Donnerstag, 11. März 2021

Remy Eyssen: Leon, Isabelle und ihre Sadisten

Der Ullstein Verlag hat mir dankenswerter Weise gleich drei Titel von Remy Eyssen als Besprechungsexemplare zukommen lassen. Ich habe von „Tödlicher Lavendel“, „Dunkles Lavandou“ und „Mörderisches Lavandou“ jeweils gleich mal fünf, sechs Seiten angelesen und beschlossen: Das kann ja nur ein Verriß werden. Immer dieser gleiche Einstieg mit irgendwelchen sadistischen Psychopathen, die Mädchen und Frauen entführen, hier mal einen Fuß bei lebendigem Leib absägen, da mal die Augen ausstechen. Oder im Rahmen von satanischen Ritualen eine Hexenprobe mit dem Stich ins Muttermal nachempfunden. Und dazu passend ist sich der Rechtsmediziner Leon Ritter plötzlich nicht mehr sicher, warum das Herz noch zuckt, das von einer Schiffsschraube ebenso wie die anderen Organe freigelegt wurde, und das er aus dem Kühlfach holt?

Keine Bücher also, die man zum Apéro und kurz vor dem Mittagessen lesen sollte. Und abends auch nicht, wenn man die Angewohnheit hat schlecht zu träumen. Ich jedenfalls war geneigt, den guten alten de Sade rauszuholen und die 120 Tage von Sodom wieder mal zu lesen. Nur: Der aber war ja mit seinen sadistischen Ausschweifungen auf Schloss Saumane allenfalls ein Anfänger, Kinderprogramm sozusagen, gegenüber der Phantasie des Autors Eyssen. 

Dann aber habe ich, wie’s sich gehört alle drei Bücher zu Ende gelesen und konnte bei keinem mit der Lektüre vorher aufhören. Das ist mir auch noch nicht passiert: Daß ich bei einem Krimi-Autor insgeheim Abbitte leisten muß. Also kein Verriß, sondern das Warten auf einen hoffentlich ebenso spannenden siebenten Band der Reihe, der am 3. Mai 2021 erscheint.

Dem Autor merkt man sein voriges Leben als Drehbuchautor von Serien an: Für SOKO München, Ein Fall für zwei, die Rosenheim Cops oder die Küstenwache. Auch die Ritter-Krimis tragen ihre Ansätze zu den irgendwann sicher folgenden Drehbüchern schon in sich: 87 Kurzkapitel verteilt auf 495 Seiten in "Dunkles Lavandou" geben den späteren Filmschnitt schon vor. Gelegentlich war Eyssen auch als Schauspieler unterwegs, so als der Mann im Brillengeschäft, in „Die Nacht mit Chandler“, den damals Hans Noever unter anderem mit der Schweizer Schauspielerin Agnes Dünneisen gemacht hat. Lange her; das muß 1979 gewesen sein, weil unser ältester Sohn nicht lange vor oder nach diesem Film zur Welt kam.

An sich bietet Le Lavandou keine guten Voraussetzungen für eine Krimi-Serie. Denn schon vor rund zwanzig Jahren war der Friedhof des 6000-Einwohner-Städtchens so überfüllt, daß der damalige Bürgermeister ein „Sterbeverbot“ aussprach. Mit dieser Anordnung wollte der eine Gerichtsentscheidung aus Nizza karikieren, die den Ausbau des Friedhofs in Richtung des Mittelmeeres verboten hatte. Und trotzdem erzählt Remy Eyssen ausgerechnet die Geschichte eines Serienmörders.

Port Cros und beinahe ein romantisches Wochenende für den Rechtmediziner und seine Polizistin


Keine gute Voraussetzung auch für das entspannte Wochenende, das sich der deutsche Rechtsmediziner Ritter mit seiner Freundin Isabelle Morell gönnen wollte. Dabei hätten im Hotel „Le Manoir“ auf der Insel Port Cros, direkt gegenüber von Le Lavandou, die besten Voraussetzungen vorgelegen. Die späte Überfahrt auf die Insel, das kleine heimelige Hotel mit dem alten Garten und seinen verschwiegenen Sitzecken und ein fast immer ausgebuchtes Hotel, das trotz allem Tourismus sorgfältig zubereitete Menüs serviert. Aber dann schlägt der Mörder wieder zu und nach der ersten von an sich drei vorgesehenen Nächten und zudem ohne Frühstück müssen die Beiden - sie ist stellvertretende Polizeichefin in Le Lavandou – zurück. Man merkt genau, wenn Eyssen eine seiner Figuren mag oder nicht. Den Leiter des Polizeireviers jedenfalls nicht. Indes, so inkompetent ist kein französischer Polizist...

Entgegen dem, was Eyssen in Interviews zu berichten weiss, kommt das Lokalkolorit bis auf Markt, Café und Boules zu kurz. Da könnte er doch seinen deutschen Rechtmediziner mal auf die Spur setzen: Zum Beispiel auf die von Thomas Mann, dessen südfranzösisches Exil in Le Lavandou begann. Der Nobelpreisträger fand sich mit Familie und Freunden im Hotel "Les Roches fleuries" ein. 

1934: Speiseterrasse des "Roches fleuries" mit Blick über die Bucht   
Spannende und tragische Geschichten um Reinhardt und Dr. Julius Munk 

Dies Hotel - Mann bezeichnete es als Meeresschloß - hat noch bis vor kurzem existiert. Inzwischen ist es abgerissen und durch einen nichtssagenden Neubau ersetzt. Der französische Investor wußte nicht einmal, wer Thomas Mann war. Der Romancier hatte in Le Lavandou Teile seines Josephsromans geschrieben. Ihm gefiel es so gut dort, daß er bleiben und sich ein Haus kaufen wollte, das er jedoch nicht bekam. Also machte seine Frau Katia nicht weit von hier, in Sanary-sur-Mer Quartier. Er trauerte per Tagebuch: "Es war malerischer und griechischer in Le Lavandou".

Auch die Geschichte des Dichter Emil Reinhardt wäre erzählenswert, weil sie die Verbindungen zur Resistance schafft. Oder die von Bert Brecht, der mit Ritter (und Eyssen) eine Vorliebe für Tage im Café hatte, bei Brecht das Cafe du Centre, das heute immer noch am Place Reyer existiert. Immerhin hat der Ullstein Verlag in den 1920er Jahren Bücher von Mann und Brecht veröffentlicht. Wenn ich jetzt allerdings auch noch Walter Hasenclever sowie Kurt und Helen Wolff vorschlage, dann wird es vielleicht zu exil-literarisch.

Also kaufen Sie einmal den einen oder anderen Band aus der Reihe, für Rechtsmediziners sind die Bücher sicher sogar als Fachliteratur absetzbar. Elf Auflagen von „Tödlicher Lavendel“ in fünf Jahren zeigen ja, daß Sie mit Ihrer Wahl nicht ganz alleine sind. 

Links Le Lavandou? und rechts ein ziemlich ähnliches Sanary

Band 7 werde ich mir auf alle Fälle kaufen. Nur ärgert mich jetzt schon das Titelbild aus Sanary, für das der Autor aber sicher nichts kann. Auch Thomas Mann wäre mit dem Bild nicht zufrieden; von daher befinde ich mich doch in guter Gesellschaft.

 










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