golden geschnittene, mit je rund zweiundzwanzig Metern fast gleiche Verhältnis der Höhe zur Breite. „Hier schwimmt der mittelmeerisch gewandte Touristenstrom um ein Riff. Das alte Tor, das sich selbst genügt, wird schnell fotografiert.“


Kampfszenen heute restauriert
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts fuhren die Postkutschen unter dem Triumphbogen hindurch und die Reisenden konnten sich die steinernen Bildgeschichten im Vorbeifahren ansehen. Heute kann selbst ein Spezialist in römischer Kunstgeschichte aus den umweltgeschädigten Steinen kaum mehr etwas ablesen.

Auf alte Fotos oder Beschreibungen muß man zurückgreifen. Dann sieht man Szenen aus den Kriegen gegen die Gallier oder den Sieg gegen die Flotte des griechischen Massalia (Marseille), das zwar römischer Bundesgenosse war, es aber nicht mit Caesar sondern Pompejus hielt. Achten Sie einmal darauf, wie oft die römischen Bauwerke von den Baumeistern des Mittelalters kopiert worden sind.

 
Die Struktur des Triumphbogens von Orange können Sie in der Camargue an der romanischen Portalwand von Saint Gilles wiederfinden: das Hauptportal und die beiden Nebenportale. Die Bühnenwand aus Orange findet in der Abteikirche des Heiligen Ägidius in Saint-Gilles (Camargue) ihre Entsprechung in den Wandflächen zwischen den Portalen: auch hier die Nischen mit den Statuen und für die vorgesetzten Säulen bediente man sich meist umfunktionierter Originale. Daß die mittelalterlichen Bildhauer ihre Werke lateinisch signierten, versteht sich von selbst: „Brunus me fecit“ steht in Saint Gilles an den Aposteln Matthäus und Bartholomäus.

Und dann beschreibt Koeppen weiter, wie es in Orange in den fünfziger Jahren aussah, das Verschlafene eines schattigen Innenhofes mit einem Maulbeerbaum

„und einem kleinen Restaurant, vom Fremdenverkehr ganz unberührt“. Orange träumt wie die Katze auf dem buntgedeckten Tisch, wie der dicke Stadtpolizist unter der Trikolore vor der Gendarmeriestation."
Weniger verträumt ist Orange während der Opernfestspiele, die bereits 1869 als „Chorégies“ gegründet wurden und somit das älteste französiche Festival sind; HIER im VIDEO eine Aufführung von Zorbas Tanz von Theodorakis. Seit jeher finden sie im römischen Theater statt, sehr renommiert inzwischen, aber das war es dann auch schon mit diesem Städtchen. Die Eintrittspreise können inzwischen 250 Euro bei aufwendigen Opern wie Turandot oder La Bohème übersteigen, Mozarts Requiem gibt es für die Hälfte und für 10 Euro die Studententickets. Alle Informationen über die Stadt und das Festival, auch mit der Möglichkeit Tickets zu reservieren finden Sie HIER.
Orange: Theaterwand außen, innen und mit einem Detail der römischen Marmorverkleidung

In Ruhe, am besten beim abendlichen Bummel und dann während einer Aufführung, sollten Sie sich die Theaterbühnenwand von innen und außen ansehen. Vielleicht geht es Ihnen dann so wie Ludwig XIV., der sie als schönste Mauer seines Königreiches bezeichnete. Wird der „Barbier von Sevilla“ gegeben, werden Sie selbst in den obersten Reihen über eine perfekte Akustik und darüber staunen, wie laut das Papierchen knistert, das Rosine und der Barbier als angeblichen Wäschezettel unter dem Tisch hervorzaubern. Ansonsten aber viel Verdi mit manchmal über zweihundert Personen auf der Bühne, was man sich aber bei einer über sechzig Meter langen Bühne durchaus leisten kann. Kammeroper wirkt da eher verloren. Die Inszenierungen können von bis zu siebentausend Besuchern verfolgt werden. In römischer Zeit hatte das Theater noch dreitausend Plätze mehr.

Das Festival kommt trotz aufwändiger Produktionen bis zu 1,5 Millionen Euro mit sehr wenig öffentlicher Unterstützung aus; nur 15 Prozent schießt der Staat zu. Diese vom Veranstalter immer wieder stolz zitierte Zahl relativiert sich allerdings, wenn man die zahlreichen staatseigenen Hauptsponsoren mit einbezieht: Von Air France bis SNCF und anderen.

Auch Alexandre Dumas beschrieb das antike Theater von Orange: „Welch erstaunliches Volk waren doch die Römer, die die Natur bezwangen wie einen Volksstamm, und das nicht nur für ihre Bedürfnisse, sondern auch für ihre Vergnügungen. Ein Berg war genau da, wo sie sich vorstellten, daß ein Theater entstehen sollte. Und sie erbauten dessen Bühnenwand am Fuße dieses Berges, um dessen mächtige Brust sie im Halbkreis Stufen legten, die sie für zehntausend Zuschauer aus den breiten Bergesflanken hieben.“ Diese Dimensionen waren für die damaligen Aufführungen auch erforderlich, denn zu römischer Zeit hatte die Stadt deutlich mehr Einwohner als heute.

Alles was Orange ausmacht: Stadteingang und Theater
Dumas, den unter seinem richtigen Namen Alexandre Davy de La Pailleterie heute kaum jemand mehr als den Verfasser von „Les trois mousquétaires“ identifizieren würde, liebte die Reisen in den Süden. In Marseille werden wir ihm und seinem „Grafen von Monte Christo“ wiederbegegnen. Beide Bücher hat er 1844 und 1845 schnell hintereinander geschrieben; im gleichen Jahr erschienen sie jeweils noch in deutscher Sprache. Und zahlreiche andere Veröfffentlichungen folgten in kürzester Zeit.

Seine Produktivität vervielfachte Dumas durch eine Reihe angestellter Schreiberlinge, die ihm die Forsetzungen seiner Romane zunächst für die Feuilletons der Tageszeitungen verfaßten, ehe der Meister selbst für die Buchfassung dann letzte Hand anlegte. Sogar sein Sohn verspottete ihn:
„Alle Welt hat Dumas gelesen. Aber niemand hat den ganzen Dumas gelesen - nicht einmal er selber.“