Für Joseph Roth hatten die Cafés nicht mit Kaffee zu tun |
Wenn dazu noch wir Anna Seghers „Transit“ und Ludwig Macuses „Mein Zwanzigstes Jahrhundert“ lesen, dann gewinnt man den Eindruck, als hätten alle Exilanten ihre Tage hauptsächlich in den Cafés von Marseille und Sanary-sur-Mer verbracht.
Und da ist tatsächlich was dran. Das Thema war Hermann Kesten sogar ein ganzes Buch wert: „Dichter im Café“. So etwas wie eine zweite Heimat waren die Cafés geworden. Er habe einen Gutteil seines Lebens in den Cafés verbracht, beichtet Hermann Kesten und tritt auf den 433 Seiten seines Buches „Dichter im Café“ den Beweis an.
Den Exilanten waren die Kaffeehäuser zu ihren Arbeits- oder Wohnzimmern geworden, in denen sie ihre glücklicherweise selbstzahlenden Freunde empfingen, in denen sie schnell ihre Stammplätze oder gar Stammtische hatten und auch bei wenig Verzehr gerne gesehen waren: die Bohème als kostenlose Werbung für die vielen, die gerne dazu gehört hätten und dennoch kamen und nur sehen wollten. Diesen „Müßiggang der anderen betrog ich mit meiner Arbeit“ formulierte Kesten schadenfreudig und machte sich regelmäßig auch über die einzelne Dame lustig, die es in jedem Café gebe und die aussähe, „als habe nicht ein einzelner Mann sie versetzt, sondern das ganze männliche Geschlecht“.
Die Cafés waren den Exilanten sogar mehr als Haus und Heimatersatz, waren „Kirche und Parlament“, wurden „zur Wiege der Illusionen und zum Friedhof“.
Sanary: Hotel de la Tour (in dem Thomas Mann schrieb) und die Cafés "Marine" und "Nautique" |
Drei Cafés gab es damals am Hafen von Sanary. Das „Marine“, dann das „Nautique“, das alle nur die „Witwe Schwab“ oder „Chez Schwob“ nannten und das „Café de Lyon“. „Schwob war ein großer, belesener Elsässer, verheiratet mit einer ebenso großen heiter geschäftigen Schwarzen, die ein übergroßes Baby stillte, während er hinter der Theke Heine und Descartes deklamierte, wenn er nicht gerade Zigaretten und Briefmarken verkaufte oder Getränke ausschenkte.“ Zum mittäglichen Apéro fanden sich auch „aufgeschlossene Honoratioren. Letztere pflegten abends in das teurere Café de la Marine nebenan zu gehen, der Tageszuflucht ansässiger Akademiker und Pensionäre“.
Die Palmen sind noch da, die intellektuelle Auseinandersetzung nicht mehr |
„Sanary-les-Allemands“ hieß ihr Ort gelegentlich schon bei den Einheimischen; die Deutsche Annemarie Schwarzenbach hatte den Begriff selbstironisch geprägt. Kein Wunder, denn diejenigen unter den Literaten, denen die Alltagssorgen fern waren, diskutierten hier etwa die in diesen Zeiten so naheliegende Frage, wer denn der nächste deutsche Literatur-Nobelpreisträger werden solle. Wilhelm Herzog wollte seinen Freund Werfel vorschlagen und warb um Unterstützung bei Thomas Mann. Dem indes fiel zunächst außer sich selbst niemand ein; und dann schließlich doch noch Hermann Hesse.
Wenn Sie eine Reise durch die Restaurants und Cafés der Künstler machen wollen, beginnen Sie im "Café des Arts" in Saint-Rémy-de-Provence. Jean Cocteau oder Picasso wären Sie hier begegnet, die sich im Gästebuch verewigt haben.
Im "Deux Garçons" in Aix-en-Provence mit seiner Terrasse zum Cours Mirabeau konnte man seinen Café neben Albert Camus oder Marcel Pagnol trinken. Und schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts hätten Sie den Gesprächen von Emile Zola und Paul Cézanne lauschen können.
Das "Colombe d'Or" in Saint-Paul-de-Vence war zweite Heimat des Malers Chagall. Mit den ausgestellten Bildern von Matisse, Calder und Picasso ist es noch heute ein Anziehungspunkt. Filmstars wie Sophia Loren, Lino Ventura und Yves Montand erholten sich hier von den Anstrengungen des Festivals in Cannes.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ich freue mich auf Ihre Anregungen. mh