Samstag, 10. August 2019

Lourmarin: Das versteckte Grab von Albert Camus

Das Lieblingsrestaurant von Albert Camus (siehe nebenstehendes cc-
Bild von John Pasden) war das „Ollier“ von Madame Hirtzmann in Lourmarin. Ab und zu deckt sie den runden Tisch im Nebenzimmer noch einmal genau so, wie bei seinem letzten Abendessen in ihrem Haus. Nachdem Albert Camus nach Lourmarin gezogen war, entwickelte er literarische Projekte, die nicht ganz zu seinem sonstigen Schaffen paßten. Eine Serie von Sonnenessays wollte er schreiben, über den Sommer, den Süden, die Feste. In seinem Tagebuch finden sich Einträge über den Tag, „der sprüht und strahlt“, über den Kinderlärm aus dem Dorf und den Springbrunnen im Garten.

„Allenthalben bricht Vogelzwitschern hervor, mit einer Kraft, einem Jubilieren, einem fröhlichen Mißklang, einem unendlichen Entzücken.“
Anfang Januar 1960 hatte er seinem Verleger Gallimard die neuen Projekte in Lourmarin vorgestellt. Bei einem Unfall im Auto von Michel Gallimard, dem Neffen des Verlegers, kam Camus ums Leben. An seiner Autobiographie mit dem Arbeitstitel „Der erste Mensch“ arbeitete er gerade. Das Fragment von „Le Premier Homme“ wurde erst mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht.

Wenn Sie sein Grab auf dem Friedhof von Lourmarin aufsuchen, werden Sie es wahrscheinlich zunächst nicht finden. Und das trotz oder


wegen des Hinweises gegenüber dem Eingang. Die verblichene Skizze erschließt sich nur dem geübten Kartenleser, manchmal nicht einmal dem. Gehen Sie nach links, bis es nicht mehr weitergeht und folgen der Friedhofsmauer nach rechts. Am Ende der Allee finden Sie direkt am Weg auf der rechten Seite einen Stein mit Namen und Lebensdaten von Camus, beides gerade noch zu entziffern. Links daneben das Grab seiner Frau, das Ihnen vielleicht zuerst ins Auge fällt. Den Plänen des französischen Politikers Sarkozy, ihn zu seinem fünfzigsten Todestag ins pompöse Pariser Panthéon zu überführen, hätte er mit Nachdruck widersprochen. Was soll er neben Voltaire, Zola und Hugo? Er war glücklich in Lourmarin, so glücklich wie sein Sisyphos, den wir uns, so sagte er, auch „als einen glücklichen Menschen vorstellen müssen“.

Fast ebenso versteckt ist das Grab von Henri Bosco, der neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch Konservator des Schlosses von Lourmarin war. Als Junge hörte er seine Eltern immer vom Fluß, von den Gefahren der schlammigen Hochwasser der Durance und der Rhone erzählen, die nicht weit vorbeiflossen, die er aber noch nie gesehen hatte. Der Vater hatte ihm das Spielen in der Nähe des Wassers verboten. „Und meine Mutter hatte hinzugefügt: ‚Im Fluß, mein Kind, gibt es Strudel, in denen man ertrinkt, Schlangen zwischen dem Schilf und Zigeuner an den Ufern.’ Das genügte, um mich Tag und Nacht vom Fluß träumen zu lassen.“ Vielleicht auch weil es in der Gegend von Lourmarin immer noch ein wenig heißer ist, als in der übrigen Provence, wie er in seinem Roman über den Hof Théotime beschreibt.

„Im August, kurz vor dem Abend, umarmt eine mächtige Hitze die Felder in unserem Land.“
____________________________________________________________________________
Viel mehr zu Grasse und dem Midi in meinem Buch "Durch den Süden Frankreichs" (700 Seiten, über 1.000 Bilder), das ich gerne signiert und portofrei zusende.

So bewertet die FAZ: Eine „profunde Kulturgeschichte, glänzend formuliert, prachtvoll bebildert und vom Verlag wunderschön ausgestattet…die vielleicht fundierteste Darstellung zu diesem Thema, ganz gewiss ist es die am besten geschriebene“.

Professor Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, lobt im MDR die „hochinteressante Mischung aus Literatur, Kunst und Kulinarik“, und Martin-Maria Schwarz im HR „eine akribische Neuerkundung“. Zusammenfassend die Badische Zeitung: „Ein reiseliterarisches Meisterwerk“ und der NDR: „Ein ganz außergewöhnliches Buch!“




Freitag, 2. August 2019

Laguiole - ein Name ohne Wert

Feinste Handarbeit.   Bild Forge de Laguiole
In Solingen ginge das nicht! Wenn ein Messerschmied in Laguiole – genau, da wo die Messer ihren Namen herhaben – sein Messer Laguiole nennt, ist er in Gefahr, wegen Fälschung eines pakistanischen oder chinesischen Produkts verklagt zu werden. Der französische Unternehmer Gilbert Szajner, der unter anderem asiatische Billigmesser vertreibt, hatte sich die Namensrechte bereits 1993 gesichert. Bürgermeister Vincent Alazard ging dagegen gerichtlich vor. Ohne Erfolg. Rund einhunderttausend Euro Anwalts- und Prozeßkosten muß die Gemeinde mit ihren 1.300 Einwohnern nun dem Rechteinhaber bezahlen. Symbolisch hat der Bürgermeister daraufhin die Ortsschilder abgeschraubt.

Ein Gesetz, das künftig die Nutzung von Ortsnamen regelt, wird für die Einwohner von Laguiole zu spät kommen; es gilt natürlich nicht rückwirkend. Nicht einmal mehr der hier fabrizierte Rohmilchkäse darf Laguiole-Käse heißen.



Oben Calmels erstes Laguiole mit Horngriff und sein Muster, das Navaja. Bilder Lennertz

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren in Südfrankreich das Capuchadou, mit feststehender Klinge, und ein spanisches Taschenmesser, das Navaja, weit verbreitet. Aus diesen Vorbildern hat Pierre-Jean Calmels um 1830 das Laguiole mit seinem damals typischen Horngriff entwickelt. Also ein früher Produktpirat, nicht viel anders als die chinesischen Hersteller, die man zuhauf über die Homepage von Alibaba findet, dem e-Commerce-Giganten von Jack Ma, der bei seinem Börsengang im Jahr 2014 mehr als 25 Milliarden Dollar eingesammelt hatte.

Coutellerie von Pierre-Jean Camels,
dem Erfinder des Laguiole-Messers. Postkarte Lennertz
Fast könnte man die These aufstellen, daß das neu-deutsche Marketing-Instrument des Storytelling von den ersten Messerschmieden in Laguiole erfunden wurde. Um das Messer ranken sich viele Geschichten. Von der Messertaufe mit einem Frauennamen – Florence, Odette oder Cecile - bis hin zur Geschichte, daß ein verschenktes Laguiole die Freundschaft zerschneidet. Deshalb müsse der Beschenkte seinem Freund mindestens einen Centimes zurückgeben und es so „kaufen“. So wird aus dem einfachen Hirten- und Bauernmesser ein Prestigeprodukt, das es bald schon mit fein gearbeiteten Ziselierungen und Griffen etwa aus Elfenbeim zu kaufen gibt.

Heute bewegen sich die Preise zwischen asiatischen 2 Euro und reichen bis zu 1.200 Euro, wenn etwa eine Damaszenerklinge mit Elfenbeingriff einem französischen Staatsgast überreicht wird.


Sehr unterschiedlich ausgelegt werden die Verzierungen des Messers, die Biene - für manche auch eine Fliege -, die in Form eines Steinkreuzes eingelassenen Metallstifte und der Wellenschliff oben auf der Klinge. Für manche sind es „nur“ die Symbole für die Elemente Luft, Erde und Wasser. Andere sehen eine religiöse Symbolik: Das Steinkreuz hätten die Hirten auf den einsamen Causses des Larzac oder der Auvergne in den Boden gestoßen und dann davor ihre Gebete gesprochen.

Wenn Sie auf dem Flohmarkt besonders großes Glück haben, wird Ihnen dort ein Messer angeboten, in das die Längen- und Breitengrade sowie der Name des Besitzers eingraviert sind. Wenn Sie das geografisch nachverfolgen, landen Sie in Algerien und haben das Messer eines Fremdenlegionärs entdeckt. Sofort kaufen!

Nun müssen Sie selbst entscheiden, wie und wo Ihr Laguiole-Messer produziert und herkommen soll. Einen Überblick über die Kriterien finden Sie auf der Homepage von Petra und Max Lennertz.

Gut beraten sind Sie mit Produkten der Schmieden Laguiole en Aubrac, Fontenille Pataud, Honoré Durand und Forge de Laguiole. Mein Messer besitzt eine Damaszenerklinge, die Arnaud Grafteaux von Durand geschmiedet hat - wie das hergestellt wird, sehen Sie HIER IM VIDEO von Jean-Paul Girbal; sechs Minuten aus der Hitze der Werkstatt unterlegt mit zum Träumen anregenden Winterbildern aus der Auvergne, die mehr so aussehen, als seien sie in der Eifel gedreht und nicht in Südfrankreich.

Samstag, 20. Juli 2019

Saint-Quentin-la-Poterie: Töpfermuseum

Die ganze Vielfalt des Töpferhandwerks
Normalerweise haben Städtchen mit knapp dreitausend Einwohnern museal nichts zu bieten – manchmal ein Heimatmuseum. In Saint-Quentin befindet sich, verteilt auf zahlreiche Ausstellungsräume, das Musée de la Poterie Méditérranéenne (hier im Video), nicht irgendein kleines Töpfermuseum, sondern das Töpfereimuseum des gesamten Mittelmeerraumes.

Es ist gut ausgeschildert, ist also leicht zu finden (14, rue de la fontaine. Tel 0033 466 03 65 86). Ausstellungsstücke aus dem gesamten Mittelmeerraum ab dem 18. Jahrhundert werden hier gezeigt; abwechslungsreich durch die zahlreichen Sonderausstellungen. Erstaunlich wie man Keramiken einsetzen kann. Von den berühmt-berüchtigten „Rumstehseln“, die Ihre Frau engagiert vom VHS-Kurs nach Hause trägt und hoffentlich schnell weiter verschenkt, ist hier nicht zu sehen. Brotöfen, Tierfallen, Baumaterialien, Vorratsgefäße…und alles aus Ton.

Vase d'Anduze
Das Töpfern wird hier seit dem Mittelalter betrieben. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dem Ort der Namenszusatz "La-Poterie" von Staatspräsident Jules Grévy verliehen.

Wenn Sie nach dem Museumsbesuch ein kleines Restaurant mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis suchen, könnte "La Cuisine du Boucher" nicht weit von der Tourist-Info das richtige sein. Wie der Name schon sagt, ist hier eher ein Steak angesagt, als vegetarische Küche. Zum Übernachten bietet sich das "Les Clos de Pradines", absolut ruhig und oberhalb des Ortes gelegen. Einziger Nachteil ist der Pool, der nah an der Terrasse des Restaurants liegt. Wenn da gerade Kindergeburtstag gefeiert wird, kann es etwas lauter werden.

Nicht weit von hier, in Anduze, wurden und werden die Tonvasen hergestellt, mit denen Ludwig XIV. sich das Schloß von Versailles ausstatten ließ. 







Samstag, 13. Juli 2019

Petrarca auf dem Mont Ventoux?



Der Mistral  schafft einen wolkenlosen Himmel            Bild Steffen Lipp
Am 26. April 1336 stand Francesco Petrarca als Erster oben auf dem Gipfel des Mont Ventoux – als Erster jedenfalls, der den Weg auf den Berg auch dokumentierte: In einem Brief an der Augustinermönch Francesco Dionigi.
„Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht unverdient Ventosus, den Windigen nennt, habe ich am heutigen Tage bestiegen".
Und weiter seine Eindrücke vom Gipfel:
"Zuerst stand ich, durch einen ungewohnten Hauch der Luft und durch die ganz freie Rundsicht bewegt, einem Betäubten gleich da.“
Steffen Lipps Blick vom Mont Ventoux in Richtung Alpen

Sein Blick, der Mistral hatte die Sicht klar gewischt, ging vom Rhonetal zu den Alpen, dann zum Mittelmeer und bis hin zu den Pyrenäen.

Die gesamte Beschreibung seines Aufstiegs finden Sie in deutscher Übersetzung HIER .

Die beiden Fragen indes bleiben: War er wirklich oben? Und hat er wirklich diesen Brief geschrieben? "Beides nein", sagt Rainer Schmitz in seinem Buch "Was geschah mit Schillers Schädel". Der Brief sei erst siebzehn Jahre nach dem vorgegebenen Datum verfaßt worden. Und da war der Empfänger schon zehn Jahre tot. Den Brief hält Schmitz für eine Fälschung. Er imitiere
"eigentlich nur einen Bericht des Livius über die Besteigung des Berges Hämus durch König Philipp von Macedonien."
Auf diese Quelle verweist auch der Brief selbst. 

Bereits in der Antike war der Mistral den Menschen ein furchterregendes Naturschauspiel. Der griechische Geograph Strabon nennt ihn „Melanboreas“, schwarzer Nordwind, ein Begriff, der in der Dauphiné noch im 19. Jahrhundert gebräuchlich war, als er überall sonst schon Mistral hieß. Der Name leitet sich her vom lateinischen magistralis, ein Meisterwind also. Wer einen mehrere Tagen andauernden Mistral nicht erlebt hat, darf nicht für sich in Anspruch nehmen den Midi zu kennen.

Nach Norden haben die alten Häuser dickere Mauern und allenfalls eine kleine Fensteröffnung zeigt sich an der ganzen Hauswand. Wolf von Niebelschütz ist in seiner Beschreibung der Provence aufgefallen, daß dies auch für Kirchen galt.

„Die Kirchen haben nach Norden auch kein Fenster, nach Westen kein Portal, stämmig und klein sind die Türme, und auf den Feldern zieht man zehn Meter hohe Palisaden aus Zypressen, die eng beieinanderstehen, und ihre Lücken bindet man mit Bambusgeflechten aus, und doch kommt es vor, daß der Mistral sie aushebt mit all ihren Wurzeln." 
Für die außerordentliche Gewalt dieses „Chefs unter den Winden“ sammelte der englische Reiseautor Archibald Lyall drastische Beispiele.
Der Mistral hat schon Eisenbahnzüge zum Stehen gebracht und sogar einmal einen Zug ohne Lokomotive das Gleis entlang von Arles nach Port Saint Louis geschoben. 1875 kam er mit solcher Gewalt herab, daß er die Brücke zwischen Beaucaire und Tarascon hinwegriß.“

Samstag, 29. Juni 2019

Porquerolles: Spaziergang mit einer Dinosaurierin

Camille Bondy 1934 und 2005. Fotos Walter Bondy und Manfred Hammes.
Sie sei der „Dinosaurier“ von Porquerolles, sagte Camille Bondy von sich. Sie war fast neunzig Jahre alt, als ich sie zu einem Spaziergang traf - es waren nicht mehr ein paar Schritte. Ganz hätte sie den Weg um „ihre“ gut sieben Kilometer lange und maximal drei Kilometer breite Insel nicht mehr geschafft, dafür war sie inzwischen doch zu zittrig. Es war im November und dann leben vielleicht dreihundert Menschen auf der kleinen südfranzösischen Insel östlich von Marseille.
Fast jeden hat sie gekannt, alle Älteren mit Namen und man spürte den Respekt, den die ihr entgegenbrachten. Nicht selbstverständlich gegenüber jemanden, der sich 1932, da hieß sie noch Berton, in einen dreißig Jahre älteren deutschen Maler verliebte. Mit Walter Bondy arbeitete sie als Fotografin und Malerin in Sanary-sur-Mer, als der Ort von Ludwig Marcuse zur „Hauptstadt der deutschen Literatur“ gemacht wurde. Heinrich Mann, René Schickele, Feuchtwanger, Brecht, Zweig und viele andere hat sie da kennen gelernt - und die meisten Geschichten für sich behalten. Nur eines hat sie bis zu ihrem Tode geärgert, dass ihr Mann nämlich die zwei van Gogh-Gemälde, die er ganz früh und sehr preiswert bei einem Wirt in Meulan an der Seine gekauft hatte, viel zu früh und viel zu preiswert wieder abgegeben hat. An wen? Sie lächelt, wie nur eine alte Frau lächeln kann, die diese Antwort garantiert nicht geben wird. Nur noch: „Und ich weiss, wo die Bilder jetzt hängen.“

Porquerolles um 1930
Porquerolles war lange eine Fraueninsel. Für Madame Fournier war sie das Hochzeitsgeschenk ihres Mann François Joseph, der mit seinen Schürfrechten an mexikanischen Goldminen reich geworden war. Fournier machte aus Porquerolles ein kleines Königreich, engagierte italienische Landarbeiter, die Weinberge und Olivenhaine anlegten, Orangen und Mandarinen und pflanzten, und holte einen Arzt, Lehrer und Nonnen auf die Insel. Den Abend konnte man damals wie heute (nicht ganz preiswert) im „Mas de Langoustier“ verbringen, der Lélia Le Ber gehörte, einer der sechs Töchter der Familie Fournier.


Terrasse des Mas de Langoustier
Ausgerechnet Lélia, die so eine Art schwarzes Schafe der Familie gewesen war. „Ich sehe schwarz für dich“, sagte die Gouvernante zu ihr, „du bist dumm, du bist häßlich, aus dir wird nichts.“ Später gehört Lélia nicht nur der „Mas du Langoustier“, in den man sich aus Cannes, Antibes oder Monaco mit dem Hubschrauber hinbringen lässt, sondern ringsum auch noch ein, wie sie sagt, „Gärtchen“ von 180 Hektar.

Ähnlich verliebt in die Insel wie Lélia war George Simenon, mit dem sie als Mädchen noch Basketball auf dem abfallenden Platz am Hafen spielte Simenon fühlte sich wohl auf der Insel und war noch produktiver als sonst: «Wasser und Himmel wirkten auf mich wie ein Feuerwerk, dessen Funken durch die Augen in meinen Kopf eindrangen.» Insgesamt sechszehn Romane schrieb er auf Porquerolles. „Mein Freund Maigret“ ist meine Lieblingsgeschichte, weil Sie deren Spuren noch heute auf der Insel folgen können. Wie Maigret können Sie Ihr Hauptquartier gleich am Hafen im «Arche de Noé» aufschlagen, können den Tatort am Hafen noch einmal auf Spuren untersuchen und in Simenons bevorzugter Bäckerei einkaufen. Ob den Spuren Simenons tatsächlich vollständig nachgegangen werden soll, bleibt jedem selbst überlassen. Denn dann müssten auch die ihm nachgesagten Bordell-Besuche in Giens oder Hyères dazu gehören. Wenn Maigret, Simenon und die Tagestouristen alle wieder weg sind, hat man die Hafenmole für sich alleine. Eine junge Frau flickt die Netze; aus der Ferne sieht sie aus wie Camille Berton.

Camille ist 2009, Lélia sechs Jahre später gestorben. Erbschaftsstreitigkeiten brachten einen Großteil der Insel in den Besitz des französischen Staates, der ein absolutes Bauverbot aussprach. Heute lohnt der Besuch des Museums der Stiftung Carmignac. Darüber lesen Sie HIER.

Samstag, 22. Juni 2019

Porquerolles: Barfuß ins leere Museum

Im Garten der Fondation Carmignac. Bild Jaume-Plensa.
Man spaziert durch einen Pinien- und Kiefernwald und steht unvermittelt vor dem aus rohem Eisen gestalteten Tor der Fondation Carmignac, dem 2018 eröffneten Museum für moderne Kunst. Neben der Allee, die auf das  große Gelände führt, wurden zwischen Pinienbäumen schlichte Eisenschließfächer installiert. Hier lässt man Rucksäcke, Taschen und alles andere, um den Ort frei erkunden zu können.
Das Herzstück der Fondation Carmignac ist ein provenzalisches Landhausauf einem Hügel. Nur 50 Besucher jede halbe Stunde werden reingelassen, so dass jeder Besucher die Gelegenheit hat, sich mit "seinem" Kunstwerk auseinanderzusetzen. Barfuß, und eingestimmt mit einem Becher Heilpflanzentee, bewegt man sich durch das Museum, vorbei an Arbeiten von Gerhard Richter, John Baldessari oder Cindy Sherman und Andy Warhol, und weiteren Größen der neueren Kunst wie Andreas Gursky, Keith Haring und Martial Raysse. Aber auch die Madonna mit dem Granatapfel von Boticelli, eine Neuerwerbung, hängt hier im Dialog mit Roy Lichtensteins Pop-Art-Mädchen.

Charles Carmignac. Bild Thomas
Hennocque, Fondation Carmignac
Wer sich mit dem Sammelansatz von Éduard Carmignac, einem Fondsmanager, der hier seine private Sammlung präsentiert, nicht so ganz anfreunden kann, kann sich zumindest von den architektonischen Highlights des Baus beeindrucken lassen, dem Zusammenspiel von Materialien und Lichtführung. Sein Sohn Charles kümmert sich um die Ausstellung und Neuerwerbungen. Von daher wird sicher demnächst auch eine Installation von James Turrell hier zu sehen sein. Alles Engagement geschehe "rein aus Freude an der Entdeckung, Unterstützung und Förderung der Weiterentwicklung von Künstlern".
Nach dem Besuch geht's in eine der versteckten Buchten von Porquerolles.

Freitag, 14. Juni 2019

Hamel wandert - aber untypisch

Hamel wandert und
bringt Sie auch dem Baum näher
Das sind wirklich etwas ungewöhnliche Touren, die der Geologe Harald Hamel da durch Südfrankreich anbietet. Sehr individuell und in kleinen Gruppen von mal fünf, mal neun Personen führt er durch den Midi: Etwa um Sommières oder den Pont du Gard mit Abstechern zum Carrière de Lumière und der van Gogh-Installation oder nach Le Grau zu einer Katamaran-Tour entlang der Küste.
Da bleibt er auch schon einmal an einem Baum stehen und kann - als ausgebildeter Baumpfleger - Ihnen soviel dazu erzählen, daß fast eine kleine Wanderpause daraus wird. Sein besonderes Interesse gilt hier im Süden natürlich den Olivenbäumen. Und auch für die gibt den alten französischen Olivenbauern noch Tips, wie der Schnitt im nächsten Jahr zu einem besseren Ertrag führen kann.


Ein alter provenzalische Gutshof bei Sommières, dessen Ursprünge
ins 14. Jahrhundert zurückreichen.
In Uzes, im Le Carola - wo sonst - haben wir uns getroffen. Und dann erzählt er nicht nur von den Wanderungen, die in der Hitze des Südens mehr Ausflüge sind, sondern auch von seinen Kooperationspartnern vor Ort, den Orten, in denen seine Gäste übernachten, etwa dem Großmutter-Zimmer des "Bize de la Tour" in 
Im Chambre de la Chapelle hilft notfalls auch ein Gebet.

Remoulins oder dem "Mas de la Rivoire" und dort vielleicht in "La petite chapelle", tatsächlich einer Kapelle aus dem 14. Jahrhundert.

Samstag, 8. Juni 2019

Sète: Hafen, Brassens und Paul Valéry


Die Gräber und Museen von Brassens und Valéry sollten Sie aufsuchen, das von Brassens unten auf dem Friedhof Py und das von Valéry oben auf dem Cimetière marin und wiederum unten das Espace Brassens und oben das Musée Paul Valéry.


Die schönsten Aussichten sind für die Toten reserviert
Am Grab von Valéry werden Sie kaum einmal jemandem begegnen, während Brassens zwischen April und Oktober täglich bis zu dreihundert Menschen gedenken. Die Gräber sagen viel mehr über die beiden aus, als das Nachlesen der zahlreichen Würdigungen und wissenschaftlichen Beiträge über Stildifferenzen, Sujets und Arbeitsweisen. Und bezeichnend ist auch, daß Valéry an seinem Lieblingsort begraben wurde, während die Stadt Sète es Brassens verwehrte, am Strand bestattet zu werden. In seinem Chanson „Supplique pour être enterré à la plage de Séte“ hatte er diese Forderung noch einmal wiederholt. Und er spricht darin auch, ganz selbstbewußt, sein Verhältnis zu Valéry an, den er, der „aus kleinen Verhältnissen stammende Troubadour“, überbieten werde:

„Deférence gardée envers Paul Valéry.
Moi l’humble troubadour sur lui je renchéris,
Le bon maître me le pardonne.“
Die Frage, an welchem Strand denn nun genau Brassens begraben liege, wird im Office de Tourisme an jedem Tag mehrfach gestellt. In einem
Viel Brassens überall in der Stadt
Interview hat er später allerdings zugegeben, daß dies so ernst gar nicht gemeint war. Er hätte ganz einfach nach seinem Tod auch noch ab und zu baden gehen wollen, sagte Brassens in einem gemeinsamen Interview mit Jacques Brel und Jean Ferré. Das berühmteste Gedicht Valérys, von Rilke übersetzt, beschäftigt sich mit seinem „Friedhof am Meer“:

„Minervas schlichter Tempel, feste Truhe,
Sichtbares Schutzhaus, dichter Hort der Ruhe,
Kräuselung des Wassers, Auge immer wach...
Ganz eingehüllt in meinen Meeresblick.
Und wie wenn Göttern ich die Gabe brächte,
Steigt aus dem Funkeln heitrer Meeresprächte
Mein königlicher Hohn auf das Geschick.“
Die Übersetzung entstammt dem bei C.H.Beck erschienenen zweisprachigen Band "Französische Dichtung".
Einen Stein bekommt Valéry von jedem Besucher seines Grabes...
Leider findet sich nur weniges von und über Valéry in dem Museum oben am Friedhof, das immerhin seinen Namen trägt: Lediglich ein Saal, der Handschriften, Zeichnungen und Erstausgaben des Dichters ohne sich erschließende Ordnung nebeneinanderreiht. Und irgendwo dann der Satz:

„Der Mensch ist ein Tier, das außerhalb seines Käfigs eingesperrt ist.“
 
Valéry selbst hätte diesen Saal anders, vor allem systematischer gestaltet. Dennoch lohnt der Besuch des Museums wegen der Gemäldesammlung und den ständig wechselnden Ausstellungen.

Freitag, 31. Mai 2019

Ankunft in Marseille: Simone de Beauvoir

Simone de Beauvoir festgehalten von Thierry Ehrmann cc
Marseille löst Gefühle aus, wird geliebt oder verachtet oder läßt einen kalt. Liebe auf den ersten Blick war es für Simone de Beauvoir.

Sie kam im September 1937 als junge Lehrerin in die Stadt, stand auf der großen Treppe am Bahnhof Saint Charles, hatte kein Zimmer, kannte keinen Menschen, wußte nicht wo ihre Schule war - und dennoch:
„Liebe auf den ersten Blick. Ich turnte über Kopfsteinpflaster, ich streifte durch die Gäßchen, ich atmete den Geruch von Teer und Seeigeln im alten Hafen, ich mischte mich unter die Menge auf den Canebière. Ich liebte die ratternden Straßenbahnen, an denen Menschentrauben hingen und die Namen der Fahrziele: La Madraque, Mazargue, Les Chartreux, Le Roucas blanc.“
Bahnhof Saint Charles: Kurz geradeaus und dann nach rechts auf die Canebière

Über dem Restaurant „L’Amirauté“ fand sie schließlich ein Zimmer „mit einem annehmbaren Pensionspreis“ und unternahm, bei gerade mal vierzehn Stunden Unterricht in der Woche, lange Wanderungen durch die Umgebung, am Hafen entlang und in die Marseille umgebenden Fjorde, die Calanques.

Segeldampfer am Alten Hafen von Marseille


„Ich ging die wasser- und windgepeitschte Mole entlang und sah den Fischern zu. Ich irrte in der Trostlosigkeit der Docks umher und ich streifte durch die Viertel, wo sonnenverbrannte Männer alte Schuhe und Lumpen kauften und verkauften.“

Samstag, 25. Mai 2019

Liégard: Wie die Côte c'Azur ihren Namen bekam


Stéphen Liégard "erfindet die Côte.
Bild: Ariosa
Im 19. und weit ins 20. Jahrhundert hinein waren weite Partien der Côte d‘Azur fest in englischer Hand. In seinen Reiseerinnerungen „Une année à Florence“, die sich zunächst sehr lange mit seinem Weg entlang des Mittelmeeres von Marseille bis Monaco beschäftigen, beschreibt Alexandre Dumas, wie sämtliche Neuankömmlinge in Nizza erst einmal für Engländer gehalten werden. Das gelte sogar
„für Franzosen und Deutsche, die man beide nur als etwas andere Engländer“
betrachte.

In seiner Reisebeschreibung von 1887 hat Stéphen Liégeard den Begriff in Anlehnung an die „Côte d‘Or“ seiner burgundischen Heimat erstmals benutzt. Wie er das erste Mal an einer Beerdigung teilnahm beschreibt René Schickele in seinem humorvollen Roman „Die Flaschenpost“; es war die von Liégeard, aber Schickele kam nicht mehr auf den Namen.

„Sie haben den Dichter des Wortes ‚Côte d’Azur’ begraben. Ich zählte fünf Leidtragende, davon zwei vom Verkehrsverein und einen Reporter. Der vierte vertrat den Bürgermeister, der fünfte war ich.“
Das „schöne Wort“ von der Côte sei der einziger Erfolg von Liégard als Dichter gewesen und habe sich zudem nur für andere bezahlt gemacht, aber nicht für den Erfinder. Irgendwann werde man denken, nicht ein Dichter, sondern die Küste selbst habe sich ihren Namen geben. Und Schickele sprach dem Dichter nach:
„Lebe wohl! Du bist der heimliche König der Côte d’Azur. Wer ein Ding benennt, dem gehört es, solange der Name dauert.“
Und als jemand fragte, wer denn diese Abschiedsworte gesprochen habe, hieß es nur:
„Der Verrückte, der bei allen Begräbnissen mitgeht.“