Samstag, 18. November 2017

Kesten und Heinrich Mann: Gleichgesinnte


Von New York aus organisierte Kesten, tatkräftig
unterstützt von seiner Frau Toni die Flucht
zahlreicher Exilautoren, Musiker, Maler und
Wissenschaftler. Bild: Nimbus Verlag aus der
Kesten-Biographie von Albert M. Debrunner.
Den Ort, an dem Hermann Kesten im Januar 1900 zur Welt kam, werde ich mir nie merken können. Also nur für Sie: Als er noch zu Galizien gehörte, hieß er Podwoloczyska, heute, zur Ukraine gehörig, heißt er Pidvolochysk. So wichtig ist es aber auch nicht, denn Kesten selbst hätte sich immer eher als Berliner, Pariser, Römer oder sogar New Yorker gesehen. Nach dem Tod des Vaters, der einer Verwundung gegen Ende des Ersten Weltkriegs erlag, studierte Kesten Juristerei und Ökonomie, was er ebensowenig abschloß, wie die späteren Studien der Philosophie und Geschichte und auch die Dissertation über Heinrich Mann, in die er anfangs soviel Zeit und Willen gesteckt hatte, blieb unvollendet.
Immer wieder kreuzten sich die Wege von Kesten und Heinrich Mann, aber auch die mit vielen anderen späteren Exilanten. In München arbeitete er gemeinsam an dem Theaterstück „Bourgeois bleibt Bourgeois“, das Ernst Toller und Walter Hasenclever nach Manns „Bourgeois Gentilhomme“ geschrieben hatten. Die Texte der Chansons stammten von Kesten, die Musik von Friedrich Holländer.

Toller (li) und Hasenclever. Bild: Uni Düsseldorf
Später bemühte sich Kesten um Manuskripte von Mann, aber der, sehr arriviert schon, kam nicht einmal mehr selbst zur anberaumten Besprechung. Er schickte einen
„Herrn Dunin, der wie ein armenischer Waffenhändler oder wie ein Gastwirt aus Marseille aussah und davon lebte, daß er als der literarische Agent von Heinrich Mann auftrat“.
Die letzte Begegnung vor dem Wiedersehen in Südfrankreich fand Anfang 1933 unter konspirativen Umständen in Berlin statt -
„eine makaber komische Zusammenkunft“
nannte Kesten das Treffen, an dem neben Mann auch Johannes R. Becher, Leonhard Frank und Ernst Gläser teilnahmen. Brecht war auch da, gab sich kämpferisch, wollte Aufrufe und Theaterstücke gegen Hitler verfassen. Die kommunistische Partei, die Rote Hilfe oder die Gewerkschaft müsse ihm allerdings eine Leibwache stellen,
„vier oder fünf faustfeste, schußbereite“
Kerle. Drei Tage später waren die ersten aus der Runde im Exil.

Als Kesten, während er sich in Nizza aufhielt, die Nachricht vom Einmarsch der deutschen Truppen in der Tschechoslowakei erfuhr, schrieb er einem Freund:
"Manchmal meine ich, man sollte nicht mehr schreiben, sondern schreien oder sich völlig in die verzauberte Stille abgelegener Zeiten flüchten. Es ist ein Spott und ein Jammer, dass unser Leben von den dümmsten und brutalsten Bestien unserer Epoche ausgefüllt und geformt wird. Wir führen das Leben von Bettlern und haben die Sorgen von Ministern und Feldmarschällen. Was für ein dummer Scherz!"