Samstag, 2. Dezember 2017

Port Bou: Walter Benjamin - gerade gerettet - begeht Selbstmord

 
Um ihre Zusammenarbeit auf eine rechtlich sichere Grundlage zu stellen, schlossen das Deutsche Reich und die Vichy-Regierung einen Auslieferungsvertrag. Wen die Gestapo haben wollte, den mußten die Franzosen ausliefern. Diese Regelung veranlaßte den 48jährigen Walter Benjamin, sich mit einer Überdosis Morphium umzubringen; und
das nur Stunden, nachdem er von der österreichischen Widerstandskämpferin Lisa Fittko über die Pyrenäen nach Spanien, und damit in Sicherheit, gekommen war. Lisa Fittko und ihr späterer Mann Hans arbeiteten mit Varian Fry's Emergency Rescue Committee bei der Fluchthilfe zusammen.

Benjamin war einer der drei Flüchtlinge, die Lisa Fittko bei ihrer allerersten Tour über die Berge nach Spanien mitnahm; neben Benjamin noch Henny Gurland und deren 16jährigen Sohn José.
„Ich habe Benjamin nicht rübergenommen, weil er der große berühmte Philosoph war. Ich kannte ihn, und er war einer von denen, die heraus mußten aus dem halb besetzten Frankreich.“
In ihren Erinnerungen hat Fittko das plastisch aufgezeichnet.

Mit dem „alten Benjamin“, wie Fittko ihn nannte, hatte sie gleich einen der eigenwilligsten Kandidaten. Umständlich, kurzatmig langsam, obwohl er inzwischen aufgehört hatte zu rauchen, nicht
bereit, auch nur einen Meter umzukehren - aber immer überaus betont höflich. „Gnädige Frau“ begann er, als er Lisa in Port Vendres in einer kleinen Dachwohnung aufsuchte,
„gnädige Frau, entschuldigen Sie bitte die Störung. Hoffentlich komme ich nicht ungelegen. Ihr Herr Gemahl sagte, Sie würden mich über die Grenze nach Spanien bringen.“ 
Die "gnädige Frau machte sich später immer wieder über Benjamins „spanisches Hofzeremoniell“ lustig.

Über einen Gewerkschafter im Hafen von Port Vendres hatte Lisa Fittko Kontakt zu Monsieur Azéma, den Bürgermeister von Banyuls, bekommen.

Bessere Unterstützung hätte Lisa Fittko nicht finden können. Azéma hatte Fittko dann in einem stundenlangen Gespräch alle Einzelheiten eines Fluchtweges eingebläut, der nach einem steilen Anstieg weit weg von der Küste einen Bogen nach Port Bou in Spanien machte. Inzwischen heißt der Weg „Chemin Walter Benjamin“; vom Fittko-Denkmal führt er in fünf bis sechs mühsamen Wanderstunden nach Port Bou.

Der Weg führte oft durch die Entwässerungsgräben
Sie solle sich anpassen, riet ihr der Bürgermeister, morgens mit den Weinbauern den Weg aus Banyuls hochgehen, Espadrilles tragen, möglichst kein Gepäck mitnehmen und „surtout pas de rucksack“, für die Zöllner ein untrügliches Kennzeichen deutscher Flüchtlinge. Walter Benjamin trug zwar keinen Rucksack, dafür aber eine schwere Aktentasche.
„Diese Aktentasche ist mir das Allerwichtigste. Ich darf sie nicht verlieren. Das Manuskript muß gerettet werden. Es ist wichtiger als meine eigene Person.“
Das Manuskript ist bis heute verschwunden.

Nach dem unbemerkten Grenzübertritt kletterten die Flüchtlinge nach Port Bou hinunter. Im damaligen Hôtel de Francia fanden die Flüchtlinge Quartier. Plötzlich sollten sie nun aber ein französisches Ausreisevisum vorlegen. Als sich weitere Schwierigkeiten mit der Anerkennung der Papiere abzeichneten, hat Benjamin, wie sich Henny Gurland erinnert, eine Überdosis Morphium, die er schon seit langem bei sich trug, eingenomme. Er hat sie auch gebeten, alle ihn kompromittierenden Briefe und Schriften zu vernichten.



Heute erinnert ein Denkmal von Dani Karavan an diesen überflüssigen frühen Tod.


 

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