Mittwoch, 4. Oktober 2023

Mèze: Verhaltensregeln für Gäste

Was das Denken des alten Griechen Epikur aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert 2.500 Jahre später mit der Entscheidung für oder gegen ein Restaurant in Mèze am Étang de Thau zu tun, erschließt sich nicht beim ersten Hinsehen. Da steht diese Tafel prominent vor dem Bistro del Mar in Méze und ich weiß nicht, ob ich darüber schmunzeln oder mich ärgern sollte. Oder sind es einfach die jahrelangen schlechten Erfahrungen des Wirtes Davy Buonomo, die hier ihren Niederschlag finden?

Sein Restaurant sei eines für Épicuriens, schreibt Davy noch. Deepl übersetzt das sehr vereinfachend mit Genußmenschen. In Wahrheit, so hat das Jens Berger im Bayerischen Rundfunk mal formuliert, ist die Sache deutlich komplexer: Heute würde man eher von "Lebensfreude" als von Genuß sprechen. Jene Lust, die Epikur anstrebt, ist in erster Linie Abwesenheit von Schmerz und Leid. Ziel ist ein gelassenes Dasein in einem - das wird ihm viele Anhänger gebracht haben - ohne übertriebenes Training gesund erhaltenen Körper. Sowas wie "Cool und fit" also.

Hinzusetzen würde Epikur noch: Und dabei den gesunden Menschenverstand gebrauchen, sich nicht abhängig machen und Freundschaften pflegen. Klingt das nach einer Geisteshaltung, deren griechische Bezeichnung man immer noch als Schimpfwort gebraucht? Ist Hedonismus im epikureischen Sinn wirklich amoralisch? Ganz so einfach ist die Sache nicht, denn Epikur empfiehlt beispielsweise auch, man solle sich aus der Politik heraushalten und stressfrei genießen, also ohne Verliebtheit und erst recht ohne Heirat. 

Als ich die Dame, die die Tafel gerade rausgetragen hatte, freundlich grüße, hat sie mir nicht geantwortet. Ob die Vorschriften der Direktion zwar für Gäste gelten, aber nicht fürs Personal, konnte ich nicht weiter überprüfen, weil ich mich spätestens da für ein anderes Restaurant entschieden habe: Das Oasis du Pêcheur in Bouziges - den  Familienbetrieb eines Austernzüchters. Kein Schnickschnack, nur Meeresfrüchte als ersten, zweiten und/oder dritten Gang - keine Pommes, kein Käse, kein Nachtisch. Dafür immer ein Lächeln und den passenden Picpoul de Pinet (Carte noir aus der Kooperative).


                                                          Oasis du Pêcheur: Alles frisch und freundlich

Dennoch lohnt der Besuch in Mèze, wenn man nur durch die Altstadt und den kleinen Hafen bummeln möchte; der endet nach hundert Metern an einem Anfang September so gut wie menschenleeren Strand und mutet fast karibisch an.


 








Montag, 2. Oktober 2023

Mit Kurzeck durch Uzès und Garrigue: Ein Erinnerungsbuch aus dem Wunderhorn Verlag

Wer die Autobiographie als literarische Form schätzt, der kommt natürlich an einem Mann nicht vorbei, den man schon als Radikal-Autobiographen charakterisieren muß, Peter Kurzeck also. Wir haben uns einige Male in Uzès getroffen, im „Oustal“ am Marktplatz und sind von dort die paar Schritte über den bunten Samstagsmarkt in seine Wohnung gegangen. Da war ihm dann gerade wieder mal etwas eingefallen, was er unbedingt in einem Text noch ändern musste.

Manchmal schrieb er kurze Stichworte auch nur auf die Rückseite der Tee-Rechnung des „Oustal“. Dass er das vor Jahren meiner Frau beim „Hausacher Leselenz“ versprochene Buch über seine Zeit im südfranzösischen Uzès nicht abgeliefert hat, hat sie mit viel Geduld und bis zu seinem Tod ausgehalten. Zum Glück, aber als leider viel zu wenig umfangreichen Ersatz, haben nun Günter Kämpf und Vilma Link-Kämpf im Heidelberger Wunderhorn Verlag das Büchlein „Peter Kurzeck in Uzès. Begegnungen, Geschichten, Bilder“ herausgegeben. Gerade mal 80 Seiten und ergänzt um einen zwanzigseitigen Anhang mit Briefen und Bildern aus dem Archiv von Kurzecks Tochter Carina. Der Journalist und Kurzeck-Kenner Norbert Schmidt hat mich darauf aufmerksam gemacht.

 Kurzeck nachdenkend spazierend und nachdenkend kurz vor einer weiteren Korrektur.sw-Foto aus dem Buch

Kämpf, der Gründer des Anabas Verlages hatte mit seiner Frau lange in einem kleinen Örtchen in der Nähe von Uzès gelebt. Die privaten Fotos im Buch zeigen sie als Kurzecks Freunde und, im wörtlichen Sinne, Weggefährten bei Spaziergängen durch die Stadt und in die Garrigue. Mehr von Kurzeck in Uzès hört, wer sich noch irgendwo die CD „Für immer“ besorgen kann, auf der er gut eine Stunde von Leben und Arbeiten in dem südfranzösischen Provinzstädtchen erzählt. Nachdem Kurzeck gestorben war, haben Kämpfs dessen Wohnung aufgelöst. Inzwischen ist ein Psychoanalytiker im Haus eingezogen.

Die Erinnerungen an den Autor sind aber nicht nur etwas für Kurzeck-Freunde und -Spezialisten, sondern bieten auch dem nicht literarisch Reisenden viele Anregungen. Es lohnt sich nicht nur wegen des beschriebenen Zusammenhangs zwischen dem Herzoghaus in Uzès und der Champagner-Dynastie Cliquot. Wer das Buch der Kämpfs gelesen hat, sollte dann mit Kurzecks Buch „Der vorige Sommer und der Sommer“ fortfahren; Lektürebeginn aber erst auf Seite 99. Es ist ein Werk, in das man immer wieder versinken kann, bestens mit einer Flasche Rosé an einem heißen Augusttag mit Blick auf die Ausläufer der Cevennen. Wer dieses Sommerbuch nur einmal liest, überliest zuviel. Denn da entsteht, anhand der x-fach überarbeiteten und dann endlich zum Druck freigegebenen Notizen des großen Romanciers, ein Bild des Midi, wie wir es vielleicht selbst schon einmal gespürt haben, es aber nicht aufschreiben oder ausdrücken konnten. Und doch kommt einem alles so bekannt vor.

Nicht jeder empfindet Spaß an einer Kurzeck-Lektüre und manche haben sich erst beim zweiten oder dritten Buch in seinen unverwechselbaren Stil eingelesen oder lassen es dann spätestens ganz. Ist ja auch viel Arbeit, wenn man die vielen Worte, die er weglässt, dazu denken muß, hätte Kurzeck schon nicht mehr geschrieben. Querlesen gilt nicht. Ehrlich ist er ja, der Autor, wenn er seine Freundin Sibylle sagen läßt: „Eigentlich schreibst du deine ersten Kapitel, um die Leser abzuschrecken!“ Das nicht, antwortet er, „nicht direkt. Aber sollen wissen worauf sie sich einlassen.“

Kurzeck, der 2013 mit siebzig Jahren und viel zu früh - vor allem für sich selbst und sein noch abzuarbeitendes Pensum - starb, war kein Schnellschreiber. Manchmal, so gesteht er uns, brauchte er eineinhalb Tage, um einen angefangenen Satz überhaupt zu Ende zu schreiben.

Hier ein Zitat, das sich so im Buch nicht findet, sondern auf fünf ganz unterschiedlichen Seiten verteilt ist. „Ich muß einen Moment beschreiben, auch wenn ich zehn oder zwanzig Jahre dafür brauche. Ich schreibe auf Papierservietten, Bierdeckel, Zigarettenschachteln, Tesafilm, Packpapier, Käseschachteln aus Spanholz und Schmirgelpapier. Lesen, korrigieren, umschreiben, dann Notizen sortieren und auf bessere Zettel übertragen. Nach und nach wird aus den Zetteln ein Anfang. Lesen, ändern, dazu schreiben, bis man es kaum noch lesen kann und nächstens bald wieder abtippen muß. Manchmal muß ein Freund mit einer Lupe meine Notizen entziffern. Jeden Abend eine neue Reinschrift.“ 

Mit dem Buch der Kämpfs in der Hand (oder schon im Kopf) erschließen sich Uzès und dessen Umgebung ganz anders, als man das von den üblichen touristischen Reiseführern gewohnt ist.


Günter und Vilma Kämpf: Peter Kurzeck in Uzès - Die Stadt und die Wohnung, Begegnungen, Geschichten, Bilder. Wunderhorn, Heidelberg 2023, 20 Euro








Sonntag, 1. Oktober 2023

Sehnsuchtsort mit Wach-Hahn: Birgins Haus im Midi

Wer sich seinen Traum vom eigenen Haus im Süden Frankreichs erfüllen will, sollte vorher dieses Buch gelesen haben. Wenn Sie dagegen eine Ausbildung zum Maurer und Dachdecker, zum Landschaftsgärtner, Elektriker und Schreiner haben und zudem perfekt französisch sprechen, dann brauchen Sie es nicht unbedingt – aber nur dann.

Jeder „normale Mensch“ aber kann sich viel ersparen. Bei Makler und Notar und auch bei der Bank; zum Beispiel, daß es nicht genügt, die Kaufsumme auf dem Konto zu haben, sondern daß man manchmal auch noch eine Bereitstellungsgebühr bezahlen muß, um ans eigene Geld zu kommen. Dann die Erfahrungen mit Handwerkern, die im Einzelfall dazu führen können, daß für den Einbau einer Zentralheizung dann doch der deutsche Heizungsinstallateur beauftragt wird, der das alles perfekt und in drei Tagen erledigt. 

Meist aber waren Marie und Axel Birgin, die dort wohnen, wo das Navi seinen Dienst versagt, mit ihren französischen Handwerkern bestens bedient. Gerade bei der Renovierung alter Häuser ist deren Kreativität immer wieder hilfreich; an das manchmal etwas andere Zeitempfinden hat sich Birgin im Nachhinein gewöhnt und kann inzwischen mit Humor darüber hinwegsehen. „Sie hatten garnicht gesagt, daß das dieses Jahr fertig werden sollte.“

Die Geschichten, die Marie und Axel erzählen können, hätten durchaus auch für weitere zweihundert Seiten gereicht. Mal sehen, ob ein weiterer Band folgt? 


Aus der Tanne wurde der Wach-Hahn am Eingang. Bild AB

Bis dahin werden in dem Haus - das in der Nähe von Pont Saint Esprit liegt, also in guter Lage zu den Hauptsehenswürdigkeiten von Provence und Languedoc - unterschiedliche Seminare angeboten: Qigong, Ayurvedische Massage/Ernährung sowie eine Anleitung zum „Sitzen und Schauen“. 

"Schauen lernen" - zum Beispiel auf den Mont Ventoux. Bild AB

Die Gite (mit Pool) gleich nebenan bei den Nachbarn bietet 6 Doppelzimmer mit Dusche und Toilette. Und ganz beruhigt, da selbst schon genossen, kann ich die von Marie gezauberten Menüs empfehlen. Kontakt: axel@birgin.de

Komplizen (mit gleicher Schuhgröße?)


 

 

 

 

Axel Birgin: Sehnsuchtsort und     Ankerpunkt, Norderstedt, BoD, 2023, 22,60 Euro im Buchhandel

Sonntag, 21. Mai 2023

Capitaine Blanc und Autor Rademacher in Bestform

Nein, es geht nicht um Boule - höchstens um Boule mit Eiern von Dinosauriern.

Capitaine Roger Blanc, den sich der Roman-Autor Cay Rademacher ausgedacht hat, darf nun zum zehnten Mal auf Verbrechersuche. Diesmal an Cézannes Berg, dem Montagne Sainte Victoire. Nicht unerwartet ist Blanc, um im Bild zu bleiben, wieder siegreich und das sogar in einem letztlichen Alleingang, der beinahe schief gegangen wäre. 


Das Buch liest sich so spannend und leicht, daß man manchmal die Recherche-Arbeit vergisst, die gerade auch hinter einem Kriminalroman stecken sollte und die es bei Rademacher auch tut. Von den Fossilien-Fundorte in der Nähe von Aix-en-Provence bis zu den Toten und Zerstörungen, die es gab, als der Staudamms von Malpasset gebrochen ist und sich eine 40 Meter hohe Wasserfront auf Fréjus zustürzte…alles ist nachzuprüfen.

Hält der Staudamm von Bimont? Der von Malpasset jedenfalls nicht. Hausgroße Trümmerteile auf dem Weg ins Tal und viele Tote, die bis ins Mittelmeer abgetrieben wurden.

Und natürlich der lebhafte Handel, den die Fossilienjäger aus den Hochschulen mit ihren Funden betreiben. Der berühmte Tyrannosaurus rex, ausgerechnet Tristan wurde er getauft, der sich im Berliner Naturkundemuseum befindet, gehört einer Privatperson – nur eine Leihgabe also. Das Auktionshaus Christie’s hat kürzlich einen ganzen T-Rex für fast 32 Millionen Dollar versteigert und die Kollegen von Sotheby’s nur deine Schädel für 6 Millionen.

Ohne ein Zwillingspaar wäre es schwer gewesen, die Handlungsstränge Staudamm-Gutachten und Dino-Ausgrabungen zu verknüpfen. Wird der Ingenieur ermordet, weil er mit seinem Zwillingsbruder-Paläontologen verwechselt wird? Der Blog, in dem Wanderwege abseits der gewöhnlichen Touren beschrieben werden, schickt den Blogger auf seine letzte Wanderung. Kaum jemand, der nicht verdächtig ist. Und was hat es mit mit dem alten Spielzeugauto, das dem Capitaine Blanc so ans Herz gewachsen ist?

Gut möglich, daß der Mörder auf diesem Bild zu sehen ist. Foto: La Provence.
 

Nur das wundert mich: Der Capitaine entspricht dem deutschen Polizeihauptkommissar und es ist schon eine Schande, dass Capitaine Blanc mittlerweile, trotz seiner zehn bravourös gelösten Fälle immer noch nicht befördert worden ist. Commandant (Erster Polizeihauptkommissar) oder Commissaire de Police (Polizeirat) sollte er inzwischen doch schon sein und damit die bei der Polizei durchlässige Grenze vom gehobenen in den höheren Dienst geschafft haben. Aber vielleicht haben da seine ehemalige Geliebte, die Untersuchungsrichterin und deren Immer-Noch-Mann aus dem Ministerium etwas dagegen?

Trösten kann sich Blanc mit seinem Kollegen Maigret. Der war und blieb Kommissar bis zur Rente.






Donnerstag, 23. März 2023

Ein Fontaine-Krimi für alle Jahreszeiten

Die Kriminalromane von Liliane Fontaine zu lesen sind wie in den Süden Frankreichs nachhause zu kommen. Man kennt die Richterin Mathilde, die auf dem feudalen Weingut lebt, ihre Haushälterin Odile und ihren Kommandant Rachid Bouraada, mit dem sie (jetzt endlich)aber erwartungsgemäß zusammen ist. Man kennt die Stadt, von der Arena über den Endpunkt der römischen Wasserleitung, die von Uzès nach Nîmes führte bis zum relativ neuen archäologischen Museum de la Romanité. Und leicht folgt man den Wegen der Opfer und Täter durch die Stadt und ihre Parks. 
 
 
Warum der drogensüchtige Mann erschossen wird, der gerade aus Chile angereist war, klärt sich langsam auf. Und nur die Ärzte sind nicht überrascht, daß Valerie Savigny stirbt, denn jahrelang hatte sie im Koma gelegen. Für die Richterin und ihren Kommandanten gehört das ebenso zum Fall wie das wertvolle Bild des Pointillisten Henri Edmond Cross. Viel mehr Hinweise seien an dieser Stelle nicht gegeben, um nichts zu verraten. 
Nicht ganz das gestohlene Bild, aber doch Zypressen aus Cagnes
Selbstportrait von Henri Edmond Cross
 
Wie immer ist der Leser in die Ermittlungen eingebunden und kann sich selbst testen, ob seine Kreativität mit dem Gespür der Untersuchungsrichterin in die gleiche Richtung läuft oder man selbst da nicht doch auf einem Irrweg ist – was Mathilde de Boncourt durchaus auch einmal passiert.

Wer aber sich nicht als Krimi-Leser outen möchten, könnte durchaus sagen, er habe sich bau- und kunstgeschichtlich weitergebildet, denn die Lektüre macht fit etwa über die Site Vauban, die gar nicht von Vauban erbaut wurde; sie macht auch fit für Signac, neben Seurat der wichtigste Maler des Pointillismus.

Fort Vauban um 1890. Heute Teil der Universität
 

Das Bild von Cross taucht in einer hochpreisigen  Galerie in Nîmes auf, deren Inhaberin von Anfang an das Gefühl hatte, das Bild müsse in einem der internationalen Diebstahlsregister zu finden sein. Wie nicht anders zu erwarten wird der Fall gelöst, spannend, schlüssig und etwas unerwartet. Aber wie vielleicht anders zu erwarten, wird es in Nîmes anfangen zu schneien. Jedenfalls wenn die Richterin ihrem nach einer Schusswunde wetterfühligem Oberschenkel vertraut. Mit dieser letzten Szene aus dem Buch wird nicht zuviel verraten. Es liest sich gut in allen Jahreszeiten.

Freitag, 15. Juli 2022

Nîmes: Jardin de la Fontaine und der Dichter-Bäcker Jean Reboul

Besuchen wir den Jardin de la Fontaine in Nîmes. Schon die Schriftstellerin Sidonie Gabrielle Colette, deren Vornamen fast überflüssige Anhängsel waren, immer war sie nur „die Colette“, ließ sich von den Gärten bezaubern.

„Wir stoßen das schwarze, goldverzierte Gittertor auf, und die Welt verändert sich. Ein Frühling empfängt uns, so märchenhaft schön, daß man jeden Augenblick fürchtet, er könnte versinken oder sich in Dunst auflösen. Der Springbrunnen, wo ein herrisches, grünes Wasser braust, klar, dunkel, blauschillernd wie eine Schlange.“ 
Auch Alfred Kerr, der Essayist und Kritiker, ist durch den Garten hoch spaziert zur Tour Magne und findet diesen Blick auf die Stadt weit beeindruckender als den vom römischen Monte Pincio.
Tour Magne oberhalb des
Jardin de la Fontaine
„Bei Nîmes erhebt sich ein Hügel am Rand.
Dort sieht man selig nieder
über versonnenes Sonnenland
mit Judasbäumen, Mimosen und Flieder;
Tourmagne! Was für ein bunter Segen!
Der Pincio ist ein Hund dagegen.“ 
 Von diesem Turm, über dessen Entstehungsgeschichte lange gerätselt wurde, der aber wohl einer der Wachtürme der römischen Stadtbefestigung war, hat man einen weiten Blick auf die andere Seite der Rhone: HIER in einem kurzen FILM von Valpard.

Beinahe wäre es seit 1601 mit der Aussicht vorbei gewesen. Am Turm zeigten sich überall Risse und er drohte einzustürzen. Ein Gärtner und Amateurarchäologe hatte aus Weissagungen des Nostradamus geschlossen, daß im Fundament des Turmes ein riesiger Schatz verborgen sein müsse.

Daraufhin interessierte sich sogar Heinrich IV. für Schatz und Gärtner, erteilte diesem eine Grabungserlaubnis, die allerdings privat zu finanzieren war und der Krone zwei Drittel des Erlöses sicherte. Gefunden wurde jedoch nichts.

Gegenüber dem Tempel der Diana, in dem auf die Namensgeberin nichts mehr hinweist, steht das Denkmal für den Bäcker Jean Reboul, das ihm

Oase inmitten der Stadt mit der Statue des berühmten Bäckers und Dichters
aber nicht für besonders wohlschmeckende Baguettes errichtet wurde. Er wurde durch ein einziges Gedicht berühmt: L‘Ange et l‘Enfant. Viele Nîmes-Reisende, angefangen von Alexandre Dumas über Frédéric Mistral bis hin zu Hans Christian Andersen haben ihn in der Rue des trois Maures wegen seiner Zeilen über den Engel und das Kind aufgesucht.

„In Nîmes wohnt der Bäcker Reboul, der die allerliebsten Gedichte schreibt. Ich fand das Haus, trat in die Bäckerei ein und wandte mich an einen Mann in Hemdsärmeln, welcher eben Brot in den Ofen schob; es war Reboul selbst; ein edles Antlitz, welches einen männlichen Charakter ausdrückte, grüßte mich. Er bat mich, ihn am Nachmittag zu besuchen, dann würde er mich besser empfangen können. Als ich wiederkam, fand ich ihn in einem fast eleganten kleinen Zimmer, das mit Gemälden, Statuen und Büchern geschmückt war, die letzteren nicht nur aus der französischen Literatur, sondern auch Übersetzungen der griechischen Klassiker. Ein Bild an der Wand stellte sein berühmtestes Gedicht, ‚Das sterbende Kind‘, dar. Hatte ich ihn am Morgen als den betriebsamen Bäcker gesehen, so war er jetzt ganz der Poet.“ Soweit Andersen, aber die Besuche müssen immer irgendwie gleich abgelaufen sein.

Auch Alexandre Dumas betrat am Vormittag das Geschäft. „Sie sind doch wohl gekommen, um den Dichter zu besuchen und nicht den Bäcker“, begrüßte ihn Reboul. Und fuhr fort: „Wenn Sie Brot wollen, bleiben Sie, es ist besonders gut, aber wenn Sie Verse wollen, kommen Sie um fünf Uhr wieder, dann kann ich Ihnen ein paar schlechte geben.“


Der Tod seiner Frau, über den er nie hinweg kam, hatte Reboul zum Dichter werden lassen, wie er Dumas gestand. Zu der Zeit hatte Reboul in ganz Frankreich einen Ruf, der jeglichen Adress-Zusatz auf die an ihn gerichteten Briefe überflüssig machte: „À Monsieur Reboul, poète et boulanger“; Dichter und Bäcker, das genügte, nicht einmal Nîmes war mehr erforderlich.

Freitag, 1. Juli 2022

Besonders frisch: Fische mit Glasaugen

Solange der Fischreiher noch auf einen Diebstahl aus ist, ist alles frisch.

Bei den allermeisten Restaurants in Küstennähe müssen wir uns keine Sorgen darum machen, ob die Fische, die auf den Teller kommen, tatsächlich frisch sind; meist werden sie morgens am Hafen, sei es in Sète, in Grau-du-Roi, Marseille oder Antibes angelandet. Wenn man an Markttagen etwas weiter ins Landesinnere kommt, dann gilt es schon eher aufzupassen. Die Hausfrauen wissen Bescheid und suchen nach dem Fisch mit dem „klaren Blick“. In einem der ersten Bücher über „Die Provenzalische Küche“, Jean-Baptiste Reboul hat es geschrieben und schon Frédéric Mistral hielt es in seiner Küche für unentbehrlich. Genauer gesagt hielt er es unentbehrlich für seine Mutter, denn er war alles andere als ein Küchenmann.

Frisch auch immer am Quai des Belges in Marseille
„Gewölbt, klar und sprühend“, so beschreibt Reboul die Augen der Fische, die er selbst kaufen würde. „Eingesunkene, trübe und verschleierte“ Augen verwiesen auf einen „poisson avancé“, mit dem man vielleicht noch seiner Katze eine Freude machen könne oder den Ratten im Dorf. Die klaren Augen waren für den Kochbuchautor so wichtig, weil dieses Merkmal von den Händlern am wenigsten zu beeinflussen sei. Natürlich besprühten diese den Fisch mit Wasser, legen ihn, wenn es gut kommt, auf Eis und geißeln ihn mit Bünden frisch ausgerissener Zitronenmelisse; schon sei der Geruch sei übertüncht.

Ernst Jünger hat einen kreativen Trick des Fischers Riccardo aus Antibes beschrieben. Für Jünger, 1895 in Heidelberg geboren und unter anderem Student der Zoologie, war es beruhigend zu wissen, daß Riccardo seinen Trick nur bei den Feriengästen aus Paris zum Einsatz brachte. Seinen unverkäuflichen Fischen, deren Augen am zweiten Tag weiß und nachmittags milchig wurden, drückte er die Augen aus, setzte ihnen Glasaugen ein und verkaufte sie an die Feriengäste. Etwas aufwendig war nur, dass er jeweils anbieten mußte, die Fische zu liefern und in der Küche der Gäste auch gleich auszunehmen. So nahm er ihnen „beim Ausweiden auch die Augen zu fernerer Verwendung wieder fort. Dessen rühmte er sich beim Wein als einer verdienstvollen Tat und wie ein Mann, der sein Licht nicht unter den Scheffel stellt.“ 

Woraus wir immerhin lernen, daß auch die Augen der Fische wachsam betrachtet, am besten erfühlt werden sollten.

Freitag, 24. Juni 2022

Wieder mal in Izzo's Bar des Maraîchers


Hassan, kurz vor seinem Tod fotografiert von Norbert Schmidt
Auch nach dem Tod von Hassan, das war schon im Jahr 2009, gehört die Bar des Maraîchers zu den angesagtesten Treffpunkten des La Plaine-Viertels. Wer, animiert durch den Namen, an einen Gemüsegärtner denkt, vertut sich. Wer an eine chice In-Bar mit Tapas oder Wein denkt, ist hier ebenso verkehrt wie diejenigen, die auf Rock oder Reggae hoffen, damit man sich nicht unterhalten muß. Hier singt Brassens immer, Brel oft und Ferré manchmal; hier wird Pastis immer getrunken, Bier oft und eine Coca ausnahmsweise.

Links oben wie immer: Ferré, Brel, Brassens
Das Bild aus dem berühmten Radio-Interview der drei Chansoniers , das man heute immer noch überall nachhören oder sogar ansehen kann, hat Hassan ganz zu Anfang an die Wand gehängt. Das hängt es noch immer und führt, wenn der Rahmen leicht zur Seite bewegt wird, quasi den Nachweis, daß die Bar seitdem nicht mehr gestrichen wurde.
Ein Freund von Hassan aus jener Zeit ist Hakim Hamadouche. „Das war schon mutig damals hier diese drei singenden Dichter in den Mittelpunkt zu stellen“, erklärt er Malika Moine, eine Studentin der Marseille Street School, die gerade für ihren ersten Artikel im Nuit Magazine recherchiert. Da sie im Vorfeld ordentlich recherchiert hat, protestiert sie auch nicht gegen den Mauresque, den Hassans Nachfolger Serge ihr ungefragt hinstellt. Das ist etwas zarte Version des Pastis, bei der ein Schuß Mandellikör dazu gegeben wird.

Ein Absinth-Rezept, das die französischen Soldaten nach 1830 und der Eroberung und Kolonialisierung Algeriens aus Nordafrika mitgebracht hatten und dabei aber an etwas ganz anderes dachten. 75 Millionen Francs hatte der Feldzug gekostet. Der


Mauresque heute und die Träume der Legionäre: Jeune Mauresque et femme Kabyle
französische Staat konfiszierte deshalb den Staatsschatz, der fast das Doppelte dieser Summe betrug und schickte Hussein III. Dey, den letzten Herrscher des Osmanischen Reiches, ins Exil.

Der Berliner Islamwissenschaftler und Historiker Ulrich Haarmann hat sich auf die Spur dieses Geldes gemacht. Nur 40 Millionen kassierte der französische Staat, 60 Millionen kamen zwar bis Paris; dort verlor sich ihre Spur. Und 50 Millionen schafften es nicht einmal in die französische Hauptstadt, sondern gingen irgendwo zwischen Algier und Marseille an irgendwen.

Nach der ersten Eroberung Algiers war es vorrangig die 1831 gegründete Légion étrangère, die die von beiden Seiten mit Massakern unter Zivilisten, mit Folter und Vergewaltigungen geführten Guerillakämpfe in Nordafrika im Namen des französischen Volkes bestritten. Seit 1843 bis nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt Sidi-Bel-Abbès der Hauptsitz der Fremdenlegion, der dann nach Aubagne bei Marseille verlegt wurde.

Freitag, 17. Juni 2022

Sauve und Le Vigan: Chamson und Kamisarden

Wenn man weiter in die Cevennen hineinfährt empfiehlt sich ein Gang durch das mittelalterlich Sauve, das uns die Umgehungsstraße geradezu unterschlagen möchte. Die häufigen Hochwasser der Vidourle
Sauve mal ohne Hochwasser
bestimmen den ersten Eindruck von der Stadt, schlanke Häuser auf den Felsen, die ihre unterste Fensterreihe teilweise erst in einer Höhe von zehn Metern haben. Im Haus mit den beiden Rundtürmen lebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Schriftsteller Jean-Claris de Florian, dessen bekanntestes Werk die „Plaisirs d’armour“ sind.

Zwischen Quissac und Sauve befindet sich, ein paar Kilometer in die felsige Garrigue hinein, das Schloß Forian, in dem der Schriftsteller zur Welt gekommen ist. In der Revolution von 1848 wurde es zerstört und später wieder aufgebaut. Das ehemalige Kapuzinerkloster haben die Bewohner des Städtchens ebenfalls zum Schloß erhoben und es nach der russischen Familie, die es im 19. Jahrhundert restaurierte und bewohnte, „Château russe“ getauft.

Das von Pierre Gagnier verfasste Heft über Sauve - für 50 Centimes d’Euro im Offfice de Tourisme - verschafft einen guten Überblick und stellt die zahlreichen Gebäude in ihren historischen Zusammenhängen dar.

Aus Le Vigan stammen die Vorfahren André Chamsons und in den Cevennen verbrachte er auch seine Kindheit. Wir sind jetzt in einer Gegend



unterwegs, in der man sich manchmal bestätigen muß, dass man noch im Süden Frankreichs ist: Hohe Kastanienwälder, Tannen, enge Täler, Schnee bis ins Frühjahr und winterglatte Straßen lassen an den Schwarzwald denken. Im Musée Cevenol werden Leben und Werk von André Chamson in einem eigenen Saal gewürdigt, ähnlich lieblos, wie das Uzès mit André Gide tut. Als Saint-André läßt sich der Ort in Chamsons Werken wiedererkennen. Viele, auch neuere Bücher über die Kamisardenkriege finden sich hier.

In Deutschland sind die eher älteren Datums, wie Ludwig Tiecks Werk „Aufruhr in den Cevennen“ oder Gertrud von Le Forts „Turm der Beständigkeit“. Chamson, der aus einer protestantischen Familie stammt, hat viele Geschichten über den Kampf der Kamisarden gegen die zentralistische Königsgewalt geschrieben. „Castanet, der Kamisarde vom Mont Aigoual“ ist neben „Superbe“, der Großartigen, seine bekannteste Figur.