Samstag, 9. Dezember 2017

Marseille: Albert Hirschmann ist Beamish, der Strahlemann

Eine den Nationalsozialisten ganz wichtige Klausel im Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich sah die Auslieferung aller von der deutschen Regierung benannten Personen vor. Und die Deutschen hatten lange Listen.

Mit Hilfe unter anderem von Thomas Mann, Hermann Kesten und Hans Sahl ergänzte auch Varian Fry seine Listen der Personen, die zu retten waren.
Mit seiner Truppe machte er sich in Marseille vom Hotel Splendide (Bilder Fry Archiv)aus tatkräftig an die Arbeit. Dieses Hotel, in der Nähe des Bahnhofs Saint Charles gelegen, entwickelte sich langsam zum Zentrum der Unterstützung von Flüchtlingen. Vor Fry hatte bereits Frank Bohn hier Quartier bezogen; Bohn kümmerte sich im Auftrag der American Federation of Labour vor allem um gefährdete Gewerkschaftsmitglieder.

Frys wichtigster Mitarbeiter war ein völlig mittelloser Berliner,

„sehr intelligent, und immer gutmütig und fröhlich. Ich nannte ihn Beamish (Strahlemann), wegen seiner schelmischen Augen und seines ewigen Schmollmundes, der sich in Sekundenschnelle in ein breites Grinsen verwandeln konnte.“


Trotz aller scheinbaren Unbeschwertheit nahm er seine Aufgabe im Komitee ernster als andere. Einmal verglich er seine Aufgabe mit der Pflicht des Soldaten die verwundeten Kameraden nicht auf dem Schlechtfeld zurückzulassen.
„Er muß sie retten, auch wenn es das eigene Leben kostet. Einige werden trotzdem umkommen. Einige werden ihr Leben lang Krüppel bleiben. Aber rausholen muß man sie alle. Zumindest muß man es versuchen.“
Und so beschaffte er Geld und Papiere, manchmal falsche, und hielt die Kontakte zur Polizei wie zur Unterwelt, um an die Aufenthaltsorte der Exilanten heran zu kommen.Und wenn es dann gelungen war, die gefährdeten Exilanten über Spanien oder Nordafrika in die USA zu bringen, erwartete die dort ein ziemlicher Kulturschock, wie die Anzeigen in den
 
 
deutschsprachigen amerikanischen Zeitungen beweisen: Vom „Witz-Kontest“ über „Reizende Girls“ bis zu John Kolischer, dem „KOMIKER der Komiker, der Millionen zum Lachen brachte“. Die Shows im Revuetheater „Old Europe“, die helfen sollten, das alte Europa zu verdrängen oder zu vergessen.

Nach seiner Flucht aus Deutschland studierte Beamish an der Ecole des Hautes Etudes Commerciales in Paris, später in London an der

School of Economics und promovierte in Triest. Und nachdem er Marseille verlassen mußte, konnte man Albert Hirschman(n), wie er richtig hieß,als Professor in Harvard, Yale und Princeton (Bild in seinem Büro dort)wiederfinden. Hirschmann hatte im Spanienkrieg auf seiten der Republikaner gekämpft, dann für die französische Armee, von wo er einen Entlassungsschein als „Albert Hermant“ besaß. Das war nur eines von seinen
„zu vielen guten falschen Papieren“.
Eine Geburtsurkunde aus Philadelphia hatte er noch, ein Soldbuch und die Mitgliedskarte eines von ihm gegründeten Automobilclubs mit dem surrealistischen Titel „Club der Clublosen“. Eines Tages müsse er ja verhaftet werden, meinte er, das sei ja
„fast wie bei einem Verbrecher, der zu viele unterschiedliche Alibis hat“.






 

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